Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

Transkript

Zurück zur Episode

#41 Inklusion in der Musikschule

Teaser: Und das ist eine Kultur, die muss dringend überholt werden, abgeschafft werden, ersetzt werden mit einer anderen Kultur, dass nämlich das Kapital, dass wir als Musikschulen haben, unsere Lehrkräfte sind. Und diese Lehrkräfte, da brauchen wir nicht irgendwelche, sondern wir brauchen gerade im Zuge auf Inklusion die besten!

Intro: «Voll motiviert» – der Musikpädagogik-Podcast von Schott Music, dem Verband deutscher Musikschulen und Kristin Thielemann.

Kristin Thielemann: Hallo und herzlich willkommen zu «Voll motiviert» – eurem Musikpädagogik-Podcast Folge #41. Heute geht es um das Thema Inklusion in der Musikschule. Ein Begriff, der erst mal möglicherweise in Richtung Arbeit mit Menschen mit Behinderung denken lässt. Aber das ist längst noch nicht alles, denn es verbirgt sich hinter diesem Begriff so viel mehr. Und die Inklusion hat viel mehr Potenzial für einen gelungenen Unterricht aller Schülerinnen und Schüler, als wir auf den ersten Blick vielleicht annehmen. Je eingehender ich mich mit diesem Thema beschäftigt habe, desto mehr bin ich davon überzeugt: Musikschulen müssen in Zukunft Orte gelebter Inklusion sein. Warum, das erfahrt ihr nicht nur in der Potsdamer Erklärung von 2014, sondern auch heute hier bei uns. Wir sind wieder ein «Musikpädagogisches Quartett» und meine Gäste stellen sich euch gerade selbst vor.

Juliane Gerland: Mein Name ist Juliane Gerland. Ich habe Musikpädagogik und Musiktherapie studiert und bin aktuell an der Universität in Münster tätig und da zuständig für Musikpädagogik mit dem Schwerpunkt sonderpädagogische Förderung und Inklusion.

Rainer Buschmann: Mein Name ist Rainer Buschmann. Ich bin an der Musikschule Bochum tätig, bin hier Abteilungsleiter im Bochumer Modell. So heißt unsere Inklusionsabteilung in Bochum. Außerdem bin ich noch beschäftigt oder verantwortlich für den Rock-Pop-Jazz-World-Bereich, für den Veranstaltungen und für Öffentlichkeitsarbeit. Und daneben bin ich auch noch Inklusionsbeauftragter vom Musikschulverband in NRW.

Robert Wagner: Mein Name ist Robert Wagner. Ich bin Schulleiter an der Musikschule in Fürth. Jetzt mittlerweile im 38. Schuljahr, bin Lehrgangsleiter gemeinsam mit Claudia Schmidt und Otto Kondzialka des berufsbegleitenden Lehrgangs «Instrumentalspiel mit Menschen mit Behinderung» des VdM und Vorsitzender des Bundesfachausschusses Inklusion im VdM.

Kristin Thielemann: Danke, Juliane, Rainer und Robert, dass ihr euch die Zeit nehmt! Auch an euch da draußen vielen Dank, dass ihr wieder eingeschaltet habt und auch einen ganz lieben Dank für Eure vielen Kommentare, fürs Teilen, für die Feedbacks und die Nachrichten zur Folge 39 über Begabungsförderung und Talententfaltung mit Reinhold Friedrich und natürlich zur Jubiläumsfolge mit Ulrich Mahlert über das, was eine gute Musikpädagogik ausmacht. Aber jetzt zur Inklusion. Juliane, was verbirgt sich denn eigentlich hinter dem Begriff Inklusion?

Juliane Gerland: Das kommt wahrscheinlich darauf an, wen man fragt. Für Lehrer:innen an allgemeinbildenden Schulen bedeutet es wahrscheinlich das gemeinsame Lernen von Schüler:innen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf. Lehrkräfte an Musikschulen würden vermutlich antworten, dass es bei Inklusion darum geht, Formate in Musikschulen vielfältiger und barrierereduzierter zu gestalten. Grundsätzlich würde ich sagen, geht es bei Inklusion darum, einen Abstand von der Vorstellung zu gewinnen, dass es nur eine ganz bestimmte Form von Normalität oder einen festgelegten Mainstream gibt. Sondern Vielfalt und Unterschiedlichkeit aller Menschen als selbstverständlich und begrüßenswert zu betrachten.

Kristin Thielemann: Das war wirklich top zusammengefasst. Danke! Aber so eine inklusionsfreundliche Einstellung muss bei uns eben auch oft erst mal wachsen, bis wir in Vielfalt und Unterschiedlichkeit kein Manko mehr sehen, sondern Vielfalt und Unterschiedlichkeit eben auch als Ressource betrachten können.

Juliane Gerland: Häufig trifft man auf zwei Verständnisse von Inklusion: den sogenannten engen Inklusionsbegriff, bei dem es genau darum geht, Benachteiligungen für Menschen mit Behinderung zu vermeiden. Oder eben den sogenannten weiten Inklusionsbegriff, der grundsätzlich von der Verschiedenheit von Menschen ausgeht und eher versucht, auf Kategorisierungen anhand von solchen Merkmalen wie beispielsweise Behinderung oder Herkunft zu verzichten. Und für die Musikpädagogik erscheint mir hier als ganz entscheidend eine Verschiebung weg von starren externen Normen und Erwartungen, zugunsten eines Fokus auf die Personen, mit denen wir konkret arbeiten wollen. Was sind deren individuelle Wünsche? Was sind ihre Erfahrungen und Ressourcen? Was haben wir da musikpädagogisch Passendes im Angebot?

Kristin Thielemann: Ja, was haben wir denn da Passendes im Angebot? Frage nach Bochum und Frage nach Fürth: Wie sieht denn gelebte Inklusion an euren Musikschulen aus, Rainer und Robert?

Rainer Buschmann: Ja, in Bochum hat das schon eine lange Tradition. Das Bochumer Modell hier wurde 1979 gegründet von Werner Probst. Und sein Grundgedanke war einfach, allen Menschen einen Zugang zur Musikschule zu ermöglichen. Und das war damals sicherlich sehr innovativ. Das konnten sich viele Menschen nicht vorstellen. Inzwischen ist das eigentlich gelebte Praxis, dass hier sich sehr viele verschiedene Menschen begegnen, gemeinsam musizieren und miteinander sehr viel Freude haben, einfach was gemeinsam zu entwickeln. Also es ist eine… Es gibt eine große Offenheit auch und das ist das Schöne eigentlich daran.

Robert Wagner: Ja, ich knüpfe gleich an Rainer. Er hat Professor Dr. Werner Probst erwähnt, der diesen Lehrgang in Remscheid etabliert hat, wo Menschen, die eine Hochschulausbildung, pädagogische Ausbildung Musik haben, weiterqualifiziert werden zur Musiklehrkraft für Menschen mit Behinderung. Und kurz nachdem ich die Musikschule in Fürth 1985 erdacht habe und 86 dann gegründet, bin ich dann auf Professor Probst gestoßen, weil es mir ganz wichtig war, eine Musikschule zu gründen, zu leben, die wirklich allen Menschen annehmbare Angebote macht. Und der Faktor «Es macht viel Freude / Es macht viel Spaß», Reiner hat ihn erwähnt, der spielt eben auch bei uns eine große Rolle, mit unserem Slogan «Weil Können allen Spaß macht». Und zu diesen «allen» gehören eben wirklich, ohne dass man sie besonders erwähnen sollte und müsste, Menschen mit Behinderung genauso wie Menschen mit Migrationshintergrund, genauso wie Menschen, die vielleicht sich Musikschule nicht leisten können, wo dann auch Musikschule wirklich da sein muss und wo die Öffentlichkeit einen Ausgleich schaffen muss, dass auch – ich nenne es jetzt beim Namen – Menschen aus nicht so betuchten Haushalten ihr Recht auf Teilhabe an musisch-kultureller Bildung verwirklichen können. Nur ist Inklusion ja viel mehr! Rainer hat es schon angedeutet, wie dieses Reduzieren auf Menschen mit Behinderung. Bei uns ist die inklusive Entwicklung von Anfang an Programm gewesen an der Musikschule. Es ging auch wirtschaftlich gar nicht anders, weil unsere Musikschule zu Beginn ihrer Laufbahn sehr wenig gefördert war von der Kommune. Und wir mussten uns von Anfang an öffnen, auch für Menschen die erwachsen waren oder Seniorinnen und Senioren. Und wir hatten von Anfang an einen großen Anteil an diesem Klientel. Und das hat schon mal die Pädagogik durcheinandergewirbelt, weil wir mussten dann mit ganz anderen Menschen zurechtkommen und unser Angebot auf sie abstellen, wie das landläufig in den Musikhochschulen eben gelehrt wird. Und die inklusive Entwicklung heißt auch bei uns an der Musikschule, dass wir möglichst hierarchiearm die Musikschule leiten, dass wir sowohl räumlich klar machen wir haben einen Verwaltungsraum, wo Schulleitung und Verwaltung mit drinsitzt, wo das Lehrerzimmer direkt daneben ist, wo wirklich jeder sich begegnet. Wir haben einen regen Austausch und ein Leitungsteam, das zurzeit aus zehn Menschen besteht, also ein großer Teil unseres Kollegiums. Wir sind insgesamt 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ist in diesem Leitungsteam integriert und wir gestalten gemeinsam diese Schule. Und das gehört auch zur inklusiven Schulentwicklung dazu. Und das ist ein ganz wichtiger Kernbereich, der eben auch ganz, ganz viel Spaß machen kann.

