Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

Transkript

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00:00:00: Traditionell richtet sich die Ausbildung an Hochschulen an hochbegabte und leistungsorientierte junge Menschen, die in einem Umfeld der Exzellenz gefördert werden.

00:00:09: Doch wie können wir Studierende vorbereiten auf ein Arbeitsfeld, das von Vielfalt geprägt ist, von der Arbeit mit Senior*innen über Menschen mit Fluchthintergrund bis hin zu inklusiven Ensembles?

00:00:20: Und wie können Hochschulen verhindern, Menschen auszuschließen, die nicht unseren Vorstellungen von "Normalität" entsprechen?

00:00:29: Mit diesen Fragen beschäftigte sich jüngst ein Symposium an der Bruckner Universität in Linz unter dem Titel "Instrumental(Gesangs)Pädagogik für alle".

00:00:38: Mit Bianka Wüstehube und Natalia Ardila-Mantilla spreche ich über Vorurteile, Machtstrukturen, Ausgrenzung und die Notwendigkeit, Aufnahmeprüfung ganz neu zu denken.

00:00:50: Viel Spaß beim Anhören dieser neuen Folge von "Voll motiviert – eurem Musikpädagogik-Podcast".

00:00:57: "Voll motiviert – der Musikpädagogik-Podcast" von Schott Music, dem Verband deutscher Musikschulen und Kristin Thielemann.

00:01:12: Hallo Natalia! Hallo Kristin! Und Hallo Bianka! Hallo Kristin!

00:01:18: Ich muss gestehen, es hat sich bewährt in den letzten Folgen. Bitte stellt euch doch gerade unserem Publikum einmal selber vor und ja, vielleicht lassen wir Natalia den Vortritt, denn die hat den weiteren digitalen Anreiseweg.

00:01:31: Ja, hallo Kristin, ich bin Natalia Ardila-Mantilla, ich bin Professorin für Instrumental- und Vokalpädagogik an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln und bin gerade in Bogotá.

00:01:41: Liebe Natalia, das ist "Voll motiviert" Podcast-Rekord für den weitesten digitalen Anreiseweg. Ich bin gespannt, ob der eines Tages getoppt werden wird, aber ich kann es mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen.

00:01:53: Und jetzt zu Bianka!

00:01:55: Ja, auch nicht ganz ums Eck. Hallo aus Wien, ich bin Bianka Wüstehube, ich bin Professorin für Instrumentalpädagoik an der Bruckner Universität in Linz und freue mich jetzt hier gemeinsam, dass wir diesen Podcast machen.

00:02:09: Super, also vielen Dank ihr beiden, dass ihr euch die Zeit nehmt. Vielleicht mal die erste Frage an dich, Bianka, dass wir heute über dieses Thema sprechen, das war ursprünglich deine Idee. Wie bist du denn eigentlich dazu gekommen, dich mit diesem Thema zu beschäftigen?

00:02:22: Also, im Grunde genommen bin ich gar nicht dazu gekommen, sondern es beschäftigt mich schon mein ganzes Leben lang. Als ich begonnen habe zu arbeiten an der Musikschule noch als Studierende,

00:02:36: habe ich in Berlin-Wedding an einer Musikschule gearbeitet, in einem Bezirk mit hohem Migrationsanteil und so war für mich irgendwie vom Beginn an auch klar, dass es einen Instrumentalunterricht, in meinem Fall einen Geigenunterricht für alle geben muss.

00:02:54: Und dann hat es ja in den Musikschulen eigentlich eine lange, aber stetige Entwicklung hin zu dem Bekenntnis einer inklusiven Musikschule gegeben.

00:03:05: Wir erinnern uns an die Potsdamer Erklärung, ein wesentlicher Meilenstein zur Leitidee einer inklusiven Musikschule und daraufhin sind ja eigentlich zahlreiche Praxisbeispiele auch gefolgt.

00:03:18: Zusammenarbeit von Musikschulen und Schulen hat stattgefunden; Öffnung für neue Zielgruppen.

00:03:24: Und ich war dann an der Hochschule eben für die Instrumental- und Gesangspädagogik, für das Studium verantwortlich, an der Bruckner Universität in Linz, und selbstverständlich haben wir Hochschullehrenden uns überlegt, wie kann denn eine Ausbildung darauf vorbereiten.

00:03:42: Im Grunde genommen stehen wir da in der Ausbildung vor einem, ja kann man wahrscheinlich sagen, fulminanten Problem.

00:03:50: Wir haben es mit Studierenden zu tun, die eine exklusive Ausbildung hinter sich haben.

00:03:57: Die haben als Kinder angefangen, wahrscheinlich überwiegend im Einzelunterricht, waren vermutlich hochbegabt, haben Wettbewerbe gespielt, sind aufgetreten öffentlich,

00:04:07: solistisch auf den Bühnen gestanden, haben ein extrem anspruchsvolles Aufnahmeverfahren hinter sich gebracht und dann eigentlich sind sie auch in einem ziemlich exklusiven Studium, wo sie auch wieder, wo es um Höchstleistung geht, um solistische Auftritte und so weiter.

00:04:24: Und dasselbe eigentlich, es passiert mit ihren Lehrenden, die haben ja die gleiche Sozialisation auch hinter sich.

00:04:31: Und insofern haben wir da, würde ich mal sagen, exklusive Studierende.

00:04:38: Georg Feuser hat mal von der Universität oder von der Hochschulausbildung als Sonderschule gesprochen und da hat er recht, ja es ist wirklich eine Sonderschule, weil dort eine Versammlung von exklusiv ausgebildeten nach Exzellenz strebenden Personen versammelt ist.

00:04:54: So und dann haben die fertig studiert und werden quasi konfrontiert mit einem Anspruch von einem inklusiven Arbeitsfeld und das ist tatsächlich auch oft wird es als Praxisschock empfunden. Und da überlegt sich dann eine Uni und wir haben uns überlegt so, was können wir tun, dann haben wir Erfahrungsräume versucht zu gestalten, Erfahrungsräume im Studium,

00:05:18: dass die Studierenden mit Senior*innen zusammenarbeiten, dass die Studierenden Unterricht mit Menschen mit Fluchthintergrund machen, dass die Studierenden in einem inklusiven Ensemble spielen können, dass es Schwerpunkte gibt, wie Musizieren mit Menschen mit Behinderung und so weiter.

00:05:37: Und diese Erfahrungsräume sind aber dann doch letztlich punktuell. Und es ist schwierig, oder es ist ein großer Anspruch, dann auch das zu übertragen auf wiederum einen Instrumental- und Gesangsunterricht – vor allen Dingen, wenn man diese Erfahrung des Einzelunterrichts mitbringt, und des Einzelunterrichts in einer bestimmten Blase ja auch.

00:06:02: Da werden wir sicherlich vielleicht auch später noch dazu sprechen, zu diesem Thema, mit welchen Normalitäten wir da leben. Und deswegen habe ich dann versucht, ob das die, die im Studium selbst irgendwie, ja, differenzsensibel im Rahmen der Ausbildung umzugehen.

00:06:22: Also wenn ich zum Beispiel eine Studierendengruppe mit 20 Studierenden habe, dann habe ich ja immer eine heterogene Gruppe. Die sind ja alle musikalisch unterschiedlich sozialisiert.

00:06:33: Bei mir ist es zum Beispiel so, dass es Klassik- und Jazzstudierende gemischt sind, allein deren Sozialisation ist ja schon unterschiedlich.

00:06:43: Dass da Studierende sind, die in der Pause zum Beispiel herrlich improvisieren – ein Gitarrist fällt mir da ein – und ich zu ihm hingeh und sage: "Was machst du denn da?"

00:06:54: Weil, ich kenne ihn bis dahin nur als klassischen Gitarristen auf der Bühne, und er sagt: "Ja, ich improvisiere so gern!", und ich frage: "Weiß das denn dein Lehrer?", und er sagt "Nein, nein, das darf ich dem gar nicht erzählen!"

00:07:05: Oder dass ich in der Pause auch wieder jemand höre, wie er – oder das war in dem Fall eine Frau, wie sie – Klavier ein ganz besonderes Stück spielt, und ich frage sie: "Was spielst du da?"

00:07:19: Und sie sagt mir: "Ja, das ist Musik von einer Frau, die aus dem Land, aus dem sie kommt, vertrieben worden ist, weil sie es dort nicht spielen durfte", und so weiter.

00:07:28: So, und dann habe ich gedacht, okay, ich möchte dieses Potenzial gerne nutzen, was dort ist.

00:07:35: Und ich habe so Projekte gemacht, wie ein großes Konzert mal mit dem Thema 'Musik im Gepäck', wo jeder quasi sein Gepäck einmal ausgepackt hat und wo die auch dazu aufgefordert worden sind, die Studierenden mit diesen Musiken, mit diesen Praxen, die sie mitbringen, die miteinander zu verknüpfen und Neues zu erschaffen.

00:07:59: Und das war dann so ein Zwischenschritt und dann habe ich mir überlegt, okay, jetzt müssen wir aber eigentlich noch einen Schritt weitergehen und überlegen, wer sind denn eigentlich die, die gar nicht da sind?

