Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

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#46 Karolin Schmitt-Weidmann: Pädagogisch-künstlerische Exzellenz

Kristin Thielemann: Letzte Woche in meinem Unterrichtszimmer. Die Tür fliegt auf und mit wilden Haaren rauscht Nick, mein 10-jähriger Trompetenschüler, rein; sein Naruto-Comic in der Hand. Ein Wortsturm, Der Junge kaum zu bremsen: «Mega! Naruto! Krissi, Kennst du das? Ich bin schon in Band drei. Ich kann das Ding gar nicht mehr aus der Hand legen. Und vor allem ich konnte nicht üben, weil…» und hält mir seinen Comic entgegen. Und jetzt? Wie hättet ihr reagiert? Wie kann ich es schaffen, dass Nick seine Begeisterung für Naruto Comics aufs Musikmachen überträgt? Oder ein bisschen geschliffener ausgedrückt Was wäre denn hier künstlerisch-pädagogisch exzellent? Um das Thema künstlerisch-pädagogische Exzellenz geht es in der heutigen Podcast-Folge mit Karolin Schmitt-Weidmann, Professorin für Musikpädagogik an der Stuttgarter Hochschule. Und meine Lösung für Naruto-Comics in der Unterrichtspraxis, die erfahrt ihr natürlich auch noch. Viel Spaß beim Anhören von «Voll motiviert» – Folge 46.

Intro: «Voll motiviert» – der Musikpädagogik-Podcast von Schott Music, dem Verband deutscher Musikschulen und Kristin Thielemann.

Kristin Thielemann: Hallo und herzlich willkommen bei «Voll motiviert». Vielen, vielen Dank, dass ihr die Gelegenheit zum Mitmachen genutzt habt und uns nach dem Musikpädagogischen Quartett zum «Thema Hausaufgaben und Üben daheim» geschrieben habt. Es kam so einiges an Feedback, aber auch viele Audiodateien für die Publikumsfolge waren dabei, die gerade zu diesem Thema entsteht. Weil ich von vielen von euch gehört habe, aber es auch bei mir selbst merke, dass das «Thema Hausaufgaben und Üben daheim» natürlich super spannend ist, weil das Reflektieren, das Hinterfragen, das Kennenlernen von anderen Konzepten unseren Unterricht nochmal ganz gewaltig nach vorne bringen, soll es gleich weitergehen mit dieser Richtung. Und zwar geht es heute um das Stichwort künstlerisch-pädagogische Exzellenz. Als Gesprächspartnerin habe ich hier Karolin Schmitt-Weidmann eingeladen. Sie ist Querflötistin und seit Oktober 2023 Professorin für Musikpädagogik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Und hier kommt sie. Hallo Karolin, danke, dass du dabei bist.

Karolin Schmitt-Weidmann: Hallo Kristin, vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich sehr.

Kristin Thielemann: Künstlerisch-pädagogische Exzellenz, das klingt nach einem echt erstrebenswerten Ziel für uns alle, die wir unterrichten. Aber bevor wir so richtig einsteigen, wie wir zu dieser Exzellenz kommen, würde ich gerne erstmal diesen Begriff mit Inhalt füllen. Was ist denn künstlerisch-pädagogische Exzellenz eigentlich?

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, das ist natürlich ein ganz großer Begriff. Und ich habe irgendwie, je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr habe ich das Gefühl, dass man eigentlich nie zu einer allumfassenden Definition kommen kann. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so sehr das Wichtige. Ich habe eher das Gefühl, das Wichtige ist eigentlich, dass man sich die Frage jeden Tag neu stellt und dass man sich eigentlich jederzeit auf wie auf so einer Art Suche befindet nach Antworten darauf, was das eigentlich für einen selbst bedeutet. Und aktuell denke ich viel über diese drei Basic Needs nach Deci und Ryan nach und überlege, ob die mir vielleicht helfen, näher an diese Antworten heranzukommen, weil die ja auch in sich so flexibel sind und andererseits aber auch eine Herausforderung mit sich bringen. Also das sind ja die drei Koordinaten Verbundenheit, Autonomie und Kompetenz. Aber was bedeuten die jetzt auch eigentlich schon wieder? Da kann man auch schon lange jetzt wieder über diese einzelnen Begriffe in dieser drei Basic Needs nachdenken. Also Verbundenheit. Es gibt ja dieses schöne Zitat Ich weiß nicht, ob du das kennst Kristin, von Jean Paul: «Alles Lehren ist mehr wärmen als säen.»

Kristin Thielemann: Das ist echt toll. Ja.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ist ja sehr bekannt. Ich finde das auch so wunderbar und das fällt mir irgendwie immer ein zu diesem Begriff der Verbundenheit. Aber andererseits ploppt ja auch dieses große Thema von Nähe und Distanz auf, was ja aktuell und schon seit längerem auch sehr diskutiert wird. Und deswegen ist da auch ein Mehr nicht gleich ein Mehr, sondern es muss irgendwie auch sehr, ähm, ja immer wieder neu vielleicht auch über dieses Spannungsfeld nachgedacht werden und über diesen Begriff der Verbundenheit und des Verbundenseins, was der eigentlich für die jeweilige Lehrende-Lernende-Beziehung ausmacht. Das, ja, das grundnächste Grundbedürfnis wird ja mit Autonomie betitelt. Wir sind ja eigentlich bestrebt, irgendwie auch die Selbststeuerungsfähigkeiten zu fördern, aber andererseits gibt es ja, bringt dieser Autonomiebegriff ja auch wiederum irgendwie so ein Spannungsfeld mit sich und Herausforderungen dahingehend, dass wir uns auch die Frage stellen müssen in jeder Stunde: Wie viel Freiheit erlaube ich und wie viel Wildheit ertrage ich vielleicht auch? Und wo ist es vielleicht auch, an welcher Stelle auch da ein Zuviel oder Zuwenig in diesem großen Spannungsfeld zwischen verschiedenen Polen usw. Und bei dem dritten Punkt die Kompetenz, da fällt mir immer dieses Bild von dem Eisberg ein. Man sagt ja, Kompetenz zeigt sich eigentlich in der Performanz und nur in der Performanz. Also das ist ja die Spitze des Eisbergs. Eigentlich In jedem Moment, wo Schüler, Schülerinnen bei uns im Unterricht eigentlich etwas zeigen, ist das ja nur das, was sie in dem Moment an Performanz eben anbieten. Und die Kompetenz, die liegt ja viel tiefer und die wird ja gar nicht sichtbar in ihrer Gesamtheit und ist vielleicht den Lernenden auch nicht in jedem Moment bewusst. Und es hat mal ein UNESCO-Forscher so einen wunderbaren Titel, also ein Buch mit einem wunderbaren Titel geschrieben, das heißt «The Treasure Within», also «Der Schatz in uns».

Kristin Thielemann: Ich nehme den Link dazu in die Shownotes.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, mach das unbedingt. Ich glaube, dieser, dieser Schatz in uns, der liegt wirklich in tieferen Schichten, wenn wir noch mal zu diesem Bild des Eisbergs zurückkommen und wird auch nicht unbedingt sichtbar, ist auch nicht sichtbar. Ist vielleicht für den Schüler auch nicht bewusst für die Schülerin. Und irgendwie habe ich so das Gefühl, wir haben ja die Schüler und Schülerinnen auch oftmals nur einen sehr begrenzten Zeitraum in der gesamten Lebensspanne, eigentlich bei uns im Unterricht und in dem Moment, wo wir es vielleicht schaffen, mit ihnen den Weg so zu gestalten, dass sie ihrem Schatz in sich vielleicht ein bisschen näher kommen und diesen Weg irgendwie gemeinsam, also sich auf die Suche zu begeben, also das würde ich aktuell so sagen, ist so eine wesentliche Facette für mich von Exzellenz vielleicht.

Kristin Thielemann: Begrenzter Zeitraum. Ja, da gebe ich dir recht. Aber ich empfinde es als unschätzbaren Vorteil, mit diesen 1:1-Situationen, die wir auch vielfach haben. Da kann man doch schon enorm viel bewegen. Und das heißt ja auch immer so schön entwickeln, also ent-wickeln, etwas auswickeln, was eigentlich schon vorhanden ist. Ja, da versuche ich immer, jeden Schüler, jede Schülerin als Schatz zu sehen und bei der Entwicklung und dieser Schatzsuche dann auch zu helfen.

