Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

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#42 Anne Fritzen und Manuela Selzner: Demokratiepädagogik an Musikschulen

Anne Fritzen: Also wir können natürlich immer im 1:1-Unterricht oder auch in der Erziehung dazu beitragen, dass Kinder ihre Meinung sagen, ihre Bedürfnisse äußern und auch lernen, ihre Meinungen so zu vertreten, dass sie vielleicht andere überzeugen können. Aber auf einer strukturellen Ebene haben sie eben ganz häufig keine Mitspracherechte. Und dann wundern wir uns, wenn zum 16. Geburtstag Wahlen auftauchen und für viele vielleicht so gar nicht klar ist: Warum soll ich denn jetzt da überhaupt hingehen? Was bringt das eigentlich? Und wenn wir da vorher schon Möglichkeiten schaffen, so ein demokratisches Miteinander zu üben, auch in sozusagen Parlamentssituationen, glaube ich, können wir da auch einen guten Schritt weiterkommen.

Intro: «Voll motiviert» – der Musikpädagogik-Podcast von Schott Music, dem Verband deutscher Musikschulen und Kristin Thielemann.

Kristin Thielemann: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von «Voll motiviert», eurem Musikpädagogik-Podcast. Heute zu einem Thema, was mir sehr am Herzen liegt, nämlich Demokratiepädagogik. Denn ich bin sicher, auch wenn wir manche Schülerinnen und Schüler nur eine halbe Stunde pro Woche sehen, können wir mit unserer Haltung, unserer Sprache und unserem Verhalten sehr viel vorleben, was für die Grundsätze demokratischen Handelns steht. Nämlich: Ich sehe dich und ich kann deine Meinung akzeptieren, ohne sie zu unterdrücken. Und du, liebe Schülerin, lieber Schüler, bist es wert, dass man dich hört, dass man dich ernst nimmt und dass wir auf Augenhöhe einen gemeinsamen Weg für die Zeit finden, die wir im Unterricht miteinander verbringen. Denn das ist eine Möglichkeit, wie junge Menschen erleben können, welcher Schatz die Demokratie ist. Dann können wir darauf bauen, dass sie bereit sind, selbst das weiterzuleben, was sie von uns an wertschätzender Haltung erfahren haben. Und dann bin ich natürlich gespannt darauf, ob meine heutigen Gesprächspartnerinnen mir von demokratiefördernden Musikschulprojekten berichten können. Ja, und jetzt habe ich euch noch gar nicht meine Gesprächspartnerinnen vorgestellt. Das kommt gleich. Erstmal aber noch ganz herzlichen Dank an euch für die unglaublich vielen Feedbacks und Kommentare zu der Jubiläumsfolge 40 mit Ulrich Mahlert, in der es um «üben & musizieren» ging. Wir hatten unter anderem über die allererste Ausgabe der «üben & musizieren» gesprochen und vorgeschlagen, diese Erstausgabe der Musikpädagogik-Welt in digitaler Form zur Verfügung zu stellen. Und tatatata… Ich bin total berührt gewesen, dass die Redaktion das wirklich postwendend auf den Weg gebracht hat und wir jetzt alle sogar kostenfrei diese Erstausgabe lesen dürfen. Danke, liebe «üben & musizieren»-Redaktion! Der Link zu dieser digitalisierten Erstausgabe, den stelle ich euch in die Shownotes und mein Lesetipp wäre hier das Interview, was Ulrich Mahlert mit Aurèle Nicolet geführt hat. Das ist ja nun wirklich schon über 40 Jahre her, aber die Aktualität dessen, was da gesagt wird, hat mich komplett überrascht. So, und jetzt aber zur Demokratiepädagogik. Meine Gesprächspartnerinnen in dieser Folge sind Anne Barbara Fritzen und Manuela Selzner, die sich gleich noch selbst vorstellen werden. Aber erst einmal ein Hallo nach Weimar zu Anne Fritzen und ein Hallo nach Köln zu Manuela Selzner. Ich danke euch ganz, ganz herzlich, dass ihr euch die Zeit für «Voll motiviert» nehmt.

Anne Fritzen: Hallo, wir freuen uns sehr, hier sein zu dürfen!

Manuela Selzner: Hallo, vielen Dank für die Einladung!

Kristin Thielemann: Ja, mögt ihr euch noch gerade vorstellen? Anne vielleicht zuerst, ganz demokratisch mit A beginnend.

Anne Fritzen: Eine Variante, würde ich sagen! Mein Name ist Anne Fritzen. Ich bin Professorin für Instrumental- und Gesangspädagogik an der Hochschule für Musik in Weimar, war vorher auch an verschiedenen anderen Hochschulen in Deutschland und auch in Österreich tätig, habe lange an Musikschulen und auch im privaten Bereich unterrichtet. Studiert habe ich mal ganz ursprünglich Lehramt Musik, Englisch und Deutsch. Daher kennen Manuela und ich uns auch. Dann habe ich aber noch im künstlerischen Studiengang Klavier studiert und auch künstlerisch-pädagogisch, bevor ich dann promoviert habe und dann ja den Weg Richtung Hochschule eingeschlagen habe, wo ich ja jetzt auch gelandet bin.

Kristin Thielemann: Wow. Beeindruckender Lebenslauf! Manuela, und wie sieht es bei dir aus?

Manuela Selzner: Ja, ich bin Grundschullehrerin an einer neugegründeten Grund- und Gesamtschule in Köln-Kalk. Vorher war ich lange wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Siegen und, bis ich mich in die Elternzeit verabschiedet habe Ende letzten Jahres, viele Jahre im Bundesvorstand der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik tätig.

Kristin Thielemann: Manuela Selzner, vielen Dank! Manuela, was ist denn Demokratiepädagogik überhaupt?

Manuela Selzner: In der Demokratiepädagogik geht es uns darum, Demokratie erfahrbar und erlebbar zu machen und eben nicht nur so blankes theoretisches Wissen zu vermitteln, sondern mit demokratiepädagogischen Angeboten Handlungskompetenzen zu entwickeln. Und diese demokratischen Handlungskompetenzen, die sollen dann Menschen befähigen, in der Gemeinschaft mit anderen demokratisch zusammenzuleben, sich aktiv da einzubringen und auch zu einer aufgeklärten Urteilsbildung und Entscheidungsfindung in politischen Prozessen beitragen.

Kristin Thielemann: Danke, Manuela. Jetzt haben wir diesen großen Begriff mal für uns alle mit Inhalt gefüllt. Anne, was fasziniert dich denn am Thema Demokratiepädagogik im Kontext von Musikschularbeit?

Anne Fritzen: Ja, ich bin mir tatsächlich in der letzten Zeit nicht mehr ganz sicher, ob Faszination im Moment für mich das richtige Wort an der Stelle ist. Vielleicht sage ich mal eher, was mich mit dem Thema Demokratiepädagogik verbindet. Vor allen Dingen mit Blick auf die politischen Entwicklungen in den letzten Tagen und Wochen hat sich da für mich die Faszination für das Thema doch ein bisschen gewandelt. Es ist vielleicht mittlerweile mehr eine Mischung aus natürlich Begeisterung für das Thema, zum anderen aber auch eine Notwendigkeit, die ich sehe, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Wenn man zum Beispiel in den letzten Wochen durch die Talkshows gezappt hat, dann kam da natürlich immer wieder das Thema Rechtsruck und Demokratiefeindlichkeit auf. Da tauchten dann Bilder auf, wie zum Beispiel ein Baustellenschild, unter dem dann Demokratie stand. Also Baustelle Demokratie. Das fand ich schon sehr bezeichnend! Und in solchen Gesprächen, die in den Talkshows stattgefunden haben, kam dann natürlich immer auch wieder auf, wie wir alle mitverfolgt haben, dass die Stabilisierung der politischen Lage natürlich Aufgabe der Politik ist, aber dass Demokratie eben auch immer nur bestehen kann, wenn Bürgerinnen und Bürger Demokratie auch aktiv leben und verteidigen. Und dass das eben nur passieren kann, wenn wir das in der Breite der Gesellschaft tun. Und genau da denke ich, dass wir auch in der Musikpädagogik eben ja mit zu dieser Breite gehören und auch da einen Beitrag leisten können und sollten. Und ja, das mag jetzt natürlich relativ abstrakt klingen, aber ich glaube, dass es uns auch ganz konkret betrifft. Das Thema Freiheit nämlich betrifft uns an Musikschulen und auch Künstlerinnen und Künstler ja relativ unmittelbar da, wo es um Kunstfreiheit geht. Wir können eigentlich nur in einem freiheitlich demokratisch verfassten Staat so Kunst ausüben und Kunst schaffen und auch Kunst unterrichten, wie wir das wollen. Und wenn es da ernsthafte politische Tendenzen gibt, einzugreifen, dann ja, ist da Kunstfreiheit gefährdet? Ja, ich habe da vielleicht auch noch ein Beispiel dazu. Neulich habe ich auf einem Plakat einen Slogan gesehen, auf dem stand: Keine Subventionen für politisch motivierte Kunst. Und das hat mich ziemlich schockiert, muss ich sagen, weil das ja doch relativ real ist. Natürlich muss Kunst nicht politisch motiviert sein, aber sie kann es nun mal auch und kann Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Und wenn das nicht mehr möglich ist, dann können wir eben auch nicht mehr von Freiheit von Kunst sprechen. Und da denke ich, ist Demokratie absolut gefragt, um das zu gewährleisten und damit eben eigentlich auch die Musikpädagogik oder auch die Instrumental- und Gesangspädagogik.