Kristin Thielemann: Ein langer Weg, den ihr da gegangen seid, klingt für mich jetzt echt herausfordernd, eine Schulleitung so umzubauen, dass die Hierarchien auch wirklich so flach sind und man da komplett auf Augenhöhe unterwegs ist. Aber kommt sicherlich viel, viel Gutes bei rum für alle. Und ja, aber apropos Musikschule Fürth. Ich habe deine Schule und die Band «Vollgas», in der Menschen mit Behinderung musizieren und die auch oft mit anderen Bands gemeinsam Konzerte geben, das erste Mal auf dem Musikschulkongress 2013 in Bamberg gehört. Echt super spannend und musikalisch ein absolutes Erlebnis, diese Band «Vollgas»! Aber noch mal zur Unterrichtspraxis Inklusion. Ich stelle mir das auch für die Lehrkräfte echt herausfordernd vor. Denn mit Menschen, die so von der Norm abweichende Bedürfnisse ans Musizieren und ans Lernen haben, ist man mit dem klassischen, in Anführungszeichen Umblätterunterricht natürlich recht verloren. Ja, definiere Umblätterunterricht. Umblätterunterricht, neue Herausforderungen ist immer die neue Seite in der Instrumentalschule, sprich vorgegebener Lernweg versus einem Lernweg, der um einiges virtuoser sein darf.

Juliane Gerland: Ja, virtuoser oder vielleicht flexibler. Also das kann ja auch mal die nächste Seite in der Instrumentalschule sein. Das ist ja genau die Frage: Ist es vielleicht jemand, der das gerne möchte, der sie sehr linear weiterkommen möchte? Das ist ja häufig auch was, was sehr zufriedenstellen kann, wie Robert das ja immer sagt, dass Können eben für alle wichtig ist und ganz toll. Und das natürlich auch einfach das nächste Stück lernen, den nächsten Ton zu greifen wissen, das sind natürlich total befriedigende Lernergebnisse. Und für eine andere Schülerin ist es das vielleicht gar nicht. Die möchte vielleicht eine Zeit lang sich viel weniger mit ihrem Instrument beschäftigen, sondern da geht es vielleicht dann mal eine Zeit lang eher um Singen, obwohl es eigentlich vielleicht um Gitarrenunterricht geht. Aber dann muss man sich vielleicht mal eine andere, einen anderen Zugang zur Musik überlegen. Und da eben immer genau hinzugucken und zu überlegen: Was sind denn eigentlich die nächsten Dinge, die erreicht werden können, die umgesetzt werden können und wie kann man das genau erreichen?

Kristin Thielemann: Virtuoses und flexibles Unterrichten. Wo lerne ich das eigentlich? Ja, da sind wir schon fast beim Stichwort Musikhochschulen. Dieses Feld würde ich aber jetzt ganz gerne noch kurz zurückstellen. Dazu kommen wir aber auf jeden Fall heute noch. Erst einmal habe ich aber eine Publikumsfrage zum Thema Unterricht für Menschen mit Behinderung. Diese Frage aus dem Publikum wollte ich gerne an euch drei weiterleiten. An euch und natürlich auch an die Hörerinnen und Hörer da draußen. Denn hier braucht jemand einen wirklich guten Rat von uns allen und ja, ist in dieser Situation auch ganz sicher nicht alleine. Übrigens finde ich es super toll, wenn hier in der Podcastredaktion knifflige Fragen landen. Und ja, deshalb stelle ich auch meinen Gästen immer wieder gerne eure kniffligen Fragen. Kleine Sidenotiz: Die Mailadresse für eure Fragen und natürlich auch für euer Feedback lautet podcast@schott-music.com. Jetzt aber zu der Hörerinnenzuschrift. In dieser Mail steht Folgendes: Ich bin Klavierlehrerin an einer kleineren Musikschule mit mehreren Außenstellen in den umliegenden Dörfern. In einer dieser Außenstellen gibt es eine Anfrage nach Klavierunterricht für ein neun jähriges Kind mit Downsyndrom. Die Aufgabe reizt mich sehr. Allerdings habe ich absolut keine Ausbildung für den Unterricht mit Behinderten. In meinem Studium wurde sich immer nur darauf konzentriert, wie unsere Schülerinnen und Schüler möglichst schnell eine hohe Leistung auf dem Klavier vollbringen können. Wenn ich dieser Familie aber nun absage, erhält das Kind keinen Musikunterricht. (Klavier ist das Einzige, was unsere Musikschule in diesem Dorf anbietet. Fahrten in die nächste Großstadt zu speziell geschulten Lehrkräften sind nicht möglich.) Meine Frage: Gibt es Literatur oder Kurse, damit ich mich schnell in das Thema Musikunterricht mit Downsyndrom-Kindern einfinden kann? Oder sollte ich der Familie besser absagen? Dann gibt es hier in dieser Mail noch ein P.S.: Ein spezieller Studiengang würde sich für mich nicht rechnen, da meine Klasse bereits voll ist, ich außerdem keine Zeit für eine Fortbildung habe und dieses meine erste Anfrage in dieser Art war. Ich würde mich sehr freuen, wenn es die Möglichkeit gibt und du, liebe Kristin, diese Frage im Podcast deinen Gästen stellst. Ja, das mache ich doch gerne. Ich leite diese Frage mal weiter in die Runde. Wie sieht es aus? Was würdet ihr dazu sagen? Robert, gibt es einen Tipp von dir aus dem Bundesfachausschuss Inklusion?