00:08:11: Also, die hier sein könnten, aber die gar nicht die Chance haben, hier zu sein.

00:08:16: Und da kommen wir jetzt dann zu dem Thema, auch der Symposiums IGP für alle.

00:08:21: Wie können wir das IGP-Studium so gestalten, dass man erst einmal überhaupt sich bewusst darüber wird, welche Barrieren wir da haben und mit welchen Normalitäten wir es zu tun haben, um es dann auch öffnen zu können für Personen, die eigentlich da sein könnten, aber einfach den Weg noch nicht finden können, weil wir ihn noch nicht aufgemacht haben.

00:08:49: Lange Antwort, aber jetzt leuchtet mir der Sinn dieses Thema so richtig schön ein.

00:08:53: Ja, wer sollte denn eigentlich da sein an Hochschulen? Wer sollte unbedingt dort studieren und ist doch nicht zu finden, oder noch nicht dort zu finden?

00:09:02: Natalia, was sind deine Erfahrungen?

00:09:04: Ja, ich würde vielleicht, bevor ich auf diese Frage eingehe, Kristin, ich habe als Bianka gesprochen hat, ein bisschen an meine persönliche Geschichte gedacht: Ich bin Kolumbianerin.

00:09:15: Ich habe mein erstes Studium in Kolumbien gemacht, ich habe klassisches Klavier in Kolumbien studiert und dann kam ich für mein zweites Studium.

00:09:23: Ich habe IGP dann in Wien studiert.

00:09:26: Und ich habe einfach gedacht, es ist schon interessant, ich habe einfach diese Erfahrung gemacht, wenn du von woanders her kommst, so wie ich, weil, als ich in Kolumbien studiert hatte, war ich an einem Ort, in dem ich normal war.

00:09:39: So wie ich war in Kolumbien, war das normal.

00:09:42: Und dann kam ich nach Wien in der Erwartung, ich habe diese Aufnahmeprüfung bestanden.

00:09:47: Ich hatte offensichtlich das drauf, was man da brauchte, um zu studieren. Und dieses erste Jahr war voll mit ganz vielen befremdlichen Erfahrungen.

00:09:58: Nicht unbedingt, ich glaube, manche waren ein bisschen News-Erfahrungen, manche waren Missverständniserfahrungen, manche waren lustige Begegnungen.

00:10:12: Aber ich glaube, die wirklich prägende Erfahrung für mich war diese Erfahrung des Anderssein und in einem Ort zu sein, wo ich die Ausnahme bin und nicht die Regel.

00:10:25: Und das finde ich, ist etwas, was mein Blick sehr prägt, dass ich einfach auf beiden Seiten in einer Institution gewesen bin, ich bin in einer Institution gewesen, wo ich die Regel war und ich bin in einer Institution gewesen, wo ich die Ausnahme war.

00:10:39: Und ich kenne diese zwei Erfahrungen und ich kenne einfach die Herausforderungen, die alle Beteiligten, nicht nur der, der die Ausnahme ist, sondern auch von denen, die mit dieser Ausnahme konfrontiert sind.

00:10:53: Ich kenne diese Erfahrungen sehr persönlich. Und ich glaube, das prägt sehr meinen Blick der Auseinandersetzung mit diesem Thema.

00:11:01: Und jetzt komme ich auf deine Frage. Du hast gefragt, wer ist normal an einer Hochschule?

00:11:06: Und ich würde das so sagen: Alle, die in irgendeiner Institution arbeiten oder lernen oder studieren, wissen, es gibt Dinge, die man in einer Institution macht oder nicht macht.

00:11:19: Wenn du in eine Hochschule kommst, du weißt zum Beispiel, dass du deinen Professor nicht mit einem Kuss begrüßt.

00:11:26: Mit einem Kuss? Nein, eigentlich macht man das nicht.

00:11:30: Du umarmst ihn nicht und du küsst ihn nicht, weil man spricht ihn vielleicht per Sie an

00:11:35: und das ist die Normalität. Und wenn jemand kommen würde und seinen Professor quasi in den Arm nehmen würde und drücken würde, das wäre sehr befremdlich.

00:11:43: Die Institution hat so Regeln. Man spricht Menschen so an, andere sprechen andere an, es gibt Hierarchien, die merkt man in der Sprache, die merkt man im Körper und so weiter.

00:11:56: Und diese Normalitäten empfinden wir, als ob sie natürlich wären. Die Leute in der Institution wissen nicht, dass sie das machen.

00:12:05: Die Geltung, die verhalten sie sich so, wie sie sich verhalten und das ist ja normal.

00:12:10: Und wenn man aber zum Beispiel, wie ich, wenn man von einem anderen Land kommt, wo zum Beispiel die Distanz eine andere ist, ich war in Kolumbien total gewohnt, dass man Menschen körperlich berührt.

00:12:21: Das ist normal in Kolumbien. Wenn ich mit einem Professor spreche, ich werde ihn nicht küssen vielleicht, aber werde ich schon auf der Schulter klopfen,

00:12:28: die Hand nehmen.

00:12:29: Oh ja, das ist hier eher ein bisschen weniger gefragt.

00:12:32: Na ja, mir ist das buchstäblich passiert. Ich kam in eine Hochschule, ich dachte ein Professor, der war nett, dann habe ich ihn so auf den Schulter geklopft und dann springt natürlich mein Professor so, wow, also was bedeutet das jetzt gerade?

00:12:48: Ja, und dann merkt man eben, dass das, was wir als normal emfinden, ist das normal von manchen Menschen.

00:12:55: Manche Menschen kennen dieses Normale. Manche Menschen kennen dieses Normale nicht.

00:13:01: Und was ist in Musikhochschulen normal?

00:13:05: In Musikhochschulen ist zum Beispiel normal, dass Menschen aus bildungsbürgerlichen Milieus kommen, dass Menschen zum Beispiel aus Familien kommen, wo Menschen Abitur haben.

00:13:16: Dass Menschen aus einer bestimmten sozialen Schicht kommen. Manche soziale Schichten sind in Musikhochschulen nicht so üblich wie andere soziale Schichten.

00:13:25: Also es ist normal, dass du aus einem bildungsbürgerlichen Kontext kommst, dass du Abitur hast, dass du weiß bist, dass du nicht "of color" bist, dass du keine Behinderung hast.

00:13:38: Also all diese Dinge, es gibt Menschen, die zum Beispiel Migrationserfahrungen haben und in dem Land aufgewachsen sind.

00:13:50: Die Migrantinnen und Migranten in Musikhochschulen kommen oft aus dem Ausland und kommen auch aus einem bildungsbürgerlichen Milieu,

00:13:57: und sind nicht Migrantinnen und Migranten, die im Land quasi geboren sind.

00:14:03: Und das sind Normalitäten, die spürt man einfach im Alltag.

00:14:09: Wenn jemand kein Abitur hat und er an einer Musikhochschule ist, merkt man in der Sprache, ich spreche jetzt gerade mit einer Gruppe von Abiturienten und ich habe keine Abitur.

00:14:19: Und ich spüre das in den Umgangsweisen.

00:14:22: Diese Dinge, die in Musikhochschulen sind normal. Und Menschen, die nach diesen Normalitätserfahrungen, die diese Normalität nicht teilen, die kriegen das zu spüren.

00:14:37: Und das, wissen wir von der Forschung, das spüren sie sehr deutlich in Musikhochschulen.

00:14:43: Okay, wie muss ich mir das vorstellen? Wie wurde das beforscht?

00:14:47: Ich kann dir ein Beispiel geben. Es gibt diese MULEM-EX-Studie, die vor kurzem erschienen ist.

00:14:53: Ah ja, natürlich MULEM-EX.

00:14:55: Genau, das ist die Studie, wo man erforscht hat, welche Gründe haben Menschen, Musik nicht zu studieren, also die nicht Lehramt Musik zu studieren.

00:15:04: Und in dieser Studie gibts zum Beispiel ein Beispiel, das mir gerade einfällt, dass man einfach von den Studierenden befragt hat, die jetzt in Musikhochschulen Baglama studieren.

00:15:16: Also die sind die ersten Baglama-Studienten in deutschen Musikhochschulen.

00:15:20: Und da fällt mir gerade jetzt ein Zitat aus einem Interview, das ich gelesen habe,

00:15:26: wo einer von diesen ersten Baglama-Studenten erzählt, wie sein Studium, als da an einer Musikhochschule aussieht.

00:15:33: Und er sagt zum Beispiel: "Ich konnte zum Beispiel keine Noten lesen, bevor ich mich vorbereitet habe auf das Musikstudium."

00:15:40: Er ist ein brillanter Baglama-Spieler, nur die Notation der Baglama ist nicht die westliche Notation.

00:15:47: Oh, natürlich. Autsch! Notenlesen ist natürlich mal ein guter Wurf, wenn man Musik studieren möchte.

00:15:53: Ja, also so ein Baglama-Student ist dann damit konfrontiert in einem Seminar, dass irgendeine Aufgabe, die muss gar nicht mit Notenlesen zu tun haben,

00:16:02: sondern es gibt vielleicht eine Lehrprobe oder eine Aufgabe,

00:16:05: und werden so Blätter verteilt und alle sind sehr entspannt, wenn sie Noten sehen, und diese Person hat einen ordentlichen Stress,

00:16:12: weil sie nur ein Jahr vor dem Studium im Schnellverfahren Notenlesen gelernt hat.

