59. Inklusion im Musikunterricht

Shownotes

Was bedeutet Inklusion im Musikunterricht – und warum ist sie für die Zukunft der musikalischen Bildung so entscheidend? In dieser Sommerfolge geht es um inklusiven Musikunterricht aus unterschiedlichen Perspektiven: Kristin Thielemann spricht mit Juliane Gerland und Sebastian Herbst über den engen und weiten Inklusionsbegriff, über strukturelle Herausforderungen, Selbstverständlichkeiten und die große Bedeutung von Haltung. Die Musikpädagogik-Studentinnen Marie Steinberg und Marlene Hammer äußern ihre Gedanken zu Fehlerkultur, Vielfalt und Leistungsdenken. Und Promotionsstudentin Rabea Beier ergänzt die Folge mit Einblicken in die Rolle von Musik in der Sozialen Arbeit.

Juliane Gerland: Niedrigschwellig und voraussetzungsreich. Perspektiven des Ver-Lernens für eine inklusionsorientierte Musikpädagogik, https://uebenundmusizieren.de/artikel/niedrigschwellig-und-voraussetzungsreich/

Sebastian Herbst: Klavierunterricht für alle. Auf dem Weg zu einem inklusionsorientierten, diversitätssensiblen Musizierunterricht, https://epta-deutschland.de/cms/front_content.php?idart=5

Dokumentation: IGP für alle. Vorträge und Einblicke zum Symposium „Instrumental(Gesangs)pädagogik für alle – Ansprüche und gelebte Wirklichkeiten“ am 12.10.2024 an der Bruckner Universität in Linz, https://uebenundmusizieren.de/artikel/igp-fuer-alle

Joana Grow: „Der Junge spielt Blockflöte“. Musikbezogene Doing Gender Prozesse, https://uebenundmusizieren.de/artikel/der-junge-spielt-blockfloete

Andreas Oelze: Bunt, vielfältig – unübersichtlich? Religiös-weltanschauliche Pluralität und musikpädagogische Arbeit, https://uebenundmusizieren.de/artikel/bunt-vielfaeltig-unuebersichtlich

Podcast „Voll motiviert“ #41: Inklusion in der Musikschule, https://www.youtube.com/watch?v=QvmSKudpUp0

Website des Verbands deutscher Musikschulen: www.musikschulen.de

Website von Kristin Thielemann: www.vollmotiviert.com

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Transkript anzeigen

00:00:00: Häufig begegnet mir auch die Frage, warum jetzt schon wieder ein neuer Begriff: von Integration zur Inklusion.

00:00:04: Jetzt kommen wir zur diversitätssensiblen Praxis.

00:00:06: Das ist alles viel und das verstehe ich auch.

00:00:09: Aber das Schöne ist, ich glaube, dass Begriffe uns helfen, zu reflektieren, nachzudenken.

00:00:13: Die Begriffe gängeln uns nicht und wir können Inklusion und diversitätssensible Praxis als Begriffe nutzen,

00:00:19: um über Musikschule, über Musikhochschule, über unser Lehren und über unser Lernen nachzudenken.

00:00:24: Auch von dort aus alle Chancen dieser Begriffe nutzen, Musikschule, Musikhochschule anders zu denken.

00:00:29: Warum profitiert eigentlich unser Musikunterricht so sehr davon, wenn wir anfangen,

00:00:49: uns Gedanken zum Thema Inklusion zu machen?

00:00:52: Heute geht es um inklusiven Musikunterricht, und zwar gleich aus mehreren Perspektiven.

00:00:58: Zu Gast habe ich zwei Professor*innen, zwei junge Menschen, die noch mitten im Musikpädagogik-Studium stehen

00:01:04: und eine Doktorandin mit Spezialgebiet Musik in der sozialen Arbeit.

00:01:08: Viel Spaß mit der diesjährigen Sommerfolge von "Voll motiviert" – eurem Musikpädagogik-Podcast.

00:01:14: Los geht's mit Prof. Dr. Juliane Gerland und Prof. Dr. Sebastian Herbst.

00:01:20: Die kennt ihr hoffentlich beide schon aus unserer "Voll motiviert"-Geschichte.

00:01:23: Und wenn nicht, dann werdet ihr sie jetzt kennenlernen.

00:01:27: Hallo Juliane!

00:01:28: Hallo Kristin, danke dir!

00:01:29: Und hallo Sebastian!

00:01:31: Hallo Kristin, wie schön, dass wir da sein dürfen.

00:01:33: Juliane, du hast dir diese Podcastfolge gewünscht zum Thema Inklusion.

00:01:38: Und du hast gesagt, du fändest es toll, wenn deine Studierenden und deine Doktorandinnen sprechen würden.

00:01:43: Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen?

00:01:45: Ich bin darauf gekommen, weil wir in diesem Sommersemester ein Seminar hatten, Inklusion und Musikunterricht.

00:01:51: Und da müssen die Studierenden so Studienleistungen machen, das, was man früher als Schein oder sowas bezeichnet hat.

00:01:58: Und da überlegt man ja immer, was sind eigentlich gute Formate.

00:02:01: Und dann habe ich gedacht, vielleicht machen die Studierenden auch mal so eine Art Podcast.

00:02:05: Dann haben die noch mal vielleicht eine Idee anders, die Themen zu durchdringen und aufzubereiten.

00:02:10: Das haben sie gemacht und haben mir irgendwann kurz vor Semesterende ihre Zwischenergebnisse präsentiert.

00:02:17: Und die haben mich total überzeugt und beim Thema Podcast klingelte doch eine Erinnerung in meinem Gehirn.

00:02:24: Und ich habe relativ spontan Kristin angerufen und habe gesagt, es gibt Podcasts, es gibt Studierende,

00:02:31: die haben sich mit Inklusion und Musikunterricht beschäftigt.

00:02:33: Es ist so wichtig, dass wir zum Thema Inklusion in der Musikpädagogik die nächste Generation befragen.

00:02:38: Lasst uns noch mal eine Podcast-Folge zur Inklusion machen, wo wir an die vorherige anknüpfen

00:02:44: und die noch ein bisschen ausarbeiten und eben Studierende mit einbeziehen.

00:02:48: Und dann habe ich gedacht, warum sollen wir bei Studierenden eigentlich stopp machen?

00:02:53: Und dann habe ich gedacht, es wäre eigentlich sinnvoll auch die nächste Generation in der musikpädagogischen Forschung mit einzubinden.

00:03:00: Und dann bin ich auf Rabea gekommen, die gerade bei uns im ProDiMuk-Projekt promoviert.

00:03:07: Und dann hat Kristin gesagt, jetzt sind wir zu viele Frauen.

00:03:11: Und dann habe ich gedacht, bei Inklusion und Musikpädagogik müssen wir dann Sebastian fragen, sonst kommen wir nicht weiter.

00:03:17: Perfekt. Und mit Sebastian wollte ich schon lange mal wieder podcasten und die Inklusionsfolge,

00:03:22: in der du gemeinsam mit Robert Wagner und Rainer Buschmann zu Gast warst, by the way, die Nummer 41,

00:03:28: die habe ich natürlich auch noch in guter Erinnerung.

00:03:31: Also, los geht's!

00:03:34: Juliane, was steht denn eigentlich auf dem Spiel, wenn wir uns nicht mit dem Thema Inklusion beschäftigen?

00:03:39: Also erst mal Heiner Müller – "Wie es bleibt, ist es nicht" – geht immer.

00:03:44: Ja, also man riskiert ja auf beiden Seiten viel.

00:03:47: Also man riskiert natürlich für Personen, die in irgendeiner Weise sagen wir mal etwas außerhalb des Mainstreams gelagerte Lebensbedingungen haben.

00:04:00: Und das sind ja viele, das fängt ja lange, lange, lange nicht erst bei Behinderungen an, sondern Gesellschaft wird diverser,

00:04:06: Gesellschaft wird pluraler und das ist gut so und das ist auch einfach so.

00:04:10: Und glücklicherweise wird ja auch die Aufmerksamkeit und die Sensibilität für diese Entwicklungen in der Gesellschaft insgesamt größer.

00:04:17: Und für diese Personen riskieren wir einfach den Zugang zu musikalischer Bildung, zu Musik als einen Bestandteil von gelingendem Leben.

00:04:25: Und da würde ich sagen, das ist eigentlich nicht vertretbar, dass wir sagen, wir schneiden systematisch Leute von solchen Möglichkeiten ab.

00:04:34: Und andersrum riskieren wir natürlich auch als Musikschulen oder auch übergeordnet als System musikalischer Bildung, wenn wir so wollen.

00:04:42: Riskieren wir natürlich unsere eigene gesellschaftliche Relevanz, wenn wir von nur noch wenigen ausgewählten Personengruppen gebraucht, gewollt, genutzt werden.

00:04:55: Dann verlieren wir an Wichtigkeit, dann verlieren wir an Präsenz und schneiden uns selber ja auch von gesellschaftlichen Entwicklungen und ja auch von zukünftigen Fachkräften letztendlich ab.

00:05:08: Von Nutzern, Nutzer*innen und Gestalter*innen unseres eigenen Angebots.

00:05:14: Sebastian, was sagst du dazu?

00:05:15: Ja, ich unterstütze das zunächst mal, fangen wir mal persönlich an, weil bei mir Inklusion als Thema sich eigentlich biografisch ein bisschen eingeschlichen hat.

00:05:24: Ausgehend von meinem Zivildienst damals in der Förderschule und dann im Kontakt mit Bandarbeit in der Förderschule, über Studium hinaus und dann in der Forschung.

00:05:36: Und ich dann gemerkt habe, dass ausgehend von dem, was ich eigentlich über Inklusion, nämlich im Kontext von Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung, erfahren und erlebt habe, Inklusion sehr viel mehr zu bieten hat,

00:05:48: sobald wir den weiten Inklusionsbegriff heranziehen und dann sehe ich dort einfach sehr viel Potenzial für unser Fach, für die Entwicklung unserer Musikschulen, unser Fach, unser Denken und unserer Lehrerpersönlichkeit.

00:06:01: Weiter Inklusionsbegriff, Fragezeichen.

00:06:05: Also Sebastian hat ja gerade schön angefangen mit Begebenheiten aus dem Kontext Förderschule oder von Personen mit sogenannten Behinderungen.

00:06:14: Das ist ja das, was man klassischerweise unter dem engen Inklusionsbegriff versteht, also immer wenn es um gemeinsames Lernen, gemeinsames Leben von Menschen mit und ohne Behinderung oder mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf geht.

00:06:28: Und bei einem weiten Inklusionsbegriff geht es eigentlich gar nicht so sehr darum, bestimmte Merkmale zu benennen.

00:06:33: Es geht eigentlich vielmehr darum, auf die Menschen, auf die Personen zu schauen, noch nicht so sehr auf Merkmale und in pädagogischen Situationen darauf zu schauen, wer eigentlich da ist und das als Ausgangsmaterial zu nehmen.

00:06:46: Und das wäre dann eigentlich der sogenannte weite Inklusionsbegriff.

00:06:51: Das heißt Inklusion schließt eigentlich welche Gruppen noch alles mit ein, abgesehen von Menschen mit Behinderung?

00:06:58: Alle.

00:06:58: Genau, das Problem liegt in der Gruppenbildung, der weite Inklusionsbegriff will eben genau diese Gruppenbildungen vermeiden.

00:07:05: Aber er richtet natürlich trotzdem gleichzeitig den Blick auf alle und damit eben auch auf genderbezogene Fragestellungen, auf Themen der Neurodiversität, auf Themen von kultureller Herkunft und so weiter und so fort.