Robert Wagner: Das ist eine sehr knifflige Frage, weil ohne sich fortzubilden und ohne sich weiterzuentwickeln und ohne etwas zu investieren, wird man wahrscheinlich keine Lösung finden. Also es müssen beide Teile letztendlich aufeinander zugehen. Beide Teile, das heißt die Lehrkraft als auch die Schülerin oder der Schüler Und die müssen sich kennenlernen, die müssen eine Beziehung aufbauen, die müssen sich aufeinander einlassen. Ob dann letztendlich wirklich das Klavier im Zentrum steht oder ob das Kind eine ganz andere Lust hat, Musik zu machen, das wird sich herausstellen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es mit dem Klavier sehr gut funktioniert, wenn man sich nur davon löst, dass es um Klavierunterricht geht. In erster Linie sollte es um Musikunterricht gehen und um die Freude, gemeinsam Musik zu machen, etwas zu können, was man dann in ein größeres Ganzes einbringen kann. Ziel ist ja immer, dass gemeinsam musiziert wird. Das ist ja der Kernbereich letztendlich der Musikschule. Und dieses gemeinsame Musizieren erfordert eine ganz andere Wahrnehmung der Aufgaben, die es zu erledigen gilt, auch der Aufgaben, die es in einer Musiziergruppe zu erledigen gilt. Da braucht man jemand, der rhythmisch arbeitet, der melodisch arbeitet, der sich sängerisch einbringt, der harmonisch arbeitet. Und diese ganze Ausdifferenzierung, die ermöglicht es leicht auch, wen auch immer zu unterrichten. Und man muss sich freimachen von festgelegten Lernzielen hin zu individuellen Entwicklungszielen. Und das kann man sehr gut machen. Es gibt eben diesen Lehrgang, ich habe es bereits erwähnt an der Akademie Remscheid, den Rainer hat es auch erwähnt, Professor Werner Probst etabliert hat. Und diesen Lehrgang kann ich nur wärmstens empfehlen. Dort geht es genau um diese Dinge, die ich angesprochen habe. Es geht um eine Haltungsänderung, es geht um eine grundsätzliche Offenheit. Und es geht darum, dass man vom instrumentalbezogenen Klavier- oder Geigen- oder Gitarrenunterricht wegkommt und sich dem Musikmachen, dem gemeinsamen Musikmachen stellt. Und das Ganze mit Freude.

Kristin Thielemann: Ich habe gerade schon mal gegoogelt, während du gesprochen hast und deswegen kann ich das jetzt auch ansagen, stellte es aber auch in die Shownotes: Weitere Infos zu dieser Fortbildung findet ihr unter www.musikschulen.de/projekte/inklusion. Ganz großer Klicktipp. Juliane, was sagt die Professorin mit Schwerpunkt sonderpädagogische Förderung und Inklusion zu dieser Hörerinnenfrage?

Juliane Gerland: Ja, ich würde Robert da zustimmen und außerdem gerne ermutigen, das vielleicht einfach mal zu probieren. Weil, letztendlich kann ja Klavierunterricht auch mit Kindern ohne Downsyndrom schief gehen. Und warum sollte Klavierunterricht mit Kindern mit Downsyndrom nicht auch einfach gut gelingen können? Weil genau das, was Robert beschrieben hat, man muss sich ja erst mal vielleicht kennenlernen und mal gucken, wie passt es denn? Was wird eigentlich gewollt, was ist vielleicht schon da? Das fände ich toll, wenn es die Gelegenheit geben würde, das erst mal auszuprobieren, ohne den Anspruch, das dann sofort in der nächsten Woche ein erstes Lied auf dem Klavier gespielt wird oder irgendeine bestimmte Anschlagstechnik erlernt wird, sondern das einfach mal auszuprobieren. Im Zentrum sollte die Musik stehen und die gute Interaktion zwischen der Klavierlehrerin und dem Kind. Und das kann man doch mal probieren. Und dann, idealerweise so viel Interesse entwickeln, dass es für eine Fortbildung reicht. Das wäre ja auch wieder im Interesse der Musikschule.

Kristin Thielemann: Da hast du natürlich vollkommen recht. Und wie schön, wenn es an jeder Musikschule eine oder mehrere Lehrkräfte gibt, wo man sich dann vielleicht auch mal ein paar Tipps holen kann, wenn man in der Situation ist, wie diese Klavierlehrerin, die uns hier gerade geschrieben hat. Rainer, deine Antwort auf die Frage dieser Hörerin würde ich aber auch unglaublich gerne noch hören.

Rainer Buschmann: Ja, es ist ja schon viel gesagt worden, aber ich hätte tatsächlich noch eine Ergänzung. Es ging ja hier um einen Schüler, eine Schülerin mit Downsyndrom. Und diese Formulierung sagt eigentlich erstmal gar nichts aus. Das ist auch sehr wichtig. Es gibt eine unglaubliche Palette. Das ist so, wie wenn ich sagen würde: Da kommt ein Junge zum Klavierunterricht! Dann weiß ich auch nicht, was dahintersteckt. Und deswegen das Wichtigste ist eigentlich, dass man neugierig ist, dass man nicht Musik studiert und denkt, man hat dann die nächsten 40 Jahre ausgesorgt und kann dann sozusagen das Wissen aus dem Studium abrufen, was natürlich auch dazugehört. Aber es geht um eine Neugier. Es geht auch um Neues zu entdecken, Fortbildungen. Und das macht das Leben spannend. Stichwort lebenslanges Lernen. Da kann man viel erleben. Sonst wenn man immer bei seinen Sachen bleibt, kann es auch passieren, dass man mit der Zeit ein bisschen ich sag mal, vertrocknet und so, und das finde ich einfach wichtig, diese Neugier, das ist so entscheidend, das würde ich eher empfehlen.

Kristin Thielemann: Ja, und ich möchte auch noch was dazu sagen, denn ich habe eine geistig behinderte Stieftochter. Sie ist 25 Jahre alt und wenn sie hier bei uns ist und uns besucht, dann spielen wir einfach ein bisschen zusammen Klavier. So im Rahmen ihrer Möglichkeiten und im Rahmen meiner Möglichkeiten. Aber wir machen einfach Musik und es wird meistens irgendwie eine ganz lustige Jam Session, weil alle dazu beitragen, alle Familienmitglieder machen irgendwie mit, wenn sie da ist und Lust hat, Klavier zu spielen. Und es ist eine schöne Erfahrung. Und ja, ich habe keine Ausbildung für den Unterricht, für Menschen jetzt speziell mit dieser Behinderung, die meine Stieftochter da hat, aber wir haben trotzdem immer Freude beim Musizieren. Und wenn sie kommt, dann sagt sie: «Oh, ho! Klavier spielen, Klavier spielen.» Ja. Also vielen Dank euch für das Schwarmwissen. Jetzt haben wir so ein bisschen das Thema Hochschule schon gestreift, denn wenn ich höre, ja, man muss eine Fortbildung machen, dann denke ich doch, wenn ich heute ins Studium gehe, dann fände ich das gut, wenn da irgendwie so eine Art Basiswissen schon mal gelegt werden würde. Juliane, wie sieht es denn dort aus an den Hochschulen? Ist Inklusion denn dort mittlerweile flächendeckend in den Curricula der Musikpädagogik angekommen oder siehst du da noch Nachholbedarf?

Juliane Gerland: Also ich habe jetzt keine aktuellen und verlässlichen Daten aus dem gesamten Bundesgebiet. Ich habe mir das zuletzt 2016 mal angeguckt und habe da in den spezifischen Studiengängen schon festgestellt, dass damals nur ein sehr kleiner Anteil der Studiengänge das Thema Inklusion an einer prominenten Stelle ausgewiesen hat. Das ändert sich aber natürlich, das ändert sich, ändert sich mit jeder Akkreditierung eines neuen Studiengangs. Das ändert sich mit jeder Reakkreditierung bestehender Studiengänge. Und entscheidend ist ja eigentlich auch viel mehr das, was inhaltlich in den Studiengängen passiert, beziehungsweise auf einer kleineren Ebene, was sich in den Lehrveranstaltungen wirklich abbildet. Und da ist mein Eindruck, dass Inklusion als pädagogisches Thema mittlerweile durchaus in der Fläche breiter angekommen ist. Das fordern die Studierenden auch ein, so wie ich das erlebe, dass die auch schon eine Idee davon haben, dass sie eben auf einen vielfältigen Berufsalltag treffen werden. Allerdings dürfte das für meinen Geschmack in den Musikhochschulen noch deutlich konkreter und damit meine ich didaktischer sein. Also ich finde es wichtig, dass Studierende die Gelegenheit bekommen, sich damit auseinanderzusetzen, was Vielfalt von Lernenden eigentlich für ihr eigenes Fach bedeuten kann, dass sie sich damit auseinandersetzen und sich ausprobieren können. Dass sie Erfahrungen sammeln, Erfahrungen, was es bedeutet, mit Irritationen oder auch mal mit Fremdheit konfrontiert zu sein. Sich bereits im Laufe des Studiums zu vergegenwärtigen, dass es nicht für jede musikpädagogische Herausforderung immer eine vorgegebene Bilderbuchlösung gibt. Und von dieser Haltung und von diesem Denken, davon könnten, glaube ich, eigentlich alle musikpädagogischen Studiengänge noch mehr vertragen.