00:16:17: Und wenn diese Person Schwierigkeiten hat, dann kann durchaus sein, dass diese Person das einfach für sich spürt,

00:16:29: aber es kann sein, dass sie das auch zu spüren bekommt, dass sie von Lehrkräften auf eine bestimmte Weise adressiert wird, oder angesprochen wird.

00:16:36: Und diese Erfahrungen sind insofern schwierig,

00:16:42: erstens, weil das für die Personen schwierig ist, also das Studium wird schwieriger.

00:16:46: Man fühlt sich auch fremd, man fühlt sich auch nicht wahrgenommen, man fühlt sich auch defizitär,

00:16:52: obwohl dieser Student vielleicht unglaubliche Potenziale hat, dass die anderen gar nicht haben.

00:16:56: Das ist eine Person, die womöglich super improvisieren kann, super nach Gehör spielen kann, super solche Dinge kann.

00:17:04: Aber diese anderen Dingen sind in dem Raum nicht sichtbar, das heißt, die Person empfindet sich selbst als defizitär und hat diese damit zu kämpfen.

00:17:13: Und es hat aber die, wenn ich noch auf Bianka eingehe, es hat noch die sehr schwierige Folge,

00:17:21: dass wir diese Person unbedient brauchen, wir brauchen Lehrkräfte, die Baglama spielen, die aus diesem Kontext kommen,

00:17:29: damit in den Musikschulen wir diese Menschen haben, die genau diese Art von Arbeit machen können.

00:17:35: Das heißt, wenn diese Personen Schwierigkeiten im Studium haben, wirkt sich das auch auf die Praxis in den Musikschulen aus,

00:17:42: weil wir zu wenige von Menschen haben, die diese Form von Sozialisation haben.

00:17:46: Also, es ist wirklich heikel, nicht nur für die Person selbst, sondern wirklich für die Gesellschaft,

00:17:52: wenn wir zu wenige von diesen Menschen in unseren IGP-Studiengängen,

00:17:56: oder überhaupt in unseren künstlerischen Studiengängen haben.

00:18:00: Gleich geht es weiter, bei "Voll motiviert", aber zuvor noch ein ganz großes Dankeschön an unseren Sponsor iMikel.

00:18:08: Dieser Podcast wird gesponsert von der professionellen Musikschulverwaltungslösung iMikel.

00:18:13: Egal ob Herrenberg, rechtssichere Fotos auf Instagram oder KI in der Verwaltung –

00:18:18: Mit iMikel sind sie perfekt auf die Zukunft vorbereitet.

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00:18:28: Über 250 Musikschulen und 120.000 Anwender*innen setzen auf unseren zuverlässigen Support.

00:18:35: Wir freuen uns auf Sie und wünschen weiterhin viel Spaß im Podcast.

00:18:39: Ich will euch erzählen, ich habe ja acht Grundschulklassen im Musikunterricht.

00:18:46: Jeweils eine Lektion pro Woche, jede Klasse.

00:18:49: Und ich habe drei Klassen, wo nicht ein muttersprachlich deutsches Kind drin ist.

00:18:54: Und in zwei Klassen haben wir nicht mal eine Sprache, die alle sprechen.

00:19:00: Es ist aber einfach Normalität und im Musikunterricht ist es so schön,

00:19:04: weil wir jede Stunde feststellen, dass wir eine gemeinsame Sprache haben und dass das die Musik ist.

00:19:10: Dass wir es schaffen, dass wir durch die Musik eine Einheit werden.

00:19:15: Aber ich kann natürlich nicht einen normalen Lehrplan irgendwie durchziehen.

00:19:20: Und ich muss wirklich sehr sensibel auch sein.

00:19:23: Ich hatte zum Beispiel gedacht, naja, hier läuft demnächst Peter und der Wolf auf Türkisch und auf Albanisch und auf Deutsch.

00:19:29: Und wie wäre es denn mal, wenn wir mit allen Kindern in die albanische Fassung von Peter und der Wolf gehen würden,

00:19:34: dass eben auch mal die deutschsprachigen Kinder feststellen, wie das eigentlich auf sie wirkt, wenn man plötzlich gar nichts versteht.

00:19:42: Und dann habe ich aber noch einen ukrainischen Jungen dabei, wo ich dachte, oh, ist das eigentlich eine gute Idee?

00:19:48: Ich weiß, der hat ein bisschen traumatische Fluchterfahrungen gemacht.

00:19:51: Wenn ich jetzt Peter und der Wolf mache und da kommen auf einmal die Jäger aus dem Wald und peng peng die Pauken fangen an zu schießen,

00:19:58: wo ich dachte, nee, ich glaube Peter und der Wolf, das fällt jetzt einfach mal aus.

00:20:03: Ja, also ich würde auf ein paar Dinge eingehen, die du gesagt hast.

00:20:07: Also jetzt hat du quasi gewechselten Blick auf den Unterricht, auf den Unterricht in der Praxis, in der pädagogischen Praxis.

00:20:14: Und du hast einen Satz gesagt, wir haben eine gemeinsame Sprache und das ist die Musik.

00:20:19: Und das dachte ich viele Jahre.

00:20:22: Und das denke ich nicht mehr.

00:20:25: Unser Kollege Johann Honnens hat einen wunderschönen Artikel, der war in dem Symposium auch dabei,

00:20:32: mit dabei vor einigen Jahren publiziert, in dem er geschrieben hat.

00:20:38: Der Titel war "Musik verbindet?" Fragezeichen.

00:20:41: Und es ist interessant, dass man diese... Wir haben immer wieder, wenn du sagst, Peter und der Wolf auf albanisch

00:20:48: ist universell. Und ich würde sagen, oder wir haben immer wieder das Gefühl, dass Musik etwas Allgemeines ist.

00:20:56: Und Musik ist ein kulturelles Gut.

00:20:59: Und kulturelle Güter haben Kontexte.

00:21:02: Und Musik kann verbinden und Musik kann wahnsinnig trennen.

00:21:07: Und zum Beispiel, wenn du aus einem... Ich gebe dir ein Beispiel aus meinem persönlichen Kontext.

00:21:12: Ich komme aus einer Kultur, zum Beispiel bei der Salsa, die lateinamerikanische Musik-Bereich.

00:21:19: Es ist so einfach eine Welt, so wie die klassische Musik.

00:21:23: Eine ganze Welt mit Geschichte, mit Stars, mit Newcomer.

00:21:28: Also es gibt eine Musikgeschichte der lateinamerikanischen Musik.

00:21:32: Und wenn man aber sagt, Peter und der Wolf ist unsere universelle Musik,

00:21:39: ich würde sagen, nein, die ist sehr spezifisch.

00:21:42: Also ich sage einfach mitteleuropäisch.

00:21:45: Und Menschen, denen es gesagt wird, ja, jetzt machen wir etwas, was uns alle verbindet.

00:21:53: Peter und der Wolf ist für viele Menschen eine sehr starke Othering-Erfahrung.

00:21:58: Weil das, war verbindet, ist Peter und der Wolf.

00:22:00: Und es ist nicht Ruben Blades, der ein Salsa-Star ist, ist genauso wie Prokofjew.

00:22:06: Und diese Art von Erfahrungen machen oft sehr deutlich, wer hat Macht im Raum, wer bestimmt, was das Universelle ist?

00:22:18: Und wer bestimmt, was gilt hier als Musik?

00:22:22: Es gibt viele Formen von Musik, die Menschen nicht als Musik empfinden.

00:22:26: Ich habe einen Sohn, der Gamer ist, zum Beispiel. Und der in dieser Gaming-Musik lebt

00:22:31: und viele seiner Lehrkräfte halten Gaming nicht für ein Musikgenre.

00:22:35: Und Gaming-Musik ist eine riesen Musikbranche.

00:22:40: Und es ist ja auch coole Musik. Gaming-Musik ist ja wahnsinnig toll.

00:22:45: Absolut großartig. Und so eine vielfältige Welt.

00:22:49: Und viele Menschen würden meinem Sohn sagen: "Ja, wir machen jetzt Musik, damit du nicht Computer spielst."

00:22:56: Also Musik und Gaming, also ob nicht Musik und Gaming nicht musikalische Genres werden.

00:23:03: Ich habe einen neunjährigen im Unterricht, der ist auch so ein bisschen so Gamer, der zockt immer.

00:23:08: Und dann habe ich gesagt, bring mir doch mal dein Spiel mit.

00:23:10: Und dann haben wir das Spiel improvisiert, also musikalisch dargestellt. Haben wir neulich mal im Unterricht gemacht.

00:23:16: Das hat ihm auch riesig Spaß gemacht.

00:23:18: Aber entschuldige, Natalia, ich wollte dich nicht unterbrechen.

00:23:21: Na, ich würde gerne auch noch auf das, was du gesagt hast, Kristin, noch auf einen anderen Aspekt als Natalia.

00:23:27: Weil du hast zweimal den Begriff "normal" auch verwendet.