00:07:17: Also alles, was irgendwie in Gruppen kategorisierbar wäre, schließt er mit ein, schaut aber eben nicht drauf, sondern versucht einen schülerorientierten Zugang zum Unterrichten, zum Lehren, zum Lernen

00:07:28: zu bekommen.

00:07:29: Und spannend, aber auch herausfordernd ist es eigentlich immer dann, wenn wir die beiden uns gleichzeitig angucken, weil wir schon ja auch merken, dass die schon zum Teil widersprüchlich sind.

00:07:38: Also wenn ich jetzt beim engen Inklusionsbegriff bleibe und überlege, ich möchte zum Beispiel in der Musikpädagogik gute Bedingungen des Lernens und des Musizierens schaffen,

00:07:47: auch zum Beispiel für Menschen mit Behinderung und ich auf der anderen Seite mit dem weiten Inklusionsbegriff um die Ecke komme, der eigentlich ja genau diese Kategorisierung oder diese Gruppenbildung vermeiden will.

00:07:58: Dann habe ich ja so ein bisschen das Risiko, dass mir dann bestimmte Bedarfslagen und besondere Erschwernisse vielleicht wieder aus dem Blick geraten.

00:08:05: Weil dann könnte ich es mir ja auch ein bisschen leicht machen und könnte ja sagen, na ja, ich kümmere mich halt um alle, die da sind, und verliere dabei vielleicht aus dem Blick, wer vielleicht gar nicht da sein kann und wen ich vielleicht gar nicht in den Blick kriege.

00:08:16: Und deswegen sind die eigentlich besonders gut zusammen, obwohl die sich ein bisschen widersprechen und die Schwierigkeit, aber auch die besondere Chance ist, eben beide gleichzeitig zu betrachten und immer zu überlegen, wie kann ich eine unnötige Gruppenbildung vermeiden,

00:08:30: wo kann ich darauf verzichten, wann immer es irgendwie geht, und dabei gleichzeitig aber aufmerksam sein dafür, wen ich dadurch vielleicht aus dem Blick verliere, weil er vielleicht nicht so gut für sich selber einstehen kann oder seine eigenen Anliegen nicht so gut präsentieren kann wie andere Personen.

00:08:47: Also muss ich immer gleichzeitig alle im Blick behalten, aber die besonderen individuellen Ausgangslagen auch berücksichtigen. Ganz schön schwierig.

00:08:56: Und wen verlieren wir dann in der Praxisarbeit ganz oft aus dem Blick?

00:09:00: In Musikschulen verlieren wir alle die aus dem Blick, die sich nicht automatisch angesprochen fühlen, weil sie denken, Musikschulen könnten Angebote sein, die vielleicht nichts für sie sind, wo sie vielleicht das Gefühl haben, sie sind nicht gemeint, weil sie vielleicht gar nicht genau wissen, was da eigentlich passiert oder auch einfach aus ganz pragmatischen Gründen sich das tatsächlich ökonomisch nicht leisten können.

00:09:23: Das sind Personengruppen, die wir schnell aus dem Blick verlieren oder Personengruppen oder Personen, von denen man vielleicht denken könnte, weiß ich gar nicht, ob jetzt musizieren das Richtige ist oder dann kommt auch oft so ein bisschen so eine Unsicherheit von Musikschullehrkräften selber rein, wo sich Musikschullehrkräfte vielleicht nicht sicher sind, ob sie denn das Richtige im Angebot haben für bestimmte Personen.

00:09:51: Was mich wirklich fasziniert hat an den Gesprächen mit Marie, Marlene und auch Rabea war, wie selbstverständlich so eine Haltung geworden ist, die Vielfalt auch zulässt und als Ressource und nicht als Manko sieht.

00:10:01: Und ich war total angetan von dieser nächsten Generation, die da gerade in unsere Musikwelt hinein wächst.

00:10:07: Und ja, hier auch finde ich jetzt, also fand ich nach diesem Gespräch ganz besonders, sich ganz ohne Zweifel einfach viel bewegen wird, was längst auch überfällig ist.

00:10:15: Und ja, das ist mir eigentlich nach den Gesprächen erst so richtig bewusst geworden, das ist wirklich eine Generation, die oft zu Unrecht auch in so eine Ecke gestellt wird, mit negativen Attributen auch überhäuft wird.

00:10:25: Und das sind junge Menschen, das erzählen die jetzt auch gerade, Marie und Marlene hatte ich jetzt gerade geschnitten, die haben echte Päckchen zu tragen mit dem, wie sie unterrichtet worden sind.

00:10:36: Auch so mit diesem vielleicht manchmal auch ein bisschen ungesunden Leistungsbegriff, aber auch mit den Erfahrungen, die sie in der Corona-Zeit gemacht haben und die wollen echt was bewegen mit ihrem Handeln.

00:10:46: Vielleicht sogar mehr als Menschen in ihrer vorherigen Generation, was eben auch die Wichtigkeit von inklusiven Handeln betrifft.

00:10:53: Und ich war ganz verzückt von diesen tollen Menschen, die sich echt getraut haben, auch ganz unbequeme Dinge unverblümt anzusprechen.

00:11:01: Also an euch zwei stellvertretend für alle Hochschulprofessor*innen in der Musikpädagogik, meine herzlichen Glückwunsch.

00:11:07: Das ist echt so eine tolle Haltung, die da bei den Studierenden gestärkt wird durch euch.

00:11:12: Aber wie macht ihr das denn, wie sieht das denn aus im Hochschulunterricht bei euch?

00:11:17: Wie vermittelt ihr, dass Inklusion so ein wichtiges Feld ist?

00:11:21: Das Schöne an dieser Generation ist, dass sie sich trauen, ihre eigenen Erfahrungen zu reflektieren und dass wir das auch in der Hochschularbeit verstärkt tun.

00:11:31: Also dass wir uns natürlich auch trauen, das zu tun, aber dass die Studierenden das mitgehen.

00:11:35: Dass sie sich trauen, Schwächen einzugestehen, auch kritisch auf ihre Biografie schauen.

00:11:40: Und wir alle, die wir Musikerinnen und Musiker geworden sind, die wir an Musikschulen unterrichten, unterrichtet haben usw.

00:11:48: Wir alle haben eine relativ ähnliche Biografie im Kontext der Lernbiografie.

00:11:54: Wir haben durch bestimmte Zugänge, die uns das ja ermöglicht haben, an die Musikschule zu kommen.

00:11:58: Wir haben bestimmte Art von Unterricht erhalten.

00:12:02: Wir haben an Wettbewerben teilgenommen.

00:12:04: Wir haben eine Aufnahmeprüfung gemacht und wir haben eine sehr, ja doch sehr zielgerichtete Biografie hin zum Musikberuf gefunden.

00:12:14: Und diese Biografie ist natürlich keinesfalls mit der gleichzusetzen, die an Musikschulen das Gros der Musikschülerinnen und -schüler haben.

00:12:22: Und das zu reflektieren ist der zentrale Punkt, um selbst noch mal drauf zu schauen, wie können eigentlich Musikbiografien noch verlaufen.

00:12:30: Und das ist, glaube ich, so der Punkt, der dazu führt, das eigene Leistungsdenken mal hinten anzustellen, zu überlegen auch, was bedeutet eigentlich Leistung.

00:12:38: Das ist ein Thema, was ich mit meinen Studierenden hier in Augsburg sehr viel diskutiere.

00:12:42: Was bedeutet eigentlich Leistung?

00:12:44: Was bedeutet eigentlich künstlerisches Handeln im Kontext von Inklusion?

00:12:47: Gibt es so etwas wie künstlerisches Handeln in inklusiven Settings?

00:12:51: Die Vermutung ist immer auf der ersten Linie, dass es das nicht gibt, dass Leistung im inklusiven Kontext nicht möglich ist.

00:12:59: Und genau diese Reflexionsarbeit machen wir hier und verbinden wir mit lernbiografischen und auch biografischen Erfahrungen im Elternhaus.

00:13:07: Und Musikschule und so weiter.

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00:13:48: Und jetzt kommen ja auch langsam bei uns in den Lehramtsstudiengängen die Studierenden an, die selber zum Teil inklusiv beschult worden sind,

00:13:56: die selber zum Beispiel Programme wie "JeKits" durchlaufen haben. Und das ist schon besonders, wenn man Studierende in den Seminaren sitzen hat

00:14:05: und man möchte mit denen was zu Inklusion und Breitenbildung arbeiten und dann sagt jemand, ja, "JeKits" habe ich auch gemacht, sonst sitz ich nicht hier.

00:14:13: Also das ist schon, das ist berührend, wenn man auf einmal sieht, solche Saaten gehen auf und da wird was draus.

00:14:20: Und es ist möglich, sozusagen ohne einen, sagen wir mal, zielgerichteten familiären Background doch so einen Weg zu gehen

00:14:29: und doch auch sich entscheiden zu können und das auch umsetzen zu können für einen Lehramtsstudiengang mit dem Fach Musik,

00:14:35: sich einer Eignungsprüfung zu stellen, das zu absolvieren.

00:14:39: Das ist schon, also da lacht mein elementarmusikpädagogisches Herz, weil ich denke, ja genau.

00:14:44: Was darum ging, solche Zugänge sollten geschaffen werden mit solchen Programmen und das funktioniert.

00:14:49: Das finde ich sehr besonders, um nochmal auf die Studierenden zu sprechen zu kommen

00:14:53: und dann ist eigentlich auch nochmal auf der anderen Seite auch nochmal sinnvoll zu schauen, wie ist es jetzt eben nicht mit Studierenden,

00:15:01: sondern mit Leuten, die musikpädagogisch in inklusionsorientierten Settings bereits unterwegs sind,

00:15:07: mit viel Erfahrungen und die das auf eine gelingende Weise machen und die damit zufrieden sind.

00:15:12: Und das passt auch jetzt ganz gut zu dieser Podcastfolge, weil wir das in einem Projekt, in einem Forschungsprojekt "ProDiMuk"

00:15:20: gemacht haben, wo auch jetzt außer Marlene alle Personen, die jetzt in dieser Podcastfolge beteiligt sind,

00:15:26: auch irgendwie mitarbeiten oder mitgearbeitet haben.

00:15:29: "ProDiMuk"?

00:15:30: Das ist ein Forschungsprojekt, da geht es um die Professionalisierung diversitätssensibler Praxis in der musikalischen Bildung

00:15:38: und da forschen wir, um das ganz kurz zu sagen, dazu, wie eigentlich Diversitätsverständnisse von Musiklehrkräften entstehen.

00:15:46: Also was finden die eigentlich divers oder wo wird es eigentlich anders oder wo machen Leute Unterschiede

00:15:52: oder wo haben Leute das Gefühl, da kommen sie ein bisschen mit ihrem Mainstream-Besteck sozusagen an Grenzen.

00:15:58: Und wir haben jetzt ein vorläufiges Teilergebnis, wo eben die Lehrkräfte, die in den inklusiven Settings unterwegs sind,

00:16:06: sehr schön berichten, dass sie eigentlich ihre Diversitätsverständnisse, ihre Inklusionsbegriffe im Laufe der Zeit erst herausschälen

00:16:15: oder die immer weiter verfeinern im Laufe ihres Unterrichtens.

00:16:18: Weil was eigentlich alle diese Personen auch sehr stark betonen, dass sie durch die Tatsache, dass sie sich mit diversitätsbezogenen Settings

00:16:26: auseinandergesetzt haben, sie eigentlich ihre eigenen didaktischen oder Unterrichtskompetenzen sehr verbessert haben.