Karolin Schmitt-Weidmann: Genau wo wir wieder bei den Selbststeuerungsfähigkeiten sind usw. Also ich habe so das Gefühl, dass diese drei Koordinaten Verbundenheit, Kompetenz, Autonomie, ich stelle mir das irgendwie so vor wie so ein Schaltkreis, wo man die einzelnen Eckpunkte irgendwie so mit Energie auflädt und versucht, so einen Energiefluss herzustellen. Und ich glaube, wenn einem das gelingt im Unterricht, dann kann man sehr dazu beitragen, sich irgendwie diesem Schatz zu nähern. Vielleicht.

Kristin Thielemann: Ja, das ist auch genau das, was ich bei «Voll motiviert» mache, diese Eckpunkte mal abzugrasen und mit Inhalten zu füllen und zu schauen, was findet denn davon gerade statt und was findet nicht statt? Wo könnten wir unterstützen und wo müssen wir uns einfach nur zurückhalten und das Gras wachsen lassen und vielleicht hin und wieder ein bisschen gießen? Jetzt steht aber bei diesem Begriff künstlerisch-pädagogisch… da steht… das ist ja eine Wortkombination. Bedeutet das eigentlich, dass ich sowohl künstlerisch als auch pädagogisch hervorragend sein sollte? Oder bedeutet das einfach nur, dass sich die Pädagogik so beherrschen sollte, dass sie für sich genommene Kunst ist?

Karolin Schmitt-Weidmann: Ach, ich glaube, man kann das überhaupt gar nicht trennen. Ich versuche das auch nie zu trennen, weil, ich weiß nicht auch aus welchem Grund man es trennen sollen wollte. Es ist für mich eigentlich zu jeder Zeit immer eine Einheit, das als Einheit zu denken. Wenn wir das Künstlerische aus dem Pädagogischen raus… versuchen rauszudeklinieren, dann reißen wir eigentlich das Herz irgendwie so ein bisschen auch aus der Musizierpädagogik, habe ich so das Gefühl und deswegen gehört für mich das auch immer zusammen. Die meisten Künstler, Künstlerinnen unterrichten ja auch und sind sich vielleicht auch gar nicht bewusst, dass diese Einheit eigentlich doch für fast alle von uns eigentlich eine sehr wesentliche Verbindung eingeht.

Kristin Thielemann: Hast du recht, aber wenn das so eine Einheit ist mit dem Künstlerischen und Pädagogischen, dann muss man sich doch wirklich fragen, warum man an vielen Hochschulen das künstlerische Hauptfach auch völlig ohne jede Pädagogikkomponente studieren kann. Da wird dann ins Feld geführt so ein künstlerisches Hauptfach, das würde halt wahnsinnig viel mehr Zeit benötigen. Die Studierenden bräuchten da ihre Übezeit. Aber wenn man das pädagogisch nicht trennen kann von dem künstlerischen, dann dürfte das eigentlich auch bei einem Studium nicht rausfallen.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, ich glaube, es ist die große Sorge, dass die Fächer, die da hinzukommen, zu viel Zeit von dem eigentlichen Üben wegnehmen. Aber das hat In welchem Podcast wurde das gesagt? Ich glaube bei Ulrich Mahlert.

Kristin Thielemann: Folge 40 mit Uli Mahlert.

Karolin Schmitt-Weidmann: Der gesagt hat mit Bezug auf Chopin, dass wirklich auch die großen Künstler wie unter anderem Chopin, viele andere auch auch gesagt haben, dass es eigentlich auch ja nicht darum geht, so viel wie möglich zu üben und am Instrument zu sein, sondern dass man sich als KünstlerInnenpersönlichkeit auch gerade in den Momenten weiterentwickelt, wo man sich mit anderen Dingen beschäftigt.

Kristin Thielemann: Das ist nämlich der Punkt. Wir benötigen alle diese Muße und diese Erlebnisse außerhalb unseres Übens ganz dringend, um mit unserer Kunst auch überhaupt was aussagen zu können. Man sieht das ja auch jetzt an den Werbeauftritten von Orchestern, die die Gesichter in ihren Reihen viel stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken und versuchen wahrnehmbar zu machen. Oder auch an Menschen wie Igor Levit. Man war früher und man ist heute noch viel weniger einfach in Anführungszeichen nur Künstler oder Künstlerin, sondern da ist immer auch eine größere Message, die wir einfach mit unserer Kunst vermitteln.

Karolin Schmitt-Weidmann: Genau. Und wenn man sich mit pädagogischen Fragestellungen auseinandersetzt oder mit allen mit dem ganzen Facettenreichtum, das ist ja auch ein sehr transdisziplinäres Feld. Da ist man ja auch sehr schnell in philosophischen Fragestellungen, in soziologischen, in historischen, in allen möglichen Facetten ist man ja da unterwegs. Und letztendlich betrifft das auch immer die Kunst und uns als Künstler und Künstlerinnen. Und auch da verstehe ich gar nicht, dass man das so trennt und irgendwie sagt, man ist… kommt am meisten weiter, wenn man ganz viel übt und sich ganz viel Zeit nimmt. Die braucht man natürlich auch, um die technischen Fertigkeiten zu lernen. Aber das, was eigentlich die KünstlerInnenpersönlichkeit am Ende ausmacht, das sind doch die Fragestellungen, die man sich so rundherum stellt und damit in Verbindung setzt. Und auch der Moment, wo man aufhört, Dinge zu trennen, habe ich so das Gefühl.

Kristin Thielemann: Aber jetzt klingt das in meinen Ohren ja ganz schön kompliziert. Wenn ich jetzt junger Mensch bin und ich möchte, ich möchte wirklich Musikpädagogik studieren, dann sehe ich: Wow, ich muss künstlerisch exzellent werden. Ich muss pädagogisch exzellent werden. Ist das nicht vielleicht ein bisschen viel? Wie komme ich denn zu einer hohen künstlerisch-pädagogischen Exzellenz überhaupt? Was ist drin in eurem Studium?

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, das ist auch natürlich eine große Frage. Ich glaube, es ist überhaupt erstmal die Fragen zu stellen, habe ich so das Gefühl. Es gibt auch so einen interessanten Titel von einem Aufsatz, den können wir auch gerne in den Shownotes verlinken. Also es ist eigentlich ein Zitat darin, dass es darum geht, im Bildungssystem nicht 1000 Antworten auf Fragen zu geben, die eigentlich nie gestellt worden sind…

Kristin Thielemann: Habe ich für dich schon notiert, Karolin.

Karolin Schmitt-Weidmann: …sondern erstmal von den Fragen auszugehen. Ich glaube, das ist eine wesentliche Facette von diesen ganzen Studienordnungen, nach denen du ja natürlich auch so ein bisschen auf die du abgezielt hast, vielleicht so was steckt drin im Studium und so, da könnte man jetzt auch sagen, Ja, wir haben die und die Fächer. Aber es geht ja auch darum, wie fülle ich die. Eigentlich und da ist es mir zum Beispiel sehr wichtig, erstmal von den Fragen auszugehen. Und das ist, so finde ich, der Inbegriff auch von einem Studium, dass man nicht Antworten liefert, die vielleicht für viele gar nicht relevant sind oder erst sehr viel später relevant werden, weil sie in dem Moment vielleicht noch gar nicht verstehen, wofür die das brauchen, sondern dass man die erstmal zu dem Punkt bringt: Jetzt stellt ihr doch mal die Fragen! Was bedeutet für euch denn eigentlich pädagogisch-künstlerische Exzellenz? Was benötigt ihr? Was möchtet ihr im Studium lernen? Wo möchtet ihr hin und was braucht ihr dazu?

Kristin Thielemann: Also ich finde das ganz wesentlich, dass immer erstmal die Frage nach dem Ziel gestellt wird. Also wo will ich denn eigentlich hin mit meinem Studium? Vielleicht auch: Warum will ich genau dahin? Ich meine, so ein Ziel, das kann man ja auch vielleicht ein bisschen nachjustieren im Laufe eines Studiums. Aber mal die Frage zu stellen: Was möchtest du können, wenn du eines Tages hier rausgehst? Ich meine, da gehören dann oder was möchtest du für deine Schüler sein, vielleicht auch. Und dann finde ich, kommt man auch sehr, sehr gut drauf, was ich eigentlich alles erlernen möchte im Studium. Und das sind ja nicht nur fachliche Dinge, sondern es ist ja auch eine Fähigkeit, sich was aneignen zu können. Das finde ich auch ganz wesentlich und es ist, finde ich, auch eine Haltung, die wir irgendwie im Studium erlernen. Nämlich die Haltung, dass wir neugierig sind auf Neues und dass wir bereit sind, uns zu wandeln, uns mit Herausforderungen auch zu beschäftigen.

