#29 Ursula Schmidt-Laukamp und Stephanie Buyken-Hölker: Eine (Musik)Schule für alle
Intro: Voll motiviert – der Musikpädagogik-Podcast von Schott Music und Kristin Thielemann.
Kristin Thielemann: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von «Voll motiviert», eurem Musikpädagogik-Podcast. Heute habe ich die beiden Erfinderinnen des EMSA-Projekts zu Gast. EMSA: Das bedeutet «Eine (Musik)Schule für alle» und ist ein Leitfaden, der sich mit dem Thema Kooperation von Schule und Musikschule ab Klasse fünf beschäftigt, also nahtlos an die erfolgreichen JeKi- bzw. JeKits-Programme anschließt. Der Clou an EMSA ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe von Schule und Musikschule. Die Ideen aus dem EMSA-Projekt sind so genial, dass ich bereits überlegt habe, wie ich Dinge wie zum Beispiel die VocalBreak oder auch die OpenStage in meinen Unterricht integrieren kann. Stellvertretend für alle am Projekt Beteiligten sind die beiden Leiterinnen aus dem EMSA-Hauptquartier der Hochschule für Musik und Tanz in Köln zugeschaltet, nämlich Stefanie Buyken-Hölker – sie ist Schulmusikerin, Blockflötistin und Alte-Musik-Sängerin – sowie Ursula Schmidt-Laukamp, Professorin für Blockflöte und Fachdidaktik, systemische Supervisorin und Mediatorin. Hallo, liebe Stephanie und hallo, liebe Ursula. Danke, dass ihr euch die Zeit nehmt.
Stephanie Buyken-Hölker: Ja, hallo und danke für die nette Einladung.
Ursula Schmidt-Laukamp: Und das machen wir doch gerne. Vielen Dank für die Einladung auch von mir.
Kristin Thielemann: Jetzt habe ich gerade nur so ein wenig angeteasert, dass EMSA – «Eine (Musik)Schule für alle», ein wirklich geniales Kooperationsprojekt ist, was für Schulen ab Klasse fünf und Musikschulen gleichermaßen ein Schatz ist. Stephanie und Ursula, erzählt mir doch mal bitte ganz genau: Was ist denn EMSA nun eigentlich?
Stephanie Buyken-Hölker: Ja, das machen wir und wir versuchen das mal. Also danke fürs nette Anteasern. EMSA steht, wie du schon gesagt hast, Kristin, für «Eine (Musik)Schule für alle». Und das sagt eigentlich auch schon alles. Der Titel ist quasi Programm und der erste Teil des Namens Schule und Musikschule werden als eins gedacht. Das ist damit gemeint. Und als aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler sind Schule und Musikschule also ein Lernort. Und an diesem einen Lernort erhalten sie ab der Klasse fünf ganz unterschiedliche Angebote, die aufeinander aufbauen, die unterschiedlich vernetzt sind und die möglichst bunt und so gestaltet sind, dass jede Schülerin, jeder Schüler passende Angebote findet. Und hier wird eigentlich auch schon deutlich, was neu ist in NRW zumindest: Dass wir bei EMSA musikalische Bildung integrativ denken. Das heißt, die beiden musikpädagogischen Systeme, also der schulische Musikunterricht, der weiterführende Schule und die musikschulischen Angebote übernehmen gemeinsam Verantwortung für die musikalischen Bildungsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler. Und – das klang ja gerade auch schon an – für alle Schülerinnen und Schüler. Es heißt ja auch eine (Musik)Schule für alle. EMSA verfolgt also das Ziel, allen Schülern musikkulturelle Teilhabe zu ermöglichen, in dem der grundständige Musikunterricht als Angebot vorhanden ist sowieso, und alle weiteren musikbezogenen Angebote wirklich allen Schülerinnen und Schülern zur Verfügung stehen, auch ohne Eignungstest und ohne Aufnahmebedingungen, bevor sie zur weiterführenden Schule gehen. Und das ist natürlich ein hehres Ziel und das versuchen wir bei EMSA durch zwei unterschiedliche Bereiche einmal durch die inhaltlich fachliche Seite und einmal durch die personell strukturelle Seite dem nachzukommen. Und auf der inhaltlich fachlichen Seite haben wir ein modulares System an Musizier- und Lernangeboten entwickelt. Die nennen wir die sogenannten «Bausteine», die auf die ganz unterschiedlichen Vorerfahrungen von Schülerinnen und Schülern angepasst werden können. So zum Beispiel auch, weil du es gerade angesprochen hast, der Übergang von der Grundschule, der ja oft ein Bruch darstellt für so kleine Schülerinnen und Schüler, die dann zur Klasse fünf kommen, dass der möglichst weich auch so