00:16:33: Also dass sie das Gefühl haben, dass sie im Prinzip durch inklusionsorientiertes Unterrichten eigentlich selber erst ihre pädagogische Persönlichkeit

00:16:41: oder ihre pädagogische Professionalität entwickeln konnten.

00:16:44: Spannend. Sebastian, was fasziniert dich denn an ProDiMuk?

00:16:48: Ja, alles das, was Juliane gesagt hat.

00:16:51: Ich habe ja diese Interviews hautnah erlebt und möchte jetzt einen Aspekt von dem, was Juliane gesagt hat, nochmal aufgreifen,

00:16:58: nämlich den, der so ein bisschen auf das Emotionale abzielt.

00:17:03: Er hat gesagt, didaktische Reduktion ohnehin nehmen zu müssen, dass es dann die künstlerische Qualität verliert so in dieser Art.

00:17:10: Und da zeigt sich nochmal sehr deutlich, mit welcher Emotionalität natürlich Musik uns begleitet.

00:17:15: Anders als jeder andere Lehrberuf, machen wir unser Fach mit Hingabe, mit Leidenschaft, mit Passion, seit Kindesalter.

00:17:23: Und etwas weniger künstlerische Qualität hinzunehmen, scheint uns manchmal persönlich schwierig zu sein.

00:17:31: Und Professionalität zeichnet das aber, glaube ich, auch aus.

00:17:34: Also von sich selbst Abstand zu nehmen, trotzdem natürlich mit der gleichen Leidenschaft die Musik zu vermitteln,

00:17:41: nicht die Persönlichkeit herauszunehmen, aber die Bewertungskriterien an Schülerinnen und Schülern nicht daran zu orientieren,

00:17:47: oder nicht einzig daran zu orientieren, welchen emotionalen Bezug ich zur Musik habe.

00:17:55: Da fällt mir sofort wieder so dieses Bild vom Continuum ein, dass ich im Grunde genommen, dass ich es als hinderlich erlebe,

00:18:03: wenn Kolleg*innen aus der Musikschule das Gefühl haben, es gibt entweder so eine Art pädagogische Musik, die ich im Unterricht mache,

00:18:08: so ein Buchstabieren von Tönen oder Akkorden oder so, nenne ich das jetzt mal egal was.

00:18:14: Und dann auf der anderen Seite irgendwo aber eigentlich losgelöst davon gibt es Musik als Kunst.

00:18:19: Das, was mich selber auch als Musikerin berührt, das, wo ich selber das Gefühl habe, da liegen für mich noch Entwicklungsmöglichkeiten

00:18:24: oder da möchte ich hin oder da kann ich jemanden für bewundern, dass er irgendwas so kann.

00:18:29: Und ich habe das Gefühl, so ein Schlüssel zu einer inklusionsorientierten Professionalität oder zu einer musikpädagogisch orientierten Professionalität

00:18:37: ist eigentlich zu verstehen, dass das nicht unterschiedliche Welten sind, sondern dass das durchgängige Dinge sind.

00:18:43: Und dass man das eine eigentlich nicht haben kann, ohne mit dem anderen gut umgegangen zu sein.

00:18:48: Und dass man das andere wiederum nicht wertschätzen kann, wenn man nicht weiß, wo es eigentlich herkommt.

00:18:53: Und da habe ich das Gefühl zu verstehen, dass eigentlich, dass es dasselbe ist oder dass auch vielleicht so ein Qualitätsanspruch

00:19:02: an Unterricht sein kann oder etwas, was man sich fragen kann, ist das so in jeder Stunde.

00:19:06: Also gehe ich eigentlich immer davon aus, dass es um Musik geht und nicht um Fis oder sowas.

00:19:11: Also geht es wirklich, geht es um Musik und gelingt mir das, das über lange Zeit und natürlich auch über viele Durststrecken,

00:19:20: also das wissen wir ja alle, die wir hier sprechen oder hören, wie herausfordernd und anstrengend es sein kann,

00:19:28: über viele Jahre, viele Schüler in vielen Räumen mit vielen schwierigen Elternteilen und allem, also die zu begleiten.

00:19:37: Und trotzdem irgendwie noch mitlaufen zu haben, dass es eigentlich ja um Musik geht und darum, mit anderen Leuten sich in Musik zu begegnen.

00:19:47: Wenn das gelingt, dann kann es glaube ich gut werden.

00:19:50: Und dabei wieder zu entdecken, die Lust, die Freude und das Künstlerische an jedem einzelnen Ton und jedem einzelnen Klang, der im Raum erklingt.

00:19:59: Ich möchte da gerne aus meiner Seminarpraxis noch kurz was berichten, weil zu Beginn in den ersten Semestern das immer ein großes Anliegen vor mir ist,

00:20:09: diese Lust, dieses Motiv für das eigene Musizieren wieder zu entdecken.

00:20:13: Ich habe den Eindruck, dass man hin zum Studium der eine oder andere, die eine oder andere vergisst, warum wir das Ganze eigentlich tun,

00:20:19: warum wir selbst damit angefangen haben.

00:20:21: Und es ist, glaube ich, der Schlüssel, um Schülerinnen und Schüler zu verstehen.

00:20:25: Ein ganz konkretes Beispiel aus der Seminarpraxis war die Idee, dass wir mal überlegen,

00:20:31: wir können so eine allererste Unterrichtsstunde an einem Instrument richtig musikalisch, motivierend gestalten.

00:20:39: Und die Ideen, die viel zusammenkommen, sind so Dinge wie, ja, wir packen das Instrument aus, wir bauen das zusammen,

00:20:46: dann zeige ich, wie die richtige Haltung funktioniert, wie man den Bogen hält, wie man und so weiter.

00:20:51: Und wir sind dauerhaft an vorbereitenden Aufgaben, die das Musizieren irgendwie vorbereiten, um möglichst den perfekten Klangen zu erzeugen.

00:20:58: Vergessen aber eigentlich, warum die Schüler*innen da sind, weil sie vermutlich Klänge erzeugen wollen,

00:21:04: weil sie mit diesem Instrument sich musikalisch ausdrücken wollen, weil sie die Klangvielfalt erleben wollen und so weiter.

00:21:09: Und das wieder zu entdecken, und selber wieder die Freude, wirklich die eigene Leidenschaft für mich, nicht die vorgespielte,

00:21:15: sondern die echte Leidenschaft an jedem musikalischen Klang wieder zu entdecken, scheint mir hier ganz relevant zu sein.

00:21:22: Soweit der erste Teil meines Talks mit Juliane Gerland und Sebastian Herbst zum Thema Inklusion.

00:21:33: Und echte Leidenschaft für die Musik und unser Fach Musikpädagogik gab es dann auch im Gespräch mit Marie Steinberg und Marlene Hammer zu entdecken.

00:21:40: Ich habe der Vorstellung der beiden Studentinnen aus Münster ein wenig mehr Raum gegeben, weil es für mich total spannend war zu erfahren,

00:21:47: wie so eine Bildungsbiografie der Generation verläuft, die das große Finale ihrer Schulbildung während der Corona-Zeit hatte.

00:21:54: Aber nicht nur das hat mich bei unserem Gespräch unheimlich berührt.

00:21:58: Es gab auch eine Einstellung zu erleben, die mich wirklich begeistert hat. Hört doch selbst, hier kommen Marie und Marlene.

00:22:05: Mögt ihr euch gerade mal selber vorstellen?

00:22:07: Ja, ich bin Marie Steinberg. Ich studiere jetzt gerade im zweiten Bachelorsemester Musik auf Grundschullehramt.

00:22:15: Ich habe letztes Jahr schon mein Master of Education bekommen für das Grundschullehramt und studiere jetzt gerade Musik als Erweiterungsstudium,

00:22:21: also noch mal als zusätzliches Fach neben meinen drei Fächern, die ich jetzt schon studiert habe.

00:22:26: Super. Und Marlene, wie sieht es bei dir aus?

00:22:29: Ja, hallo, ich bin Marlene Hammer. Ich studiere jetzt auch im zweiten Bachelorsemester Musikpädagogik.

00:22:34: Ich studiere das aber mit Musikwissenschaft zusammen.

00:22:37: Genau, da bin ich schon durch und habe eine ganz große Liebe für alles, was musikalisch theoretisch passiert.

00:22:45: Und jetzt ist das Musikpädagogikstudium irgendwie so ein nettes On-top mit praktischen Anteilen

00:22:50: und tatsächlich musikpädagogisch und auch inklusiven Anteilen, was mir tatsächlich sehr viel Spaß macht.

00:22:55: Das ist ja spannend. Und darf ich noch mal weiterfragen, wie seid ihr überhaupt auf die Idee kommen, eure Fächer zu studieren, Marie?

00:23:01: Ich habe mich für Musik entschieden, weil ich Musik schon immer eigentlich machen wollte.

00:23:05: Ich hatte mich nach dem Abi dann aber gegen Musik entschieden und gesagt,

00:23:10: nee, ich glaube, jetzt studierst du erst mal Reli und habe aber während des Reli-Studiums auch gemerkt,

00:23:16: ja, das ist schön, das ist ein schönes Fach. Aber mir fehlte Musik total und dann habe ich mich im letzten Jahr genau für meinen Master,

00:23:24: dann habe ich dann hin und her überlegt und gedacht, nee, du musst eigentlich noch Musik machen,

00:23:28: du bist noch so jung, du kannst es doch noch machen und dann habe ich das mal in Angriff genommen

00:23:33: und jetzt hat das funktioniert und bisher ist es fantastisch.

00:23:37: Also ich habe sehr, sehr viel Spaß beim Studium und merke, dass es genau das ist, was ich machen möchte und machen sollte.

00:23:44: Und bei dir, Marlene?

00:23:45: Ich wollte schon immer was mit Musik studieren und habe mich dann vor fünf Jahren nach einem Covid-Abi nur für Musik in Anführungszeichen,

00:23:54: nur für Musikwissenschaft entschieden, weil ich Angst vor der Eignungsprüfung hatte, war das ja mit Covid,

00:24:01: man hatte keinen Instrumentalunterricht, das bedeutet, man muss irgendwie Klavier spielen, ich konnte kein Klavier spielen.

00:24:07: Das war für mich ein ganz großer Angstfaktor und habe dann Musikwissenschaft hier in Münster angefangen

00:24:12: und hatte ganz große Schwierigkeiten, ein Zweitfach zu finden.

00:24:14: Deswegen bin ich mit Musikwissenschaft jetzt auch schon fertig und mit Musikpädagogik erst im zweiten Semester

00:24:19: und dann durch Skandinavistik, über Anglistik, dann über ein Auslandsjahr, wo ich an der Musikhochschule in Norwegen studiert habe,

00:24:25: irgendwie an die Musikpädagogik gekommen, weil ich tatsächlich festgestellt habe, dass mir einfach dieser praktische Musikanteil gefehlt hat

00:24:33: und dass das genau das war, was mein Studium in der Musikwissenschaft ergänzt hat.

00:24:39: Und seit ich jetzt hier bin und die Eignungsprüfung gemacht habe, bin ich total glücklich.

00:24:43: Das ist doch super.

00:24:44: Und ich habe heute schon gerade mit Sebastian Herbst gechattet und wir haben so ein bisschen gerätselt,

00:24:48: warum Musik oder Musikpädagogik irgendwie so eine tolle Basis ist, um später im Leben Karriere zu machen.

00:24:57: Ja, seid ihr eigentlich schon im Praktikum an Schulen gewesen?