Kristin Thielemann: Aber was ich ja schockierend finde, ist, dass die Kunst teilweise so wahrgenommen wird von der Öffentlichkeit. Manuela, wo liegt denn die Faszination für dich?

Manuela Selzner: Ja, ich finde erst mal spannend, mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam solche Entscheidungsprozesse zu gestalten und mich immer wieder auch so von kreativen Lösungen von Kindern überraschen zu lassen, zu Belangen, die sie angehen. Und ich finde es interessant, ihnen positive Partizipationsmöglichkeiten zu eröffnen und auch so die Selbstwirksamkeit der Kinder zu stärken. Und ich glaube, neben ganz vielen Sachen, die mir daran Spaß machen oder mich faszinieren, ist auch ein großes Thema, dass wir dazu auch uns verpflichtet haben. Also Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert und da haben Kinder eben das Recht, in allen sie betreffenden Bereichen mitzuentscheiden und einbezogen zu werden. Und das gilt dann halt zum Beispiel auch für die Musikschularbeit.

Kristin Thielemann: Leuchtet ein die Erklärung. Anne?

Anne Fritzen: Ich glaube, da ist auch tatsächlich ein riesengroßer oder liegt eine riesengroße Chance drin, weil es eben ein außerschulischer Bereich ist. Manuela, magst du da vielleicht noch mal kurz einhaken?

Manuela Selzner: Ja, ich glaube, gerade in diesen außerschulischen Bereichen, wo es eben nicht an Noten gebunden ist und auch an eine Schulpflicht, sondern an freiwillige Teilnahme geknüpft ist und so, kann man auch noch mal anders mit Kindern arbeiten als im schulischen Kontext. Und ich glaube auch, dass eben Personen aus diesen außerschulischen Bereichen oft ganz große Rollenvorbilder für Kinder und Jugendliche sind und da sicher auch demokratische Vorbilder sein können.

Kristin Thielemann: Stimmt, denn im außerschulischen Kontext sind natürlich nicht solche starken Machtstrukturen vorhanden, wie beispielsweise jetzt in der Schule, wo Kinder und Jugendliche natürlich zumindest teilweise auf die Gunst ihrer Lehrkräfte bei der Notengebung angewiesen sind. Stichwort mündliche Mitarbeit oder auch Fächer, wo Noten doch schon eher subjektiver vergeben werden, vielleicht wie bei Deutschaufsätzen oder Referaten. Anne, was kann denn in deinen Augen eine Musikschule für die Demokratie leisten?

Anne Fritzen: Ja, Manuela hat ja gerade eben schon gesagt, was Demokratiepädagogik will, nämlich demokratische Handlungskompetenzen in irgendeiner Form stärken. Und ich glaube schon, dass Musikschule da auch einen großen Beitrag leisten kann. Zum einen auf einer strukturellen Ebene, so wie Musikschulen strukturiert sind und… beziehungsweise wie sie solche Strukturen ausfüllen oder mit Leben füllen. Aber auch, ich sag mal ganz normal, so im normalen unterrichtlichen Miteinander, im Umgang, im Einzelunterricht, aber genauso auch in Ensembles, in Chören, in der Bigband, wie man da den Umgang pflegt und wie das genau aussehen kann, gucken wir uns, glaube ich, ja vielleicht jetzt im weiteren Gespräch noch an. Und ich glaube auch, dass das, um das noch mal zu bestärken, dass das auch Teil von wirklich unserer Arbeit sein sollte. Denn gerade, wenn man an einer öffentlichen Musikschule arbeitet, dann sind wir ja Teil von öffentlichen Bildungseinrichtungen in einem demokratisch verfassten Staat. Wir genießen da die Privilegien. Und ja, damit denke ich, sollte man sich auch zu den demokratischen Prinzipien bewusst stellen und die umsetzen und leben.

Kristin Thielemann: Auf jeden Fall.

Anne Fritzen: Und auch da, Manuela hat schon gesagt, wir haben uns verpflichtet mit der UN-Kinderrechtskonvention. Aber Musikschulen haben sich eigentlich auch schon längst zu einem zumindest zu einem Teilbereich von Demokratiepädagogik verpflichtet. Schon vor Jahren nämlich, wenn man sich zum Beispiel die Positionspapiere des Verbandes deutscher Musikschulen anguckt, zum Beispiel zum Thema Vielfalt und Heterogenität. Heterogenität anzuerkennen, Vielfalt wertzuschätzen. Dann sind wir eigentlich da, genau auch schon mitten bei einem Kernthema von Demokratiepädagogik, nämlich dass ich eine Vielfalt von Meinungen anerkenne, Vielfalt von kulturellen Prägungen, Vorlieben, Charaktereigenschaften, Lebenseinstellungen usw.

Kristin Thielemann: Diese angesprochenen Positionspapiere verlinke ich euch in den Shownotes.

Anne Fritzen: Und da gibt es direkt noch ein weiteres Positionspapier, was jetzt gerade wirklich total aktuell geteilt worden ist, auch vom Verband der deutschen Musikschulen.

Kristin Thielemann: Klick, klick, klick. Auch das steht jetzt auf meiner To-do-Liste für die Shownotes.

Anne Fritzen: Der hat nämlich einen Aufruf des Vorstands der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung geteilt. Jetzt gerade erst, wirklich Anfang des Monats, der noch mal zeigt, dass tatsächlich auch das Thema Demokratie und demokratisches Handeln auch in den Musikschulen ankommt. Und wenn ich darf, würde ich ganz gerne kurz einen Absatz daraus zitieren, Kristin.

Kristin Thielemann: Auf jeden Fall. Das darfst du sehr gerne vorlesen, Anne.

Anne Fritzen: «Als Vorstand rufen wir dazu auf, deutlich Position zu beziehen. Es ist wichtig, dass wir uns als bunte Mehrheit jetzt zusammenschließen und deutliche Zeichen gegen antidemokratische und rassistische Tendenzen setzen. Wichtige Bausteine dafür sind, zur aktiven Teilnahme an Wahlen zu motivieren und im Gespräch demokratische Werte sowie den Wert der Vielfalt und der Weltoffenheit aktiv zu vermitteln und zu verteidigen. Gemeinsam werden wir laut sein, jeder Hetze entgegentreten und aktiv für gesellschaftlichen Zusammenhalt und demokratische Werte eintreten. » Soweit das Zitat und ich fand das schon ein sehr starkes Statement.

Kristin Thielemann: Absolut. Kann ich unterschreiben.

Anne Fritzen: Ja. Für mich hat sich im Anschluss allerdings die Frage gestellt: Was mache ich denn jetzt ganz konkret in meinem beruflichen Umfeld, wenn sich tatsächlich gerade in der Musikschularbeit nicht alles darin erschöpfen soll, dass man vielleicht Schülerinnen und Schüler ermutigt, zur Wahl zu gehen. Ich meine, das ist natürlich ein schöner Beitrag, wenn ich den leisten kann. Aber wenn das alles ist, was ich kann, ist es vielleicht doch relativ wenig. Und genau an der Stelle haben sich Manuela und ich uns eben Gedanken gemacht, wie das konkret in der Musikschule aussehen kann.