gestaltet werden kann, dass die Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler in der Grundschule schon erlangt haben, dass die aufgefangen werden können und dass die bedeutsam auch in der weiterführenden Schule aufgegriffen werden können. Und noch eine Sache, die ganz wichtig ist: EMSA bedeutet nicht, dass es ein Modell für alle ist, sondern dass EMSA an jeder Schule eigentlich immer wieder neu gestaltet wird. Zwar auf der Basis bestimmter Qualitätskriterien und auch von Prinzipien, die wir jetzt im Laufe des Gesprächs sicherlich alle auch unterschiedlich mal ansprechen werden, aber an jedem Standort entsteht EMSA ganz neu, je nachdem, welche Ressourcen und Bedingungen dort vorzufinden sind. Und wenn man sich das so vorstellt, dass diese inhaltlich dichte Kooperationsformen pro Standort immer wieder neu ausgehandelt wird, dann finde ich mit Blick auf die Praxis an Schule und Musikschule, die ja sehr turbulent ist, dass das nicht trivial ist, dass solche Kooperationen so inhaltlich fachlich auch dicht zu gestalten. Und in der Kooperationsforschung spricht man da auch von… ja, das ist eine «High Cost», also eine wirklich hohe Form der Kooperationsgelingensbedingung, die notwendig sind. Und deswegen braucht auch diese inhaltlich fachliche Verzahnung eine Gegenseite, eine strukturell personell genauso dichte Verzahnungsseite. Und das versuchen wir in EMSA zu ermöglichen, sodass Menschen, die die Kooperation lernen oder die Interkooperation lernen und dort arbeiten, die Kooperation auf Augenhöhe gestalten können, um diese inhaltlich fachlichen Fragen «Was lernen, welche Kinder eigentlich wie und wann am besten?» dann in einem gemeinsamen Aushandlungsprozess gestalten können und das in möglichst verlässlichen Strukturen.
Ursula Schmidt-Laukamp: Aushandlungsprozesse! Das ist ein super Stichwort. Stephanie Buyken-Hölker hat ja gerade über die EMSA-typische Standortspezifik schon gesprochen. Das heißt, wenn EMSA vom Prinzip her an jedem Standort anders aussehen kann, dann braucht es immer wieder Aushandlungsprozesse zwischen allen Akteuren, zwischen einzelnen Lehrkräften, zwischen Lehrkräften und Schülerinnen mit Schulverwaltungen und vor allem mit den Schulleitungen. Das verhindert oder das soll verhindern, dass eine Kooperation, hier, also EMSA, nicht in irgendwelchen starren Strukturen erstarrt. Ja, das ist eine komplexe Angelegenheit. Einerseits sollen Strukturen ja Orientierung geben, brauchen somit auch eine gewisse Verlässlichkeit. Und andererseits sollen Strukturen flexibel sein, ohne dass man aber das Gefühl von Beliebigkeit bekommt. Ja, und nun ist es ja so: In EMSA sind Kooperationen nicht erfunden worden. Es gibt überall großartige Schulkooperationen. Doch allgemein haben Erfahrungen gezeigt, dass das Gelingen von Kooperationen oft von vom Engagement Einzelner und vom Charisma einzelner Lehrkräfte abhängt. Wechseln diese Lehrkräfte dann die Schulen, nehmen sie oft das Know-how mit und dann beginnt eine nächste Lehrkraft vielleicht nicht ganz von vorn, aber beginnt doch ganz gut, wieder erst mal wieder neue Wege zu finden und Neues aufzubauen. Und das bindet wahnsinnig viel Zeit, Energie und Ressourcen. Und so kamen wir darauf, mal nachzusehen, wie Kooperationen an anderen Stellen, zum Beispiel in Wirtschaftsunternehmen aussehen, nämlich in Wirtschaftsunternehmen werden Kooperationen selbstverständlich gemanagt. Da gibt es Menschen, die sich intensiv darum kümmern, dass der Laden läuft. Okay, in der Wirtschaft, da gibt es andere Interessen. Aber ein Mehrwert für unsere Schulen und vor allem für unsere Schülerinnen und Schüler wollen ja schließlich wir auch erzielen. Und so kam es, dass wir neben der inhaltlich-fachlichen Ebene auch eine strukturelle Perspektive in den Blick nahmen. Und so entstand dieses Herzstück von EMSA, wie wir immer sagen, das Herzstück, die Musikordination. MuKos, sagen wir abgekürzt auch dazu. Kurze Erklärung, wie dieses Team zusammengesetzt ist: Wir sind meistens zwei Lehrkräfte, ein aus der Schule, ein aus der Musikschule. Und diese MuKos entwickeln gemeinsam mit anderen Teams die jeweils eigenen Strukturen, in denen zum Beispiel zu EMSA-Bausteinen umgesetzt werden können.