Kristin Thielemann: Gebe ich dir vollkommen recht. Und ich finde es ja eigentlich schade, denn meine Erfahrung, wir Musiklehrkräfte, wir würden ja extrem gerne eine bunte Klasse haben, aber ja, für manche Settings sind wir einfach schlicht nicht ausgebildet und da entsteht dann auch Hilflosigkeit, Überforderung, vielleicht Stress. Ich war jetzt gerade letztes Wochenende bei einer Musikschule zu Gast und habe so einen Tageskurs zum Thema Umgang mit unruhigen Kindern oder in Anführungszeichen schwierigen Gruppen gegeben. Und ja, da mache ich auch immer einen großen Block zum Thema ADHS. Das ist mir ganz, ganz besonders wichtig. Dort waren wir 25 Lehrkräfte zwischen ja so was wie «frisch von der Hochschule» bis «Ich kann die Rente schon riechen». Und wirklich bei keinem war ADHS im Studium ein Thema gewesen. Und das, obwohl ja jetzt gerade mal ADHS bis zu 6 % aller Menschen betrifft. Und ich, ich würde vermuten, dass das sehr vorsichtige Schätzungen sind, denn nicht jeder Mensch mit ADHS wird auch medizinisch-psychologisch diagnostiziert, wird abgeklärt. Aber gerade bei ADHS, da kann man jetzt auch wirklich nicht mehr von selten sprechen. Das ist was, was alle unterrichtenden Lehrkräfte betreffen wird und wo wir einfach das nötige Fachwissen brauchen und wir in den Musikschulen, wir möchten ja gerne mit all diesen Menschen Musik machen, aber dafür braucht es eben manchmal Hilfestellungen. Und ja, die würde ich mir doch sehr auch von einem Studium wünschen. Wie sieht es denn mit den jungen Kolleginnen und Kollegen aus, die von den Hochschulen zu euch kommen? Sind die gut gerüstet, was das Thema inklusives Arbeiten angeht? Robert, wie erlebst du das?

Robert Wagner: Wir arbeiten ja sehr eng mit der Musikhochschule Nürnberg zusammen. Und in Nürnberg ist es so, dass zwei hervorragende Kräfte an der Spitze stehen: Rainer Kotzian und Renate Reitinger.

Kristin Thielemann: Rainer Kotzian war auch schon bei «Voll motiviert» zu Gast und zwar in Folge 10 «Orff-Schulwerk, aktuell in digitaler Zeit» und soweit ich mich erinnere auch in Folge 14 und da ging es um die Produktion von Videotutorials. Ja, ganz, ganz, ganz toller Mensch.

Robert Wagner: Und diese beiden sind sehr, sehr offen und man merkt bei beiden, dass sie Pädagogik nicht bloß gelernt haben, sondern dieses Fach auch für sich als Herausforderung begreifen und neugierig darauf sind. Bei Rainer merkt man, dass er am Orff-Institut war, wo ein ganz anderer Zugang war und unter ganz andere Grundaufgabenstellung wie jetzt vielleicht an einer traditionellen Musikhochschule. Und die Zusammenarbeit mit dieser Hochschule führt immer wieder dazu, dass wir Unterrichtspraktikas oder Orientierungspraktikas machen. Bei uns an der Musikschule und in den Nachbarmusikschulen rund um Nürnberg herum. Und da kriegen wir natürlich hautnah mit, wie die Entwicklung ist, wie die Neugierde bei den Studierenden geweckt werden kann, wenn man so ein Praktikum ordentlich aufzieht und dann sie konfrontiert, einfach die Teilnehmenden, mit der Praxis und dann auch spüren lässt, wie schön es ist, wenn man die eigene Neugier mal wieder ins Zentrum seiner Motivation stellt. Dass man einfach Spaß daran hat, wenn man einen Schüler oder eine Schülerin, die gerade ein Problem mit irgendeinem musikalischen Phänomen hat und dann einfach die Freude daran verspürt zu sagen: Ich lasse mir jetzt was einfallen. Ich nehme das als persönliche Herausforderung. Ich bin neugierig. Ich möchte, dass wir das gemeinsam schaffen und diese Freude daran, dann nach einer gewissen Zeit zu erleben. Hoppla, jetzt haben wir es geschafft! Indem er eben nicht den traditionellen Weg gegangen ist, sondern vielleicht ganz anders an das Phänomen herangegangen sind. Vielleicht haben wir mal das Saxofon weggelegt und haben das Problem über das Xylophon gelöst. Oder über Singen oder über sonst irgendwas. Und diese Offenheit, die wünsche ich mir bei manchen Hochschullehrenden noch mehr, dass die auch wächst. Aber wie gesagt, wenn schon die Führung an der Hochschule offen ist, dann ist es eine Frage der Zeit, dass sich an der Hochschule insgesamt was bewegt. Und ich habe da schon eine gewisse Hoffnung, nicht allerdings eine kurzfristige, sondern eher eine, die noch ein paar Jahre dauern wird. Und da ist auch ganz wichtig, dass die Hochschulen erkennen, wir sind eigentlich Ausbildungsinstitutionen und wir bilden für den Markt aus und das sind einmal die Orchester oder die Solistinnen und Solisten und das sind zum anderen aber die Privatmusikerzieher und -erzieherinnen und das sind die Musikschullehrkräfte. Und für diesen Markt, wenn man ausbildet, dann muss man sich natürlich informieren: Was braucht der Markt zurzeit? Und Musikschulen, die sich ja immer mehr behaupten müssen im Konkurrenzkampf gegen andere, die müssen attraktiv sein und die müssen sich auch positionieren und Angebote machen, die wirklich neugierig machen, die neue Schülerinnen und Schüler locken, die andere Kreise erziehen, die hineinwirken in die Gesellschaft. Also ich traue mich zu sagen, dass wir insgesamt auch von der Hochschule aus den Arbeitsplatz der Musikschule neu beleuchten sollten. Was wird da gebraucht und warum ist eine öffentliche Musikschule überhaupt öffentlich gefördert? Also was ist der Grund ist? Es geht einfach darum, dass viele Menschen irgendwie einmal ein Hochschulstudium aufnehmen können. Unter uns eine Klammerbemerkung Es sind gerade mal 1 bis 2 %, die Musik zum Beruf machen. Der Rest spielt an einer Musikschule just for fun Musik. Und wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass dieses «Just for fun-Musizieren» ein eine andere Herangehensweise braucht, in der man viel offener ist. Und wenn man früher immer gesagt hat, die Schülerinnen und Schüler, die müssen erst einmal wieder wahrnehmen lernen, dann drehe ich hier den Spieß um und sage: Nein, wir Lehrkräfte müssen wahrnehmen lernen, wer sitzt da eigentlich vor uns? Und wir müssen mit Spaß uns dieser Aufgabe stellen, aus dieser Wahrnehmung dann wirklich einen Erfolg, einen Lernerfolg abzuleiten und den zu generieren. Und es macht wahnsinnig Spaß. Und das wünsche ich mir, dass die Hochschulen das noch vielleicht ein bisschen mehr erkennen und sich zur Aufgabe machen.

Kristin Thielemann: Vielleicht an dieser Stelle mal Juliane mit einer Innensicht aus den Hochschulen?