Karolin Schmitt-Weidmann: Genau, das hast du eigentlich sehr schön gesagt. Und es ist ja natürlich auch ein Studium, was nicht auf das eine feste Berufsbild abzielt, sondern auch mal so zu überlegen, welche Berufsfelder sind eigentlich auch interessant, gerade in einer bestimmten Kombination? Und was benötige ich dafür um in dieser Kombination, die ich mir wünsche, jedenfalls aktuell wünsche, was benötige ich eigentlich dafür, um da irgendwie erfolgreich, zufrieden und glücklich zu werden und trotzdem die Flexibilität zu haben, jederzeit irgendwie noch mal diese bestimmten Kombinationen, dieses Portfolio, was ich ausgestalten möchte in und mit meiner eigenen KünstlerInnenpersönlichkeit oder pädagogischen KünstlerInnenpersönlichkeit? Ja, was, was benötige ich dafür und inwiefern möchte ich mir da auch noch eine Flexibilität eigentlich ja so behalten, die ich ein Leben lang vielleicht auch fülle und anders nochmal gestalte und diese Offenheit nochmal lebe.

Kristin Thielemann: Und ich finde, es gehört ja auch zu so einem Studium dazu, sich zu fragen nicht was brauchen wir heute und auch nicht, was brauchen wir morgen zum Unterrichten, sondern was brauchen vielleicht Musikschulen wirklich der Zukunft? Was brauchen Musikschulen von übermorgen oder von in zehn Jahren? Welche Bedürfnisse haben auch junge Menschen, die zu uns in die Schulen kommen?

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, genau, das ist ja ein großes Thema eigentlich für die Hochschulen. Weil, Hochschulen können zwar vielleicht zu einem gewissen Grad versuchen zu antizipieren, was übermorgen benötigt wird, aber sie sind nicht flexibel genug, so schnell die Studienordnungen zu ändern, dass man ständig darauf eigentlich sich einstellen kann.

Kristin Thielemann: Also ich möchte ja jetzt nicht jedem hier empfehlen, seine Studienordnung zu ändern, aber ich glaube, in der Zeit, die sich so schnell wandelt mit ihren Anforderungen an uns alle, sollte man doch da vielleicht ein bisschen agiler sein in den Anforderungen, oder nicht?

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, ja, die Systeme sind halt leider nicht so agil, weil da sind so viele Schritte zu vollziehen in so also durch so viele Gremien und Dinge einzuhalten. Ich habe ja diesen Prozess in Detmold so ein bisschen mit begleitet und war auch erstaunt, wie lange sich diese Prozesse ziehen. Das ist eigentlich auch erschreckend. Man kann natürlich die Frage stellen: Kann man die nicht ein bisschen verschlanken, ein bisschen beschleunigen? Aber letztendlich geht es in meiner Vorstellung eigentlich darum, in Studiengängen irgendwie auch so freie Gefäße anzubieten, die man eben auch ganz frei füllen kann, wo man die Studierenden auch partizipieren lassen kann in Bezug auf den Inhalt. Und in dem Moment, wo wir so freie Gefäße haben, die eigentlich nicht so stark definiert sind, weil es in Wahlbereichen oder in offenen Lehrveranstaltungen, die thematisch einfach nicht festgelegt sind, da kann ich eigentlich sehr agil reagieren auf die Wünsche von den Studierenden, auf aktuelle Themen und auch auf die Themen von vielleicht übermorgen, die auf uns zukommen.

Kristin Thielemann: Ja, man sieht das ja jetzt auch gerade an den Schulen, wie wie schwer die sich eigentlich tun mit dem, was die Künstliche Intelligenz beispielsweise für für uns alle und auch für das Lernen und für die Motivation bedeutet. Weil: Welche Motivation hast du denn, etwas zu lernen als junger Mensch? Wenn du weißt, eine Künstliche Intelligenz könnte das hundertfach besser, deutlich schneller und einfach mit wenigen Klicks. Was heißt, du müsstest im Grunde nur lernen, diese Maschine zu bedienen und zu bewerten, ob das Ergebnis, was jetzt aus dieser Künstlichen Intelligenz herauskam, ob das dem entspricht, was du dir vorgestellt hast.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja!

Kristin Thielemann: Finde ich auch eine Sache, die, wo man bei den Schulen jetzt merkt, die, die wissen, dass sie sich wandeln müssen, die wollen die Transformation. Aber ja, der Prozess dauert halt wirklich echt eine lange, lange Zeit. Vielleicht eine zu lange Zeit.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, da sind wir irgendwie auch schon wieder ein bisschen bei diesem Punkt der Fragen. In dem Moment, wo ich eigentlich keine Antwort darauf habe, warum es jetzt besser ist, gewisse Dinge zu lernen und zu verstehen, wenn es die KI auch kann, bringt es auch nichts, es komplett zu verbieten, weil dann werden die Schüler und Schülerinnen und auch die Studierenden immer Wege finden, doch irgendwie ist zum Einsatz zu bringen. Aber wir müssen eigentlich an diese Fragen ran. Warum ist es relevant Dinge zu lernen und warum ist es nicht gut, wenn wir es die KI machen lassen? Das sind eigentlich die Fragen, die dann entstehen müssen.

Kristin Thielemann: KI ist für mich auch heute einfach ein gutes Werkzeug, was wir bedienen können müssen. Ich meine, das geht ja sogar schon zur Schülerverwaltung oder zur Unterrichtsvorbereitung. Das hat ja echt enorm viele Vorteile.

Karolin Schmitt-Weidmann: Die KI, die kann man natürlich auch zum Lernen nutzen. Da gibt es eigentlich ja auch ganz nette Ideen, dass man zum Beispiel eine Persönlichkeit aus der Geschichte aussucht und der KI einfach sagt: Du bist jetzt Sokrates oder so und dann fange ich an, mit Sokrates eigentlich zu philosophieren. Wahrscheinlich geht das auch. Ich habe es noch nie probiert mit großen Komponisten der Musikgeschichte. Und dann geht es natürlich auch darum zu überlegen: Kann das eigentlich sein, was der Beethoven durch die KI mir da gerade antwortet? Oder sind da auch Fehler drin? Und an welcher Stelle sind die Fehler und wo kann es irgendwie auch nicht mehr sein?

Kristin Thielemann: Je nachdem wie alt das Kind ist. Aber das werde ich mal ausprobieren. Ich werde mal sagen, ich werde der KI sagen stell dir vor, du wärst Mozart und acht Jahre alt und hast ein Kind dir gegenübersitzen. Und jetzt stell dich doch bitte mal so dem Kind vor und fang an, mit dem Kind zu sprechen.

Karolin Schmitt-Weidmann: Genau. Und dann erzählst du mir, wie es gelaufen ist.

Kristin Thielemann: Ich bin gespannt.

Karolin Schmitt-Weidmann: Mein Mann hat das mal im Lateinunterricht gemacht, deswegen habe ich das Beispiel gerade mit Sokrates. Ich weiß gar nicht, ob Sokrates oder jemand anderes, aber…

Kristin Thielemann: Na, ich werde es gleich ausprobieren!

Karolin Schmitt-Weidmann: Genau.

Kristin Thielemann: Gestern, muss ich dir erzählen, habe ich ein Konzert gehört, was ein ehemaliger Schüler von mir dirigiert hat. Der ist jetzt so Anfang 20 und er steht vor einem Amateurorchester. Und auf den würde ja, ich habe gedacht, der muss dieses, ich muss es ihm schicken, dieses Zitat von Professor Dr. Wolf Müller Limmroth ist es glaube ich, über das wir kürzlich mal in einem Telefonat gesprochen haben. Ich lese das Zitat mal vor für alle Hörerinnen und Hörer. Warte. Ich habe das hier gerade auf dem Zettel. Also hier kommt es. «Wahrscheinlich gibt es nicht viele Berufe, an die die Gesellschaft so widersprüchliche Anforderungen stellt.» Wir kürzen ein bisschen. «Der Lehrer hat die Aufgabe, eine Wandergruppe mit Spitzensportlern und Behinderten bei Nebel durch unwegsames Gelände in nordsüdlicher Richtung zu führen.» Ja, das steht da wirklich. «Und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an drei verschiedenen Zielorten ankommen.» Also auf den ersten Blick scheint dieses Zitat ja ein schöner Gag zu sein. Aber mein Schüler, der war nach seinem Konzert gestern eben genau in diesem Zwiespalt und wollte von mir wissen: Hey, wie mache ich das denn? Ich fühle mich an manchen Tagen mit dieser Aufgabe in dem Orchester einfach nicht gewachsen. Weil, es gibt so unterschiedliche Ziele und es gibt so unterschiedliche Voraussetzungen und ich möchte ja auch gerne noch irgendwie Teil dieser Aufgabe sein. Und ich, Ich bin, ich bin überfordert. Jetzt mal Frage an dich: Ist von uns Musiklehrkräften eigentlich nur exzellent, wer in der Lage ist, in so einem Setting auch zu glänzen? Oder anders gefragt: Wie können wir noch besser werden beim Unterrichten? Wie können wir zu noch mehr Exzellenz beim Unterrichten kommen?