00:23:31: Und wenn Natalia sagt, hier wird entschieden, wer hat Macht im Raum,

00:23:35: du hast gesagt, damit kann ich natürlich nicht den normalen Lehrplan verfolgen.

00:23:40: Das ist auch so ein ganz typisches Beispiel:

00:23:43: Was ist denn eigentlich ein normaler Lehrplan?

00:23:46: Also welche Leistungserwartungen haben wir?

00:23:49: Und welche werden da definiert?

00:23:51: Damit hat sich nämlich Julian Schunter, der auch auf dem Symposium gesprochen hat,

00:23:55: genau mit diesen Leistungserwartungen, die von der Musikschule und auch natürlich in der Schule, in den Lehrplänen auch drin versteckt sind

00:24:03: und die sich weiterziehen in die Hochschule.

00:24:06: Und das ist so wie ein Kreislauf.

00:24:08: Du gehst in diese Leistungserwartung rein.

00:24:11: Und wir, die wir unterrichten, sagen dann, okay, und mit den anderen können wir nicht normalen Unterricht machen.

00:24:18: Das heißt, im Grunde genommen müssen wir vielleicht überlegen,

00:24:22: was können wir für einen individuell gestalteten Unterricht für jede Gruppe machen, die da zusammenkommt

00:24:29: und was heißt das dann in Folge?

00:24:32: Aber für diese Leistungserwartung, die ist so gesetzt und gerade im Hochschulkontext extrem,

00:24:40: ja, das fiel mir jetzt einfach zu deinen Ausführungen ein,

00:24:47: weil man so versucht ist und mir das auch ständig passiert, dass man rauskommt aus diesem Normaldenken.

00:24:57: Stichwort das Normaldenken.

00:25:00: Da hatte euer Kollege Michael Göllner, der ja heute im Gespräch eigentlich auch mit dabei sein sollte,

00:25:05: nun aber leider krank ist,

00:25:07: er hat so ein wunderbares Gedankenexperiment auf eurem Symposium gemacht.

00:25:11: Und ich war ganz fasziniert, als ich das in der Dokumentation gelesen habe, also ein Tipp an alle, die mal reinschauen möchten.

00:25:17: In den Shownotes findet ihr die Dokumentation des Symposiums verlinkt.

00:25:21: Und die dann mal anzuschauen, lohnt sich wirklich.

00:25:24: Ja, ja, die liebe Normalität.

00:25:27: Aber Natalia sieht gerade so aus, als wollte sie unbedingt noch was zum Stichwort Normalität sagen.

00:25:33: Bitte, Natalia.

00:25:34: Und manche Form von Normalität impliziert, manche sind die Normalen und manche sind eventuell die nicht Normalen.

00:25:40: Die Norm bestimmt die Differenz.

00:25:43: Wenn ich sage, zum Beispiel, in einer Eignungsprüfung, du hast ein Hauptfach, in einem Musikstudium du hast ein Hauptfach.

00:25:54: Die Normalität ist, du hast ein Instrument, das ist ein Hauptfach und du bewirbst dich mit diesem Instrument.

00:26:01: Es gibt auch viele musikalische Genres, wo die wichtigste Qualitätsmerkmal ist, dass man zum Beispiel mehrere Instrumente spielt.

00:26:10: Ganz viele Genres, wenn du denkst, zum Beispiel an einen Producer, das Wichtigste ist, dass diese Person singen kann, ein bisschen Klavier spielt, mit DAW operieren kann, und so weiter.

00:26:23: Und das heißt, diese Idee von Normalität bestimmt die Menschen, die so sozialisiert sind, kommen rein und sind die Normalen und die, die nicht so sozialisiert sind, die nicht Normalen.

00:26:36: Wäre kein Problem, wenn wir in einer Gesellschaft, also wenn wir nur eine musikalische Praxis im Blick hätten,

00:26:42: weil wir haben, wie du gesagt hast, wir sind eine vielfältige Gesellschaft mit vielfältigen kulturellen Praktiken

00:26:48: und wenn wir auch als staatlich geförderte Institutionen, sind Musikschulen, sind Musikhochschulen, sie sind auch staatlich gefördert Institutionen, die letztlich die Aufgabe haben, auch der Gesellschaft zu dienen,

00:27:00: dann müssen wir uns schon die Frage stellen, wen schließen wir aus und wenn wir Lehrkräfte ausbilden, wie diese Lehrkräfte womöglich in der Praxis auch andere Menschen ausschließen.

00:27:12: Und dann entsteht so eine Machtdynamik, die unglaublich ausschließend ist, obwohl die Menschen persönlich gar nicht irgendwie Rassisten sind oder elitäre, fürchterliche Menschen sind,

00:27:30: es ist ihnen nicht bewusst, wie viel Privileg sie haben, wie privilegiert sie sind, auch wie einseitig sie auf Musik blicken, weil sie denken, das was sie erlebt haben, ist Musik.

00:27:42: Sie denken, es ist nicht klassische westliche Musik in Deutschland, sondern sie denken, das ist Musik.

00:27:49: Und ich finde es sehr sehr wichtig, gerade wenn man Lehrkräfte ausbildet, einfach im Studium in Frage zu stellen, was finden wir als normal?

00:28:03: Wer ist ausgeschlossen von dieser Normalität? Wie gehen wir damit um, dass wir diese Sozialisation gar nicht haben oder dass manche von uns diese Sozialisation nicht haben

00:28:13: und immer wieder das Gefühl haben werden, dass andere defizitär sind. Solche Dinge sind eine schwierige Aufgabe und sind aber gesellschaftlich unglaublich wichtig.

00:28:28: Ich will mal was ganz Persönliches erzählen. Und zwar, ich bin ja nun als Trompeterin, Aufnahmeprüfung habe ich 97 gemacht und ich habe oft die Erfahrung gemacht,

00:28:40: als Frau mit einem Blechblasinstrument, gerade mit Trompete, nicht dazu zu gehören.

00:28:46: Und ich sage dir aber heute, dass ich es nicht verkehrt finde, mal die Erfahrung zu machen, nicht immer, aber hin und wieder mal die Erfahrung zu machen, eben auch nicht dazu zu gehören,

00:28:57: weil ich bilde mir ein, dass ich dadurch mehr Verständnis hab

00:28:59: für Menschen, die auch nicht dazu gehören.

00:29:02: Das ist ganz sicher richtig.

00:29:05: Das ist ja auch das, wovon Natalia berichtet,

00:29:08: dass sie selbst diese Erfahrung hat,

00:29:10: dass das hilfreich ist, so eine Erfahrung zu haben.

00:29:14: Und die können wir auch, das ist das, was ich vorhin berichtet habe,

00:29:17: dass ich versuche, innerhalb des Studiums

00:29:19: die verschiedenen Erfahrungsräume der Studierenden

00:29:25: miteinander ins Spiel zu bringen,

00:29:27: um eben gemeinsam den Blick über viele Tellerränder zu werfen.

00:29:32: Wenn du deine Aufnahmeprüfung ansprichst,

00:29:35: könnte man auch sagen, okay,

00:29:37: und dann hast du vielleicht auch einfach großes Glück gehabt.

00:29:40: Denn die Aufnahmeprüfung ist ja eine Hürde,

00:29:43: in der zum Beispiel, also ich habe im Vorfeld des Symposiums

00:29:49: und mit der Beschäftigung des Themas

00:29:51: mit wirklich vielen Kollegen und Kolleginnen meiner Universität,

00:29:55: aber auch anderen deutschsprachigen Universitäten gesprochen

00:29:58: und viele Geschichten über Aufnahmeprüfungen gehört.

00:30:03: Und Frauenfeindlichkeit gehört tatsächlich heute

00:30:06: offensichtlich auch immer noch dazu.

00:30:09: Also es ist nicht so, dass das keine Rolle mehr spielt,

00:30:13: ob du als Frau und ich nehme mal an, im Blechbläserbereich

00:30:17: ist es wahrscheinlich verstärkter als im Bereich Querflöte,

00:30:21: aber das spielt schon durchaus auch, kann es eine Rolle spielen.

00:30:26: Oder ich habe einige Geschichten gehört,

00:30:28: die Frauenfeindlichkeit zu Tage gebracht haben.

00:30:32: Ich muss gestehen, bei meiner Aufnahmeprüfung

00:30:35: habe ich ja nicht unbedingt damit gerechnet,

00:30:37: dass dort Frauen sitzen.

00:30:39: Also kam mir ja auch in Anführungszeichen alles normal vor,

00:30:42: nämlich, dass ich eine Herrenjury davon überzeugen würde,

00:30:46: dass ich es wert bin, aufgenommen zu werden.

00:30:48: Und das hat ja letztlich auch geklappt.

00:30:50: Aber heute würde ich natürlich wirklich erwarten,

00:30:53: dass in einer Jury aus Hochschuldozierenden

00:30:55: im Blechbläserbereich Frauen dabei sind.

00:30:58: Das gehört einfach dazu, da gibt es absolut keine Diskussion

00:31:01: und ich finde es wirklich schwer schockierend,

00:31:03: wenn eine Hochschule so was eben nicht bieten kann.