Juliane Gerland: Ich glaube, dass die Musikhochschulen, was Inklusion angeht, vor einer sehr komplexen Herausforderung stehen. Einerseits erwarten wir ja genau das, was Robert eben beschrieben hat: Sie sollen Studierende auf inklusionsorientierte Unterrichtswelten vorbereiten. Und wir wollen eigentlich auch, dass die Hochschulen selber als Orte inklusiver werden, vielfältigere Studierende aufnehmen, sich überlegen Wie können wir mit Eignungsprüfungen vernünftig umgehen, wie wollen wir uns da zukünftig entwickeln? Auch vielleicht als Ort für die Menschen, die dort arbeiten. Also nicht nur die Leute, die da studieren, sondern auch in der Frage: Wen wollen wir eigentlich als Lehrende an Musikhochschulen haben? Und andererseits gibt es weiterhin den Auftrag, sich auf künstlerische Exzellenz zu konzentrieren und das ja zu großen Anteilen in einer sehr normativ orientierten Kunstsparte, nämlich zu sehr großen Teilen in der deutlich eurozentrisch geprägten Kunstmusik. Und dazu kommt, dass sich das Ganze ja in einem sehr selektiven und sehr kompetitiven System bewegt und diese Dinge beide gleichzeitig im Blick behalten zu können, damit das klappen kann, muss, glaube ich, einiges überprüft und in Frage gestellt werden. Das sind ganz grundlegende Dinge für die Musikpädagogik: Was verstehen wir eigentlich unter Musik? Was verstehen wir unter guter Musik? Was sollen unterschiedliche Typen von Berufsmusiker:innen können und wie sollen sie das lernen? Und das sind natürlich für die Musikhochschulen wirklich dicke Bretter.

Kristin Thielemann: Da gebe ich dir vollkommen recht. Ich war gerade gestern auf einem Social-Media-Kanal einer doch recht großen Musikhochschule und ich habe nur so ein bisschen gescrollt. Was habt ihr denn? Was zeigt ihr denn von euch? Sprich auch: Was nehmen potenzielle Studierende von euch wahr? Und da war Wettbewerb gewonnen, Wettbewerb gewonnen, Orchesterstelle gekriegt, Lehrauftrag bekommen an einer Hochschule Wettbewerb gewonnen, Orchesterstelle. Und so ging das munter weiter. Also ich habe wirklich ein halbes Jahr zurück gescrollt und es waren viele Posts. Ich habe sicher über 60 Posts gelesen. Es ist nicht ein einziges Mal das Wort Musikschule gefallen. Wo ich denke sag mal, kann man so eine Ausbildung bei euch eigentlich gar nicht machen? Gehört Musikpädagogik eigentlich gar nicht in euer Ausbildungsportfolio? Und dann war ich wirklich… Das war nicht existent und ich bin dann auf die Webseite dieser Hochschule gegangen und habe dann nachgeschaut und da wurde das natürlich: «Ja, hier könnt ihr bei uns studieren!» Aber für die öffentliche Wahrnehmung nicht existent. Und ich muss sagen, wenn schon das nicht existent ist, wie soll dann überhaupt inklusives Arbeiten dort wahrgenommen werden? Wie soll wahrgenommen werden, dass es ein ganz wichtiges Betätigungsfeld, ist für uns später im Beruf. Fand ich jetzt echt schade, weil hätte ich gerade von dieser Hochschule nicht erwartet. Ich sage nicht wer es ist. Ja dumm, dumm, dumm, dumm, dumm. Rainer, an der Musikschule Bochum besuchten 350 Schülerinnen und Schüler mit Behinderung den Musikunterricht. Das dünkt mich eine sehr hohe Zahl. Aber nun gibt es in Bochum auch eine sehr hohe Anzahl von Menschen mit Migrationshintergrund. Wie hat das denn euer Musikschulleben verändert?

Rainer Buschmann: Also, wir haben schon lange Menschen. Ich finde eigentlich die Formulierung mit «internationaler Geschichte» immer sehr schön, deswegen nutze ich die auch. Und also auch sagen wir mal, wir haben uns 2006 hier in Richtung kulturelle Vielfalt geöffnet, in Bochum und aber vorher auch schon haben wir natürlich viele Kinder gehabt, die was weiß ich aus einem Haushalt, wo auch Türkisch gesprochen wird, wo Persisch gesprochen wird, und die gibt es ja alle, weil die waren durchaus auch sehr interessiert an dem Musikschulunterricht. Aber seit 2006 ist es eben so, dass wir ganz bewusst auch KollegInnen haben, die eine internationale Geschichte haben, die hier Bağlama anbieten, an der Musikschule, die Oud anbieten. Es gibt einen türkischen Chor, es gibt ein Ensemble, das spielt Musik aus der Türkei, aber im neuen Gewand, das haben wir witzigerweise «Alla Turca» genannt.

Kristin Thielemann: Ach, schöne Idee.

Rainer Buschmann: Ja, so gibt es viele und es werden eigentlich immer mehr Kolleg:innen hier. Wir haben einige iranische Kolleg:innen auch und die zum Teil auch Gesangsunterricht geben. Und wenn dann die Anfrage kommt, wir würden gerne mal persischen Gesang machen, dann können wir das tatsächlich bedienen, was wir natürlich großartig finden. Und durch diese neuen Einflüsse sind auch viele neue Kooperationen entstanden, also mit anderen Ensembles. So haben zum Beispiel hier auch mal das Symphonieorchester mit drei arabischen Musiker:innen zusammen ein Programm gestaltet und so kommen ganz neue Begegnungen und die Kinder sind sehr neugierig und freuen sich total, hier was Neues kennenzulernen. Also auch vom Angebot und von den Inhalten wird es vielfältiger. Und natürlich das Publikum wird dann auch sofort vielfältiger. Und Bochum ist eine sehr bunte Stadt. Auf jeden Fall. Deswegen passt das auch gut hierhin, dieses Angebot.

Kristin Thielemann: Das klingt gut und letztlich ist kulturelle Aktivität oder auch das Musizieren ja nachgewiesenermaßen demokratiefördernd. Kürzlich habe ich auf LinkedIn gelesen bei Raul Krauthausen, kennt ihr vielleicht auch: Aktivist, kennt ihr ganz sicher. Ihr. Lohnt sich auf jeden Fall, ihm zu folgen. Nur 3,3 % aller Menschen sind von Geburt an behindert. Was heißt, es kann eigentlich jeden treffen. Also sind wir darauf angewiesen sind, dass auch Musikschulen inklusive Orte sind.

Robert Wagner: Da kann man vielleicht noch etwas ergänzen. Rainer hat etwas tiefgestapelt, was die Geschichte der Musikschule Bochum anbelangt. Denn Probst hatte ja damals 79 diesen Lehrgang oder diesen Modellversuch überschrieben mit Instrumentalspiel für Behinderte und von Behinderung Bedrohte. Und er hatte damals schon die kulturelle Vielfalt eben im Blick, weil er wusste, dass eben in Bochum und Umgebung an den Musikschulen in NRW ganz, ganz viele sogenannte Gastarbeiter damals aufschlugen. Und dass diese Gastarbeiter natürlich, wenn sie eine gewisse Zugehörigkeit und damit eine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen für unser Gesellschaftssystem und für ihr Hiersein, dass diese Menschen auch Anschlüsse brauchen in Vereinen oder in Schulen oder dass sie einfach mit anderen Begegnungen haben sollten. Und wenn das nicht der Fall ist, wenn also bestimmte Familienmitglieder vom gemeinschaftlichen Lernen ausgeschlossen sind, keine Chance haben, Deutsch zu lernen, eigentlich weggesperrt sind, dann findet dieses Gefühl der Zugehörigkeit, was ja ein ganz, ganz wichtiges Ziel einer inklusiven gesellschaftlichen Entwicklung ist, dass jeder sich zugehörig fühlt, was dann dieses Gefühl einfach nicht herbeiführen lässt. Und insofern war Probst eigentlich 79 schon genau an diesem Thema dran und das hat sich dann weiterentwickelt, wie Rainer jetzt das eben dargestellt hat an der Musikschule in Bochum mit der eigenen Abteilung und mit der Sichtbarmachung der Haltung der Musikschule Bochum, dadurch, dass auch Lehrkräfte eben angestellt werden und dass es selbstverständlich ist, dann eben Bağlama auch anzubieten als öffentliche Musikschule. Also Musikschule, hat damals schon bei Probst eine öffentliche Aufgabe übernommen und nicht nur die Türen aufgemacht für Willige, die sich dann wieder auf das Hochschulstudium vorbereiten, sondern im Sinne von gesellschaftlicher Relevanz einen ganz, ganz wichtigen Schritt bereits getan. Und das ist ja genau dieser Aspekt, der uns zurzeit so umtreibt, dass wir der Politik klar machen als Musikschulverband, dass wir zusammen aufeinander angewiesen sind, die Politik wie eben auch die Musikschule. Weil, man kann ein Verständnis für Demokratie eben nicht anordnen. Sondern man muss das erleben, man muss Erfahrungen machen. Und diese Erfahrungen macht man eben durch das Erleben von Vielfalt und durch einen friedvollen Umgang miteinander und durch die Art und Weise, wie man auch lehrt und wie man miteinander lernt. Und da haben Musikschulen da ganz, ganz wichtige Aufgabe. Und das ist eben keine Erfindung der Neuzeit, sondern schon eigentlich bei Probst angelegt gewesen.