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, da spielen ja schon irgendwie zwei Facetten mit. Also einerseits befinden wir uns ja absolut in einer radikalen Leistungsgesellschaft, wo wir immer irgendwie auch so mitbekommen haben über unsere eigene Sozialisation, dass man… oder ständig so das Gefühl hat, einem Selbstoptimierungszwang zu unterliegen. Und das kommt ja in dem Zitat von, also in der Reaktion seines Schülers auch sehr stark zur Geltung. Also wir sehen irgendwie den Mensch so als permanente Baustelle, den man ständig optimieren müsste. Es ist auch eine sehr defizitorientierte Herangehensweise.

Kristin Thielemann: So eine gewisse Optimierung, Selbstoptimierung, Dazulernen, lebenslanges Lernen, das kann ja durchaus auch Spaß machen. Das kam ja auch raus bei diesen Basic Needs Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit, über die wir vorhin kurz gesprochen hatten.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja.

Kristin Thielemann: Und Kompetenz impliziert ja auch, dass ich mich immer weiterentwickle. Also ich finde es ja auch, das ist ja auch ein wesentlicher Eckpfeiler der Motivation, dass ich mich weiterentwickele. Aber wenn ich das Gefühl habe, ich komme mit diesem Setting nicht klar, ich kann mir in kniffligen Unterrichtssituationen nicht selbst helfen, dann fühle ich mich natürlich wenig kompetent. Da verstehe ich ihn schon.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, da wollte ich gerade auch auf diese... Den anderen Gedanken, den ich dazu hatte, ist, dass es eigentlich so viele verschiedene Dimensionen gibt von von Settings und wie ich mich in denen eigentlich aufhalte und verhalte. Also dieses, dieses Zitat von der Wandergruppe, das spricht ja eigentlich so diese Breite an, so, ich muss irgendwie ganz viele verschiedene Persönlichkeiten irgendwie bei Laune halten, zu einem gewissen Ziel führen. Da denkt man ja auch irgendwie vielleicht an so Klassenmusiziersettings weiter und in verschiedene. In welchen Settings man auch als Pädagoge oder Pädagogin eigentlich unterwegs ist und wie schnell man auch switchen muss von einem absoluten elementaren Klassenmusiziersetting zu vielleicht ein Schüler, eine Schülerin, die gerade auf einem ganz hohen Niveau auf «Jugend musiziert» vorbereitet wird und das manchmal in Windeseile sozusagen. Und das ist, sind auch so Spannungsfelder, die die Studierenden auch sehr viel beschäftigt, die auch sehr oft tatsächlich so diskutiert werden in den Lehrveranstaltungen. Was eigentlich für Anforderungen alle an die Studierenden gestellt werden und dass das auch so ein Gefühl der Überforderung zum Teil hervorruft. In diesen verschiedenen Settings irgendwie gut, ja, unterwegs zu sein, erfolgreich zu sein, zu glänzen, exzellent sein zu wollen usw. Und ich denke immer, das ist… sind verschiedene Dimensionen. Und eigentlich müssen wir uns vielleicht auch von diesem Gedanken ein bisschen verabschieden, dass wir immer zu jeder Zeit in allen Settings glänzen und exzellent sein müssen. Weil dann sehen wir irgendwie immer nur die Dinge, die wir nicht können. Die müssen wir natürlich auch sehen. Aber man hat natürlich auch irgendwie den Wunsch oder das Bedürfnis, auch sich mal eigentlich zu orientieren und mal zu sagen: So in den und den Bereichen, da bin ich wirklich gut breit aufgestellt. Das kann ich echt gut. In manchen Bereichen, da gehe ich eher in die Tiefe oder die Spitze, je nachdem, wie man das ja vom Bild her aufziehen möchte. Da kann ich mal eine Tiefenbohrung vornehmen, das möchte ich noch lernen. Damit beschäftige ich mich jetzt mal so im engeren Sinne, um vielleicht meine Improvisationskompetenzen weiter auszubauen, um da mal richtig fit zu werden oder vielleicht auch was ganz anderes mal richtig in der Tiefe zu betreiben, aber trotzdem die Breite nicht zu verlieren. Aber ohne diesen Anspruch zu haben, ständig überall super zu sein, sondern sich einfach zu orientieren. Das und das sind meine Schwerpunkte und das kann ich besonders gut und vielleicht auch mal so eine Ressourcenorientierung mit einfließen zu lassen. In dem Moment, wo ich mir einfach die Frage stelle: Was kann ich eigentlich besonders gut? Und nicht immer nur von der Frage ausgehen: Was kann ich eigentlich noch nicht? Beide Fragen sind wichtig, finde ich wichtig finde ich.

Kristin Thielemann: Ja, absolut. Also erstmal die Stärken zu stärken, aber überhaupt mal die komplette Landkarte zu sehen und zu sehen: «Okay, hier gibt es so viele Kontinente und ich war vielleicht auf diesem und auf jenem und ich habe diese und jenen Fähigkeiten mir angeeignet. Aber ich glaube, dass es echt herausfordernd ist, heute in der Hochschule auf einen Berufsalltag vorzubereiten, der ja wirklich auch so bunt und vielfältig ist.»

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja.

Kristin Thielemann: Und auch sein sollte und sein darf. Ich meine, du hattest es gerade schon erwähnt. Ich meine, wir sind vom Klassenmusizieren bis zur Hochbegabtenförderung unterwegs. Wir haben Menschen mit Behinderung bei uns in den Schulen, wir haben Menschen mit Migrationshintergrund, wir haben Ensembles, die spielen mit Instrumenten, von… da wussten wir vor zehn Jahren noch nicht mal, wie wir das Wort schreiben. Ja, also wir in den Musikschulen sind ja wirklich echt auf dem Weg. Dann haben wir noch die ganze Digitalschiene bei uns, wo man sich ja auch immer und immer wieder mit beschäftigen muss, um da up to date zu bleiben. Und ich, ja, ich könnte mir vorstellen, dass das eine echt große Herausforderung ist, an so einer Hochschule darauf vorzubereiten, auf so einen Berufsalltag.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, und es ist ja auch überhaupt gar nicht möglich. Wir können ja gar nicht auf jede einzelne Facette eingehen und auf alles vorbereiten. Aber das Schöne ist ja, dass wir es eigentlich auch gar nicht müssen. Also ich will jetzt damit nicht sagen, dass wir uns aus der Verantwortung ziehen, aber ein Studium ist ja auch wieder nur eine begrenzte Zeit in einem ganzen Leben, in einer ganzen Lebensspanne. Und wenn man sich vor Augen führt oder dieses eigentliche Lernen als lebenslanges Lernen begreift, dann ist es wie gesagt nur eine kleine Zeitspanne, die man Studierende begleitet. Und zwar nicht mit dem Ziel, dass sie dann alles können, sondern dass sie eigentlich wissen, wie die sich weiterentwickeln, wo sie weiterlernen können. Und da finde ich die Idee auch sehr schön, dass man eine Hochschule in Zukunft eigentlich dahingehend noch viel mehr öffnet. Dass man nicht sagt, mit dem Abschluss ist man mehr oder weniger draußen. Und dann gibt es vielleicht noch so ein Weiterbildungsangebot, sondern dass man Hochschulen eigentlich als offene Lernorte gestaltet, an die man jederzeit noch mal zurückkehren kann, um weiter zu lernen, um anders zu lernen, um miteinander zu lernen.

Kristin Thielemann: Das kommt ja auch in der Folge «Musikschulen der Zukunft». Das verlinke ich auch auf jeden Fall noch. Da werden auch die Musikschulen als offene Lernorte diskutiert. Es ist gerade gestern fertig geworden die Folge.

Karolin Schmitt-Weidmann: Okay, da bin ich sehr gespannt. Und ich sehe da nicht nur die Richtung, dass die Hochschule immer nur im Prinzip so die, die ja so sendungsbezogen agiert, sondern in dem Moment, wo verschiedene Personen, Persönlichkeiten aus verschiedenen Berufsfeldern noch mal in die Hochschule zurückkommen, auch aus verschiedenen Generationen – die bringen ja auch alle was mit. Also die gestalten ja auch dieses Lernen dann mit. Die haben andere Lebenserfahrungen, andere Berufserfahrungen jeweils. Und die in Settings zusammenzubringen mit Studierenden, das ist wahnsinnig bereichernd.