00:31:06: Das würde mich in höchstem Maße nachdenklich machen

00:31:09: als Kandidatin oder eben auch als Lehrer, als Lehrerin,

00:31:12: die eine Schüler oder eine Schülerin an eine Hochschule schicken möchte.

00:31:15: Was ist das für eine Philosophie,

00:31:17: wenn Frauen nicht in einem Fachbereich repräsentiert sind?

00:31:20: Ich meine, wir wollen eine demokratische und eine vielfältige Gesellschaft sein,

00:31:24: aber schon bei manchen Stellenbesetzungen

00:31:26: sind das plötzlich nur noch Lippenbekenntnisse.

00:31:28: Und das betrifft ja nicht nur Frauen,

00:31:30: die in Männerdomänen oder in ehemaligen Männerdomänen

00:31:33: endlich einmal gesehen werden wollen

00:31:35: und dort um einen Arbeitsplatz kämpfen müssen,

00:31:37: sondern auch Männer, die in Bereichen arbeiten,

00:31:40: wo es üblich war, dass sie von Frauen dominiert waren.

00:31:43: Und gerade als Trompeterin bin ich ja nur wirklich mit kaltem Wasser gewaschen,

00:31:47: aber Leute, hey, 2025, wir wollen darüber nicht mehr diskutieren.

00:31:52: Macht's einfach.

00:31:54: Ja, ich finde, du siehst es ja auch schon in den Musikwettbewerben für Kinder.

00:31:57: Dann kommst du dahin, bist als Jury bestellt

00:32:00: und im Jury-Team mit dir sind plötzlich nur Männer.

00:32:03: Natürlich, wir haben unseren Spaß und wir kriegen das auch gut juriert,

00:32:06: aber ich denke immer, wie befremdlich muss das eigentlich wirken

00:32:10: auf kleine Mädchen, die da vorspielen.

00:32:13: Und hinterher ist da das Jury-Gespräch.

00:32:15: Und jetzt stell dir mal vor, ich wäre nicht dabei

00:32:17: und da würden jetzt gleich fünf Männer sitzen

00:32:19: und die machen dann Feedback oder die geben dann Feedback an dieses Mädchen.

00:32:23: Und ja, also ich glaube, das muss heute, also wir müssen im Jahr 2025

00:32:29: nicht mehr darüber diskutieren,

00:32:31: dass eine Jury auch mit beiderlei Geschlechtern besetzt sein sollte

00:32:36: und dass sich da junge wie alte Menschen drin wiederfinden sollten.

00:32:41: Also dass man auch so eine gewisse Altersspanne in der Jury abbildet,

00:32:45: aber ich sehe ein, dass das nicht immer einfach ist.

00:32:48: Stell dir vor, du bist nicht nur Frau, sondern du bist zum Beispiel blind.

00:32:53: Oder du bist, oder du hast zum Beispiel, dir fehlt ein Arm.

00:32:58: Ja, oder also stell dir vor, wirklich, wie das ist,

00:33:03: wenn du in einen Kontext kommst, wo alle sehen,

00:33:07: wo alle zum Beispiel mit visuellen Mitteln arbeiten

00:33:10: und du siehst nichts.

00:33:12: Ja, aber es gibt ja auch Behinderungen, die du nicht siehst.

00:33:16: ADHS, ASS, ich meine, das gibt ja auch durchaus einige von uns,

00:33:21: die das mit sich rum schleppen

00:33:23: und sich aber nicht trauen, das öffentlich anzusprechen.

00:33:26: Das ist ja auch eine Form von Beeinträchtigung im Leben,

00:33:29: kann das ja durchaus sein, ne?

00:33:31: Ja, das finde ich, da fällt mir die Geschichte,

00:33:34: die kennen ja sicher alle von einem Sänger,

00:33:37: Karstoff, der in Hannover die Aufnahmeprüfung nicht bestanden hat,

00:33:41: weil er kein Zweitinstrument Klavier spielen konnte.

00:33:44: Wenn man das jetzt Studierenden erzählt, sagen die alle,

00:33:47: ja, wie kann denn das passieren, ist doch klar,

00:33:50: dass der nicht Klavier spielen kann.

00:33:52: Er hat ja eben die körperlichen Möglichkeiten nicht dafür.

00:33:56: Und wenn man das dann mal weiter denkt,

00:33:58: weil du eben gerade zum Beispiel ADHS gesagt hast,

00:34:00: oder es gibt ja genügend andere Störungen,

00:34:02: die man eben vielleicht nicht so offensichtlich sieht,

00:34:05: vielleicht kann der, der heute nicht Klavier spielen kann,

00:34:09: weil er einfach gar kein Klavier hatte,

00:34:11: weil er die Möglichkeit nicht hatte,

00:34:13: oder weil er es in seinem kulturellen Umfeld da keine Rolle spielt.

00:34:17: Das vergessen wir oft, auch in den Voraussetzungen.

00:34:21: Das ist eben, glaube ich, ein ganz wesentlicher Punkt,

00:34:25: warum man sich über Aufnahmeprüfungen Gedanken machen muss.

00:34:29: Dieses Drei Werke, drei Epochen.

00:34:32: Ich meine, denkst du mal an deine Aufnahmeprüfung zurück,

00:34:35: 1991 hast du gesagt, oder 97, 97, das waren wahrscheinlich drei Werke

00:34:41: aus drei Epochen.

00:34:42: Und 70 Jahre davor war das auch schon so.

00:34:45: Also, da hat sich nichts verändert, das ist immer noch so.

00:34:49: Und aber unsere Gesellschaft hat sich verändert

00:34:52: und die Musikpraxen haben sich verändert

00:34:55: oder sind vielfältiger geworden.

00:34:57: Insofern müsste man darüber nachdenken,

00:35:00: dass man zum Beispiel, ja, ein Kollege hat mir erzählt,

00:35:05: sie haben Zeit gehabt, sie haben Aufnahmeprüfung gehabt,

00:35:08: Geige, Violine und irgendwie ist eine Kandidatin ausgefallen

00:35:12: und sie haben in den Unterlagen, in den Bewerbungsunterlagen

00:35:16: gelesen gehabt, dass die, die gerade jetzt da zugange war,

00:35:20: auch noch gerne Klavier spielt und singt.

00:35:22: Und sie hatten halt Zeit und dann haben sie die gebeten,

00:35:25: ob sie Lust hat, nochmal zu singen.

00:35:28: Und das hat sie getan, hat sich selbst am Klavier begleitet.

00:35:31: Und mein Kollege hat mir erzählt, die haben ein ganz anderes Bild

00:35:34: von dieser Person bekommen, weil sie sie plötzlich noch zusätzlich

00:35:38: zu ihrem Geigenspiel auch so erlebt haben.

00:35:41: Und ist die Frage, warum in Jazz/Rock/Pop ist das, glaube ich,

00:35:46: gang und gebe zum Beispiel, dass Studierende ihre Band mitbringen

00:35:51: zu einer Aufnahmeprüfung und imm Ensemble dort spielen.

00:35:54: Warum könnte nicht im klassischen Bereich eine Cellistin

00:35:58: mit ihrem Streichquartett kommen?

00:36:00: Also einfach wegzukommen von diesen Traditionen,

00:36:06: die wirklich zu lange schon nicht überdacht worden sind.

00:36:11: Wie ist es mit einer eigenen Komposition?

00:36:14: Barbara Stiller und Elsner, die haben darüber in üben

00:36:18: und musizieren geschrieben, ob man nicht überhaupt den Kanon

00:36:21: größer macht und Improvisation bei einem Instrumental-

00:36:24: oder Gesangspädagogikstudium fordert oder Kommunikation

00:36:28: mit anderen Musiker*innen und so weiter.

00:36:32: Also das ist zum Beispiel ein, glaube ich, wesentlicher Punkt,

00:36:36: den wir überdenken müssen und was Aufnahmeprüfungen angeht.

00:36:40: Auch dieser Gatekeeper Musiktheorie, das möchte ich anschließen

00:36:48: an das, was Natalia vorhin gesagt hat, wenn da jemand kommt,

00:36:54: der nicht die Möglichkeit hatte, tatsächlich so ein musiktheoretischen

00:36:58: Kontext das zu lernen und lange zu lernen, dann ist das eine

00:37:04: unglaubliche Hürde, diese westlich-europäisch-klassisch orientierte

00:37:09: Aufnahmeprüfung zu bestehen.

00:37:13: Und selbst die, die die Chance hatten, ich weiß, das kennen

00:37:17: sicherlich alle, die zuhören auch.

00:37:19: Wir kennen alle Personen, die auf extrem gutem Niveau

00:37:23: ein Instrument spielen und wo man sagt, natürlich bestehen die

00:37:26: eine Aufnahmeprüfung und die so große Angst vor dieser

00:37:30: Aufnahmeprüfung haben, wegen des Theorietests, der sozusagen

00:37:34: das Eingangstor ist.

00:37:36: Und wenn man durch das nicht durchtritt, dann hat man sowieso

00:37:39: keine Möglichkeit zu studieren.

00:37:41: Und da sich Gedanken zu machen, wie man das verändern kann,

00:37:46: wie die Wiener Musikhochschule, die hat jetzt seit 21 ein neues

00:37:52: Konzept von Prüfung, die lassen tatsächlich alle künstlerisch

00:37:56: vorspielen, spielen auch Ergänzungsfach Klavier und haben

00:37:59: eine Gehörbildungsprüfung.