Konkret heißt das: EMSA-Strukturen werden auf bereits vorhandene Strukturen aufgebaut, Strukturen, die sowieso schon da sind. Also wir kommen nicht mit EMSA und schmeißen erst mal alles um, sondern EMSA arbeitet mit den Ressourcen, die am Standort vorgefunden werden. Und wir sagen immer EMSA ist kein Franchisingunternehmen. EMSA-Kooperation sehen nie gleich aus, weil die Bedingungen in den Schulen, die sind nun mal nicht identisch. Im Gegenteil: Jede Kooperation findet total unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen vor. Das heißt, wir haben das ja schon mehrfach betont jetzt: EMSA sieht an jeder Schule anders aus und es klingt eben auch immer anders. Das ist das Schöne.
Kristin Thielemann: Ihr Lieben, es ist eigentlich gar nicht meine Art, aber ich höre gerade ganz andächtig zu, das ist wirklich unglaublich viel Input. Aber was heißt das denn jetzt ganz konkret für den Schulalltag, für die Schülerinnen? Stephanie, du als Schulmusikerin, könntest du mir bitte mal erzählen, wie muss ich mir denn so einen Tag an einer EMSA-Schule vorstellen?
Stephanie Buyken-Hölker Ja, also dass so ein Schulalltag natürlich an jedem Standort anders ist, das haben wir jetzt schon mehrmals gehört. Und ja, ich habe ein Beispiel. Vielleicht noch mal kurz vorweg: Das ist natürlich auch… Diese weiterführende Schule und der Schulalltag an so einer EMSA-Schule ist erst mal ganz normal… bestimmt durch so übliche Strukturen wie Fächer, Stundenplan, Ganztag oder gerade nicht Ganztag, Fahrwege, Räume und so was alles. Aber genau diesen Schulalltag wollen wir ja mit EMSA zum Klingen bringen. Wir sprechen auch immer bei EMSA von der «Vision der klingenden Schule». Und dazu sollen ja diese Bausteine dienen, die ganz unterschiedlich ganz unterschiedliche Räume auch zum Klingen bringen. Und da gerne mal so ein paar Beispiele möchte ich bringen, bevor ich so ein konkretes Beispiel mal vor so einem Tagesablauf bringe. Aber vielleicht mal einmal die Räume, die EMSA beleuchten möchte. Es sind zum Beispiel Räume, die möglicherweise gar nicht so oft musizierend genutzt werden, wie zum Beispiel Pausen oder Überbrückungszeiten vor und nach der Schule, weil die Bahn schon eher kommt oder weil der Papa mich einmal im Auto später abholt. Freistunden, die er mit zunehmend in der Oberstufe auch häufig vorkommen können. Und auch Räume, die vielleicht ganz bewusst gar nicht in der Öffentlichkeit stattfinden, also eher informelle Musiziersettings ermöglichen, wo Lehrerinnen und Lehrer gar keine Rolle spielen sollen, weil so einfach gedämmt und geübt wird. All diese Räume möchte EMSA ausnutzen und finden und beleuchten. Und wenn Schulen das möchten, um auch Schülerinnen und Schüler, wo wir oft gar nicht wissen «Boah, wer spielt denn dieses Instrument? Das wussten wir gar nicht!»… diese Kinder auch zu sehen, hörbar und sichtbar zu machen. Da können Schulen, zum Beispiel die OpenStage, die du dir gerade auch schon angesprochen hattest, also ein Pausenkonzertformat dann implementieren, oder die Musizierlounge, Überzeiten, Musizierzeiten. Oder es gibt Bausteine, die ganz bewusst jetzt in den Raum gehen, der offiziell von Schulseite geprägt wird, wie zum Beispiel der Mathe- oder Deutsch-, der Englischunterricht. Und der könnte in einer EMSA Schule unterbrochen werden durch musizierpraktische Rituale wie zum Beispiel die MotionBreak oder die VocalBreak.