Kristin Thielemann: Und hast du dann auch vor, die Musikhochschule so ein bisschen Richtung Musikschule zu öffnen? Also dass da vielleicht auch eine Kooperation oder ein Austausch stattfindet?

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, habe ich nicht nur vor, habe ich sogar schon angefangen. Ich habe in meinem ersten Semester so überlegt, wie kann man die diese Idee eigentlich füllen? Und zwar auf eine Art und Weise, die jetzt vielleicht nicht so, ja nicht so einen langen Vorlauf und auch nicht so große organisatorische Hürden mit sich bringt, sondern die einfach irgendwie ziemlich gut und einfach umsetzbar ist. Und da habe ich mir überlegt, aus dem Seminar heraus eine Seminarsitzung in die Musikschule zu verlegen.

Kristin Thielemann: Ach, das finde ich schön!

Karolin Schmitt-Weidmann: Also der Deal war eigentlich, dass der Zeitpunkt der gleiche bleibt, weil die Studierenden haben ja einfach einen vollen Stundenplan und ich kann da nicht ständig irgendwie Zusatztermine reingeben. Also die Seminarsitzung war vom Zeitpunkt die gleiche, aber wir sind halt rüber gelaufen in die Musikschule, damit die Lehrkräfte dort kürzere Wege haben und haben alle eingeladen, da einfach mal mit ja miteinander in Kontakt zu kommen. Und das war ganz nett. Also es war, es gab ein übergeordnetes Thema und diese Seminarsitzung war natürlich die übergeordnete Seminardramaturgie, eingebettet für die Studierenden.

Kristin Thielemann: Okay.

Karolin Schmitt-Weidmann: Aber sie war auch in sich abgeschlossen, so dass die Lehrkräfte die als in sich abgeschlossenen Workshop besuchen konnten.

Kristin Thielemann: Super Idee.

Karolin Schmitt-Weidmann: Und das Schöne war, es gab zwölf Studierende und haben sich und das haben sich zufällig auch zwölf Lehrkräfte gemeldet, dass ich super so Kleingruppen bilden konnte, wo Studierende mit Lehrkräften in den Austausch kamen, die sich vorher nicht kannten und die da wirklich ganz, ganz tolle Ideen entwickelt haben. Und in der Seminarevaluation haben wirklich ausschließlich die Studierenden diese Sitzung als die bereicherndste angegeben, weil sie gesagt haben, das war irgendwie so ein schönes Setting, einfach mit anderen Menschen aus, ja, die schon sehr viel Erfahrung haben und Kontexte schon kennengelernt haben, die die Studierenden vielleicht noch nicht so kennen, von, aus der Praxis heraus und so weiter und so fort. Wobei in Klammern die auch schon alle unterrichten und auch schon Stellen haben an Musikschulen, aber trotzdem haben die das eigentlich so als bereichernd erlebt. Und von den Lehrkräften habe ich ähnliches Feedback bekommen. Und…

Kristin Thielemann: Das ist ja vielleicht auch so eine Art Mentoring Programm dann, dass man jemanden an der Seite hat, der schon lange im Beruf steht und der einen so ein bisschen mitnimmt in seinen Alltag, wo man mitläuft, wo man Fragen stellen kann, ganz offen. Aber wo auch dieser Mensch, der schon lange im Berufsleben ist, erfährt: Ah, wo drückt denn eigentlich die jungen Menschen der Schuh oder was, was wollen die, was haben die für Ansprüche auch an den Arbeitsplatz? Was, was wollen sie erreichen mit ihrer, mit ihrer beruflichen Tätigkeit, mit ihrer in Anführungszeichen künstlerisch-pädagogischen Exzellenz?

Karolin Schmitt-Weidmann: Genau. Und dass Sie nicht so das Gefühl haben: So, das ist so ein Setting, da begebe ich mich noch mal irgendwie auf… in so eine Rolle von rein Lernenden, sondern dass die so natürlich auch diese, diese Doppelrolle haben, von wegen ich nehme, indem ich irgendwie aktuelle Themen hier irgendwie mitbekomme, die aktuell an Hochschulen verhandelt werden, die in meinem Studium vielleicht nicht vorkamen, die ich mich auch erstmal reindenken muss und Ideen entwickeln kann. Aber andererseits kann ich natürlich auch was rein geben aufgrund meiner Erfahrungen. Und in diesem Semester haben wir es sogar schon ein bisschen weiterentwickelt. Das findet jetzt Anfang Juli statt, also so in vier Wochen ungefähr. Da wollen wir es noch weiter öffnen, indem wir nicht nur Studierende und Lehrkräfte in so einen Austauschsetting hineinversetzen, sondern da sind auch noch Schüler und Schülerinnen von der Musikschule eingeladen und künstlerisch Lehrende.

Kristin Thielemann: Ah, das ist natürlich toll!

Karolin Schmitt-Weidmann: Also wir haben hier vier Personengruppen und da wird das Thema Feedback sein, weil das ja wirklich ein zentrales Thema für alle ist. Also Feedback geben, Feedback annehmen ist einerseits ein rein pädagogisches Thema auf jeden Fall, aber trotzdem hat jeder damit ständig zu tun. Egal ob ich an der Musikschule als Schülerin meinen Unterricht bekomme oder ob ich auf Hochschulniveau als Professor, Professorin unterrichte. Es ist einfach ein zentrales Thema und da bin ich sehr gespannt, wie diese vier Personengruppen da interagieren und zu welchen Ergebnissen wir da kommen.

Kristin Thielemann: Das klingt echt spannend.

Karolin Schmitt-Weidmann: Das klingt… echt begrenzten Zeitraum natürlich. Ja.

Kristin Thielemann: Was, was ist dir denn so ein zentrales Anliegen beim Thema Feedback?

Karolin Schmitt-Weidmann: Beim Thema Feedback, ja, das ist auch noch mal so ein ganz großes Thema. Auf jeden Fall.

Kristin Thielemann: Finde ich auch was, was zum Thema Exzellenz, was beim Thema Exzellenz unbedingt mit reinspielt – ein gutes Feedback geben zu können.

Karolin Schmitt-Weidmann: Absolut. Also ich glaube, zunächst ist es erstmal auch wichtig, sich der Rolle des Lehrenden bewusst zu werden. Bin ich eigentlich in der Rolle von einem Fehlerpolizisten oder in welcher Rolle, in welchen Rollen kann ich vielleicht irgendwie noch so unterwegs sein? Was mich so in Bezug auf Feedback sehr inspiriert hat, war dieser Text von der Sophie Klaus aus der «üben & musizieren».

Kristin Thielemann: Hatten wir auch schon mehrfach im Podcast drin, stelle ich auch wieder in die Shownotes.

Karolin Schmitt-Weidmann: 4/2023, also wo sie einfach davon berichtet, wie sie in einem Auslandssemester eine andere Feedbackkultur kennengelernt hat. Beziehungsweise es war eigentlich ein Experiment dahingehend, dass dort in Klassenstunden einfach mal ausprobiert wurde, was passiert, wenn man nur lobt. Und sie konnte damit, wie sie schreibt, ja am Anfang nicht so ganz viel anfangen, weil sie gesagt irgendwie dachte, das wär’ irgendwie auch nicht authentisch und nicht ehrlich. Aber sie hat doch irgendwie über die Zeit zum Beispiel auch gemerkt, dass die Sachen, die Dinge, die verschwiegen werden, natürlich dann auch, also die muss man gar nicht so sehr aussprechen, dass das nicht gut war, das Wissen auf einem gewissen Niveau, die lernen dann auch schon selber, weil das ist irgendwie so ein dieser Atmosphäre, dieses Gefühl, was da entstanden ist durch diese immense Wertschätzung auf die Dinge, die halt wirklich gut waren, dass das sehr viel auch mit ihr gemacht hat. Und dieser Text, der wird extrem viel… also ich habe bei den Studierenden im Grundlagenkurs immer so einen Textpool, wo die sich auch einen aussuchen dürfen. Für die…

Kristin Thielemann: Das natürlich prädestiniert

Karolin Schmitt-Weidmann: Da ist das natürlich mit drin und der wurde…

Kristin Thielemann: Den habe ich auch schon genommen.

Karolin Schmitt-Weidmann: …im letzten Semester wirklich von allen angewählt. Ja, weil die sich wirklich da auch anfangen Gedanken zu machen. Wie ist denn eigentlich Feedback?

Kristin Thielemann: Weil, dieser Text verwendet Storytelling! Es ist einfach ein Lerninhalt in eine Geschichte verpackt und das ist so clever gemacht. Deswegen liest man diesen Text so gerne!