00:38:01: Und diese Gehörbildungsprüfung kann einmal wiederholt werden.

00:38:04: Also das ist schon mal extrem erleichternd diese eine Wiederholung,

00:38:09: was den Stress angeht, dass man seinen Traum nicht machen kann,

00:38:13: nämlich Musik studieren.

00:38:15: Und die Theorieprüfung haben sie abgeschafft und mit bestandener

00:38:20: Prüfung haben dann die Studierenden, die aufgenommenen

00:38:23: Studierenden über den Sommer Zeit für den Einstufungstest

00:38:28: für den zu lernen.

00:38:30: Dann gibt es im Herbst einen Einstufungstest und dann musst du

00:38:34: eventuell, falls du den eben nicht schaffst, noch zusätzlich

00:38:37: Kurse belegen, dass du das nachholst.

00:38:40: Und mir wurde jetzt berichtet, dass bis jetzt niemand irgendeinen

00:38:46: Nachhilfekurs gebraucht hat, weil alle den Einstufungstest

00:38:49: bestehen.

00:38:51: Das find ich unglaublich, was also da die Psyche macht.

00:38:54: Also wie man da zum Beispiel diese Hürde Angst durch so eine

00:38:58: leichte Maßnahme eigentlich nehmen kann.

00:39:01: Und ihr habt auch noch darüber gesprochen, dass das zum

00:39:06: Beispiel jetzt in einer männlich besetzen Kommission zum

00:39:09: Beispiel die Frauen dort vielleicht benachteiligt werden

00:39:13: könnten.

00:39:15: Das hat auch ganz viel mit Habitus zu tun.

00:39:17: Es gibt eine ganz interessante Studie von Rosa Reitsamer und

00:39:20: Rainer Prokopp, die haben 2017 auch an der MTw in Wien Prüfer*innen

00:39:26: gefragt, nach welchen Kriterien sie vorgehen.

00:39:29: Und ein ganz wichtiges Kriterium war die Persönlichkeit.

00:39:35: Also wie performt die Person auf der Bühne, wie, ja, also wie ist

00:39:42: der ganze Habitus, der dort vorträgt.

00:39:47: Neben natürlich was zuerst genannt worden, handwerkliche

00:39:51: Fähigkeiten, aber das war ein ganz wesentlicher Grund.

00:39:54: Und auch bei meinen Gesprächen hieß es immer, es geht um die

00:39:57: Persönlichkeit und die persönliche Ausstrahlung, so um die

00:40:00: Hingabe zur Musik.

00:40:02: Und die haben festgestellt, oder sagen, dieses Instrumentalspiel und auch

00:40:09: Gesang, das lernt man ja von Kindesbeinen an.

00:40:12: Das heißt also, man lernt es in einer bestimmten Art und Weise.

00:40:15: Und das tut man über viele Jahre.

00:40:17: Und mit dieser Sozialisation tritt man dann auf die Bühne, also

00:40:22: mit diesem Habitus und spielt.

00:40:24: Und auf der anderen Seite sitzen die Prüfer*innen, die auch eine

00:40:29: bestimmte Sozialisation hinter sich haben und auch einen

00:40:32: bestimmten Habitus.

00:40:33: Und dann ist es quasi, kommen wir zu dieser Situation, dass da

00:40:37: jemand mit seinem Habitus performt und beurteilt wird von einer

00:40:44: Kommission, die meistens aus eben weißen Männern, Bildungsbürgertum,

00:40:50: westlich-europäische Musik und dass die dann darüber urteilen, wie die

00:40:59: Performance von dem Gegenüber ist.

00:41:01: Und das ist natürlich immer, ja, da haben wir einen, mit einem, ja,

00:41:06: sehr ungleichen Machtverhältnis zu tun.

00:41:08: Ich finde, dass manchmal auch um nochmal auf diese Wettbewerbe

00:41:11: zurückzukommen.

00:41:12: Da fällt mir das nämlich genauso auf, musste ich gerade dran denken,

00:41:14: wo du das erzählt hast.

00:41:16: Ich juriere ja doch wirklich häufig und auch gern.

00:41:19: Und manchmal mach ich wirklich das Experiment.

00:41:21: Ich schau gar nicht, wer als nächstes spielt.

00:41:23: Also ich schau nicht ins Programm.

00:41:24: Ich nehme mir rein die Noten vor.

00:41:25: Und ich gehe auch raus, wenn dann irgendwie die anderen der

00:41:28: Jury so sprechen.

00:41:29: "Ah, da kommt ein Mädchen, was und ein schweres Programm,

00:41:31: ob die das wohll kann."

00:41:32: Sondern ich gehe einfach kurz vor dem Beitrag aus dem Saal und ich

00:41:35: komme rein, wenn das Kind schon auf der Bühne steht.

00:41:37: Und ich schau wirklich den ganzen Beitrag über nicht hin.

00:41:40: Das heißt, ich kann halt sowas gar nicht beurteilen, wie agiert

00:41:44: dieses Kind.

00:41:45: Und ich sehe dann auch nicht eine vermeintlich falsche Technik

00:41:48: oder eine Technik, die ich jetzt als falsch kennzeichnen würde,

00:41:51: sondern ich kann rein nur das beurteilen, was ich höre.

00:41:54: Also sowas wie, dann mache ich mir auch so eine kleine Liste,

00:41:58: wo ich dann schreibe, wie empfinde ich denn jetzt diese Musikalität?

00:42:02: Wie empfinde ich dieses gezeigte Technische, können den Ausdruck

00:42:05: Phrasierungen, Zusammenspielen mit Klavier, vielleicht auch den

00:42:08: Umgang mit Fehlern.

00:42:09: Also Fehlermanagement finde ich auch immer toll, wenn da jemand

00:42:12: was zeigt auf der Bühne.

00:42:14: Ja, und die ganze Umsetzung des Werks.

00:42:16: Und ich finde das wahnsinnig spannend.

00:42:18: Ich habe den Eindruck, ich juriere besser, wenn ich nicht hinschaue,

00:42:21: weil ich sehe dann mehr und ich bin, ich bin fairer.

00:42:25: Entschuldige, wenn ich das kurz aufgreifen kann, Kristin,

00:42:28: was ich jetzt raushöre, wenn ich dich höre, ist

00:42:31: das Bewusstsein von dir, dass du weißt, meine Wahrnehmung

00:42:35: ist womöglich getrügt durch mein, zum Beispiel,

00:42:38: meinen visuellen Eindruck.

00:42:39: Ja, ganz genau.

00:42:40: Ich will so fair wie irgendwie möglich sein.

00:42:42: Ja, und deswegen mache ich diese Maßnahme.

00:42:45: Genau.

00:42:46: Und was ich, was ich auch mal machen würde, wäre,

00:42:50: dass diese quasi selbstkritische Haltung, dass man weiß,

00:42:54: ich könnte Vorurteile haben.

00:42:57: Also das ist etwas, was, glaube ich, viele Menschen nicht wissen,

00:43:02: nicht gedacht haben.

00:43:05: Sie denken, sie urteilen fair.

00:43:07: Sie denken, ich sehe die Musikalität, die ist sichtbar.

00:43:11: Und sie merken gar nicht, dass sie gerade mit Vorurteilen operieren.

00:43:15: Ein Beispiel, das mir sehr häufig begegnet

00:43:17: an Musikhochschulen, ich, dadurch, dass ich Migrantin bin,

00:43:20: ich bin jemand, der mit Antennen Migranten sehr ansprechen.

00:43:23: Ja, ich bin wie ein Magnet für diese Dinge,

00:43:25: bei Menschen die sich mit mir identifizieren

00:43:27: und mir diese Geschichten erzählen.

00:43:29: Ein Beispiel, das mir sehr, sehr häufig begegnet,

00:43:31: ist ein Beispiel von Studierenden,

00:43:33: vor allem von weiblichen Studentinnen aus Korea, aus Japan.

00:43:38: Diese Studentinnen werden oft in Hochschulen wahrgenommen,

00:43:42: als die sind ja total still, die wollen,

00:43:46: ich sind zum Beispiel nicht so ausdrucksstark,

00:43:48: die wollen keinen Widerstand, die zeigen keinen Widerstand.

00:43:51: Ich zum Beispiel in Seminaren, viele von ihnen haben einfach die Schwierigkeit,

00:43:57: dass sie nicht zum Beispiel so schnell reagieren beim Sprechen,

00:44:00: beispielsweise als deutsche Studenten, die das als Muttersprache haben.

00:44:03: Und dann denken die, manche Lehrkräfte,

00:44:06: die haben ja nichts zu sagen oder die sind nicht so reflektiert wie andere.

00:44:10: Und diese Erfahrungen machen wahnsinnig viele Frauen aus Korea und Japan.

00:44:15: Und dann kommen sie in eine Wettbewerbssituation,

00:44:18: in etwas, das für ihre Karriere sehr wichtig wäre,

00:44:20: und jemand denkt nicht, ich nehme sie durch meine Vorteile so wahr,

00:44:26: sondern dieser Prüfer, dieser Juror, diese Person,

00:44:29: denkt, die ist nicht so talentiert oder nicht so begabt wie jemand anderer.