00:25:01: Ja, ich hatte durch das Studium eben schon, hatte ich ganz viele Praxismöglichkeiten

00:25:07: und war da auch schon im Praxissemester und habe da einiges an Erfahrung schon

00:25:12: sammeln dürfen, aber auch mehrere Jahre schon an einer Grundschule gearbeitet.

00:25:15: Oh, super.

00:25:16: Und wie ist es bei dir?

00:25:17: Ich muss tatsächlich durch meine Studienkombi auch gar kein Schulpraktikum machen,

00:25:21: weil ich ja keine Bildungswissenschaften und gar nichts habe.

00:25:24: Ich komme eigentlich eher aus dem journalistischen Bereich, also ich habe ein Praktikum im WDR gemacht

00:25:28: und bin da noch komplett fremd.

00:25:31: Ich habe aber ganz lange in der inklusiven Tanzschule als Bewegungs- und Tanzlehrerin für zwei- bis sechsjährige Kinder gearbeitet.

00:25:38: Und das ist dann so meine musikpädagogische Berührung, die ich gerade habe.

00:25:43: Ich bin aber auch stark am überlegen, ob ich nicht doch nochmal vielleicht einfach interessenhalber an eine Schule gehe,

00:25:49: obwohl es mich ja tendenziell auch eher nicht an Schulen, sondern an Theater oder an Musikschulen als pädagogische, künstlerische Person zieht.

00:26:01: Und welche Erfahrungen habt ihr in eurer praktischen Tätigkeit denn jetzt schon mit dem Thema Inklusion gemacht?

00:26:08: Marie?

00:26:09: Ganz, ja, ganz viele, sowohl positive als auch negative.

00:26:15: Würde ich mal sagen, an der Schule, wo ich gearbeitet habe, war Inklusion natürlich ein Thema.

00:26:24: Es muss ja auch einfach ein Thema sein.

00:26:26: Grundsätzlich an Schulen muss das ein Thema sein, mit dem man sich auseinandersetzt.

00:26:30: Und da waren einige Lehrkräfte, die das einfach nicht getan haben, also die dann wirklich Kinder haben sitzen lassen,

00:26:36: die eigentlich einen Förderbedarf hatten oder in irgendeiner Weise einfach Unterstützung gebraucht hätten,

00:26:42: die dann wirklich weinend in der Stunde da saßen und nicht mit kamen, weil die Lehrkräfte nicht auf die eingegangen sind.

00:26:48: Also das habe ich alles mitbekommen.

00:26:50: Im Praxissemester habe ich was ganz anderes kennengelernt.

00:26:54: Da war ich in einer Jahrgangsübergreifenden Klasse und das war so fantastisch, was auch das inklusive Konzept anging.

00:27:01: Das war so schön und es hat wirklich, wirklich viel Spaß gemacht.

00:27:05: Und davon habe ich ganz viel mitnehmen dürfen, wie man Inklusion gestalten kann,

00:27:09: wie man das als eine Selbstverständlichkeit mitnimmt in den eigenen Unterricht und die eigene Planung.

00:27:14: Also da habe ich von gar nicht auf Inklusion achten bis auf, wir geben hier alles, damit es allen Kindern gut geht, habe ich echt alles mitbekommen.

00:27:22: Das ist eigentlich auch die gute Mischung, eigentlich nicht auf Inklusion zu achten, aber alles dafür zu geben, dass es allen gut geht.

00:27:30: Und gerade auch dieses Jahrgangsübergreifende, das haben wir ja in den Musikschul-Settings ganz, ganz oft.

00:27:35: In jedem Ensemble hast du niveaugemischtes Lernen und auch altersgemischtes Lernen.

00:27:41: Und deswegen, ich verstehe das immer gar nicht in diesen Schulen, dass man da immer so einen linearen Weg geht

00:27:47: und immer nur alle müssen zur gleichen Zeit das Gleiche lernen und erleben und denken am besten noch.

00:27:52: Und ja, da bin ich nicht ganz sicher, ob sich das in der Zukunft so erhalten wird oder sollte.

00:27:58: Ja, das ist ja eine gute Frage, ob es dann auch wirklich noch um Heterogenität geht, ist dann ja auch die Frage,

00:28:05: wenn alle eh mitgezogen werden, ob es dann wirklich das Verständnis ist, was man von Inklusion eigentlich haben sollte.

00:28:12: Ja, und gerade bei uns ja immer diverser werdenden Gesellschaft oder eigentlich können wir ja auch fast sagen, super diversen Gesellschaft.

00:28:20: Marlene, wie waren denn deine Erfahrungen mit Inklusion bisher in deinem Berufsleben, in deinem sehr jungen Berufsleben?

00:28:27: Das sehen ja hier die Zuhörerinnen und Zuhörer gar nicht, aber ich habe hier sehr junge Gäste, "Gästinnen" und es freut mich sehr.

00:28:34: An dieser besagten Tanzschule, das hatte so einen, die haben sich inklusive Tanzschule genannt,

00:28:42: kann man sich jetzt auch drum streiten, ob das so ist, die hatten eine Kooperation mit der Lebenshilfe

00:28:47: und haben dann eben Tanzkreise für Lebenshilfe-Projekte gemacht, wo man auch schon wieder überlegt, ist

00:28:53: das jetzt also nun Zweck, normale Tanzkurse anzubieten und dann Tanzkurse nur für Leute mit besonderen Bedürfnissen,

00:28:59: wo man auch, wo ich auch der Meinung war, hm, aber es ist auch schon wieder sechs Jahre her, das ist vielleicht auch nochmal ein ganz anderes Verständnis.

00:29:06: Aber was eigentlich daher ganz gut funktioniert hat, ich hatte ja Altersstufe 2 bis 4 und 4 bis 6,

00:29:12: dass da Inklusion intuitiv sehr gut funktioniert in diesen Altersstufen

00:29:18: und gerade auch bei mir ging es ja eher um Bewegung und weniger um dieses schulische Lernen

00:29:22: und Bewegungsabläufe und Strukturen mit Musik und tänzerisch Lernen

00:29:28: und da hat das immer sehr gut funktioniert. Also wir hatten oft eine sehr durchmischte Gruppe

00:29:33: mit auch Kindern mit besonderen Bedürfnissen, wo dann teilweise die Eltern mit dabei waren, was ja auch kein Problem war,

00:29:39: aber die dann wirklich von den Kids auch einfach an die Hand genommen wurden und es wurde wirklich zusammen getanzt

00:29:45: und ich hatte auch als Lehrerin nicht das Gefühl, dass irgendjemand jetzt unglücklich ist,

00:29:51: weil zu wenig gemacht wurde oder zu viel gemacht wurde, sondern weil die Kids sich einfach gegenseitig geholfen haben an die Hand genommen haben,

00:29:57: aber ich glaube, dass es in dem Alter auch einfach noch total einfach ist,

00:30:01: weil Kinder ja sehr offen, weltoffen in diesem Alter noch mit allen Personen umgehen

00:30:07: und die ja oft Unterschiede gar nicht merken, sondern sich einfach freuen, dass ganz viele auf einem Haufen sind,

00:30:13: die auch alle daran Spaß haben, in dem die Kinder selber gerade Spaß haben.

00:30:17: Aber sonst habe ich gar nicht so richtig viele Erfahrungen damit, weil ich ja leider noch nie in der Schule war in einem Praktikum

00:30:23: und jetzt ja so ein bisschen mit dem Musikpädagogikstudium meine musikpädagogische Reise erst so richtig anfängt.

00:30:30: Ja, ist so super schön. Bist du sozusagen im Onboarding-Prozess gerade?

00:30:37: Richtig.

00:30:40: Und was wäre denn jetzt so euer Idealverständnis von Inklusion?

00:30:46: Wie soll Inklusion sein?

00:30:48: Oder soll sie vielleicht gar nicht sein?

00:30:50: Sie soll selbstverständlich sein.

00:30:52: Also es sollte selbstverständlich sein, dass man inklusiv denkt.

00:30:56: Dass man erst gar nicht darauf kommt, irgendwie in zwei Gruppen zu denken oder irgendwie zu denken:

00:31:02: Nee, es müssen jetzt, meine Klasse muss jetzt schön homogen sein.

00:31:06: Ich will jetzt hier gar nicht irgendwie, dass bestimmte Kinder vielleicht ein anderes Ziel haben oder so.

00:31:12: So geht es halt nicht.

00:31:13: Also ich finde, man muss es einfach selbstverständlich machen, selbstverständlich denken.

00:31:18: Das ist super schwierig.

00:31:20: Vor allem könnte ich mir das vorstellen für Lehrkräfte, die jetzt schon länger arbeiten

00:31:24: und Inklusion mal eben so reinbekommen haben in ihren Berufsalltag.

00:31:29: Die müssen damit natürlich auch erst mal zurechtkommen.

00:31:32: Eigentlich ist es doch total traurig, dass wir ein Wort dafür haben, dass Leute aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden

00:31:37: und wir versuchen, diese Leute wieder ins Boot zu holen.

00:31:40: Also es gibt gerade so einen gesellschaftlichen Rahmen, der irgendwie so Norm ist und wie es sein muss.

00:31:46: Und da müssen irgendwie alle versuchen, reinzupassen und das ist natürlich dann unglaublich schwierig.

00:31:50: Gerade wenn es dann, wenn die Norm ist, fit, gesund, jung, arbeitend, kognitiv, zu allem fähig.

00:31:59: Das ist ja gerade so unsere Norm.

00:32:01: Ist es ja enorm schwierig oder enorm problematisch, dass das eigentlich so ist,

00:32:05: dass Leute sich anpassen müssen, um in so eine Gesellschaft reinzukommen

00:32:10: und eigentlich müsste ja genau andersrum sein.

00:32:12: Eigentlich müsste die Gesellschaft sich an die Leute anpassen.

00:32:14: Ja, wie siehst du das, Marie?

00:32:15: Ich finde das genauso, wie Marlene das gesagt hat.

00:32:18: Ich finde es superproblematisch, dass man dafür eben dieses Wort braucht

00:32:22: und das wirklich aufmerksam gemacht werden muss darauf.

00:32:25: Ich weiß, der Sohn eines ehemaligen Kollegen, der war das I-Kind in einer Klasse.

00:32:31: Der hatte gleich so diesen Stempel, wo ich dachte so, hey, muss es nicht eigentlich selbstverständlich sein,

00:32:36: dass jedes Kind mit all seinen Stärken und Schwächen dazugehört,

00:32:40: dass man jemanden zum I-Kind macht und ich glaube, es war damals in der Klasse so,

00:32:45: dass es niemand wusste, wer das I-Kind war, aber es war klar, es müsste eins geben,

00:32:50: mindestens eins in dieser Klasse, wo ich gedacht habe, ja, ich meine, worauf bezieht sich das denn,

00:32:54: auf welche Kompetenzen die dieses Kind mitbringen

00:32:57: und vielleicht hat es irgendwo Kompetenzen, die gar nicht gesehen

00:33:00: und dann auch nicht mit einem Buchstaben gewürdigt werden.