Kristin Thielemann: Und da war ja in der «üben & musizieren» 5/23 auch ein ganz, ganz starker Artikel von euch beiden drin. «Freiheit stärken – Musikschulen als Orte gelebter Demokratie» hieß der. Gibt es für euch, ihr lieben Hörerinnen und Hörer, natürlich auch als Link und der steht wie immer in den Shownotes. Oder ihr habt eine Quelle: Musikschul-Teamraum zum Beispiel, wo das Magazin für euch ausliegt. Was an dieser Stelle absolut nicht fehlen darf, ist ein Hinweis auf ein wunderbares Buch, nämlich aus der «Potsdamer Schriftenreihe zur Musikpädagogik». Es ist von Anja Bossen und Christin Tellisch herausgegeben worden und heißt «Musikpädagogik als Beitrag zur Demokratiebildung». Tolle Beiträge drin, Erfahrungsberichte, auch vieles an Ideen für die Musikschulpraxisarbeit. Und besonders gefällt mir, dass nicht nur der Beitrag von Anne Fritzen und Manuela Selzner ohne Bezahlschranke für uns alle zugänglich ist, sondern auch die Publikation von Anja Bossen und Christin Tellisch «Musikpädagogik als Beitrag zur Demokratiebildung». So, jetzt sind die Praxisbeispiele angeteasert. Manuela, wie kann denn so eine aktive Demokratiepädagogik im Musikschulkontext aussehen?

Manuela Selzner: Ähm, ja. Anne und ich haben versucht, das ein bisschen systematisch mal so aufzufächern, wo so Bereiche liegen können. Und das ist sicher keine vollständige Aufzählung, die wir da bis jetzt so gemacht haben. Aber ich glaube, es ist mal so ein erster Ansatz für Ideen, was man tun kann. Und wir haben uns da an einem Modell von Himmelmann orientiert, der beschreibt eben drei Ebenen von Demokratie und das sind Demokratie als Lebensform, Gesellschaftsform und Herrschaftsform. Und wir haben immer geschaut, was in diesen einzelnen Bereichen vielleicht Felder sein könnten, in denen auch Musikschulen tätig werden können. Ich würde mal mit dem ersten Bereich anfangen. Die Demokratie als Lebensform. Und das beschreibt eigentlich so die Verankerung von Demokratie in unserem ganz alltäglichen Zusammenleben. Also da geht es um Prinzipien wie Fairness, Toleranz, Solidarität, Selbstorganisation. Und diese demokratischen Prinzipien, die sollen eben Grundlage und Ziel für den menschlichen Umgang im Alltag miteinander sein. Und in der Musikschule kann das jetzt so bezogen auf Einzel- und Gruppenunterricht zum Beispiel sein, dass der Unterricht eben auf Respekt und gewaltfreier Kommunikation basiert, dass es um Anerkennung und Wertschätzung geht und die Lehrenden eine demokratische Grundhaltung zeigen. Da sind wir sicher wieder bei dieser Vorbildfunktion, über die wir schon mal gesprochen haben. Und ich glaube, wenn eine Lehrkraft den Schülerinnen auf Augenhöhe begegnet, dann nimmt sie eben auch Interessen und Bedürfnisse ernst. Und das ist so ein klassisches Beispiel, was ich ja ganz, ganz viele Musikschullehrer schon machen. Ist ja ganz einfach. Also Kinder und Jugendliche mitentscheiden lassen, welche Stücke eigentlich gespielt werden im Instrumental oder Gesangsunterricht. Das ist so ein erster einfacher Schritt in die Richtung, der aber eben schon ganz viel Freiraum für die Kinder und Jugendlichen und ihre Interessen und Bedürfnisse eröffnet. Ich glaube, weitergehen kann es dann in solchen Bereichen wie Kinder dazu ermutigen, eigene Lernwege zu finden, die auch auszuprobieren, auch mal zu scheitern, das gemeinsam zu reflektieren, auch verschiedene Übetechniken mal auszuprobieren und auf die Tauglichkeit hin quasi zu erproben und damit darüber dann auch mit anderen Schülern und Lehrkräften in Diskurs zu treten. Das kann weitergehen bei Interpretationen und sicher auch in Richtung musikalische Mündigkeit. Also warum muss ich jetzt diejenige sein, die weiß, wie ein Stück oder ein Werk interpretiert werden sollte und gespielt werden sollte? Das ist sicher auch was, wo man gut drüber ins Gespräch kommen kann und auch mal verschiedene Sachen ausprobieren kann.

Anne Fritzen: Ich würd an der Stelle vielleicht noch einen weiteren Gedanken ergänzen. Da ging es jetzt bei dem, was Manuela gerade erzählt hat, ging es ja ganz viel darum, das eigene Lernen auch mitzusteuern und Freiräume zu schaffen. Und ich glaube auch, dass das zum Beispiel im Prüfungsbereich auch mit reingehen kann, dass man auch Schülerinnen und Schülern ermöglichen kann, individuelle Prüfungszeitpunkte für vielleicht Unterstufe, Mittelstufe, Oberstufe für solche Prüfungen zum Beispiel festzulegen, dass man unterschiedliche Zeitpunkte zur ja zur Auswahl stellt und da auch da eben Mitspracherecht gewährleistet. Genau. Mitspracherecht Zum einen auf das eigene Lernen bezogen ist, aber eben auch auf das Leisten und auch auf die Leistungsüberprüfung. Wir haben gerade eben schon gesagt, dass Musikschule da eigentlich ein Riesenpotenzial bietet, weil es, weil, weil sie eben ohne Zensuren arbeitet. Aber an manchen Stellen haben wir eben doch Prüfungen, auch wenn sie vielleicht freiwillig sind. Aber auch da kann man eben die Freiwilligkeit dann noch mit Freiraum ausgestalten, glaube ich.

Kristin Thielemann: Das klingt doch wirklich gut. Und vor allem klingt es so, als wäre es bei vielen von uns in der Unterrichtspraxis längst drin, auch ohne so explizit zu wissen, dass das eigentlich Demokratiepädagogik ist. Jetzt waren wir bei euren guten Beispielen gerade mittendrin im Unterrichtszimmer. Anne, gibt es denn auch demokratiepädagogische Projekte direkt von den Musikschulen selbst, von denen du uns hier berichten kannst?

Anne Fritzen: Ja klar, kann ich gerne was von erzählen. Da sind wir dann schon eigentlich bei noch einem weiteren Bereich. Also, Manuela hat ja eben von der von dieser Ebene Demokratie als Lebensform gesprochen. Es gibt noch zwei weitere, wenn man dieses Modell sich anguckt. Nämlich Demokratie als Gesellschaftsform und als Herrschaftsform. Zu Demokratie als Herrschaftsform gibt es tatsächlich schon ein paar, also wenn man das versucht zu übertragen, gibt es tatsächlich gute Praxisbeispiele mittlerweile schon, denke ich. Vielleicht würde ich noch ganz kurz was zur Gesellschaftsform sagen, weil ich glaube, es ist auch relativ eindrücklich.

Kristin Thielemann: Klar, sehr gern.

Anne Fritzen: Wenn man sich grundsätzlich anguckt, was damit gemeint ist, Demokratie als Gesellschaftsform, dann geht es darum, dass Demokratie als gelebte Praxis innerhalb von der Gesellschaft verstanden wird und ist damit quasi noch nicht auf einer Ebene von Staat und Politik angesiedelt, sondern quasi so ein bisschen unterhalb. Und damit ist zum Beispiel dann Pluralismus gemeint, also sozialer, politischer, religiöser, kultureller Pluralismus. Damit ist aber auch gemeint, dass wir uns mit einer friedlichen Konfliktregelung auseinandersetzen und eine aktive Zivilgesellschaft befördern. Und wenn man das jetzt noch mal auf Musikschule versucht zu beziehen, dann fällt, finde ich, total schnell und positiv auf, dass wir da eine Riesen-Ressource mit Musik haben. Also wir haben in der Musik sowieso ja eigentlich schon eine kulturell gelebte Praxis, die soziale, politische, religiöse Vielfalt abbildet. Und deswegen können Musikschulen da, oder auch der Musikschulunterricht kann da meiner Ansicht nach sehr leicht demokratische Handlungskompetenzen fördern. Und dass auch das schon in der Praxis passiert, sieht man ja auch daran, dass ihr zum Beispiel gerade im letzten Podcast Inklusion und Teilhabe diskutiert habt. Oder dass in den letzten in den letzten Jahren auch an Musikschulen sehr viele Bestrebungen unternommen worden sind, Vielfalt musikalisch stärker abzubilden und vom eurozentrischen Musikraum vielleicht auch ein bisschen nicht abzurücken, aber den zumindest zu erweitern. Und da schließt sich auch ein anderes Thema an, was du auch schon im Podcast diskutiert hast.