Karolin Schmitt-Weidmann: Genau. Wie viel Kritik ist eigentlich nötig oder wie, welche Feedbackkulturen habe ich eigentlich kennengelernt? Und da möchte ich auch noch mal auf diese Fragen zurückkommen. Ist es nicht einfach, auch mal schön, Unterricht mit Fragen von Schülerinnen starten zu lassen? Also ich weiß, dass das oft gemacht wird. Ich habe jetzt zu meinem großen Erstaunen und ich war auch sehr positiv überrascht gehört, dass es an der Hochschule wohl auch zum Teil gemacht wird, dass die Studierenden einfach mit Fragen in den Unterricht gehen. Aber ich muss ehrlicherweise sagen, ich habe es als Studierende und Schülerin selbst nie erlebt. Das war immer so irgendwie so eine quasi permanente Prüfungssituation im künstlerischen Einzelunterricht, meine ich vor allem auch. Man ist gekommen, man hat gespielt, als wäre man auf der Bühne oder in der Prüfung. Was natürlich auch wichtig ist, weil, es ist ja auch eine Vorbereitung, vielleicht auch ein Klassenkonzert oder auf eine Prüfung, das einfach zu üben. Und dann hat man gewartet. Okay, welche Schwächen hat die Lehrerin denn gerade erkannt und welche habe ich vielleicht so gut versteckt, dass sie sie nicht gemerkt hat? Aber es gab durchaus danach auch bestimmte Situationen, wo man dann selber Fragen gestellt hat. Aber man ist eigentlich nie von den Fragen ausgegangen. Und das ist natürlich auch irgendwie so eine, so ein großes Thema in Bezug auf Feedbackkultur und Unterrichtsgestaltung und der eigenen Rolle.

Kristin Thielemann: Ich versuche es immer, wenn ich ein Feedback gebe zu sagen erstmal, was mir ganz besonders gut gefallen hat, was mich wirklich beeindruckt hat und was so ja ein Alleinstellungsmerkmal oder was, was man irgendwie ganz positiv herausstellen muss. Und dann zu sagen: Hey, das musst du unbedingt bewahren, das war ein ganz magischer Moment! Und bei den Kleinen führe ich jetzt immer so eine Art «Stärkentagebuch». Das schreibe ich meistens in ganz knappen Worten rein Datum so und so und das und das war heute ganz, ganz, ganz besonders toll. Und dann suchen wir uns einen Punkt aus, wo wir sagen: Wenn wir hier noch was ändern würden, dann könnten wir, könnten wir das ganze Stück, das ganze Werk, was da gespielt wurde, noch mal auf ein völlig neues Niveau heben. Also auch sehr konkret verknüpfen: Was möchte ich denn? Nicht die Stärken immer komplett totschweigen, weil ich glaube, dazu sind jetzt gerade auch junge Schüler in der Musikschule vielleicht noch ein bisschen zu klein, um irgendwann selber mal drauf zu kommen was, was noch nicht so gut klingt. Also ich finde, das braucht einfach dann auch wahnsinnig viel zu viel Zeit, die Entwicklung so laufen zu lassen. Die Zeit habe ich heute häufig im Einzelunterricht nicht. Dann auch wirklich konkret zu sagen, das würde ich gerne noch auf ein anderes Niveau heben. Denn wenn wir gemeinsam den Weg mit Wegweisern gefüllt haben, mit Stationen, an denen wir vorbeikommen wollen und der Schüler sich auf diesem Weg selbst sieht und weiß, dass er mit dieser Route eine Chance hat, an seinem selbstgewählten Ziel anzukommen, dann entsteht doch auch Motivation.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, und die Botschaft in dem Text von der Sophie Klaus ist ja jetzt auch nicht, dass wir komplett die Kritik eigentlich aufgeben sollten. Das spricht sie ja ganz zum Schluss auch selber an. Aber in dem Moment, wo man sich mal Gedanken darüber macht, wie viel Kritik nötig ist und auch wie ich die formuliere, wie du das gerade so schön gesagt hast nee, ob ich die jetzt durch eine besondere positive Verstärkung, also ausspreche oder als sehr ressourcenorientiert und nicht allzu sehr defizitorientiert. Wobei manchmal das Defizitorientierte vielleicht auch nötig ist. Aber in dem Moment, wo ich darüber nachdenke.

Kristin Thielemann: Stopp! So kann es nicht bleiben. Falsch.

Karolin Schmitt-Weidmann: Genau da ändert sich glaube ich schon was, auch in der Feedbackkultur, indem ich nämlich nicht die Feedbackkultur reproduziere, die ich kennengelernt habe, sondern meine eigene gestalte.

Kristin Thielemann: Das ist ja das altbekannte Problem, was viele von uns mit sich herumtragen dass sie die Kritik an einer Sache immer gleich mit der Kritik an ihrer eigenen Person verknüpfen.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, wo wir wieder bei der Spitze des Eisbergs sind. Da kann natürlich auch nur das oder wird auch leider nur das bewertet, was halt sichtbar ist. Aber wir haben vielleicht ja auch das große Geschenk in Einzel- oder Kleingruppenunterricht wirklich auch in diese tieferen Schichten, in diesen, ja «Treasure in us», also in diesen, diesen Schatz in uns vorzudringen?

Kristin Thielemann: Ja, ich glaube, in der Schule ist es einfach. Es tut vielen so weh, weil die Bewertung der Leistung häufig mit der Bewertung der der Person verknüpft wird. Also dass Kinder spüren, wenn ich jetzt nicht so eine gute Note für meinen Aufsatz oder so bekomme, dann schätzt mich der Lehrer oder die Lehrerin als Mensch auch nicht so sehr. Also dass das bei vielen oft so verknüpft wird und wenn man das in der Lage ist, ein bisschen auseinander zu nehmen, einmal ins Fachliche und dann ins Persönliche, also dass man dem Schüler signalisieren kann oder der Schülerin: «Hey, egal was du spielst, ich bin ganz, ganz, ganz doll dein Fan. Ich bin, ich, ich unterstütze dich, Ich mag dich als Mensch. Ich mag dich als Person und deine Fähigkeiten im Bereich Musizieren, die entwickeln wir gemeinsam!»

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, das stimmt. Es wird ja auch oft… werden irgendwie die Bezugssysteme, die sind ja auch nicht so klar, da werden oft auch vermischt. Und das ist für uns im Instrumentalunterricht ja auch eine ganz, ganz zentrale Facette, die wir uns ständig vor Augen halten müssen, in welchem Bezugssystem man eigentlich unterwegs ist und in welchem Bezugssystem man eigentlich Feedback gibt. Also setze ich irgendwie ein kriterienbasiertes Bezugssystem zugrunde. Und welche Kriterien sind das eigentlich? Sind die von außen definiert? Habe ich die im Verlauf meiner eigenen Biografie, meiner eigenen Sozialisation auf welche Art und Weise bewusst, unterbewusst irgendwo mal angelegt? Oder bin ich in einem sozialen Bezugssystem unterwegs, also dahin gehend, dass ich die Schüler mit Gleichaltrigen vergleiche? Also man kann das jetzt auch alles am Beispiel «Jugend musiziert» aufziehen. Welche Kriterien liegen da zugrunde? Ist ja auch ein großes Thema, was sehr viel verhandelt wird aktuell. Aber der Vergleich zu Gleichaltrigen in den Altersgruppen ist ja da eigentlich eine zentrale Facette bei «Jugend musiziert» beispielsweise. Aber vielleicht auch für mich im Instrumentalunterricht, dass ich immer so überlege, wie alt ist das Kind, wie lang spielt das, wie ist das vielleicht so im Vergleich zu anderen Kindern? Aber der dritte Punkt noch ganz kurz ist ja dieses individuelle Bezugssystem. Und das ist irgendwo, finde ich, ja vielleicht sogar das Wichtigste, weil man da die Persönlichkeit an sich sieht in der Entwicklung und da vielleicht auch mal eine Wertschätzung ja ausdrücken kann, die losgelöst von diesem Vergleich, von dieser Vergleichsebene und Kriterienebene ist, die ständig auch mit so einem Leistungsdruck einhergehen, sondern dass man einfach mal sagt: «Du bist eine eigene Persönlichkeit, du lernst in deinem Tempo und du hast die und die wahnsinnigen Fortschritte in der Vergangenheit, in den letzten Wochen, in den letzten Monaten vielleicht gemacht!»