00:33:03: Ich muss sagen, ich habe damals echt Bauchschmerzen gehabt

00:33:06: und habe gedacht, oh, Inklusion ist das wirklich was, womit ich mich beschäftigen möchte irgendwann mal in meinem Leben

00:33:12: und habe dann aber festgestellt in der Berufswelt,

00:33:14: dass Inklusion eigentlich ganz selbstverständlich dazugehört, ohne dass man das nennen muss,

00:33:20: weil du hast immer mal leistungsstärkere, hast leistungsschwächere Kinder,

00:33:24: du hast Kinder, die absolut kein Deutsch verstehen,

00:33:27: du hast Kinder aus sozialen Brennpunkten, aus wirklich sozial schwächeren Familien,

00:33:32: Familie mit vielen vielen Kindern, wo einfach niemand Zeit hat, sich um deinen Schüler oder

00:33:38: deine Schülerin zu kümmern, wo du selbstverständlich einfach Aufgaben übernehmen musst, wenn du willst,

00:33:44: also Aufgaben der Eltern, wenn du willst, dass das Lernen für dieses Kind gelingt und deswegen also

00:33:49: Inklusion ist eigentlich immer da, ohne dass man das so nennen muss, finde ich. Ja, vor allem dann,

00:33:55: diesen Stempel auf die Kinder zu drücken, finde ich halt, das ist nicht der Sinn. Es ist klar,

00:34:00: dass wir alle vielfältig sind und durch so einen Stempel kommt ja genau wieder diese Zwei-

00:34:06: Gruppentheorie. Es kommt ja genau wieder dieses "Ach so, das ist jetzt das andere Kind". Ja, und ich

00:34:10: meine, ob das nicht auch vielleicht genau das Gegenteil provoziert, dass sie sich dann in ihrer

00:34:14: Andersartigkeit dann auch wirklich sehen und das verstärkt wird statt, dass sie einfach an die

00:34:19: Allgemeinheit andocken, die ja auch diese Allgemeinheit, diese andere Gruppe, von der du

00:34:23: gesprochen hattest, Marie, die ja auch so ihre, ihre Stärken und auch ihre Schwächen hat und das

00:34:28: gehörte einfach dazu. Das ist ja eigentlich auch eine ganz starke Leistungsorientierung im

00:34:33: Bildungssystem und natürlich brauchen wir irgendwo eine Leistungsorientierung, auch im

00:34:38: Musikschulsystem, aber ja, ich bin nicht sicher, ob das wirklich das einzige Ziel sein sollte,

00:34:44: immer eines Unterrichts. Ja, ja. Ich bin auch der Meinung, dass gerade so dieses darauf

00:34:50: aufmerksam machen, dass es Unterschiede gibt mit das jetzt ein I-Kind oder bei uns war es auch so,

00:34:54: dass ganz groß vor der Klasse dann verkündigt wurde, das ist Kai und er hat eine Begleitperson

00:35:00: dabei. Ich weiß nicht, wir wären da weniger irgendwie drauf angesprungen, auch irgendwie so,

00:35:05: oh, das ist jetzt irgendwie anders, wenn uns das nicht so offensichtlich dargeboten wurde und

00:35:10: dass nicht einfach da nicht dieser Augenmerk drauf gelegt wurde. Und ich glaube, das ist ein

00:35:16: ganz großes Problem, immer dieses, das noch ganz groß gesagt wird, hier wird Inklusion gemacht,

00:35:20: weil wir haben hier die und die und die Personen und ich finde tatsächlich viel die Personen,

00:35:26: die auf Inklusion angewiesen sind, unter Inklusion leiden, weil sie irgendwie so Vorzeigeobjekte

00:35:31: der Inklusion schaut mal, wie schön inklusiv unsere Schule, unsere Klasse. Hey, wir machen

00:35:35: Klassenfoto, roll doch mal eben noch mal den Rollstuhl in die Mitte und setzt da noch mal ein

00:35:39: Kind rein, ne? Ja. Zynisch gesagt, aber ja. Und ich glaube, das ist das Problem, dass wir

00:35:46: immer noch an dem Punkt sind, dass das so in den Mittelpunkt gerufen wird und dass das nicht

00:35:50: einfach hingenommen wird, diese Vielfalt, sondern dass das aber auch nur auf eine bestimmte Vielfalt

00:35:55: dann so ein Finger gezeigt wird. Und das finde ich ganz problematisch. Ich war jetzt kürzlich,

00:36:00: muss ich euch erzählen, in der Jury zum baden-württembergischen Musikschulpreis und da war,

00:36:06: ich weiß gar nicht, was war denn das Thema, "Vielfalt im Einklang – Musik als Raum der Begegnung".

00:36:11: Und dann war da ein offensichtlich sehr, sehr heterogenes Ensemble mit offensichtlich Menschen,

00:36:18: die sehr offensichtlich da saßen in einem Rollstuhl, die irgendwie, die vielleicht Down-Syndrom

00:36:24: hatten, also wo man auf den ersten Blick wusste, aha, das ist ein Mensch mit Behinderung. Aber was

00:36:29: ich ganz hervorragend fand, ist, dass das überhaupt nicht genannt wurde in dem Text, der eingereicht

00:36:35: wurde, sondern ich habe ein Video gesehen, wo diese Menschen miteinander musizieren und was

00:36:39: passiert und was das Ziel ist und das Konzert. Und ich habe gedacht, wie toll ist bitte das denn,

00:36:44: wenn man nicht darauf hinweist, weil manche Behinderungen siehst du ja eben auch nicht. Jeder

00:36:48: von uns trägt sein Päckchen und ja, warum muss man der ganzen Sache immer irgendeinen Stempel geben?

00:36:54: Warum kann man es nicht einfach so nehmen, wie es ist, ohne jemanden abzustempeln?

00:36:57: Wie ist denn das jetzt eigentlich aus dem Studium? Fühlte ihr euch eigentlich der Sache gewachsen,

00:37:06: die jetzt, also bei dir vielleicht Marie mit der Grundschule auf dich zukommt in Sachen

00:37:10: inklusives Unterrichten? Um das mal wieder so schön beim Namen zu nennen?

00:37:15: Hört sich jetzt wirklich fies an. Ich glaube, durch Studium nein. Also durch Studium bin

00:37:20: ich nicht gewappnet. Ich glaube, es kommt durch die Praxis. Kann so viel theoretisch lernen,

00:37:25: wie es halt geht. Ich kann natürlich alles über auch die sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfe

00:37:30: lernen. Ich muss es aber praktisch mitbekommen. Deswegen glaube ich, durch das Studium an sich

00:37:36: bin ich da theoretisch ganz gut, komme ich da glaube ich ganz gut rein. Aber dafür, um das

00:37:43: wirklich auch machen zu können, braucht man einfach die Praxis.

00:37:47: Absolut. Und dann muss man Erfahrungen sammeln und vielleicht auch sehen, wie machen es andere.

00:37:52: Genau. Und was könnte ich davon für mich adaptieren? Dafür gibt es ja auch so ein Podcast,

00:37:56: dass man darüber spricht und sich Ideen holt von anderen. Dafür gibt es ja auch Wettbewerbe,

00:38:01: sowie so einen Musikschulpreis. Wie ist das bei dir? Marlene, fühlst du dich, naja gut,

00:38:05: du weißt jetzt noch nicht so genau, wo du hin möchtest eigentlich, oder? Hab ich das richtig

00:38:09: verstanden? Ich weiß nicht so genau, wo ich hin möchte, aber sollte es an die Schule gehen,

00:38:14: das ist nicht komplett ausgeschlossen, würde ich auch sagen, dass ich schon ein bisschen Angst davor

00:38:18: habe. Und ich glaube, das liegt schon auch daran, weil einem immer wieder beigebracht wird,

00:38:21: als Lehrkraft hast du inklusiv zu sein. Und einem wird so ein Schreckgespenst daraus gemacht,

00:38:29: dass man total Angst hat, dass man, egal wie man handelt, plötzlich nicht inklusiv handelt,

00:38:32: obwohl man selber ja die Werte vertritt und eigentlich sagt, Vielfalt ist total wichtig,

00:38:38: man will Vielfalt unterstützen, man will jeden mit an Bord holen und das ist die eigene Einstellung.

00:38:42: Aber dadurch, dass von allen Seiten kommt: Und bist du dir sicher, dass du das machen kannst,

00:38:46: und das darfst du auf keinen Fall machen. Und darum musst du dich vorsehen... – habe ich tierische

00:38:51: Angst davor, einfach irgendwas falsch zu machen, weil man irgendwie von außen so viel vorgeschrieben

00:38:58: bekommt und man irgendwie das Gefühl hat, man kann gar nicht mehr seiner Intuition und seinen

00:39:02: inneren Moralen und Wertekompass irgendwie folgen, um das richtig zu machen. Weil wenn ich mich

00:39:07: darauf berufen würde, hätte ich glaube ich gar keine Angst, weil ich sage, ich bin eine sehr offene

00:39:11: Person und mir ist das unglaublich wichtig, niemanden irgendwie wegen irgendeinem Grund auszuschließen und

00:39:18: ich will, dass alle Spaß an jeglichen Situationen haben, an der ich auch Spaß habe, das ist mir

00:39:23: total wichtig und einem wird von außen so eine Angst eingetrichtert. Ich kann dich beruhigen,

00:39:29: wenn du erstmal im Job stehst, hast du keine Zeit für Angst. Und du hast auch überhaupt

00:39:37: keine Zeit drüber nachzudenken, ob jetzt dann nicht vielleicht mal irgendwas war. Ich war im

00:39:42: vergangenen Schuljahr mit einem ganz kleinen Pensum in der Kooperation, das war Musikschule und

00:39:47: eine allgemeinbildende Schule, eine Grundschule. Das hat mir fachlich unglaublich Freude gemacht

00:39:51: und ich hatte aber Gruppen, in denen hat kein einziges Kind Deutsch gesprochen als Muttersprache

00:39:56: und auch sonst nur sehr gebrochen. Also es war nie eine Klasse, wo wirklich alle Kinder auch

00:40:01: Deutsch verstanden haben. Und bei denen hat man aber gemerkt, wie sehr die den Musikunterricht

00:40:07: auch brauchen, weil da endlich mal Sprache keine Rolle gespielt hat. Und dann hatte ich auch eine

00:40:12: Situation, wenn ich davon gewusst hätte, hätte ich möglicherweise Angst gehabt. Es war auch eine

00:40:16: Klasse, da stand dann irgendwie so eine Klassennummer da dran, die kamen dann zu mir und ich habe gedacht,

00:40:21: okay, also irgendwas ist anders in dieser Klasse. Da hatten sie zusammengefasst, nur Lern- und

00:40:28: Entwicklungsverzögerte Kinder, Kinder mit einer körperlichen Behinderung und Verhaltensauffällige.

00:40:33: Und du hattest nicht ein Kind, was irgendwie so ein bisschen, also so ein bisschen in Anführungszeichen,

00:40:40: wir hatten es ja vorhin von diesen zwei Seiten, also du hattest wirklich nur diese andere Seite und

00:40:44: davon aber gleich 14 Stück, wo ich dachte, also da habe ich mich dann aber auch wirklich erst

00:40:50: mal freischwimmen müssen. Und da habe ich auch echt Lehrgeld bezahlt. Weil darauf hatte

00:40:55: mich dann doch wieder niemand vorbereitet. Ja, ich glaube, es ist auch einfach sehr

00:40:59: überwältigend, ist glaube ich ein gutes Wort, wenn man weiß, okay, die Klasse ist heterogen.

00:41:08: Natürlich, weil alle Klassen heterogen sind, alle Menschen sind vielfältig. Aber dass man weiß,

00:41:13: okay, ich habe jetzt hier knapp 30 Kinder sitzen und ich muss mir jetzt auch irgendwie überlegen,

00:41:19: wie ich jetzt alle mitnehmen kann. Und da ist es dann genau für mich, es ist so ein Überwältigungsgefühl

00:41:26: und dann geht es genau in Marlenes Richtung komplette Angst. Wie kann ich dem allen, wie kann

00:41:32: ich allen Kindern gerecht werden, wie kann ich das gut machen, wie kann ich das auch noch machen,

00:41:36: dass das alles irgendwie noch einen Sinn hat, dass da ein Rahmen hintersteckt, dass ich mir da

00:41:41: selbst eine Sicherheit geben kann, wie auch mein ganzer Unterricht da irgendwie verlaufen soll.