Kristin Thielemann: Du gehörst wohl auch zu den Stammhörerinnen. Freut mich!

Anne Fritzen: Ja, ich höre durchaus. Nämlich das Thema Artistic Citizenship.

Kristin Thielemann: Ah, natürlich, Folge 31 mit Wolfgang Lessing.

Anne Fritzen: Ja, genau, dahinter steht ja dieses Konzept oder die Grundüberzeugung, dass künstlerisches Handeln immer mit bürgerlich, sozialem, humanistisch emanzipatorischer Verantwortlichkeit verbunden ist und eben auch Verpflichtungen einschließt. Und wenn man sich da anguckt, wenn man Lernprozesse in diesem Bereich in Gang setzt, dann ist man eigentlich auch bei einem anderen Bereich, der in der Demokratiepädagogik total stark ist, nämlich Service Learning.

Kristin Thielemann: Service Learning. Habe ich schon mal im Schulkontext gehört, aber machen wir wahrscheinlich auch schon wieder, ohne zu wissen, dass es Service Learning ist.

Anne Fritzen: Und dafür ist eigentlich Manuela die viel größere Expertin wiederum als ich. Vielleicht mag Manu da noch mal kurz einspringen.

Kristin Thielemann: Service Learning. Manu, füll uns diesen Begriff doch bitte mal mit Inhalt.

Manuela Selzner: Ja, beim Service Learning geht es eben darum, sich gesellschaftlich zu engagieren, mal so grob zusammengefasst. Und ich glaube, da sind Musikschulen oft schon ganz viel tätig, ohne dass das jetzt bewusst unter diesen Ansatz gefasst wird. Aber ich sag mal so, das klassische Konzert von MusikschülerInnen in einem Altenheim oder in einer Grundschule oder ein Instrumentenkarussell in einer Kita oder so, das sind alles so Bereiche, die eben ein Engagement für andere sind und an denen beide Seiten immer lernen. Es ist eine Form von Peer-Learning auch, die da gut untergebracht werden kann. Wenn ich jetzt ein Konzert für jüngere Kinder gestalte, dann mache ich mir Gedanken darum, was könnte denen gefallen, womit könnte ich irgendwie die ja begeistern und oder wie kann ich ihnen was näherbringen vielleicht auch. Und die Kinder, die eben, die das Konzert bekommen, die profitieren ja auch davon.

Kristin Thielemann: Absolut. Die Institution Musikschule an sich, die halte ich in vielen Fällen schon mal für eine sehr demokratische Institution. Aber es ist natürlich möglich, dass nach außen hin noch viel, viel deutlicher zu machen und vielleicht auch nach innen hin. Ich habe als Schülerin im Landesjugendorchester gespielt, das wollte ich euch noch kurz erzählen. Das ist sicherlich auch ein demokratiepädagogisches Projekt. Und das war, wenn ich mich da richtig erinnere, ein sich selbst organisierendes Jugendorchester. Also wir hatten eine Konzertkommission, wo wir als Orchestermitglieder Vorschläge einreichen konnten. Diese Kommission, die wurde von uns gewählt, die Probespiele, die haben wir selbst organisiert und auch durchgeführt. Für die Werbung waren wir selbst verantwortlich. Wir haben auch die Tickets an der Abendkasse verkauft und ich kann mich daran erinnern, dass mir das extrem gefallen hat, damals, als Jugendliche für mehr als nur für meinen Trompetenpart verantwortlich zu sein. Aber damals hatte ich das natürlich nicht mit der Demokratiepädagogik verbunden. Ich hatte Demokratiepädagogik noch gar nicht auf dem Schirm. Aber so jetzt in der Retrospektive denke ich, das ist es wohl, oder?

Anne Fritzen: Auf jeden Fall.

Manuela Selzner: Ja, das ist total spannend, weil das ist genau eben dieser dritte Bereich aus diesem Himmelmann-Modell Demokratie als Herrschafts- und Regierungsform. Und da gehört eben genauso was rein wie Parlamente, wie gewählte Gremien, die selbst aktiv tätig werden und auch Handlungsspielräume bekommen, die sie dann ausfüllen können. Also in der Herrschafts- und Regierungsform geht es halt eben darum, dass Menschen- und Bürgerrechte gewährleistet werden. Es geht um Rechtsstaatlichkeit, um demokratische Wahlen und aber auch um Recht auf Opposition und soziale Sicherheit und um Mehrheitsentscheidungen bei Minderheitenschutz. Das sind klassische Prinzipien aus diesem Bereich. Und wir haben uns überlegt, dass sowas zum Beispiel in so einem Musikschulparlament gut umzusetzen wäre. Das gibt es an Schulen schon häufiger, so Schülerparlamente. Und ich würde dir, glaube ich, ein bisschen widersprechen wollen, weil, ich nehme Musikschulen nicht als sonderlich demokratisch strukturiert wahr. Ich glaube, dieses Jugendorchester, wo du warst, war eine ziemliche Ausnahme, wenn ich das aus meiner Wahrnehmung so sagen darf. Also ich glaube, Musikschulen sind häufig sehr autoritär organisiert. Es gibt eine klare Leitung und es gibt klare Mitarbeiter und Schüler und die Schüler haben oft relativ wenig Mitspracherecht. Im Einzelunterricht ist auch sicher noch häufig das Meisterlehre-Modell vorzufinden. Und ich glaube, dass man an dieser Institution schon noch einiges demokratischer gestalten könnte. Und wir haben mal so eine Form von Musikschulparlament versucht zu entwerfen, in der eben SchülerInnen, aber auch andere Akteure in Musikschulen miteinander über die Belange, die sie alle betreffen, entscheiden können. Und da würde jetzt in unserem Vorschlag jede Fachrichtung eben VertreterInnen wählen und auch die Ensembles oder andere Gruppen, die dann die Interessen ihrer Gruppe in diesem Parlament vertreten. Und sie würden dann vielleicht eine Lehrkraft als Vertrauensperson wählen, die das Parlament eben in der Arbeit begleitet. Das Parlament sollte dann auch in einem engen Kontakt mit der Musikschulleitung stehen und im Optimalfall auch ein eigenes Antragsrecht beim Förderverein haben. Und diese SprecherInnen des Parlaments, die könnten die Musikschule dann vielleicht auch nach außen in solchen kommunalen Jugendgremien vertreten. Da gibt es ja häufig schon Kinder- und Jugendparlamente oder so. Und wenn man ihnen da eben so ernsthafte Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten gibt, dann kann man, glaube ich, einen ganz großen Beitrag dazu leisten, Partizipationserfahrungen zu ermöglichen, zu reflektieren, vielleicht auch mal mit Dingen zu scheitern und das zu reflektieren, aber auch mal demokratisch Entscheidungen zu treffen, die dann erfolgreich sind. Und ich glaube, dass das ganz spannend sein kann. Da könnte eben dann auch ein Beispiel, wie du es eben auch genannt hast, so eine klassische Konzertorganisation sein. Vielleicht auch ein Benefizkonzert, wo man dann noch schaut, was machen wir eigentlich mit den Einnahmen von dem Konzert? Geht davon vielleicht eine Hälfte für einen guten Zweck irgendwie, den wir spenden und uns aussuchen? Oder machen wir was, was wir für die Musikschule gerne anschaffen würden? Oder finanzieren wir damit eine Konzertreise oder. Also ich glaube, da sind der Kreativität dann keine Grenzen gesetzt, was man da so machen kann.