Kristin Thielemann: Das ist nämlich der springende Punkt: Dass wir als Lehrkräfte in der Lage sind zu zeigen, welche Fortschritte gemacht wurden und dass Schüler, Schülerin diese Fortschritte dann auch wirklich selbst sieht und wahrnimmt. Ist schon wirklich ein paar Jahre her, dass da ein Beitrag in der «üben & musizieren» war, der hieß «Meilen auf dem Meer», wenn ich mich richtig erinnere und dieses «Meilen auf dem Meer», was zu zeigen, was gesegelt wurde, gleichwohl man es nicht sieht auf dem Meer, das finde ich einen springenden Punkt. Da ging es aber um Stufenvorspiele in diesem Beitrag. Das war von Katharina Bradler. Ich nehme das, so ich das denn finde, mit in die Shownotes auf. Aber noch mal zum Thema «Jugend musiziert». Da messen sich ja auch wirklich gute oder sehr gute Schülerinnen und Schüler untereinander, obwohl ja immer gesagt wird: Ja, die Regionalwettbewerbe sind offen für alle. Sind sie ja de facto auch. Aber man muss ja ehrlich sein eine blutige Nase wünscht man ja auch nicht seinem Schüler, den man da gerade so wie ein zartes Pflänzchen hegt und pflegt. Und es gibt einfach echt viele Kinder, die in die Musikschule gehen, für die so ein Wettbewerb wirklich bei weitem zu anspruchsvoll ist, die vielleicht auch gar kein Interesse am Messen der absoluten Leistung haben. Das muss ich als Lehrkraft dann ja auch akzeptieren und trotzdem in der Lage sein, für meine Schülerinnen und Schüler die drei großen Basic Needs in Eckpfeiler im Unterricht zu verwandeln. Nämlich dass jedes Kind in der Musikschule seine Bühne, seine Herausforderung und seine Gemeinschaft gefunden haben sollte.

Karolin Schmitt-Weidmann: Genau. Und das ist halt nicht nur immer um den Vergleich geht und um die Preise, die Wertschätzung sich da nicht nur drin ausdrückt. Ich fand diese Szene so berührend. Ich weiß nicht, ob du diesen Film kennst über Igor Levit «No Fear».

Kristin Thielemann: Ja klar, habe ich gestern gerade noch mit einem Freund über den Film gesprochen.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, ja, ist ja schon sehr bekannt. Ich habe den kürzlich gesehen und er hat mich wirklich sehr berührt. Und ich fand diese Szene auch sehr ergreifend, wo er nach der Coronakrise ich glaube, es war sogar das erste Konzert, wo er sagt: «Mensch, heute war irgendwas anders. Ich habe diesen Leistungsdruck nicht gespürt.» Und wenn man sich mal vor Augen führt, also er ist ja wahrscheinlich für viele ein absolutes Vorbild und auch ein Inbegriff von Exzellenz. Und wie sehr er auch nach Konzerten mit diesen Selbstzweifeln, mit dieser Verunsicherung zu kämpfen hat, die er auch sagt in welche ja, dass er da ganz oft in so ein Tief fällt von maßloser Verunsicherung nach Konzerten. Und dann diese Szene, von der ich gerade erzählt habe, wo er einfach sagt: «Heute habe ich das irgendwie nicht gespürt. Ich habe diesen Leistungsdruck nicht gespürt. Es war einfach irgendwie nur die Musik und ich und das Publikum.» Und da habe ich auch so darüber nachgedacht, wie schön das doch ist und dass wir uns alle danach sehnen, von diesem Vergleich, von diesem Leistungsdruck eigentlich loszukommen und einfach nur die Musik zu erleben.

Kristin Thielemann: Leistungsdruck. Da sind wir dann natürlich auch schnell beim Stichwort Scheitern. Und ja, das gehört ja auch dazu, dass wir mit Schülerinnen und Schülern sprechen übers Scheitern, dass es in Ordnung ist, wenn mal was nicht gelingt oder auch nicht perfekt ist, dass das Scheitern dazugehören darf.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, aber da sind wir vielleicht auch wieder bei diesem Punkt der Bezugssysteme. Welches Bezugssystem lege ich eigentlich bei meiner eigenen Selbstreflexion zugrunde? Ist das immer irgendwie so: Brauche ich die Wertschätzung von anderen? Natürlich sehnen wir uns danach! Das ist ja auch ein Basic Need. Das drückt sich ja auch in dieser Verbundenheit aus. Aber andererseits inwiefern ergreift es mich? Inwiefern definiere ich mich über und durch andere? Und ich habe jetzt neulich auch dieses kleine Buch von Kae Tempest gelesen «Verbundensein», wo sie auch sehr viel darüber spricht.

Kristin Thielemann: Kae Tempest «Verbundensein», da habe ich es gefunden. Ups… ja bei Suhrkamp. Gibts sogar bei einem großen deutschen Versandhändler, bei Amazon für umme, wenn ihr Kindle Unlimited habt, aber kauft das doch bitte in der Buchhandlung nebenan. Das ist viel schöner!

Karolin Schmitt-Weidmann: Sie ist interessanterweise aus einer ganz anderen Kunstszene als zum Beispiel Igor Levit. Aus der Rapper- und so Clubszene ist die unterwegs, aber auch sehr erfolgreich. Auch ein Vorbild für viele, viele Menschen. Und es ist schon erstaunlich, wie sehr sich beide Persönlichkeiten irgendwie so in ihren tiefsten, tiefsten Wünschen und auch Verunsicherungen irgendwie auch treffen, wie viele Parallelen es da gibt. Und sie beschreibt auch diesen, diese eigene Entwicklung, wie sehr sie sich doch auch über andere definiert hat, definieren hat lassen, sozusagen in ihrer Karriere, um vielleicht auch zu diesem Erfolg zu kommen, auf dem sie dann irgendwann war. Um dann sich wirklich auch zu versuchen, davon zu lösen und so zu diesem eigenen individuellen Bezugssystem zu finden. Das ist nicht nur immer darum geht, was andere über einen denken und wie sehr es sie doch auch zeitweise getroffen hat, Kritik zu bekommen und so weiter. Aber dass es eigentlich vielmehr darum geht irgendwie… also es ist irgendwie auch so eine Geschichte von Selbstfindung und so dieses Verbundensein, was sie so im Dreieck zwischen Kreativität, Verantwortung, auch einer gewissen Art von Menschsein durch und mit Kunst erlebt. Und dass das für sie eigentlich letztendlich immer so die Suche nach dem individuellen Bezugssystem auch mit sich bringt. Also nicht immer nur definiert werden von außen, von anderen.

Kristin Thielemann: Ich glaube, wenn du zu einer hohen Exzellenz kommen willst, dann musst du dich Feedback von außen aussetzen.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, absolut. Es geht nicht ohne. Auf jeden Fall. Aber man darf sich davon nicht auffressen lassen.

Kristin Thielemann: Ja, aber da gehört sicherlich einiges an Resilienz dazu. Und um Resilienz aufbauen zu können, finde ich, ist es wertvoll, wenn du dir deine eigenen Stärken bewusst bist und wenn du das Handwerkszeug hast, an deinen Defiziten zu arbeiten.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja. Und ich will ja auch gar nicht sagen, dass dieser Vergleich immer schlecht ist. Der ruft ja auch ganz viele Potenziale hervor. Auch «Jugend musiziert» bringt die Schüler ja, also ähm, in ganz, ganz vielen Fällen einen ganz großen Schritt weiter.

Kristin Thielemann: Absolut. Ohne «Jugend musiziert» hätten wir sicher nicht so ein wahnsinns hohes Niveau. Auch in den ganzen Orchestern und auch bei uns in den Musikschulen sitzen ja viele Kolleginnen und Kollegen, die «Jugend musiziert» enorm viel zu verdanken haben.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, also man braucht auch irgendwie scheinbar diesen Vergleich, um weiterzukommen, um sich selber irgendwie zu messen, zu entwickeln und so weiter und so fort. Ohne den geht es auch nicht.

Kristin Thielemann: Aber was ich, was ich echt schade finde also ich. Ich erlebe «Jugend musiziert» als wahnsinnigen Schatz und auch die die anderen Wettbewerbe die es gibt, «Prima La Musica» und «Schweizer Jugendmusikwettbewerb» das… Aber was ich echt schade finde ist, dass es wie noch kein Programm gibt, kein Wettbewerbsprogramm, wo sich Schülerinnen und Schüler mit einer pädagogischen Leistung, also mit einer musikpädagogischen Leistung zeigen können und vielleicht auch da zu einer musikpädagogischen Exzellenz angeregt werden. Also das ist wie so eine Art Auskopplung gibt, wie, ja: «Reichen Konzept ein mit einem durchgeführten Musikvermittlungsprojekt», «Mach so ein Lecture Recital». «Stell uns das vor» oder so, das ist, dass sowas in irgendeiner Form auch mit einem Preis gewürdigt werden kann. Sondern das ist, dass es bei «Jugend musiziert» oder auch bei all diesen ähnlichen Wettbewerben in allererster Linie um eine künstlerische Exzellenz geht.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, das stimmt.