Kristin Thielemann: Darf ich ganz kurz dazwischen fragen: Wie finden das denn die Mathelehrer?
Stephanie Buyken-Hölker: Das ist auch wieder ganz unterschiedlich. Also das hängt davon ab, wie und wie man als Musiklehrerin oder als Gesangslehrerin mit der VocalBreak zum Beispiel die Klasse auch wieder verlässt. Also wenn dieser dieses Ritual des Kompetenzaufbaus, diese zwölf Minuten, wenn die zum Schluss wieder auch so enden, dass eine Form des «Cool Downs» wieder stattfindet, dass die Schülerinnen und Schüler nach dem gemeinsamen Musizieren auch wieder in irgendeiner Form zu Ruhe kommen, dann finden es die Mathelehrerinnen und -lehrer oftmals auch sehr angenehm, einen etwas «konzentrierteres Publikum» wieder vor sich zu finden. Das hängt aber tatsächlich auch von der Lehrperson selber ab, wie offen sie dafür ist wahrzunehmen, dass ein Wechsel des Formats, das Lernformat, auch ganz viel neue Inspirationen für das Folgefach wieder in sich tragen kann. Aber das muss tatsächlich immer wieder erprobt werden. Mit welcher Lehrkraft kann so ein Bruch stattfinden? Und ist das für diese Schule tatsächlich der Baustein, der als erstes jetzt implementiert werden sollte, um das Ziel der klingenden Schule zu erreichen? Oder ist es möglicherweise sinnvoll, Bausteine zu wählen, die ganz bewusst im Musikunterricht stattfinden, wo instrumentales Lernen mit dem allgemeinbildenden Musikunterricht verbunden wird? Wo diese Ziele des instrumentalen Lernens zum Beispiel mit dem Kernlehrplan des Faches Musik verbunden ist, wie es zum Beispiel im Profilklassen ja der Fall ist, in Bläser- oder Streicherklassen. Und da tangieren wir ein wesentliches weiteres Prinzip von EMSA, nämlich dass wir EMSA-Kooperation nicht nur als frei wählbare «Add-Ons», also losgelöst Bausteine etablieren wollen, sondern dass sich tatsächlich vor allen Dingen, wenn es diese Zeitfenster betreffen, also wenn Instrumente im allgemeinbildenden Musikunterricht in dieser Zeit gelernt werden, dass sich dann die Vorgaben, also dass das Instrumentallernen an diese verbindlichen Vorgaben auch angedockt wird, um beide Fächer zu stärken. Einmal das Schulfach Musik, aber gleichzeitig auch die musikschulischen Angebote in ihrer Verbindlichkeit und Bedeutsamkeit zu stärken. Aber jetzt hast du gerade nach einem konkreten Beispiel mal gefragt. Ich versuche das mal, oder wir haben uns gerade überlegt, wie könnte man das versuchen zu fassen? Wir sprechen immer von Cem und Paula, das sind so unsere stellvertretenden Namen für alle Schülerinnen und Schüler einer Kooperation. Wenn man sich vorstellt, die haben so eine Woche vor sich, dann könnte das in der EMSA-Schule so aussehen, dass sie montags erst mal ganz normal mit einem Mathe-, Deutsch-, Englischunterricht oder was auch immer Sportunterricht beginnen und dann aber in der dritten Stunde im «Drehtürmodell» den Fachunterricht verlassen und eine halbe Stunde Klavier oder Schlagzeugunterricht haben.
Kristin Thielemann: Dann aber auch in der Schule direkt?