Anne Fritzen: Ich würde Manuela da ganz gerne auch noch mal unterstützen. Du hattest ja, Kristin, gerade eben schon nach Beispielen aus der Praxis gefragt und so ein Beispiel, wie du das genannt hast, mit einem Orchesterrat, das ist mittlerweile zum Glück gar nicht mehr so ein Einzelfall. Hier gibt es zum Beispiel in der Gegend ein Jugendbrassorchester, das eben auch ein Orchesterrat hat. Und auf der Homepage, die Sie selber gestaltet haben, steht auch ganz groß oben drüber: Demokratie für alle. Also da ist irgendwie auch schon direkt mit diesem Gremium klar, dass es sich um eine demokratische Grundstruktur handelt. Und ja, der Orchesterrat schreibt da selber, dass sie eben dafür da sind, die Meinungen im Verein zu erkennen und zu analysieren und das aber eben auch an den Vorstand heranzutragen und den zu informieren. Und Sie schreiben selber, dass Sie sich sozusagen wie der «Hals des Vereins» sehen. Ähm, ich habe noch ein anderes Beispiel mitgebracht von einem Streichorchester, das aus Musikschulschülerinnen und -schülern und aber auch erwachsenen Laien besteht, die auch ein Orchesterrat haben. Und da schreiben Sie selber, dass eigentlich der Orchesterrat wie eine Art Klassensprecher fungiert, wo man eben auch schon sieht, dass es an allgemeinbildenden Schulen da schon viel mehr Modelle gibt, als es tatsächlich jetzt in Musikschulstrukturen oder an Musikschulen. Und genau diese Orchesterrat vertritt eben das Orchester dann auch nach außen gegenüber Interessierten, aber eben auch gegenüber der Musikschule und nach innen. Und man kann da zum Beispiel dann eben Fragen, Wünsche, Anregungen loswerden, aber eben auch Beschwerden und Probleme. Und die schreiben sich zum Beispiel auch ganz bewusst auf die Fahne, dass sie dann mit der Orchesterleitung nach Absprache mit dem Orchester zum Beispiel über so was wie Stückauswahl kommunizieren, Programmgestaltung, Besetzung, Auftritte, das, was wir gerade auch schon hatten, Flyer und Plakate. Und dass sie aber auch zum Beispiel auch Funktionen übernehmen, Kontakte zur lokalen Zeitung zu übernehmen und solche Dinge. Und ich glaube, das funktioniert schon ziemlich gut.

Kristin Thielemann: Das klingt ganz, ganz toll an und auch das, was du Manuela, da mit dem Musikschulparlament vorgestellt hast, das finde ich wirklich eine ganz, ganz prima Sache. Aber in einem Punkt möchte ich dir gerne widersprechen, Manuela. Nämlich, dass die Musikschule aus Schülerinnensicht als nicht demokratisch wahrgenommen wird und zwar flächendeckend. Denn junge Menschen, ich glaube, sie sind es heute vielfach nicht mehr gewöhnt, mit dieser klassischen Meisterlehre unterrichtet zu werden. Und da stimmen sie dann einfach auch mit den Füßen ab. Und sie suchen sich Lehrkräfte, mit denen Arbeiten auf Augenhöhe stattfindet. Also insofern haben Schülerinnen und Schüler da durchaus einen Einfluss, demokratisch arbeitende Lehrkräfte zu stärken. Aber das mag sein, dass ich da falsch liege.

Manuela Selzner: Ich habe ja auch nicht… Also ich meinte nicht, dass es flächendeckend so ist, sondern ich glaube, dass es schon noch häufig vorzufinden ist. Das heißt nicht, dass also ich glaube, es hat sich ganz, ganz viel im Musikschulunterricht getan in den letzten Jahren. Ich glaube trotzdem, es gibt da auch häufig noch eben diese klassische Meisterlehre zu finden.

Kristin Thielemann: Ich bin sicher, es gibt Schülerinnen und Schüler, die eben diese klassische Meisterlehre, dieses Top-Down-Modell für sich brauchen und das auch ganz bewusst suchen, für die das eine ganz geeignete Form ist. Aber meine Wahrnehmung, wenn die Auswahl besteht, zum Beispiel durch einen «Tag der offenen Tür», durch Probestunden, Empfehlungen von anderen, dann sammeln sich Kinder und Jugendliche eher bei den Lehrkräften, die mit ihnen wirklich auf Augenhöhe arbeiten und bei denen Unterrichtsinhalte auch viel stärker verhandelt werden. Aber wäre an dieser Stelle auch sicher ganz, ganz spannend zu erfahren, was die Hörerinnen und Hörer dazu meinen. Ihr Lieben, wenn ihr mögt, schreibt uns doch: podcast@schott-music.com ist die Adresse.

Manuela Selzner: Ich glaube trotzdem, dass die die Institution Musikschule schon sehr hierarchisch geprägt ist. Und wenn man da jetzt vielleicht auch, also dieses Musikschulparlament, was wir jetzt eben so aufgezeigt, aufgezeichnet haben als Idee, das ist ja dann noch sehr auf die SchülerInnen bezogen. Wenn man jetzt eben das nicht nur als Feld demokratischer Erprobung und Erfahrungssammlung für Kinder und Jugendliche gestalten will, sondern auch so die Institution Musikschule vielleicht ein bisschen demokratischer machen möchte, dann würde man da eben auch andere Gruppen der Musikschule einbringen. Das heißt, dann würden auch zum Beispiel die Reinigungskräfte oder Hausmeister ein Vertreter wählen und dorthin schicken. Dann würden die Lehrenden der unterschiedlichen Sektionen Vertreter wählen und dorthin schicken. Und dann würde es wirklich darum gehen, die Institution Musikschule demokratischer zu gestalten. Eben indem alle, die dort leben und tätig sind und lernen, gemeinsam ihr Zusammenleben gestalten.

Kristin Thielemann: Aber macht das dann nicht eine Musikschularbeit auch wahnsinnig träge und langsam, wenn da wirklich jeder sein Mitspracherecht einfordert? Wirklich vom Chef bis zum kleinsten Schüler und der Putzkraft?

Manuela Selzner: Ich denke, Demokratie ist immer ein bisschen aufwendiger. Da muss man sich dann leider mit anfreunden. Es heißt ja auch nicht, dass jede Entscheidung, die in so einem Alltag getroffen wird, von allen Beteiligten getroffen werden muss. Ich denke, da gibt es auch sicher Sachen, die im Alltagsgeschäft eben die Leitung entscheidet. Aber ich finde es schon wichtig, dass alle Gruppen Möglichkeiten haben, ihre Interessen und ihre Wünsche dort einzubringen.

Kristin Thielemann: Stichwort Interessen und Wünsche. Die Bundeselternvertretung, die hätte ich ja wirklich wahnsinnig gerne mal hier im Podcast zu Gast.

Anne Fritzen: Ich würde vielleicht auch gerne noch mal ganz kurz da einhaken, mit einem Beispiel aus der Praxis. Es gibt ja ganz häufig mittlerweile Musikschulbeiräte oder auch Musikschulräte…