00:44:34: Und die Person weiß gar nicht, dass sie jetzt gerade mit Vorurteilen operiert.

00:44:38: Und das ist, glaube ich, etwas, was mir sehr wichtig ist,

00:44:41: und wir über dieses Thema "IGP für alle" sprechen,

00:44:44: von einer inklusiven Hochschule,

00:44:46: eine inklusive Hochschule, ist eine Hochschule,

00:44:49: die darüber nachdenkt, mit welchen Vorurteilen sie operiert.

00:44:53: Und die systemisch die Maßnahmen setzt, um Lehrkräfte,

00:44:58: um Prüfer, um Juroren, um darauf zu sensibilisieren,

00:45:03: dass sie immer Vorurteile haben und dass diese Vorurteile wirksam

00:45:08: und problematisch sind und dass man permanent nachdenken muss,

00:45:12: was inwiefern prägt meine Machtpositionen und Vorurteile

00:45:17: die Situation, die ich jetzt gestalten will.

00:45:19: Das ist eine Frage der Verantwortung.

00:45:21: Aber müssten wir dann nicht die Aufnahmeprüfung völlig anders gestalten,

00:45:25: dass man vielleicht sagt, man macht den klassischen Teil,

00:45:28: so wie wir es jetzt machen,

00:45:29: und versuchen aber diese Vorurteile aktiv abzubauen,

00:45:32: aber wir ergänzen das vielleicht um so eine Art Probezeit,

00:45:35: vielleicht ein Probe-Semester,

00:45:37: wo alle die Studierenden, die das gerne wollen,

00:45:39: wirklich dann auch ein Probe-Semester an der Hochschule machen können,

00:45:43: dass die Professor*innen die Gelegenheit haben,

00:45:45: diese jungen Menschen kennenzulernen,

00:45:46: aber auch die jungen Menschen ihrerseits die Gelegenheit haben,

00:45:49: in die Hochschule reinzuschnuppern,

00:45:50: denn vielfach merkt man ja auch, wenn man an eine Hochschule kommt,

00:45:53: okay, ich bin jetzt zwar drin,

00:45:54: aber das ist jetzt glaube ich eigentlich gar nicht so der Ort,

00:45:56: wo ich mir das Wissen abholen kann,

00:45:59: was ich dann später auch in meinem Beruf brauchen kann,

00:46:02: was ich umsetzen möchte.

00:46:04: Ja, unbedingt.

00:46:06: Also ich wollte noch zwei Sachen zu dem,

00:46:09: was du gesagt hast, sagen und dann gerne darauf eingehen,

00:46:12: wie sich Aufnahmeprüfungen da verändern könnten.

00:46:15: Vielleicht ganz konkret zu dem,

00:46:17: müsste man da nicht so was wie eine Probephase haben.

00:46:20: Ja, du sagst, die wissen auch nicht,

00:46:24: also man merkt dann auch als Student, ob man passt.

00:46:27: Also die Kölner Dekanin zum Beispiel im Jazz-Departement,

00:46:31: die schreibt, dass sie mit allen Studierenden Gespräche führt,

00:46:37: einfach um die Passung festzustellen zwischen Hochschule und Studierende.

00:46:41: Und ich weiß auch vom ehemaligen Rektor der Guildhouse School,

00:46:44: der hat Stunden verbracht,

00:46:46: um Gespräche mit Aufnahmebewerber*innen zu führen, um zu schauen.

00:46:50: Ja, das fand ich nämlich den springenden Punkt,

00:46:52: an dem was du vorhin gesagt hast, du hast gesagt,

00:46:55: da hat jemand gefehlt und es gab Zeit.

00:46:58: Und dieses Stichwort Zeit ist doch das, was wir uns nie nehmen.

00:47:02: Wir wollen immer, dass möglichst alle schnell drin sind

00:47:05: und möglichst alle schnell durchstudieren.

00:47:07: Wenn du ein Urlaubsemester haben willst,

00:47:09: ganz gleich aus welchen Gründen ist das häufiger mal ein Problem.

00:47:12: Du musst schnell raus und schnell in den Beruf

00:47:14: und alles muss immer nur schneller.

00:47:16: Aber ich meine, wenn wir uns jetzt die Zeit nehmen würden,

00:47:18: dass es wirklich passt,

00:47:20: hätten dann nicht alle Seiten viel, viel mehr davon?

00:47:22: Ja, weißt du, klar, auf jeden Fall.

00:47:25: Und ich glaube, vor der Zeit müssen wir auch noch mal

00:47:27: ein Bewusstsein verändern.

00:47:29: Also ich habe zum Beispiel in meinen Gesprächen,

00:47:31: habe ich dann nach Kriterien gefragt.

00:47:33: Also wenn es um Persönlichkeit geht von den Bewerber*innen

00:47:37: und nach welchen Kriterien die beurteilt werden.

00:47:40: Und da habe ich ganz viel, wurde mir gesagt, das spüre ich.

00:47:43: Ich habe so viel Erfahrung.

00:47:45: Ich sehe das nach drei Minuten.

00:47:47: Und ich glaube, wir wissen alle, was die Kolleg*innen meinen.

00:47:51: Wir kennen das alle.

00:47:53: Das sieht man schon, sozusagen, sofort.

00:47:55: Und das Problem ist ja, dass das Gespür,

00:47:58: was da funktioniert oder vielleicht auch nicht funktioniert,

00:48:01: wirklich wieder nur auf den eigenen Habitus sozusagen aufgebaut ist.

00:48:06: Und eben genau da wieder so ein Bewusstsein,

00:48:08: wie Natalia schon gesagt hat,

00:48:10: erst einmal geschaffen werden muss und reflektiert,

00:48:13: Herangehensweise,

00:48:15: dass man eben tatsächlich Kriterien entwickelt,

00:48:19: die dann auch tatsächlich eher neutral sind.

00:48:21: Zu deinem Beispiel, dass du nicht hinschaust,

00:48:24: gibt es ein schönes Experiment aus den 90er Jahren

00:48:27: von Ernst-Klaus Behne, der hingeschaut hat.

00:48:30: Und zwar hat der seinen Studierenden zwei Videos gezeigt,

00:48:36: auf dem einmal im ersten ein europäischer weißer Mann

00:48:41: mit wallendem Haar Brahms spielt, Klavier spielt,

00:48:45: und auf dem anderen Video spielt ein asiatischer Jungpianist

00:48:52: mit eher akkuraten Bewegungen, genau denselben Brahms

00:48:56: und er fragte danach seine Studierenden,

00:48:58: wer ausdrucksvoller gespielt habe.

00:49:00: Und die Studierenden haben für den europäischen weißen Mann

00:49:06: mit ausdrucksvollen Bewegungen votiert.

00:49:09: Und jetzt ist klar, die Tonspur war natürlich dieselbe.

00:49:12: Also, aber nicht nur das, sondern der Ernst-Klaus Behne

00:49:19: hat, also dieser weiße europäische Mann konnte gar nicht Klavier spielen,

00:49:24: sondern der Ernst-Klaus Behne hat sich einfach eine Perücke aufgesetzt

00:49:27: und das selbst gemimt.

00:49:28: Und da kann man sehen, wie dominant diese Vorurteile

00:49:33: und wie dominant auch das Schauen auf diese Bewegungen war,

00:49:38: um die Studierenden zu diesem Urteil kommen zu lassen.

00:49:41: Also, insofern du hast quasi genau das Umgedrehte gemacht.

00:49:45: Das wird in der Aufnahmeprüfung nicht gehen,

00:49:48: aber dass man da ein Bewusstsein dafür schafft

00:49:51: und dass man da auch durch Kommissionen, die wirklich vielseitig,

00:49:57: vielfältig besetzt sind und die vielleicht auch jemand Externen

00:50:01: dabei haben, denn auch im System ergeben sich dann ja immer

00:50:05: bestimmte Konstellationen, die auch, ja, denen es gut tut,

00:50:09: wenn auch noch jemand extern dazu kommt, ist natürlich allerdings was,

00:50:13: was viel Zeit, Ressourcen und Organisation bedeutet.

00:50:19: Aber es wäre doch zum Beispiel denkbar, eine Studierenden-Jury

00:50:23: mit reinzusetzen, die sehr divers besetzt ist oder so divers wie es

00:50:27: irgendwie in dieser Hochschule möglich ist, ne?

00:50:29: Und die dann die Kommission berät.

00:50:31: Ja, oder die sich mit der Kommission berät.

00:50:35: Ja, solche Experimente gibt's auch zum Teil an Musikhochschulen.

00:50:39: Ich würde ein paar Dinge erwähnen, bevor ich weiter mache.

00:50:43: Du hast vorher über das Thema Zeit gesprochen und es gibt tatsächlich

00:50:47: ganz viele rein pragmatische Hürden, die leicht zu lösen wären,

00:50:51: sag ich mal, so was wie mehr Zeit nehmen in der Aufnahmeprüfung,

00:50:56: zum Beispiel, dass was Bianka genannt hat vorhin,

00:50:59: dass man die Möglichkeit hat, vielleicht etwas anderes dazu zu spielen

00:51:02: über die drei Werke der drei Epochen.