00:41:46: Aber ich glaube, dass wenn sich das einmal einpendelt, dass es auch was wirklich Schönes sein kann

00:41:50: und dass man da selbst auch wirklich viel draus ziehen kann. Und es gibt auch immer die Stunden

00:41:56: und ich finde, die darf es auch geben, die nicht gelingen. Genau. Wo man wirklich rausgeht aus dem

00:42:01: Raum und genau weiß, hier siehst du, diese Falte, die, die ist von heute. Und heute war

00:42:09: total fail. Frau Thielemann hat leider nicht so gut geklappt. Und dann aber zu reflektieren. Okay,

00:42:17: warum hat das vielleicht nicht so gut geklappt? Was könnte ich denn besser machen? Und ja,

00:42:22: also nicht, nicht gleich dann so eine Schuldfrage mit einer Schuldfrage zu kommen. Ja, warum ging

00:42:27: denn das nicht? Und war ich vielleicht nicht gut vorbereitet oder hat mich mein Studium nicht

00:42:31: gut vorbereitet, sondern einfach mal zu sehen, okay, das hat jetzt nicht geklappt. Jetzt mache

00:42:35: ich mal ein Häkchen darunter und es wird wieder eine Situation kommen, wo ich auch wieder den

00:42:39: Eindruck habe, oh, das wird jetzt irgendwie nicht so richtig gut. Aber ich muss mir ja helfen in der

00:42:45: Situation. Ich meine, es ist irgendwie, wenn du auf der Bühne sitzt als Orchestermusiker, das war ja

00:42:49: nur mein erstes Studium und auch lange Zeit mein Job, dass ich im Orchester Trompete gespielt

00:42:53: habe. Da gibt es auch immer Momente, wenn du eine Sinfonie spielst, wo du merkst, uh oh, hier geht

00:42:59: aber irgendwas gerade ganz daneben. Dirigent nicht an Bord oder irgendwie jemand verloren oder

00:43:06: eine ganze Gruppe auf Abwegen oder so. Aber es hilft nichts. Das Konzert ist erst zu Ende, wenn das

00:43:13: Publikum applaudiert und das Publikum applaudiert nach dem letzten Ton im letzten Satz. So, und die

00:43:19: Fahrt muss weitergehen und zwar möglichst aufrecht und möglichst mit allen an Bord. Und das finde

00:43:24: ich ein ganz schönes Bild dafür, dass da auch Unterrichtsstunden so sein können. Und glaube

00:43:29: auch, dass gerade so eine Verbissenheit, dass man das vermeiden sollte. Weil sobald man, wenn man ganz

00:43:35: zwanghaft versucht, alles richtig zu machen, dann wird man immer irgendwie was falsch machen. Und

00:43:40: studieren ja auch beide auch Instrumente. Das ist eigentlich eine sehr schöne Brücke, dass man,

00:43:47: das ist beim Instrumentspielen so, wenn man ganz zwanghaft versucht, keinen Fehler zu machen,

00:43:51: dann wird man irgendwo einen Fehler reinspielen im Konzert. Man ist einfach so angespannt,

00:43:55: dass es einfach irgendwann nicht mehr funktioniert und so kann man das ja auch irgendwie im Unterricht

00:43:58: sehen, dass man einfach, wenn man zu verbissen an die ganze Sache ran geht, dann wird man nicht

00:44:03: alle ins Boot holen. Weil wir sind alle Menschen und wir haben alle im besten Falle Empathie,

00:44:07: Verständnis und es merken ja auch Schüler*innen, die in der Klasse sitzen, wenn die Lehrperson

00:44:14: vorne steht und auf Biegen und Brechen alles versucht, aber es funktioniert nicht. Und ich

00:44:18: glaube, dass das so unglaublich wichtig ist, gelassen an diese ganze Sache ran zu gehen. Ja, und in so

00:44:23: Moment dann auch mal die Waffen zu strecken und zu sagen, Leute, ich habe das Gefühl,

00:44:27: irgendwas funktioniert nicht. Was können wir tun? Spiel einfach mal den Ball zurück. Und ich glaube,

00:44:32: das ist ja auch, was du jetzt gerade gesagt hat, dass Marlene ist ja so eine generelle Haltung,

00:44:36: die uns immer eigentlich ab der Grundschule schon so vorgelebt wird. Du musst fehlerfrei sein,

00:44:43: so fehlerfrei wie möglich, weil dann kriegst du eine gute Note und dann freuen sich alle und wenn

00:44:49: nicht, dann kriegst du irgendwie Förderung und schlechte Note und mit einer schlechten Note

00:44:53: kommst du nicht auf die tolle Schule, sondern dann wird dir auch noch so geredet, kriegst du

00:44:58: keinen guten Job und es wird dir Angst gemacht vor Nicht-Können. Und das finde ich aber eine

00:45:03: ganz schwierige Haltung eigentlich, wenn man das so in der Schule über, weiß ich nicht, 10, 12,

00:45:08: 13 Jahre vermittelt bekommt, da auch mal erstmal wieder rauszukommen und ich erlebe euch jetzt als

00:45:13: Menschen, die noch sehr jung sind und die aber das eigentlich schon längst abgehakt haben für

00:45:18: sich und das finde ich wirklich beeindruckend. Ja, gerade dieses, ja, Entschuldigung Marlene,

00:45:22: ich wollte dich nicht unterbrechen. Ich wollte nur sagen, dass uns Scheitern, Einstecken nicht

00:45:27: beigebracht wurde und das wird glaube ich immer weniger, also dass es total verteufelt wird zu

00:45:31: scheitern in jeglichen Situationen im Leben und das wurde mir schon immer von zu Hause mitgegeben,

00:45:37: man macht immer Fehler und ich war schon immer eine Person, ich habe mir nie was von meinen Eltern

00:45:42: sagen, also wenn meine Eltern gesagt haben, mach das nicht, du wirst dir weh tun, habe ich es erst

00:45:46: recht gemacht und daraus habe ich irgendwie, ich habe aus diesem Scheitern gelernt und das habe

00:45:50: ich irgendwie von meinen Eltern beigebracht bekommen, dass das okay ist, dann auch Sachen zu

00:45:53: machen, die vielleicht mal dumm sind, um selber zu realisieren, oh, das mache ich nicht mehr und

00:45:57: daran wächst man und das wird einem gar nicht so richtig beigebracht, dass Fehler und wenn

00:46:03: irgendwas schief geht, dass das eigentlich der beste Nährboden für Weiterentwicklungen und Reflexion

00:46:08: ist und ich finde, dass das viel mehr gemacht werden muss und das ist, finde ich auch, wenn ich

00:46:14: jetzt so drüber nachdenke, ein total wichtiger Teil von inklusivem Unterricht. Auch in der

00:46:19: Fehlerkultur mit in den Unterricht zu bringen und zu sagen, es ist okay, wenn ihr das nicht könnt

00:46:24: und es ist okay, wenn das jetzt mal schief gelaufen ist, reflektiert das, überlegt wieso ist es

00:46:29: schief gelaufen und dann ist das total in Ordnung und das ist auch irgendwie das, was ich an dem

00:46:35: Schulsystem so wie ich es noch kenne aus der Schulzeit und so wie ich auch glaube, dass was

00:46:40: immer noch ist, sehr zu kritisieren habe, dass es immer um Leistung geht und immer um Abliefern

00:46:46: geht und dass man niemals die Chance hat, auch zu sagen, ich hatte einen schlechten Tag.

00:46:49: Da habe ich doch nicht so viel versprochen, oder? Gerade am Leistungsbegriff haben wir drei uns noch

00:47:01: eine ganze Weile fest diskutiert und das hat zwangsläufig zu der Frage geführt, ob wir Leistungen

00:47:07: denn überhaupt fair bewerten können, wenn wir inklusiv arbeiten. Was ist eure Meinung dazu?

00:47:12: Schreibt uns an podcast@schott-music.com und jetzt geht es ein Feld weiter und zwar in den Bereich

00:47:19: Musik in der sozialen Arbeit, auch ein ganz spannender und wichtiger Bereich, wo Inklusion

00:47:24: eine ganz zentrale Rolle spielt. Zugeschaltet hat sich jetzt Rabea Beier. Hallo, liebe Rabea.

00:47:30: Hi, schön, dass ich da sein darf. Danke dir, dass du dir die Zeit nimmst. Magst du

00:47:35: dich unserem Publikum ganz kurz selber vorstellen? Ja, gerne, also ich bin Rabea Beier. Ich promoviere

00:47:41: aktuell bei Juliane Gerland, Institut für Musikpädagogik in dem schönen Münster und komme

00:47:47: ursprünglich aus der sozialen Arbeit. Ich habe soziale Arbeit im Bachelor studiert, im Master Musiktherapie

00:47:52: und genau, dann führte mich der Weg in den Bereich, in die Schnittstelle, Musikpädagogik,

00:47:57: soziale Arbeit und die Idee, wie auch mit den aktuellen Entwicklungen der Community Music und

00:48:04: musikalisch-kultureller Bildung da diversitätssensible Praxis und Macht und Ungleichheit

00:48:09: Geltung finden kann. Klingt spannend! Für jemand, der das jetzt noch nie gehört hat – Soziale Arbeit –

00:48:15: und da noch ein ganz großes Fragezeichen sendet. Was muss ich mir denn darunter eigentlich vorstellen?

00:48:20: Soziale Arbeit ist erstmal eine praxisorientierte, aber auch wissenschaftliche Profession und es

00:48:25: geht im Grunde darum, auf den gesellschaftlichen Ebenen, also Mikro-Ebene, Meso-Ebene und Makro-Ebene

00:48:31: individuelle Unterstützung zu leisten, Barrieren abzubauen, Selbstermächtigung, Empowerment

00:48:37: zu leisten – das ist ein großes Wort in der sozialen Arbeit. Genau, und dann auch auf Meso-Ebene

00:48:42: beispielsweise, Inklusion in Gruppen, in nonformalen oder informellen und formellen,

00:48:49: Bildungseinrichtungen, Institutionen zu leisten und auf Makro-Ebene, gesellschaftlicher Ebene,

00:48:54: Barrieren abzubauen, Stadtentwicklung zu fördern, dass Inklusion möglich sein kann und so weiter.

00:49:00: Und genau, das ist eine sehr schwere Frage, um die kurz zu beantworten, weil das Feld der

00:49:04: Sozialen Arbeit wahnsinnig groß ist. Und am liebsten mache ich das immer deutlich an

00:49:08: den Klient*innen, die so in der sozialen Arbeit oder die Adressat*innen der Sozialen Arbeit

00:49:13: werden können. Das beginnt beispielsweise schon ganz früh im Bereich der frühen Hilfen, wenn Kinder

00:49:19: und Eltern irgendwie mit dem Modell Familie überfordert zu sein scheinen oder noch nicht ganz

00:49:24: irgendwie ankommen und zieht sich dann eigentlich biografisch durch. Also im Bereich der Schule

00:49:28: gibt es Schulsozialarbeit in Jugendzentren, unterstützende Wohnformen für Jugendliche,

00:49:33: für junge Erwachsene, für Menschen mit Behinderungen, dann der Justizvollzug, dort die

00:49:38: Wiedereingliederungshilfe auch von psychisch kranken Menschen. Also genau bis ins hohe Alter ist

00:49:44: die Soziale Arbeit eigentlich vertreten und fördert und unterstützt.