Kristin Thielemann: Oder Elternbeiräte…

Anne Fritzen: Oder Elternbeiräte. Genau. Und wenn man sich da ein bisschen durchs Netz scrollt, wie die so zusammengesetzt sind, dann sieht man ganz häufig, dass zum Beispiel so was steht wie: Alle Beteiligten sitzen zusammen an einem Tisch. Wenn man dann aber tatsächlich genauer drauf guckt, dann ist unter «alle Beteiligten» ganz häufig gefasst: Elternvertretung, also, was natürlich toll ist, Stadtverwaltung, Lehrervertretung, Musikschulleitung und der Förderverein. Und ganz häufig finden Kinder da eben tatsächlich keinen Platz. Und ich glaube, da ist noch ein Riesenpotenzial nach oben, weil Kinder sind nun mal beteiligt an Musikschularbeit und sollten da denke ich auch unbedingt Mitspracherecht erhalten dürfen. Und ich glaube auch um noch mal darauf zurückzukommen, dass Musikschulen vielleicht nicht von Grund auf demokratisch gestaltet sind. Das klingt jetzt vielleicht an der Stelle irgendwie besonders hart oder vielleicht auch besonders sagen spitz oder herausfordernd. Ist es aber glaube ich gar nicht, wenn wir in deutsche Verwaltung im Allgemeinen gucken und Musikschule muss ja nun mal auch verwalten, dann sind die grundsätzlich einfach nicht demokratisch strukturiert. Das ist völlig normal, das hinterfragt auch kein Mensch. Warum auch? Also bis jetzt funktioniert es an vielen Stellen gut und an vielen Stellen soll das ja auch gerade nicht demokratisch gestaltet sein. Nur im Zuge jetzt dieses Themas haben wir uns eben Gedanken gemacht, auf welchen Ebenen man an Musikschulen eben trotzdem noch zusätzlich ansetzen kann. Und das wäre eben auch eine strukturelle Ebene, wo Musikschulen, glaube ich, beitragen könnten, indem zum Beispiel eben durch so ein Musikschulparlament oder die Beteiligung von Kindern in Musikschulbeiräten auch auf einer strukturellen Ebene tatsächlich ein Beitrag geleistet werden kann. Weil ich denke, nur so können wir auch gewährleisten, dass Kinder wirklich auch lernen von Grund auf, dass das eine Möglichkeit ist zu partizipieren. Also wir können natürlich immer im 1:1-Unterricht oder auch in der Erziehung dazu beitragen, dass Kinder ihre Meinung sagen, ihre Bedürfnisse äußern und auch lernen, ihre Meinungen so zu vertreten, dass sie vielleicht andere überzeugen können. Aber auf einer strukturellen Ebene haben sie eben ganz häufig keine Mitspracherechte. Und dann wundern wir uns, wenn zum 16. Geburtstag Wahlen auftauchen und für viele vielleicht so gar nicht klar ist: Warum soll ich denn jetzt da überhaupt hingehen? Was bringt das eigentlich? Und wenn wir da vorher schon Möglichkeiten schaffen, so ein demokratisches Miteinander zu üben, auch in sozusagen Parlamentssituationen, glaube ich, können wir da auch einen guten Schritt weiterkommen.

Manuela Selzner: Und ich glaube, du hast uns ja eben auch so begeistert von dem Konzert erzählt, was ihr in eurem Jugendorchester organisiert habt. Das ist ja jetzt auch schon ein paar Jährchen her und es ist ja aber sehr plastisch in Erinnerung geblieben und war sicher eine wertvolle Erfahrung für dich.

Kristin Thielemann: Weißt du, warum mir das so in Erinnerung bleibt oder warum mir das so in Erinnerung geblieben ist? Weil ich immer wieder Menschen aus diesem Jugendorchester treffe, die heute in ganz, ganz wichtigen Schlüsselpositionen in der Musikszene tätig sind. Ich treffe die permanent, diese Menschen und deswegen denke ich, dieses Orchester scheint doch irgendwas richtig gemacht zu haben.

Manuela Selzner: Genau. Die werden also ihr werdet da sicher auch, ohne dass es jetzt unter dem Wording gewesen ist, demokratische Handlungskompetenzen entwickelt haben, die Selbstwirksamkeit wurde gefördert. Ihr habt sicher auch Selbstvertrauen gewonnen, Sachen selber anzupacken und zu organisieren und in die Hand zu nehmen und eben auch euer Umfeld aktiv zu gestalten. Und ich glaube, dass sich dieser Mehraufwand dann schon lohnt, weil, das wird für den Dirigenten dieses Orchesters damals auch mehr Aufwand gewesen sein.

Kristin Thielemann: Eine Sache ist mir ganz besonders wichtig, die ich dort gelernt habe. Und zwar ist, glaube ich, eine Schlüsselkompetenz, die wir in Zukunft immer mehr brauchen werden. Was dort trainiert wurde, war einfach auch Umsetzungskompetenz. Das ist mir sehr in Erinnerung geblieben. Und ja, je mehr ich unterwegs bin, desto mehr Menschen treffe ich, die damals dort aktiv waren. Ich freue mich jedes Mal.

Anne Fritzen: Vielleicht ganz kurz: Ich glaube, Umsetzungskompetenz gehört an der Stelle auf jeden Fall auch mit zu demokratischer Handlungskompetenz. Es ist also ein wesentlicher Bestandteil tatsächlich auch das, was ich vorschlage und vielleicht dann durchbringe, tatsächlich auch nachher umsetze. Also das würde auf jeden Fall mit dazu gehören. Von daher eigentlich ein Vorzeigeprojekt, was du mitgemacht hast.

Manuela Selzner: Ja, und auch dazu gehört immer dann im Anschluss an die Umsetzung die Reflexion des Projektes. Ich glaube, das ist ausgefallen bei uns ja.

Kristin Thielemann: Ich glaube, das ist ausgefallen bei uns. Das hat dann beim Kaffee und Kuchen nach den Konzerten stattgefunden. Stichwort Demokratie und Sprache. Jetzt habe ich ja im Musikschulunterricht mit meiner Sprache durchaus die Möglichkeit, meine Haltung zur Demokratie sehr deutlich zu machen. Anne, machst du die Sprache mit deinen Studierenden zum Thema.

Anne Fritzen: Ja, natürlich. Kommunikation ist immer auch ein Thema, was man mit Studierenden bespricht. Ich habe jetzt in der letzten Zeit aber auch immer mal wieder Demokratiepädagogik mit auf den Seminarplan gesetzt und dann auch in dem Zuge natürlich über Sprache und Sprechen gesprochen. War jetzt direkt eine dreifache Doppelung an der Stelle.

Kristin Thielemann: Verleiht dem Ganzen richtig schönes Gewicht.

Anne Fritzen: Genau. Und ganz häufig waren Studierende da erstmal, wenn das auf dem Seminarplan stand, irgendwie verdutzt vielleicht. Weil Demokratie oder demokratisches Handeln für viele da überhaupt gar nicht auf dem Schirm ist, aber auch eine große Offenheit für das Thema da war. Und ganz häufig sind wir aber auch da doch wieder auf diesen, auf dieses Thema Meisterlehre zurückgekommen, weil Studierende häufig eben doch erleben, dass das Verhältnis zwischen Lehrkräften und Studierenden doch irgendwie sehr hierarchisch geprägt ist. Und das ist sicherlich natürlich durch eine unterschiedliche fachliche Expertise zu begründen. Aber ich glaube, dass wir zumindest an der Stelle doch irgendwie auch immer noch Relikte aus diesem Meisterlehre Prinzip, was wir ja schon seit Jahrhunderten eigentlich praktizieren und was er bis sich in die Antike zurückverfolgen lässt, doch irgendwie auch mitnehmen. Und das ist auch gar nicht unbedingt in allen Punkten negativ gemeint. Es meint ja eben einfach nur, dass viel durch Vor- und Nachmachen passiert, viel durch Imitieren, aber auch durch Mitmachen, aber eben immer an einem vorbildorientiert. Und diese Vorbildfunktion geht da eben dann auch rein bis in, ja, Vorbildfunktion in der Lebensführung, in der praktischen und ethischen Berufseinstellung usw. Und viele Studierende erleben in ihrem eigenen Unterrichtsalltag dann doch manchmal, dass sie sich nicht als vollständige Persönlichkeit wahrgenommen fühlen in ihren Bedürfnissen und dass sie sich gerne selber auch mehr einbringen möchten. Und auch in Bezug auf Sprache zum Beispiel mehr Sprachanteil im Unterricht zu erhalten, Kommunikation auf Augenhöhe, dass so was wie Lob- und Kritikverhalten in einem ausgewogenen Maß oder vor allem in einem konstruktiven Maß geäußert wird. Und das wiederum macht mir aber Mut, dass Studierende da so sensibel für dieses Thema sind und da auch sich aktiv beteiligen. Wir haben jetzt zum Beispiel bei uns in der Hochschule viele studentische Initiativen auch. Deutschlandweit gab es jetzt neulich eine studentische Initiative, die sich auch mit dem Thema Macht an Hochschulen auseinandergesetzt hat. Wir haben jetzt ganz neu bei uns an der Hochschule ein Awareness-Team, das sich gegründet hat.

Kristin Thielemann: Awareness-Team? Was macht man denn da?

Anne Fritzen: Die beschäftigen sich tatsächlich mit Machtstrukturen, die natürlicherweise an Hochschulen da sind, aber die auch eben geschaffen werden durch das Handeln aller Beteiligten. Und dieses Awareness-Team möchte Ansprechpartner sein für andere Studierende, die sich zum Beispiel in Konfliktsituationen befinden, mit Lehrenden vielleicht, oder auch untereinander, oder auch in Gremien. Und da dann mit auch mit so einer Art Peer-to-Peer Learning Unterstützung leisten können oder wollen. Ja, genau.