Kristin Thielemann: Jetzt gerade in Bezug auf Fachkräftemangel müsste man sich ja vielleicht mal die Frage stellen, ob wir jungen Menschen nicht viel mehr Gefäße zur Verfügung stellen, wo man eben auch glänzen kann mit musikpädagogischen Formaten. Jetzt nicht unbedingt Wettbewerbe. Da gibt es jetzt auch schon viele Mentoratsprogramme, die die… wo man Schülerinnen und Schüler zur Ausbildung hinschicken kann. Das finde ich auch eine tolle Sache. Oder auch so wie du das jetzt machst, das, dass man die Musikschülerinnen und -schüler schon mit einer Hochschule verbindet.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, wenn man so diese News auf den Hochschul-Homepages anguckt, da werden ja auch künstlerische Preise aufgeführt, Probespielgewinne und so weiter.

Kristin Thielemann: Echt übel, was deine Außendarstellung immer so landet. Das lässt in Sachen Wertschätzung für Musikpädagogik echt tief blicken.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja. Und ich habe eigentlich von Anfang an auch überlegt und habe meine Studierenden auch eigentlich aufgefordert, mir jederzeit zu sagen, wenn die irgendwie was Besonderes erreicht haben, irgendwie nächsten Karriereschritt oder ein tolles Projekt oder so, dass wir das da einfach auch sichtbar machen. Weil, das ist auch eine wesentliche… wesentliche Bereiche von KünstlerInnenexistenzen und Feldern und allem Möglichen, was irgendwie da so ein bisschen unterrepräsentiert ist.

Kristin Thielemann: Absolut. Und ich hatte das ja kürzlich schon mal, war das in der Folge mit Uli Mahler, wo ich das gesagt habe, ich weiß gar nicht mehr so genau, ich hatte das in irgendeiner Folge erwähnt und danach habe ich von sicher fünf oder sechs Leuten Rückmeldung gekriegt: «Ach, du meinst bestimmt die Hochschule XY!» «Ach, du meinst bestimmt die Hochschule soundso.» Und es wurden mir fünf oder sechs unterschiedliche Schulen genannt und es haben sich auch Menschen gemeldet, die gesagt haben: «Oh ja, ich habe das an unserem Kanal so wahrgenommen. Ich habe jetzt auch eben genau so, wie du das gesagt hast, meine Studierenden aufgefordert, da Dinge einzureichen.» Aber der Witz war ja eigentlich, dass ich damals, als ich das angesprochen hatte, keine der Hochschulen gemeint hatte, die mir dann letztlich genannt wurden. Also das heißt, es betrifft ja nicht nur die, auf deren Seite ich da rumgesurft bin, sondern noch ganz, ganz viele andere. Aber ich bin überzeugt, die Menschen in den Hochschulen, an den Social-Media-Kanälen, die machen das ja nicht mit Absicht, sondern das ist ja ihnen schlicht vielleicht nicht bewusst, dass man auch mit Musikpädagogik glänzen könnte und dass Sie da gerade nur künstlerische Hochleistung feiern.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, und weil vielleicht die Studierenden auch nicht den Mut haben oder vielleicht auch denken, das wäre da unangemessen, wenn man auch mal ein pädagogisches Projekt vorschlägt, dort aufzunehmen, weil es halt so selten vorkommt, dass man ja auch irgendwie ein bisschen das Selbstbewusstsein dahingehend anlegt, dass das auch einen Wert hat, auch für solche Listen.

Kristin Thielemann: Und es wäre ja auch so wertvoll, wenn das, wenn solche hochstehenden pädagogischen Projekte, wenn solche pädagogische Exzellenz auch über die Social Media flimmern würde, denn dann hättest du auch viel leichter irgendwelche Nachahmerin und Nachahmer. Das siehst du ja jetzt, ich war beim baden-württembergischen Musikschulpreis wieder in der Jury, was das ausmacht, dass die prämierten Projekte auch anderenorts ja, als Ideengeber genommen werden und dann dort unter anderen Voraussetzungen natürlich mit ein bisschen anderen Elementen, aber doch auch zur Umsetzung kommen. Und was, was dann wieder unsere, ja künstlerisch-pädagogische Exzellenz dann auch auf ein ganz anderes Niveau hebt. Was das bewirkt, wenn es da solche Wettbewerbe auch gibt?

Karolin Schmitt-Weidmann: Genau. Und wo du schon die Wettbewerber ansprichst: Es gibt ja auch diesen Hochschulwettbewerb Musikpädagogik, der RKM. Da habe ich mich gerade eben noch auf der Homepage rumgetümmelt. Und da der Exzellenzbegriff also scheinbar scheint er in vielen Köpfen scheint explizit Exzellenz mit Wettbewerben irgendwie so zusammenzuhängen, interessanterweise oder messbar zu werden.

Kristin Thielemann: Ja, weil in Wettbewerben bekommst du halt ein Feedback.

Karolin Schmitt-Weidmann: Wenn du da was gewinnst, dann hast du irgendwie so das Label, du bist exzellent oder so.

Kristin Thielemann: Ja, aber ich glaube, das ist wieder das von unserer Schule. Wir wir wissen, wenn wir den Stempel kriegen: «Hey, gute Note. Sehr gut! Da ist deine Eins mit Sternchen!» Dann ist toll. Aber wenn, wenn dieses Feedback von außen eben nicht kommt, dann fühlen wir uns ein bisschen leer. Dann fühlen wir uns so, als würde irgendwas fehlen, wenn unsere Leistung nicht von außen bewertet wird. Aber ich glaube, das ist auch ein Punkt, wo wir im Unterricht unbedingt darauf hinwirken müssen, dass Schülerinnen und Schüler nicht unbedingt nur immer auf ein Feedback von außen angewiesen sind, sondern dass sie auch das, was sie machen, selbst wertschätzen lernen.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja.

Kristin Thielemann: Also dass die feststellen: «Hey, ich spiele wahnsinnig schöne Musik und das ist ein ganz toller Moment für mich. Und das ist ein Schatz, dass ich jetzt mit mir hier alleine bin und für mich selbst eine ganz tolle Übestunde so in der Lage bin hinzustellen!» Also dass ich vielleicht eine Stunde Klavier spielen kann, ich selbst als junger Mensch und dass ich einfach eine tolle Zeit mit mir verbringe und dass ich dann nicht jemanden brauche, der mir hinterher sagt: «Wow, das hast du aber gut gemacht! Du bist aber vorangekommen! Dein Ziel ist hier und da und jetzt bist du aber schon deinem Ziel nähergekommen!» Sondern dass man einfach diesen, diesen Flow-Moment, der da entsteht, dass man den wertschätzen kann, ohne irgendein Ziel damit zu verfolgen.

Karolin Schmitt-Weidmann: Ja, und die Wertschätzung muss ja nicht unbedingt auch nur von der Wettbewerbsjury kommen. Wenn man also Schülerinitiativen hat, die zum Beispiel ein Schülerkonzert organisieren an der eigenen allgemeinbildenden Schule in der Pause oder dann Übecoaching initiieren oder einfach aktiv sind in Settings, wo die Musik vielleicht noch nicht so präsent ist und das ist dann kann die Allgemeinbildende Schule sein, genauso wie andere Vereine oder Aktivitäten im regionalen Stadtsetting oder was man auch sich immer irgendwie so als Bühne oder als Ort sucht, um Menschen zu begeistern und Menschen zu erreichen. Und wenn Schüler dort aktiv sind, dann bekommen sie auch ganz viel Wertschätzung.

Kristin Thielemann: Und Wertschätzung ist ein tolles Stichwort, denn genau das habe ich mit Nick und seinem Naruto-Comic versucht. Begeistert hat er mir von Naruto, dem jungen Ninja, erzählt, der sich den Bedrohungen aus der Ninjawelt stellen muss und auf die Art viele spannende Abenteuer erlebt. Gemeinsam haben Nick und ich nach Filmmusik aus der Naruto-Serie gesucht und mit «Sadness and Sorrow» eine unglaublich berührende Musik gefunden, zu der sich wahnsinnig gut improvisieren lässt. Ja, so haben wir dann verschiedene Szenen aus seinem Comic musikalisch zum Leben erweckt und nächste Woche lassen wir uns mit Künstlicher Intelligenz Variationen in anderen Stilen zum Mitspielen schreiben. Nick weiß zwar noch nichts von seinem Glück, aber ich bin schon total gespannt darauf!