00:49:48: Und was genau kann oder soll dann die Musik in der Sozialen Arbeit bewirken?

00:49:52: Genau, das ist eine gute Frage und die ist genau so umschweifend eigentlich zu beantworten,

00:49:57: weil die Musik nicht wie in der Musikpädagogik vornehmlich zum Zweck des Musizierens genutzt

00:50:05: wird, sondern es werden außermusikalische Ziele verfolgt.

00:50:09: Wie muss ich mir das vorstellen?

00:50:10: Beispielsweise wird in Jugendzentren Musik häufig eingesetzt im Kontext von Bandarbeit,

00:50:17: von Jam Sessions, Songwriting Workshops und so weiter um irgendwie ein Ausdrucksmedium

00:50:22: darzustellen. Dann gibt es irgendwie, wenn ich an Menschen mit Behinderung denke oder

00:50:28: aufgrund von psychischen Beeinträchtigungen alle möglichen Dinge, die da reinspielen können,

00:50:33: vielleicht die Fähigkeit verloren gegangen ist oder nicht vorhanden ist, verbal zu kommunizieren,

00:50:37: kann Musik als Kommunikationsmedium genutzt werden, um beispielsweise irgendwie in Kontakt

00:50:42: zu treten miteinander. So zieht sich das ebenso durch, wie Soziale Arbeit überall dabei

00:50:48: sein kann, kann auch eigentlich überall Musik als Methode angewandt werden. Und die Musik

00:50:53: versteht sich da als Medium, um halt außermusikalische Ziele zu verfolgen und auch zu großen Teilen

00:51:01: so Kontakt herzustellen. Und genau.

00:51:05: Und was muss ich mir... außermusikalische Ziele...?

00:51:09: Wenn wir jetzt bei dem Beispiel bleiben, ich bin in einem Jugendzentrum und biete dort

00:51:14: ein Songwriting Workshop an, dann möchte ich vielleicht den Jugendlichen ermöglichen,

00:51:19: irgendwie über ihre Lebenswelt zu berichten. Und das geht manchmal vielleicht nicht verbal

00:51:26: oder in einem Gespräch, aber mit... in dem Moment, in dem ich Musik als Tool dazu nehme, fällt

00:51:31: es vielleicht leichter Ausdruck zu schaffen. Oder auch, wenn ich mit Adressat*innen in

00:51:37: den Kontakt treten möchte und mir fehlt irgendwie der Zugang, ich merke, meine Klient*innen wollen

00:51:43: nicht so richtig mit mir, dann ist vielleicht so ein Sprechen über Musik, so musikalische

00:51:48: Biografiarbeit, ein gutes Ding, um Brücken zu bauen und Eis zu brechen.

00:51:54: Also irgendwas wie: "welche Musik berührt dich ganz besonders und in welchen Momenten

00:51:59: war das irgendwie wichtig für dich, was hast du dabei gefühlt?" Oder wie kann das aussehen?

00:52:03: Ja, genau, beispielsweise. Das ist ein gängiger Gesprächseinstieg, würde ich mal sagen, wenn

00:52:09: ich an die Arbeit mit Menschen mit Migrationsgeschichte denke oder Fluchterfahrung. Und einen großen

00:52:16: Bereich haben wir noch vergessen, den würde ich noch ganz schnell hinzufügen, wenn ich darf.

00:52:20: Ja, mach mal. Dankeschön. Aber sicher, dafür bist du nicht. Dafür habe ich dich eingeladen, dafür hatte

00:52:26: ich Juliane empfohlen. Sehr schön. Genau, und das ist dieser große Bereich der kulturellen

00:52:31: Bildung. Es geht natürlich auch, wie gesagt, ich habe ganz viel darum, die außermusikalischen

00:52:36: Ziele zu fördern. Es ist aber auch ein wahnsinnig großes Ziel der Sozialen Arbeit, einen Zugang

00:52:42: zum gesellschaftlichen Leben in allen Bereichen zu ermöglichen. Und wenn ich an das kulturelle

00:52:47: Leben denke oder Kulturgut, dann ist es häufig verknüpft mit einer Zugänglichkeit. Wer

00:52:53: hat genug Geld, sich Tickets für ein Konzert zu kaufen oder wer hat das vielleicht auch

00:52:58: in seiner Familie gelernt, dass man sonntags in die Oper gehen kann. Das ist ein sehr kleiner

00:53:02: Bereich der Gesellschaft. Und mit Musik als Sozialer Arbeit, da gehört auch dieser große

00:53:07: Bereich kulturelle Teilhabe rein. Teilhabe am kulturellen Leben. Also ich ermächtige

00:53:12: vielleicht Menschen, am kulturellen Leben teilzunehmen. Weil sonst nehmen sie ja eigentlich so aus

00:53:20: eigenen Stücken am kulturellen Leben teil, indem sie dann vielleicht TikToks swipen oder

00:53:25: so was. Genau, beispielsweise. Also Social Media ist da so gefährlich, wie das sein kann irgendwie

00:53:32: für junge Menschen, ist das doch irgendwie ein großes Tool auch viel, sag ich mal, über

00:53:37: den Tellerrand zu schauen, wenn es der Algorithmus erlaubt. Ich dachte eher so an Social Media

00:53:43: statt Kultur, weil ich erlebe viele Menschen, die sind jetzt eigentlich gar nicht mehr so

00:53:48: in kulturellen Veranstaltungen zu finden, hocken aber den ganzen Tag und swipen irgendwas

00:53:54: auf YouTube, auf Insta, auf, weiß ich nicht, überall. Wo ich schon manches mal gedacht habe,

00:54:00: ist es vielleicht so eine Ersatzkultur geworden. Ich weiß nicht, ob ich das als Ersatzkultur

00:54:05: betiteln würde. Ich glaube, es ist auch auf jeden Fall ein wahnsinnig großer Lebensbereich,

00:54:10: also das digitale Leben. Und das ist auch was, wo man immer dran denken muss, wenn man irgendwie

00:54:15: in der Sozialen Arbeit, vor allem natürlich mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterwegs

00:54:20: ist. Ich glaube aber nicht, dass das eine Ersatzkultur wird. Ich will es auch nicht hoffen.

00:54:30: Gibt es dann einen Moment in der Sozialen Arbeit mit Musik, der dich ganz besonders bewegt hat?

00:54:38: Ich habe in meinem Musiktherapie-Master in einem Community Music Therapy Projekt in Cape Town in

00:54:45: Kapstadt, Südafrika gearbeitet und das hat mich wahnsinnig bewegt. Und das Projekt sah so aus,

00:54:50: das würde ich jetzt nicht rein in diesem kompletten Bereich Musik in Sozialer Arbeit packen,

00:54:55: weil es diesen therapeutischen Aspekt noch hatte. Und das ist passiert häufig,

00:54:58: deshalb dieser Disclaimer davor, dass da Grenzen verschwimmend behandelt werden. Und das finde

00:55:03: ich, da muss man ein bisschen trennscharf sein. Vorweg, es gibt in Kapstadt, gibt es einen großen

00:55:09: Bereich, der die Cape Flats. Das sind die Orte in Kapstadt, sag ich mal, in den, zu den, zu Zeiten

00:55:16: der Apartheid, die People of Color und Black Communities ausgegrenzt wurden. Das heißt,

00:55:21: irgendwie in den 50ern aus dem Nichts, wurde den Menschen alles weggenommen. Sie

00:55:27: mussten sich da aus dem Nichts irgendwie was aufbauen. So sehen die Bereiche auch aus. Das ist

00:55:31: ein häufigstes Wellblechhütten und viel, also es gibt auch relativ gut entwickelte, gebaute Gebäude,

00:55:36: aber auf jeden Fall ein wahnsinnig großer Unterschied zu der Innenstadt von Kapstadt. Und so sehen

00:55:43: auch die Bildungssysteme dort aus und so sieht auch der Zugang zu Sozialer Arbeit und zu therapeutischer

00:55:49: Hilfeleistung dort aus. Und was dieses Projekt gemacht hat, ist, dass die in Kapstadt in die Flats

00:55:56: gegangen sind, in die Cape Flats gegangen sind und haben dort im Kontext von Schule Musikangebote

00:56:01: durchgeführt. Das heißt, die haben gesungen, die haben Songs zusammengeschrieben, eine Stunde

00:56:06: in der Woche, immer mit der 7. Klasse, haben die dort musiziert. Die haben Djembés mitgehabt,

00:56:12: so auch orientiert an südafrikanischen Musikinstrumenten, südafrikanische Tänze und so

00:56:17: weiter und haben dort so die Schüler*innen empowert. Das Ganze funktionierte dort mit

00:56:22: einem musiktherapeutischen Hintergrund. Und es war in dem Kontext aber auch ein Sozialarbeitender

00:56:27: immer anwesend. Das ist so ein, ja, interdisziplinieres Projekt gewesen. Und da, also dafür, fand

00:56:34: ich, wurde aus diesem Medium Musik wirklich für die Jugendlichen fast alles rausgeholt,

00:56:38: was irgendwie ging. Ja, spannend. Und wenn du einen Wunsch frei hättest, ein Projekt zu

00:56:43: kreieren, Soziale Arbeit, Inklusion und Musik, wie würde das aussehen? Geld spielt keine Rolle.

00:56:50: Ja, das ist eine schwere Frage. Ich glaube, ich würde wirklich offene Musizierangebote für

00:56:58: Jugendliche und junge Erwachsene schaffen. Erst mal, was mir immer auffällt, ist auch,

00:57:03: dass junge Erwachsene häufig in diesem Übergang, ich fange eine Ausbildung an,

00:57:08: ich ziehe vielleicht zum Studium weg, dann fällt auch jungen Erwachsenen, die Zugang zu

00:57:14: Musikunterricht hatten in ihrer Jugendzeit, die fallen dann häufig raus und andere waren nie

00:57:20: drin und so. Und ich finde, das ist irgendwie eine Lebensphase, wo man gut ansetzen könnte.

00:57:25: Und genau, Musizierräume schaffen, wertfrei. Das finde ich ganz wichtig. Und das ist auch,

00:57:30: glaube ich, das, wo ich mich am allermeisten mit der Musikpädagogik stoße manchmal,

00:57:35: ohne das irgendwie persönlich zu meinen. Ich verstehe das komplett. Das ist ein gewissen

00:57:41: künstlerisch-ästhetischen Ansatz braucht und auch eine Wertvorstellung und vielleicht ein

00:57:47: Standard oder so. Ich habe aber den Eindruck, dass es in vielen musikpädagogischen Settings,

00:57:53: das ein bisschen dem Inklusionsverständnis entgegen wirkt. Das klingt spannend. Erzähl mal,

00:57:58: Rabea. Ich habe also aus eigenen Kontexten in Musiziergruppen so häufig schon gehört: Ich

00:58:06: habe eine Querflöte zu Hause. Ich habe auch als Kind gespielt, aber ich kann das nicht

00:58:10: mehr. Ich bin nicht gut genug, da jetzt mitzuspielen. Dieses "Ich bin nicht gut genug" oder dieses

00:58:15: Leistungsverständnis, das liegt mir jetzt keine empirische Lage für vor, aber so eine eigene

00:58:20: Beobachtung, dass da häufig Barrieren gebaut werden, weil einem Empfinden vorherrscht von "Ich

00:58:25: kann das nicht gut genug, um mich dafür zu qualifizieren mitzuspielen."