Kristin Thielemann: Und ich darf an dieser Stelle schon einmal vorgreifen, denn Folge 42 von «Voll motiviert», eurem Musikpädagogik-Podcast, zum Thema Demokratiepädagogik steht schon in den Startlöchern. Jetzt hatten wir vorhin kurz das Stichwort Werbung. Wie sieht das denn aus? Wie kommen denn eigentlich diese Menschen, die Inklusion brauchen, an die Musikschulen? Macht man da ein spezielles Werbeangebot? Macht man da einen Werbeflyer? Setzt man eher auf Mundpropaganda? Sucht man ganz gezielt vielleicht auch Einrichtungen für Menschen mit Behinderung auf? Sucht man ganz gezielt Kulturvereine auf, wo Menschen mit Migrationshintergrund sich aufhalten? Wie macht ihr das? Vielleicht Rainer zuerst?

Rainer Buschmann: Werbung ist natürlich ganz wichtig. Man kann ja die beste Arbeit machen – wenn man darüber nicht... Wenn man die nicht gut bewirbt, dann nützt das alles nichts. Und ein großes Thema ist auch hier bei der Werbung Barrierefreiheit, barrierefreie Internetseiten.

Kristin Thielemann: Apropos Internetseite. www.musikschule-bochum.de – ein absoluter Klick-Tipp für mich in Sachen Barrierefreiheit. Denn eure Seite ist nicht nur auf Deutsch, sondern auch in Einfacher Sprache und in zwölf weiteren Sprachen und, ja, sie ist absolut übersichtlich und ich finde sie sehr gelungen. Ich glaube, da habt ihr euch wirklich viel Gedanken gemacht, wie man die Webseite eurer Schule barrierefrei gestalten kann.

Rainer Buschmann: Auf jeden Fall... Wir haben sicher an vielen Orten in Bochum unterwegs. Wir sind zum Beispiel an den Förderschulen. Wir haben engen Kontakt mit der Lebenshilfe, die sich um Menschen mit geistigen Einschränkungen kümmern. Wir sind an manchen Wohnheimen und ich würde einfach mal behaupten, nach über 40 Jahren weiß man, dass man hier willkommen ist an der Musikschule. Und ich selber habe sozusagen auch Sprechstunden hier. Da kann man anrufen, man kann vorbeikommen und das findet auch statt. Dann kommt man, kriegt man eine Beratung und also... Und diese Offenheit, wenn die Menschen wissen, sie können einfach kommen und da ist jemand, der berät sie dann entsprechend. Das ist total wichtig.

Kristin Thielemann: Stimmt, ich habe jetzt auch gerade schon gedacht, vielleicht macht man einfach mal ein eigenes Musikschulcafé auf, wo man auch ins Café gehen kann, wenn man nicht die Musikschule besucht, sondern einfach nur, weil da ein schönes Café ist. Und dann lernt man die Schule kennen und die Angebote. Ja, Robert, Werbung in Fürth?

Robert Wagner: Ja, der Rainer hat schon gesagt, es ist zum einen die aufsuchende Bildungsarbeit. Wir gehen dorthin mit unserem Angebot, wo die Menschen sind, die wir erreichen wollen. Machen dort vor Ort ein Angebot und versuchen Brücken wieder zurück zu schlagen in die Musikschule. Weil, das ist natürlich das Ziel, dass es ganz normal ist, dass ein eine Musikschule ein Lebensraum ist, an der ganz, ganz viele unterschiedliche Menschen einfach lernen und Freude haben, Musik zu machen. Ich möchte auf einen anderen Punkt eingehen, in Ergänzung zu dem, was Rainer gesagt hat, nämlich die beste Werbung ist, wenn wir Konzerte machen. Und bei den Konzerten treten selbstverständlich auch Menschen mit Behinderung auf und es treten selbstverständlich auch Seniorinnen und Senioren auf. Und noch besser ist die Werbung dann, wenn es gelingt, dann auch eine Durchmischung von all diesen verschiedenen Alter oder Nationen und ganz, ganz gleich, welche Art von Menschen dann hier auftreten, zu schaffen. Dass das dann wirklich völlig normal ist auf der Bühne, dass in einer Bigband ein 14-jähriger Posaunist neben einem 86-jährigen Posaunisten steht und die machen das nicht, weil sie die andere Generation toll finden, sondern die machen das, weil sie ein gemeinsames Ziel verfolgen, nämlich gemeinsam gute Musik von der Bühne runter schreien zu lassen. Und da ist es dann zweitrangig, wie alt jemand ist, sondern ob die Aufgabe erfüllt wird, die zu erfüllen ist, damit es eben einfach gut klingt. Und dieses Wirken von der Bühne runter, das überträgt sich dann ins Publikum und bringt die eine oder den anderen zum Nachdenken. Und dann wird man neugierig und dann sieht man Hoppla, bei denen da oben, das ist aber interessant, dann meinen die ja vielleicht wirklich auch mich, wenn sie immer davon reden, sie sind offen für alle, weil dann wird diese Offenheit eben gelebt. In öffentlichen Konzerten. Und deshalb gibt es ja bei uns auch in Deutschland jetzt diese Soundfestival Reihe, die in Fürth erstmalig 2007 stattfand und dann ganz, ganz schnell auch in Dortmund stattfand. Oder in Hannover. Und jetzt dann wirklich auch europaweit langsam Fuß fasst. Eine Soundfestival Reihe, wo Menschen auf der Bühne sind, die einfach Lust haben auf ein gemeinsames Tun, egal ob sie jetzt behindert sind oder einen «internationalen Hintergrund» haben, wie der Rainer sagt, egal. Sondern die haben einfach Lust, Musik zu machen und das überträgt sich. Und plötzlich ist das Publikum auch bunt. Weil wenn wir eine türkische Band haben, dann sind auch Türkinnen und Türken bei uns im Konzert. Und dann finden Begegnungen statt, die ohne dieses Soundfestival einfach nicht stattgefunden haben. Also wir haben auch in der Musikschule zusammengefasst eben Formate des Konzertierens, die unsere Grundhaltung, unser Selbstverständnis und Weltverständnis, ein inklusives Selbst- und Weltverständnis zum Ausdruck bringen.

Kristin Thielemann: Finde ich sehr gut, dass du das sagst. Auch gerade habe ich gerade beim Thema Alter gedacht, denn Zusammenleben gelingt mit mehr als nur mit dem Blick aufs Alter. Wir hatten ja auch eine Folge mit Barbara Metzger. Sie hat über generationenverbindendes Musizieren gesprochen, das fand ich auch unglaublich toll. Und wir haben auch wirklich viel Spaß gehabt bei der Podcastfolge, gleichwohl wir auch nun wirklich überhaupt nicht in einem Alter waren. Aber es hat mich so fasziniert, wie sie das auch rein technisch gelöst hat. Und ich habe da viel von mitgenommen von ihren Ideen, generationsverbindendes Musizieren oder generationenverbindendes Musizieren betreffend, aber auch von ihrer Art, wie sie sich auf das Gespräch vorbereitet hat, fand ich wirklich ganz toll. Juliane Was ist denn eigentlich der schlimmste Fehler, den man machen kann beim Thema Inklusion?

Juliane Gerland: Was, glaube ich, eine große Blockade ist für Inklusion, oder was ich häufig als Blockade erlebe, wenn Lehrkräfte aus der Praxis in Fortbildungen kommen, ist, dass es so eine Suche gibt nach einem bestimmten Rezept, also nach dem… So ein bisschen wie die Frage, die wir vorhin auch hatten. Jetzt habe ich eine Anfrage und ich glaube, ich habe eine Idee, in welche Richtung diese Anfrage zielt: Jemand möchte Klavierunterricht haben mit Downsyndrom und jetzt denke ich, es muss doch den idealen Klavierunterricht geben für den Schüler mit Downsyndrom.