00:51:04: Die sind praktische Maßnahmen, die schon fast absurderweise nicht umgesetzt sind,

00:51:10: weil sie recht leicht umzusetzen wären.

00:51:13: Es gibt ja eine weitere Ebene, die aus meiner Sicht viel komplexer ist

00:51:18: und viel schwieriger anzugehen ist, nämlich, was man nicht sieht, sieht man nicht.

00:51:23: Also, wenn du dir mehr Zeit nimmst und die Kommission versucht,

00:51:27: vorurteilsfrei, oder versucht, sich mehr Zeit zu nehmen,

00:51:30: die Kommission merkt nicht, was sie nicht merkt.

00:51:33: Sie hat diese Brille nicht.

00:51:35: Und da finde ich diese zwei Stichwörter der Differenzsensibilität

00:51:40: und der machtkritischen Haltung zentral,

00:51:44: weil es geht nicht nur darum, dass die Menschen mehr Zeit haben,

00:51:48: dass die Menschen sich bewusst machen, dass sie besser agieren,

00:51:51: sondern dass es irgendwelche Maßnahmen gibt,

00:51:55: die systematisch dafür sorgen, dass Menschen sich bewusst machen,

00:52:01: mit welchen Vorurteilen sie operieren,

00:52:04: oder die Menschen, die eine Art Regulativ sind für diese Dinge.

00:52:08: In Musikhochschulen sind oft zum Beispiel die Gleichbehandlungspersonen,

00:52:12: die Menschen, die für Gleichbehandlung agieren,

00:52:14: die sind oft genau dieses Regulativ, die eine Kommission machen kann:

00:52:17: Achtung Freunde, ihr seid alle Männer, nur zu Erinnerung.

00:52:22: Achtung Freunde, hier gibt es niemand mit Migrationshintergrund.

00:52:27: Das kann man durch Personal schaffen, so wie du gesagt hast,

00:52:32: dass man Diversität in die Kommission bringt,

00:52:35: dass man Personen in diese Positionen reinbringt.

00:52:38: Man muss aber schon dazu sagen, dass diese Personen es manchmal sehr schwer haben.

00:52:43: Es gibt diese schöne Begriff des Tokenismus.

00:52:47: Das ist ein Begriff aus Amerika, aus der Soziologie,

00:52:51: der mittlerweile ganz gut untersucht ist,

00:52:54: nämlich Institutionen neigen dazu,

00:52:57: irgendeine Form von Quoten zu legen von den Diversen.

00:53:02: Die haben immer ein inklusives Ensemble,

00:53:05: und wenn sie zeigen müssen, wie inklusiv sie sind,

00:53:07: dann zeigen sie ihr inklusives Ensemble, das ist in der Website.

00:53:10: Oder in einer Kommission kann man sagen, ja, die ist paritätisch besetzt.

00:53:13: Wir haben hier so viele Frauen und so weiter.

00:53:16: Das ist wie die Schule, die so inklusiv ist,

00:53:19: weil sie das eine Kind im Rollstuhl immer in die erste Reihe rollen zum Foto.

00:53:22: Genau.

00:53:24: Wo man auch denkt, nein, warum steht das Kind nicht mittendrin

00:53:27: mit seinem Rollstuhl, wie alle anderen Kinder auch?

00:53:29: Warum muss man das immer so in die Mitte stellen?

00:53:31: Genau. Und das ist eben das Problem, dass man eine Institution,

00:53:35: es ist ein historischen Prozess,

00:53:37: und man muss einfach auch immer schauen, wie stärke ich die Personen, die in diese Position kommen,

00:53:42: dass sie nicht ein bisschen das Feigenblatt der Inklusion sind.

00:53:45: In der Institution.

00:53:47: Und auch, dass sie nicht mit Verantwortung und mit Lasten umgehen müssen,

00:53:53: dass quasi die ganze Last der Inklusion

00:53:55: dieser Institution auf der Schulter von den drei Personen,

00:53:58: die divers sind in dieser Institution, hängt.

00:54:01: Weil sonst sind diese Personen wahnsinnig belastet.

00:54:04: Und das ist etwas, was ich im Symposium sehr deutlich gesprochen habe,

00:54:09: dass Menschen, die in diesen Minderheitspositionen sind

00:54:14: in der Institution haben oft unglaublich viel persönliche Einsatz.

00:54:19: Wenn man eine, das Inklusionsensemble der Hochschule leitet,

00:54:24: kann man sicher davon ausgehen, dass es schwierig sein wird,

00:54:27: zum Beispiel das große Konzertsaal für dieses Konzert zu kriegen,

00:54:30: weil da das Orchester auftritt und nicht das Inlusionsensemble.

00:54:32: Man muss oft, also diese, aber wenn zum Beispiel so ein Inklusionsensemble,

00:54:40: wenn irgendeine politische Aktion ist,

00:54:42: dann wird die Institution sofort das Inklusionsensemble nach vorne schieben,

00:54:46: damit das sichtbar ist.

00:54:48: Und das ist eben eine sehr problematische,

00:54:51: das ist etwas, was man mit Tokenismus bezeichnet,

00:54:53: so dieses Zeichen, dass wir divers sind,

00:54:56: damit wir nicht divers werden müssen,

00:54:58: weil wir die eine Person haben, die divers ist.

00:55:01: Und das ist etwas, was ich gerade in Musikhochschulen auch aus dem Grunde

00:55:06: beobachte, weil man muss sich auch vorstellen, Musikhochschulen haben

00:55:11: auch wirklich ganz offiziell die gesellschaftliche Aufgabe, exzellent zu sein.

00:55:15: Die sollen Exzellentes vornehmen,

00:55:17: also man spricht von der künstlichen Exzellenz, von der künstlerischen Leistung,

00:55:21: von der Spitzenleistung.

00:55:23: Und das heißt, es ist tatsächlich sehr schwierig,

00:55:25: eine Institution, die quasi von der DNA einen Exklusivitätsanspruch hat,

00:55:31: auf einmal inklusiv zu sein.

00:55:33: Das ist quasi ein Widerspruch im Kopf.

00:55:35: Ja, die Kathrin Fabian, die versucht ja,

00:55:38: das mit dem Begriff der individuellen Exzellenz ein bisschen einzuführen,

00:55:44: quasi, dass es eben tatsächlich darum geht, individuell zu schauen,

00:55:49: was jeder an Exzellenz aber auf seinen eigenen,

00:55:54: auf seine eigene Person bezogen leisten kann.

00:55:58: Und ich habe in meiner Universität mit diesem Begriff ein bisschen,

00:56:03: den ein bisschen ins Spiel gebracht und erstaunlich viele Kolleg*innen konnten

00:56:09: damit viel anfangen und konnten weggehen in ihrem Nachdenken

00:56:14: von diesem Exzellenzbegriff, den sie mitgebracht haben

00:56:19: und den sie bis dahin quasi von außen auf ihre Studierenden geworfen haben,

00:56:25: sondern fangen an...

00:56:26: Und wir haben sogar im Leitbild wird es jetzt diskutiert,

00:56:30: ob es da vielleicht irgendwie eine Rolle spielen soll,

00:56:33: dass es tatsächlich darum geht, dass jeder, jede Person

00:56:36: in ihrer Individualität Exzellenz erreichen soll.

00:56:41: Das waren wirklich viele hochspannende Gedanken,

00:56:44: die dieses Gespräch für mich bereitgehalten hat.

00:56:47: Und ich kann euch wirklich sehr empfehlen,

00:56:49: mal in die Dokumentation reinzuklicken,

00:56:51: die ihr in den Shownotes verlinkt findet.

00:56:53: Ich nehme aus diesem Gespräch mit Bianka Wüstehube

00:56:56: und Natalia Ardila-Mantilla mit,

00:56:58: dass es manchmal gut sein kann,

00:57:00: bei Systemen einen Schritt zurückzutreten und genau zu schauen,

00:57:03: ob das, was wir dort seit Jahrzehnten machen,

00:57:06: wirklich noch mit unseren Zielen im Jahr 2025

00:57:09: and Beyond vereinbar ist.

00:57:11: Wenn ihr eine voll motiviert Podcast-Folge

00:57:14: mit dem Schwerpunkt Inklusion sucht,

00:57:16: dann hört doch mal rein in die wirklich hochspannende Folge Nummer 41:

00:57:20: "Inklusion in der Musikschule –

00:57:22: Diversität als Ressource für einen motivierenden Musikschulalltag".

00:57:26: Hier geht es nicht nur um den Unterricht für Menschen mit Behinderung,

00:57:29: sondern mit Juliane Gerland, Rainer Buschmann und Robert Wagner

00:57:32: spreche ich auch über Personen,

00:57:34: die bisher noch kein Zuhause in der Musikschule gefunden haben,

00:57:37: z.B. Menschen mit Migrationshintergrund,

00:57:40: aus bildungsfernen Schichten oder auch im höheren Lebensalter.

00:57:43: Auch diese Folge findet ihr in den Shownotes verlinkt

00:57:46: und wie immer überall, wo es Podcasts gibt.

00:57:50: [Musik]