00:58:29: Jetzt gibt es doch auch sicher viele Menschen, die dir so begegnen in deiner Arbeit, die mit dem

00:58:39: Mindset unterwegs sind, dass sie fehlerfrei sein müssen. Und wie können wir denen denn einen

00:58:43: entspannteren Umgang mit dem Nicht-Können von irgendwas oder auch mit falschen Tönen zeigen?

00:58:48: Ich glaube, das ist so ein bisschen das, was wir vielleicht aus der Sozialen Arbeit oder auch

00:58:52: aus der Community Music lernen können, die es einfach machen. Also, dass Musizieren niederschwellig

00:58:58: sein darf und kann und vielleicht auch sollte, um es mehr Menschen zugänglich zu machen. Dass

00:59:05: man nicht davon ausgeht, dass sich irgendeinen Standard erfüllen muss, irgendeinen künstlerisch-

00:59:09: ästhetischen Standard erfüllen muss, um überhaupt erlaubt zu sein, musizieren zu dürfen.

00:59:15: Ist dann Musik in der Sozialen Arbeit so was zwischen Musiktherapie und Musikpädagogik,

00:59:22: oder wie muss ich das mir vorstellen? Das ist eine gute Frage und das knüpft ja auch ganz

00:59:28: gut an dieses Community Music Therapy Projekt an, von dem ich aus Kapstadt erzählt habe. Und zwar

00:59:33: würde ich sagen ja und nein. Ich würde es schon dazwischen verorten und das nein würde ich hinzufügen

00:59:39: wollen, weil mir diese Trennenschärfe recht wichtig ist. Mit der Musiktherapie, da gehe ich

00:59:45: ähnlich dran, wie in der Sozialen Arbeit. Ich benutze die Musik als Medium, um außermusikalische

00:59:50: Fähigkeiten zu fördern, beispielsweise Kommunikationsfähigkeiten, Interaktionsfähigkeiten,

00:59:56: soziale und emotionale Entwicklung. Aber in der Therapie habe ich immer ein pathologisches

01:00:02: klinisches Setting. Also die Ausgangslage von Klient*innen ist immer mit einer klinischen

01:00:09: Störung verbunden. Und das Ziel ist auch immer im Rahmen von einem therapeutischen Plan und ich

01:00:15: habe ein klares therapeutisches Ziel. Das ist also ganz klar, in dieser klinischen Ecke zu verorten,

01:00:21: wogegen die Soziale Arbeit da ein bisschen freier ist. Natürlich haben wir auch Klient*innen,

01:00:25: die einen klinischen Background haben und auch gewisse Störungsbilder mitbringen. Wir arbeiten

01:00:31: aber nicht explizit an den Störungsbildern, sondern wir arbeiten daran, dass diese Menschen an

01:00:36: dem gesellschaftlichen und sozialen Leben selbstermächtigt teilhaben können. Vielleicht nutzt

01:00:43: man manchmal ähnliche Methoden, aber mit einer anderen Haltung, durch die die Musik in der

01:00:48: Sozialen Arbeit auch ganz andere Ziele wiederverfolgt. Und die Musikpädagogik ist dann wieder noch

01:00:55: einen Schritt weiter, würde ich sagen, gedacht, wo ich natürlich nicht die außermusikalischen

01:01:00: Ziele fördere, auch, aber primär gehe ich ja in den Harfenunterricht beispielsweise, weil ich

01:01:05: Harfe lernen möchte, nicht um meine sozialen Kompetenzen zu steigern. Trotzdem, jetzt komme

01:01:10: ich wieder zu dem Ja-Teil oder zu der Pro-Seite der Liste, sage ich mal, mit der Öffnung der

01:01:16: Musikschulen und dieser Gestaltung von inklusiven Angeboten und spätestens auch, ich habe es

01:01:21: gerade irgendwie schon einmal kurz gesagt, mit der Entwicklung von Community Music werden soziale

01:01:26: Fragen immer relevanter für die Musikpädagogik. Und da, glaube ich, helfen dann so, auch wenn wir

01:01:32: eine vielleicht trennscharfe Haltung brauchen von unserem professionellen Hintergrund und

01:01:36: uns vielleicht nicht in fremden Gewässern fischen sollten, glaube ich, kann man viel voneinander

01:01:40: lernen. Also, wie gehe ich mit sozialen Fragen in musikpädagogischen inklusiven Angeboten

01:01:45: beispielsweise um? Oder wie kann ich als Sozialarbeiterin, mit meinen Jugendlichen

01:01:51: vielleicht Angebote der Musikschule nutzen, um da wieder kulturelle Teilhabe zu leisten?

01:01:55: Das heißt, ich habe in der Community Music einen stärkeren Fokus auf kulturelle Bildung und in der

01:02:00: Musik in der Sozialen Arbeit eher so dieses sozialpädagogisch verankerte als Mittel zu

01:02:06: Unterstützung und vielleicht auch Stabilisierung von Menschen in schwierigen Lebenslagen,

01:02:10: kann man das so sagen? Ja, genau. So kann man das, glaube ich, ganz gut zusammenfassen.

01:02:14: Jetzt mal noch ein anderes Stichwort, nämlich die Musikschulen. Wenn die jetzt sagen, klingt

01:02:23: spannend, klingt wichtig für uns, was da die liebe Rabea erzählt, siehst du Möglichkeiten,

01:02:28: für Musikschulen sich in der Sozialen Arbeit einzubringen oder machen sie das vielerorts nicht

01:02:33: längst? Was mir schon häufiger mal begegnet ist, sind so Projekte, in denen Sozialarbeitende mit,

01:02:41: weiß ich nicht, ihnen zugehörigen Adressat*innen Projekten der Konzertvermittlungen besuchen,

01:02:48: oder Projekte der Musikschulen besuchen und so. Das gibt es schon und ich finde,

01:02:54: das ist ein cooles Feld, das auf jeden Fall ausbaufähig ist und geht auch voll in diese

01:02:59: Richtung, dass man ja so wahnsinnig viel voneinander lernen kann eigentlich, wenn man sich

01:03:03: richtig zuhört und wenn man vielleicht auch wertschützend und offen ging über den nachbarschaftlichen

01:03:07: Professionen ist. Soweit die vielen hochinteressanten Impulse von Rabea. Da stellt sich für mich doch

01:03:14: eigentlich noch die Frage, ob Musikschulen denn nun auch Soziale Arbeit leisten. Und diese Frage

01:03:20: habe ich dann auch gleich noch Juliane und Sebastian gestellt. Juliane. Nein, Musikschulen leisten

01:03:25: musikpädagogische Arbeit und das sollen sie auch und Soziale Arbeit, leistet Soziale Arbeit.

01:03:31: Und ich glaube, das ist auch wichtig, da jetzt nicht noch das Gefühl zu haben, Musikschulen

01:03:38: sollten jetzt eigentlich Soziale Arbeit leisten. Dann sind wir wieder so ein bisschen wie bei dem

01:03:43: Thema mit dem Inklusionsbegriff, dass man häufig das Gefühl hat, das bringt so eine gewisse Anstrengung

01:03:47: mit sich und das ist aber auch überhaupt nicht notwendig. Musikpädagogik kann ja sich an

01:03:52: sozialen Lebenslagen orientieren oder kann Rücksicht nehmen auf erschwerende Lebensbedingungen oder

01:03:58: kann in sozial herausfordernde Felder gehen. Das kann Musikpädagogik leisten, dabei bleibt

01:04:03: sie aber Musikpädagogik und kann auch ihr Potential an der Stelle voll ausspielen. Aber

01:04:09: Soziale Arbeit, dafür kann die Soziale Arbeit selbst am besten sorgen. Da wäre ich vorsichtig.

01:04:15: Was überhaupt nicht heißt, dass Musikschulen nicht überall da sein kann, wo auch Soziale Arbeit

01:04:20: sein kann, aber eben als Musikpädagogik. Wir haben ja auch schon gemerkt in unserem Gespräch,

01:04:25: welche zusätzlichen Kompetenzen erforderlich sind, ganz positiv eigentlich auch darüber gesprochen.

01:04:30: Wenn wir jetzt den Bereich der Sozialen Arbeit auch noch an die Musikpädagoginnen und Musikpädagogen

01:04:36: bringen, dann kommt ja noch etwas dazu. Das ist gleich, wenn wir die Musiktherapie in die

01:04:41: Musikschulen bringen. Und Musikschulen können bestimmt auch Orte der Sozialen Arbeit und

01:04:46: der Musiktherapie sein. Die Professionen, die das dann ausführen, die muss man jetzt vielleicht

01:04:50: nicht noch ineinander werfen. Findest du den Begriff Inklusion eigentlich schwierig? Nein,

01:04:56: ich finde überhaupt nicht schwierig. Natürlich als Begriff ist es ja immer schwierig, genauso wie

01:05:00: alle anderen Begriffe im Leben auch schwierig sind, wenn man sich ernsthaft mit ihnen auseinandersetzt

01:05:04: und häufig begegnet mir auch die Frage, warum jetzt schon wieder ein neuer Begriff von Integration

01:05:09: zur Inklusion. Jetzt kommen wir zur diversitätssensiblen Praxis. Das ist alles viel und das verstehe

01:05:14: ich auch. Aber das Schöne ist, ich glaube, dass Begriffe uns helfen, zu reflektieren, nachzudenken.

01:05:19: Die Begriffe gängeln uns nicht. Und wir können Inklusion und diversitätssensible Praxis als

01:05:23: Begriffe nutzen, um über Musikschule, über Musikhochschule, über unser Lehren, über unser

01:05:28: Lernen nachzudenken, auch von dort aus alle Chancen dieser Begriffe nutzen, Musikschule,

01:05:33: Musikhochschule anders zu denken: Vom Repertoire an bis zu Lerngelegenheiten, anderen Strukturen

01:05:38: der Unterrichtseinheiten und so weiter und so fort. Wir können uns jetzt Raum eben für die

01:05:43: Begegnung. Und darauf freue ich mich, in den nächsten Jahren weiter über diese Begriffe

01:05:47: nachzudenken, ins Gespräch zu kommen, vor allem mit vielen Menschen aus der Praxis, in der Praxis,

01:05:52: und darüber nachzudenken, wie Musikschule zu einem echten Ort des Musizzielens, Musikerlebens

01:05:57: und zur musikalischen Entwicklung werden kann. Das war sie, die Sommerfolge 2025,

01:06:04: die ich gerade fertig stelle, während draußen ein heftiges Sommergewitter tobt.

01:06:09: Wenn ihr mehr zum Thema Inklusion lesen möchtet, kann ich euch sehr die brandneue

01:06:13: üben & musizieren 4/25 ans Herz legen. Darin findet sich ein extrem spannender Beitrag von Juliane Gerland,

01:06:20: der da heißt "Niedrigschwellig und voraussetzungsreich – Perspektiven des Verlernens für

01:06:27: eine inklusionsorientierte Musikpädagogik". Huuh, das muss sich zweimal machen, den Einsprecher.

01:06:32: Und dann gibt es in den Shownotes noch den Link zu einem Beitrag von Sebastian Herbst,

01:06:36: nämlich "Klavierunterricht für alle - auf dem Weg zu einem inklusionsorientierten,

01:06:41: diversitätssensiblen Musikunterricht". Ebenfalls sehr lesenswert.

01:06:45: Bei "Voll motiviert" geht es weiter mit sehr spannenden Gesprächen zur Studienvorbereitenen

01:06:49: Ausbildung mit Angela Bauer und Matthias Edeler sowie zum Thema Konzentration und Aufmerksamkeit

01:06:55: mit Kerstin Weuthen. Alles Liebe für euch, eure Kristin Thielemann.

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