Kristin Thielemann: Wo ist meine Klavierschule für Menschen mit Downsyndrom? Genau.

Juliane Gerland: Genau. Und dabei… also das… damit wir uns nicht falsch verstehen… ich verstehe das Suchen dahinter und den Wunsch nach Orientierung und den Wunsch nach Unterstützung und die Sorge, vielleicht Fehler zu machen oder SchülerInnen nicht gerecht zu werden. Aber wenn ich mich jetzt auf die Suche mache und überlege, wo gibt es jetzt genau diese Lösung für einen mir noch gar nicht so ganz bekanntes pädagogisches Problem… möglicherweise Problem, dann braucht das ja ganz viele Ressourcen und ganz viele Reserven und ganz viel Energie. Diese Suche nach dem Rezept, dieser Vorstellung, ich brauche jetzt irgendwie mal einen, der mir mal eben zeigt, wie das geht. Ja, also so was ganz Methodisches, Rezeptbezogenes. Und das ist, glaube ich, ein Fehler, der häufig gemacht wird, die Zeit und die Energie da rein zu geben, ein bestimmtes Rezept zu finden und sich weniger darauf zu konzentrieren, sich anzugucken, was wirklich da ist. In Ruhe zu gucken, was sind denn gemeinsame Anknüpfungspunkte? Erst mal Suche nach einem gemeinsamen Ausgangspunkt. Haben wir irgendwas, wo wir starten können? Stärken, stärken, hast du vorhin gesagt. Gibt es irgendwas, was schon Freude macht? Gibt es musikbezogene Erfahrungen? Es gibt ja kaum einen Menschen, der ohne eine musikbezogene Erfahrung in den Unterricht kommt. Wie kann ich die, wie kann ich die entdecken? Wie kann ich da anknüpfen? Und das kommt jetzt vielleicht vielen aus dem aus der Unterrichtspraxis ganz bekannt vor, weil das ist ja so ein bisschen das, wie man sich häufig eigentlich Schüler:innen nähert oder Schüler in Gruppen nähert. Und das erfordert eigentlich auch kaum eine Umstellung in einem inklusiven Kontext. Ich muss sehr genau schauen, was da ist. Vielleicht muss ich ein bisschen den Blick weiten, damit ich mehr mitkriege, von dem. Ich muss vielleicht ein bisschen genauer hingucken oder ein bisschen länger hinschauen oder nochmal fragen, um genau rauszukriegen, was sind jetzt mögliche Anknüpfungspunkte? Und dann finde ich noch wichtig, dass man, da auch ein bisschen hemdsärmlig vielleicht mal rangeht. Also ich spreche da ganz gerne von einer pragmatischen Ermöglichungskultur, dass man mal was ausprobieren darf. Und das, was man ausprobieren darf, das darf dann auch mal scheitern aus der Perspektive der Lehrkraft. Damit man erkennt: Ah, okay, das war jetzt vielleicht nicht so ein guter Gedanke. Wie probiere ich das denn eigentlich jetzt in der nächsten Woche noch mal aus? Weil, das ist natürlich auch was, was man natürlich kennt, dass der Schüler die Unterrichtsstunde verlässt und man selber denkt: «Och ja, irgendwie so richtig zufrieden war ich, war ich nicht. Ich hätte mir das eigentlich besser vorstellen können.» Und dann mit einer guten Fehlerkultur da ranzugehen und das nicht wegzuwischen und zu denken: «Ach nee, irgendwie Schwamm drüber, irgendwie. Das wird sich schon von alleine irgendwie ruckeln!» Sondern sich überlegen, was fällt mir dazu Gutes ein? Ja, also dass man da sich selber ein bisschen Spielräume lässt und nicht nur den Gedanken hat, ich muss jetzt von Stunde zu Stunde, von Unterrichtsort zu Unterrichtsort düsen, sondern die Möglichkeit hat, da in einer guten Weise kritisch mit umzugehen. In dem Sinne kritisch, dass man sich überlegt, was kann eine nächste oder eine andere sinnvolle Lösung sein.

Kristin Thielemann: Ich mache das auch ganz oft so, wenn ich den Eindruck habe, dass mir eine Stunde nicht so besonders gut gelungen ist, dann spiele ich diese Frage zurück an den Schüler oder die Schülerin und sage: «Du, ich habe irgendwie den Eindruck gehabt, so die letzte Stunde, die ist mir persönlich jetzt nicht so gut gelungen. Hast du nicht einen Tipp für mich? Wie hast du das erlebt?» Einfach mal das Feedback auch abholen, was ja eigentlich in unserem Gegenüber auch drin ist. Das finde ich ganz wichtig und das bietet mir oft die beste Möglichkeit, mich dann zu verbessern. Also vielen Dank, Juliane. Jetzt wüsste ich noch gern: Robert gibt größtmögliche Fehler, die du siehst in Bezug auf Inklusion.

Robert Wagner: Wenn Lehrkräfte glauben, bei Inklusion müssten sie jetzt alles anders machen und alles über Bord schmeißen, was sie jemals gelernt haben an der Hochschule. Und ich glaube, dass das eben dringend notwendig ist, um diesen Fehler zu vermeiden, dass man sich klar macht, alles, was bisher gut war, wird auch weiterhin gut sein. Und weil es alles, was bisher geklappt hat, pädagogisch im Umgang mit meinen Schülerinnen und Schülern, das muss bewahrt werden. Nur jetzt kommt eben noch etwas hinzu, dieses sich öffnen auch für andere Zielgruppen. Und man wird feststellen, dass eigentlich auch bei den anderen Zielgruppen, wenn man genau die Gelingensbedingungen untersucht, die zu einem Erfolg führen, dass man dann eigentlich auf die gleichen Gelingensbedingungen stößt. Dass man auch natürlich darauf kommt, dass Qualität des Musizierens eine Rolle spielt, dass man auch darauf kommt, dass Musik Regeln hat, dass man auch darauf kommt, dass diese Regeln eingehalten werden sollten, wenn man inklusives Musizieren, also Teilhabe für alle, irgendwie in der Musiziergruppe herbeiführen will. Wir brauchen keine Menschen, die falsch spielen auf der Bühne, sondern wir brauchen Menschen, die mit Freude das einbringen, was sie gelernt haben, was sie können. Und insofern unterscheidet sich dieses inklusive Musizieren gar nicht so sehr von dem, was man an der Hochschule lernt. Also was gut war an der Hochschule, muss beibehalten werden. Und jetzt weg, dieser Gedanke: Wir müssen alles anders machen! Und jetzt wird es ja noch komplizierter und jetzt müssen wir auch noch uns inklusiv weiterentwickeln! Der Mensch muss sich generell immer weiterentwickeln. Und die Schülerinnen und Schüler, die ändern sich ständig. Es gibt ständig einen gesellschaftlichen Wandel. Und das hat jetzt eigentlich mit einer Inklusionsausrichtung nicht in erster Linie was zu tun, sondern wir müssen einfach bereit sein, Rainer hat vorhin das Stichwort genannt lebenslanges Lernen, wir müssen bereit sein, neugierig zu bleiben, letztendlich bis zum letzten Atemzug. Wir müssen Freude an dem haben, was geht und nicht Freude an dem, was nicht geht.

Kristin Thielemann: Aber es ist schon witzig. Ich spreche davon, die Stärken zu stärken und fragt nach dem schlimmsten Fehler, oder? Jetzt zum Abschluss würde ich ganz gerne noch ein bisschen zur Zukunftsmusik kommen. Was wünscht ihr euch denn für die Zukunft in Hinblick auf die Gestaltung inklusiver Bildungsarbeit an Musikschulen?