Kristin Thielemann: Awareness-Team, gefällt mir diese Idee, Anne. Ich habe gerade heute Morgen, als ich die aktuelle «üben & musizieren» 1/24 angefangen habe zu lesen, auf einer der ersten Seiten so eine kleine Notiz zu einem ähnlichen Projekt an der Uni Hildesheim gefunden. «Page Not found» heißt das, was diskriminierungs- und übergriffigkeitsfreie Begegnungsformen thematisiert. So war das, glaube ich, Link zu diesem Projekt, siehe Shownotes. Ich finde das wirklich hervorragend, wenn auch solche großen Institutionen eine Art, ja in Anführungszeichen «Filter» in ihrem System anbringen. Denn gerade, wenn man so dicht an was dran ist, dann fallen solche ja, wie formuliert man das jetzt… also vielleicht nicht unbedingt absichtlichen oder böswilligen Diskriminierungen… das fällt uns selbst gar nicht so auf, weil wir es vielleicht so übernommen haben von denen, die vor uns da waren, oder, oder… Jedenfalls tut es sicher gut, wenn da an manchen Ecken mal jemand mit der Taschenlampe hinleuchtet, damit wir den Staub wahrnehmen, der sich so in den Ecken des Alltags gesammelt hat. Oh lala, Frau Thielemann, im gefährlichen Dschungel des metaphorischen Sprechens unterwegs heute Morgen.

Anne Fritzen: Vielen Dank für den Hinweis. Ich glaube tatsächlich auch, dass in der Regel keiner, der unterrichtet, erstmal Negatives für seine Schülerinnen und Schüler will. Also wir unterrichten natürlich alle immer aus einem positiven Grundgedanken und weil wir wollen, dass irgendeine Art Mehrwert entsteht. Ich glaube eben ist es wichtig zu reflektieren, wie das passiert, um eben das auch im Sinne von Schülerinnen und Schülern oder auch Studierenden zu gestalten. Und ich glaube, um nochmal den Bogen zur Meisterlehre zu spannen. Selbst wenn wir sozusagen mit Mitteln der Meisterlehre unterrichten, glaube ich, hat das ein ganz paradoxen Vorteil an der Stelle. Denn wenn wir uns dann dazu entschließen, tatsächlich Demokratie auf demokratisches Handeln zurückzugreifen und diese Vorbildfunktion, die Meisterlehre ja mit sich bringt, behalten, können wir da einen unglaublich großen Einfluss nehmen und eben auch zu demokratischem Handeln als Vorbilder anleiten. Diese Vorbildfunktion hatten wir ja schon ganz am Anfang kurz angerissen und ich glaube, das ist irgendwie ein Paradox an der Stelle, dass wenn man Meisterlehre praktiziert und sich dann irgendwann mal zu demokratischem Handeln um entschließt, dass man dann extrem große Wirkung auch erzielen kann.

Kristin Thielemann: Ich finde der Umgang mit Fehlern, ohne euch dieses Stichwort jetzt klauen zu wollen, aber der Umgang mit Fehlern im Unterricht ist etwas, was enorm viel Potenzial hat, um deutlich zu machen: «Hey, hier findet keine Meisterlehre statt, sondern ich bin ein Mensch wie jeder andere auch. Und ich bin ein Mensch, der macht Fehler und ich bin ein Mensch, der steht zu seinen Fehlern und der versucht nicht fehlerfrei zu sein, sondern ein gutes Fehlermanagement zu pflegen.» Mit allem, was was getan wird im Unterricht, mit dem Spielen, mit dem Unterrichten. Und dazu gehört dann eben auch mal zuzugeben: «Oh, das ist mir jetzt vielleicht weniger gut gelungen und das mache ich beim nächsten Mal sicher besser.»

Manuela Selzner: Ich denke, da sind wir genau in dem Bereich, wie wichtig eben Sprache und Kommunikation ist im demokratischen Miteinander. Also es ist immer eine Frage auch davon, wie äußere ich so etwas und wie formuliere ich? Und in der Demokratiepädagogik wäre es jetzt eben so, dass man anstatt, ich sag mal dem Prinzip, was es staatlich ja auch gibt, von Befehl und Gehorsam auf Deliberation setzt. Und das heißt eigentlich nur die abwägende Diskussion von verschiedenen Alternativen, und zwar auf der Grundlage von Argumenten. Also man würde verschiedene Meinungen miteinander abgleichen. Das ist auch eine wichtige demokratische Handlungskompetenz. Man würde versuchen, sich in die Perspektive des anderen zu versetzen. Man versucht, die Argumente der anderen Personen nachzuvollziehen und am Ende würde man schauen, dass man konsensorientiert eine gemeinsame Lösung findet. Das muss kein Konsens sein, aber man würde den Prozess erstmal konsensorientiert gestalten und schauen, dass vielleicht von jedem etwas in der gemeinsamen Lösung dann drin ist. Und für solche Prozesse muss man einfach sehr bewusst mit Sprache umgehen. Dass Gesprächsregeln einhalten, eine Kommunikation auf Augenhöhe, sich auch der eigenen sprachlichen Überlegenheit bewusst sein, vor allem, wenn man mit jüngeren Kindern arbeitet. Da sind wir eben einfach sprachlich überlegen. Und das birgt auch eine große Möglichkeit zur Manipulation von Situationen und Entscheidungen. Und ich glaube, manchmal passiert es einem auch einfach unbeabsichtigt, dass man da beeinflusst. Aber das immer wieder zu reflektieren und da an sich zu arbeiten und zu schauen, dass man diese Überlegenheit nicht ausnutzt, ist glaube ich auch wichtig.

Kristin Thielemann: Ich habe neulich einen Fall gehabt, den wollte ich euch ganz kurz schildern. Und zwar war das eine Fortbildung und wir hatten so eine, so einen kleinen Panel Talk gemacht. Also jeder durfte Fallbeispiele schildern und da war ein Klavierlehrer, der hat von einer Schülerin erzählt, wo er gesagt hat: «Ja, ich habe schon alles versucht und sie will nicht üben. Lieblingsstücke hat sie nicht. Und ja, ich habe sie jetzt für ein Schülerkonzert angemeldet, mit einem Stück, was sie noch nicht konnte. Und dann musste sie halt übe!» Und hat erzählt: «Ja, das hat aber überhaupt nicht gut geklappt und sie hat auf der Bühne voll rum gezittert…» Und ja, ich habe schon fast Herzrasen gekriegt an dieser Stelle. Und dann fing er an, dann zu erzählen. «Belohnung habe ich auch versucht und es funktionierte auch nicht!» Dann hatte ich auch gedacht: Naja, Gott, wen wundert's? «Ja, und jetzt bin ich halt total streng und knallhart zu ihr. Und jetzt möchte ich von dir wissen, liebe Kristin, wie kann ich sie denn motivieren?» Na ja, und ich habe gedacht: Oh lala, was sagst du jetzt? Und dann habe ich die Frage einfach in die Runde der anwesenden Lehrkräfte gespielt und ich habe gesagt: Ja, was glaubt ihr denn, warum dieses Mädchen zum Klavierunterricht kommt? Und was glaubt ihr, wie sie sich gerade fühlt? Was hättet ihr denn jetzt für einen Tipp für diesen Klavierlehrer? Ich meine, es geht ja im Grunde ist es ja diese extrinsische Motivation. Also ich hatte nicht den Eindruck, dass dieses Kind den Unterricht freiwillig besucht und dass der Klavierlehrer eigentlich, egal was er tut, es sei denn, dass er dem Kind demokratisch wirklich hilft, sie aus dem Unterricht zu nehmen und sagt: Hey, ich stehe zu dir. Dass das die einzig demokratische Handlungsform ist mit der, mit der er diese Situation auflösen kann im Sinne des Kindes.