Juliane Gerland: Ich würde mir wünschen, dass es an Musikschulen noch mehr Raum gibt für eine fortlaufende Vorbereitungs- und Weiterbildungskultur. Dass wir diesen Gedanken von ständigem gesellschaftlichem Wandel und ständiger Transformation über so eine gesamte Musikschulpädagog:innen-Biografie, dass das stärker in den Blick gerät, also das ist Raum gibt für eine Peerberatung. Das es unproblematisch möglich ist, dass man mal sich zu einem anderen Kollegen, zu einer anderen Kollegin in den Unterricht reinsetzt. Oder dass man sich mal ohne Angst vor Gesichtsverlust eingesteht zu fragen: Wie machst du das denn eigentlich? Oder dieses oder jenes passt gar nicht. Dass du kommunikative Wege unter den Kolleg:innen, dass es dafür mehr Raum gibt und dass dadurch auch so ein bisschen der Fokus auf die Mikroebene von Interaktion und Inklusion, dass das noch wichtiger wird, das finde ich total wichtig.

Kristin Thielemann: Das finde ich eine ganz schöne Einstellung. Ich habe hier mit einer Freundin immer so einen kleinen Stammtisch, wo wir manchmal so einmal die Woche nach einem vollen Musikschultag zusammenkommen und wo dann auch immer ein paar andere Kolleginnen und Kollegen mitsitzen und wo wir uns dann wirklich auch über diese Dinge austauschen. Und wir erleben das immer als sehr positiv. Und am Anfang hieß es: «Ja, dürfen wir eigentlich nicht sagen, dass uns was nicht gelungen ist, dass wir einfach auch noch Schwierigkeiten haben mit manchen Settings.» Und das erlebe ich als so bereichernd, dass wir uns einfach trauen, darüber zu sprechen und uns auszutauschen. Könnte mir vorstellen, das wird auch noch viel selbstverständlicher werden in der Zukunft diese Einstellung. Ja, Traummusikschulen in Fürth und in Bochum. Wer mag zuerst?

Rainer Buschmann: Ja, mein Wunsch wäre… hat so ein bisschen mit dem zu tun, auch womit wir uns gerade intensiv beschäftigt haben in den letzten sechs Jahren. Wir haben ein Programm von der Bundeskulturstiftung laufen gehabt, das nannte sich «360°». Es ging um die neue Stadtgesellschaft, um die vielfältige Stadtgesellschaft und ein großer Teil dieses Programms war, dass hier für unser Haus, für unser Kollegium ganz viel Fortbildung, Inhouse-Fortbildungen organisiert wurden. Da konnte man sich auch mal wieder ganz anders begegnen und austauschen. Zu vielen Themen ging es darum: Welche Einstellungen habe ich selber, welche Vorbehalte? Es ging um Thema Rassismus, sehr viel um Selbstreflexion, weil, jeder Mensch hat seine Schubladen. Das Entscheidende ist, er muss sich ja dessen bewusst werden. Das hat eigentlich ja viel in Bewegung gebracht und das wünsche ich mir eigentlich für viele Musikschulen und auch zwischen den Musikschulen, dass man sich darüber austauschen kann und dass diese Reflexionsfähigkeit einfach weiter gefördert wird. Ein anderer Wunsch ist sozusagen ist ein sehr ernstes Thema: Wir haben sehr viel mit Kinderarmut zu tun, speziell auch hier im Ruhrgebiet. Und wir haben immer wieder das Problem, dass wir viele Kinder nicht erreichen. Nur haben wir dieses Grundschulprogramm, wo tatsächlich auch Eltern, die staatliche Unterstützung bekommen, nichts bezahlen müssen für den Instrumentalunterricht. Das ist schon super! Aber wir haben natürlich nach wie vor viele Jugendliche auch und die ganzen Jugendmusikkulturbereiche, die wir nicht erreichen. Wir fangen das auf über «Kultur macht stark». Allerdings ist das ja auch immer nur begrenzt, das ist ja immer nur ein Projekt. Also da ein ganz solides finanzielles Polster, von mir aus vom Bund auch. Wegen mir können Sie die Kooperationsgeschichte zwischen Ländern und Bund verändern, dass der Bund auch mal in Bildung investieren darf, dauerhaft. Weil ,die Kommunen haben kein Geld. Das wird jetzt ein bisschen politisch, aber das ist ein ganz wichtiges Thema. Es wird immer wichtiger, weil sonst kriegen wir die Kinder, können wir sie nicht aus ihrem Kontext herausbringen und einfach mit Bildung irgendwie eine andere Chance geben können.

Kristin Thielemann: Ich wünsche mir Barrierefreiheit für die Musikschulen, für alle Menschen, die in die Musikschulen kommen wollen, ganz egal ob klein oder groß oder gepunktet oder wie auch immer. Und ja, ich glaube, wir sollten uns einfach klar machen, dass Barrierefreiheit bei uns beginnt, bei uns in den Köpfen und dass wir nur so ein nachhaltiges Handeln erzielen können. Bei uns, bei unseren Schülerinnen und Schülern. Denn nur mit dieser Nachhaltigkeit im Blick kann es einfach auch eine Musikschule der Zukunft werden. Und der letzte Wunsch dieser Folge kommt heute von Robert Wagner aus Fürth.

Robert Wagner: Wir haben ja in 2014 in der sogenannten «Potsdamer Erklärung» uns als Träger der Musikschulen dazu bekannt, die gesellschaftliche, die beschlossene politisch beschlossene gesellschaftliche inklusive Entwicklung im Rahmen unserer Zuständigkeit zu unterstützen. Und zwar ist es ein Beschluss der Bundesversammlung aller Träger der öffentlichen Musikschulen in Deutschland. Und das ist schon mal ein Meilenstein gewesen, sehr grundsätzliche Haltung zu dokumentieren und aufgrund dieser Haltung ging es dann weiter: Dann haben wir ein Netzwerk Inklusion im Verband deutscher Musikschulen gegründet. Und dieses Netzwerk haben wir jetzt genauer spezifiziert dadurch, dass nämlich jede Musikschule eine oder einen Inklusionsbeauftragten/Inklusionsbeauftragte benennen muss… sollte. Als Bundesverband können wir ja nur Empfehlungen geben und keine Anweisungen. Aber das ist doch gewollt ist, ein Trägerwunsch ist, dass an jeder Musikschule so ein oder eine Beauftragte/r installiert ist. Und wir haben uns dann das weiter spezifiziert und haben Handlungsempfehlungen, was die Aufgaben anbelangt, dieser Inklusionsbeauftragten herausgegeben. Und jetzt haben wir das Ganze unterfüttert dadurch, dass diese Inklusionsbeauftragten auf Leitungsebene angesiedelt sein sollten und nicht nur irgendwo im Kollegium wieder. Irgendwer macht alibimäßig da ein bisschen einen auf Inklusion, sondern es ist Leitungsaufgabe! Es ist Aufgabe aller in und für die Musikschule handelnden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, hier da mitzuwirken. Und da wünsche ich mir in der Zukunft, dass das, was wir jetzt vorweggedacht und vorweggeplant haben und wirklich uns ganz viel Gedanken gemacht haben im Verband deutscher Musikschulen, dass das dann auch im Bundesverband, in den Landesverbänden und in den Musikschulen umgesetzt wird. Also dass das mit Leben erfüllt wird! Und was vorhin über Fortbildungen gesagt wird, damit stets und fängt ja eigentlich schon an, man kann ja sich wünschen, dass seine Angestellten sich fortbilden, aber dann muss man diese auch freistellen und dann muss diese Fortbildung auch gewertschätzt werden, indem vielleicht bestimmte Bereiche an Fortbildungskosten übernommen werden. Ich erlebe immer wieder im Bundesverband bei meinen Fortbildungen, die ich gebe, dass viele Lehrkräfte kämpfen müssen, dafür, eine Fortbildung machen zu dürfen. Und das ist eine Kultur, die muss dringend überholt werden, abgeschafft werden, ersetzt werden mit einer anderen Kultur, dass nämlich das Kapital, dass wir als Musikschulen haben, unsere Lehrkräfte sind. Und diese Lehrkräfte, da brauchen wir nicht irgendwelche, sondern wir brauchen gerade im Zuge auf Inklusion die besten!