Manuela Selzner: Dem würde ich auf jeden Fall so zustimmen. Also Demokratie heißt auch immer, sich gegen Sachen entscheiden zu können. Und ich glaube, man hat unterschiedliche Neigungen und Interessen und nicht jeder muss alles in seinem Leben umsetzen. Und wenn ich eben selber gar kein Interesse am Klavierunterricht, am Fußballverein oder ähnlichem habe und es geht um meine Freizeit, dann wäre ja auch eine Umsetzung der UN-Kinderrechtskonventionen eben zu sagen: Die Kinder dürfen über alle sie betreffenden Belange mitentscheiden. Und es in dem Falle verletzt, dass keine Schulpflicht oder keine anderen gesetzlichen Grundlagen. Und dann wäre ja die naheliegendste Lösung zu sagen: Wenn das dir gar keinen Spaß macht, egal wie wir das hier gestalten und du hier einfach aus irgendwelchen Sachzwängen hinkommst, dann beenden wir das vielleicht lieber.

Kristin Thielemann: Ich habe dann zumindest auch mal die Frage in den Raum gestellt, ob es nicht auch übergriffig wäre, dieses Mädchen extrinsisch zum Klavierspielen zu motivieren und ob es nicht auch eine wahnsinnig große Chance für dieses Kind sein könnte, zu erleben, dass sich Erwachsene für sie einsetzen, vielleicht sogar gegen die eigenen Interessen, wenn sie ihr Anliegen klar artikuliert.

Anne Fritzen: Ich glaube, vielleicht bevor man dann zu der Maßnahme greift, den Unterricht zu beenden, würde ich auf jeden Fall die Frage, die du in dieser Fortbildung in die Runde gegeben hast, nämlich «Warum besucht dieses Mädchen eigentlich den Unterricht?» tatsächlich auch mit der Schülerin konkret zu erörtern. Vielleicht ist sie ja das noch gar nicht gefragt worden an der Stelle. Ich kenne die Situation nicht, das sind jetzt Mutmaßungen. Aber da erstmal mit der Schülerin selbst ins Gespräch zu gehen und zu fragen: Warum kommst du denn eigentlich? Und wenn man dann zu dem Schluss kommt, sie kommt tatsächlich nur weil keine Ahnung die Eltern das so möchten, dann kann man natürlich gemeinschaftlich den Beschluss fassen, den Unterricht sein zu lassen. Aber vielleicht hat sie ja noch andere Gründe, die sie aber so gar nicht geäußert hat oder sich vielleicht auch noch nicht traut zu äußern. Und ich glaube, da sind wir wieder beim Thema Kommunikation. Also ich kann mir, wie gesagt, ich kenne weder die Schülerin noch den Lehrer, aber ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Schülerin vielleicht auch gar nicht traut zu äußern, was ihre Lieblingsstücke sind. Ist es wahnsinnig selten, dass Kinder oder Jugendliche tatsächlich nichts an Musik haben, was ihnen gefällt und vielleicht handelt es sich einfach nur um ein Stück, von dem sie denkt, dass die Lehrkraft diesem Stück wenig aufgeschlossen gegenüber ist. Oder sie mag, was weiß ich, HipHop oder Techno oder man weiß es ja nicht. Und sie denkt sich vielleicht einfach, dass es in dem Kontext nicht legitim ist, diesen Wunsch zu äußern. Und ich glaube, wenn man da versucht, Offenheit herzustellen. Dass das eben, ja, dass das an Musikpräferenzen, was da ist, jemanden auch ausmacht und dass man das äußern kann. Auch wenn der Unterricht vielleicht klassisch ausgerichtet ist, dann ist, glaube ich, auch schon viel gewonnen.

Kristin Thielemann: Ich habe jetzt auch gedacht, Kommunikation ist auch wahrscheinlich ein Riesenstichwort, das mal anzusprechen. Aber dann gibt es ja dieses ich kenne das ja sicher Friedemann Schulz von Thun, dieses Kommunikationsquadrat, dass du dann relativ schnell von dieser Sachebene auf die Beziehungsseite kommst. Wenn man dann sagt: «Ja, warum kommst du denn eigentlich in den Musikunterricht?» Und das aber auf der Sachebene, meint aber dann, dass bei der Schülerin auf der Beziehungsseite ankommt: «Ja, warum kommst du denn überhaupt zu mir?» Also da glaube ich, muss man schon ja sehr feinfühlig seine Worte wählen und auch die Tonalität dessen, was man sagt. Ich fand das sehr gut, was Manuela auch gerade erzählt hat über dieses: Was wünscht du dir denn eigentlich von mir im Unterricht? Ich finde das sehr, sehr hilfreich. Ich mache das aber auch manchmal so, dass ich sage, dass ich ganz bewusst sage: Wenn du eine Sache weglassen könntest von unserem Unterricht, eine Sache, die immer wieder kommt, vielleicht eine Übung oder ja, oder irgendein Stück oder was wäre das, was würdest du weglassen? Da finde ich, da kommt man der Sache auch sehr, sehr schnell auf die Spur, wenn man sagt: Was machst du denn eigentlich nicht an diesem, an dieser Lektion, statt erstmal überhaupt Wünsche zu äußern. Weil eine Pizza ist schnell bestellt. Ich hätte gern meine Pizza Tonno mit Zwiebeln, mit Oliven, mit ja, weiß ich nicht… Aber zu sagen, also alle Zutaten zu nennen, ist oft ziemlich schwierig. Aber es ist sehr einfach zu sagen: Ich möchte sie diese Pizza bitte ohne Zwiebeln! Deswegen Ich komme ganz gerne mit diesem: Was möchtest du denn eigentlich weglassen? Ja, abschließend habe ich jetzt noch eine letzte Frage an euch beide: Was wünscht ihr euch denn für die Demokratiepädagogik im Musikschulkontext?

Anne Fritzen: Ich glaube ganz grundsätzlich erst mal Offenheit für das Thema. Ich glaube oder ich hoffe, dass im Gespräch jetzt auch schon deutlich geworden ist, dass schon viel an Musikschulen passiert, was in die Richtung geht oder auch im Unterricht geht, was Richtung Demokratiepädagogik geht, was wir vielleicht aber so bislang nicht benannt haben oder was vielleicht man so bisher nicht reflektiert hat, dass das dazu auch beiträgt, ein demokratisches Miteinander zu schaffen. Und da würde ich mir erst mal eine grundsätzliche Offenheit, glaube ich, einfach für das Thema wünschen. Und neben der Offenheit würde ich mir tatsächlich auch an manchen Stellen tatsächlich auch wirklich vielleicht konsequentere Umsetzung wünschen. In manchen Teilbereichen, weil wir zum Beispiel aus Orchesterstudien mittlerweile wissen oder aus der Orchesterszene wissen, dass mehr Mitbestimmung und mehr demokratische Strukturen zum Beispiel auch zu mehr Resilienz führen. Also die Orchestermusikerinnen und -musiker sind in Orchesterstrukturen, die mit mehr Mitspracherecht arbeiten, gesünder und fühlen sich wohler. Und ich glaube, das wäre ja durchaus was, was wir unseren Schülerinnen und Schülern auch absolut von Herzen wünschen. Und ja, wo wir auch zu beitragen können.

Kristin Thielemann: Danke Anne und auch danke für die vielen hilfreichen Ideen und Impulse von euch beiden heute. Und Manuela, was ist dein Wunsch für die Demokratiepädagogik an Musikschulen?

Manuela Selzner: Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass sich Musikschullehrkräfte und auch Musikschulleitungen mal mit ihrer eigenen demokratischen Grundhaltung befassen und vielleicht einfach Vorbilder für demokratische Werte sind. Und das muss auch immer gar nicht alles so super kompliziert sein. Und ich muss auch nicht immer den großen Wurf direkt machen. Und es muss jetzt nicht sein, dass morgen überall Musikschulparlamente gegründet werden. Aber wenn man zum Beispiel einfach an so einem Punkt davon mal ansetzt und sagt: Ich versuche jetzt mal bewusst auf meine Sprache zu achten in bestimmten Aushandlungsprozessen oder so, dann ist glaube ich schon ganz viel getan. Und wenn man so einen Schritt mal gemacht hat, dann merkt man vielleicht auch, wie viel man dann von den Kindern und Jugendlichen zurückbekommt und wie das auch den eigenen Unterricht bereichert. Und vielleicht traut man sich dann den nächsten Schritt zu. Und ich würde mir wünschen, dass sich viele dazu aufgerufen fühlen, mal in einen Bereich so einen ersten Schritt einfach zu wagen.