Stephanie Buyken-Hölker: Dann auch in der Schule direkt. Also das hängt natürlich auch wieder davon ab, welche Kooperation das ist. Meistens findet dann der Instrumentalunterricht im Schulgebäude statt. Es gibt aber auch Kooperationsstandorte, wo wir immer ganz neidisch sind, wenn wir hier aus Köln aus so einem dichtbesiedelten Raum gucken, wo es einfach ländliche Schulen gibt, wo direkt nebenan die Musikschule in einem ganz tollen großen Gebäude nebenan ist, wo die Schülerinnen und Schüler einfach mit dem Köfferchen über die Wiese laufen und dann im Nachbargebäude ihren Schlagzeugunterricht, Bassunterricht haben und dann wieder zurück in die Schule zurückkehren. Dann könnten Cem und Paula dienstags als GesangspatInnen aus ihrem eigenen Unterricht hinausgehen, also auch, was den Englischunterricht möglicherweise verlassen und die VocalBreak einer fünften Klasse anleiten, als quasi kleine Lehrerinnen und Lehrer, dann wieder in den Unterricht zurückkehren und am Nachmittag eine Wahlpflicht-AG in der Band belegen. Mittwochs haben sie möglicherweise sich schon frühmorgens eingebucht in eine Übelphase, weil die Bahn zu früh kam, diese Zeit zu nutzen. Und am Donnerstag sind sie gemeinsam mit all ihren Peers auf der Bühne in der OpenStage. Und freitags wählen sie dann, das geht das ganze Wochenende, um die Musicalproben zu belegen oder um eine MentorInnen-Ausbildung zu belegen, weil sie festgestellt haben, das Anleiten von Gruppen und das selbstständig tätig sein, Musizieren - das ist etwas, was Sie möglicherweise auch weiter beruflich verfolgen wollen. Also das wären Möglichkeiten, die wir sehen und wo wir uns vorstellen können, dass das noch viele Anschlüsse gibt.
Kristin Thielemann: Aber jetzt muss ich mal ganz kurz fragen: Cem und Paula leiten die VocalBreak selbst an!?
Stephanie Buyken-Hölker: Ja. Also die Idee, Schülerinnen und Schüler als ExpertInnen ernst zu nehmen und ihnen auch leitende Aufgaben und Rollen zur Verfügung zu stellen, das ist von vornherein ein Gedanke bei EMSA, den wir in verschiedenen Bausteinen finden und so auch in der VocalBreak, auch in der MotionBreak oder auch als ÜbepatInnen sind Kinder in dieser MentorInnentätigkeit tätig. Und ja, die jetzt ganz konkret nach der VocalBreak fragtest: Es sind das Kinder der sechsten und siebten Klasse, die ein Jahr lang bereits die VocalBreak kennengelernt haben, die dann nach einem Patenworkshop, der drei Tage lang hier an der Musikhochschule stattfindet, zu PatInnen ausgebildet und qualifiziert werden und dann selber als kleine VocalBreak-Lehrer… oder gar nicht kleine… als Lehrerinnen und Lehrer der VocalBreak gemeinsam mit der Lehrkraft dann die VocalBreak mitgestalten.
Kristin Thielemann: Und das stelle ich mir wirklich spannend vor. Das hätte ich, glaube ich, unglaublich gern gemacht. Da habe ich ja auch in der üben & musizieren 06_2019 von dir, liebe Steffi, schon den Beitrag «Mittendrin – die VocalBreak. Zehn Minuten Klassenmusizieren am Vormittag in der Schule» gelesen. Aber ich wusste damals noch gar nicht, dass es dieses EMSA-Projekt gibt und ich habe da nur so reingeschnuppert in diesen Beitrag. Ich weiß ja nicht, ich lese ja… man hat ja manchmal nicht… Ach, Asche auf mein Haupt… Man hat ja manchmal nicht genügend Zeit, vom ersten bis zum letzten Wort alles zu lesen. Aber ich kann mich an diesen Beitrag erinnern, dass ich da durchgeblättert habe und dachte: «Wow, tolle Sache, vielleicht können wir das… Ich würde mal behaupten, wir stellen den Beitrag aus der 06_2019 «Mittendrin – die VocalBreak», den stellen wir mal in die Shownotes oder zumindest den Link dazu.
Stephanie Buyken-Hölker: Oder auch einen Beitrag aus unserem aktuellen Buch. Da wird ja auch über die VocalBreak und die GesangspatInnen etwas genauer auch noch geschrieben.
Kristin Thielemann: Ich werde das abklären, was da möglich ist. Was sind denn die Vorteile für die anderen SchülerInnen, wenn Cem und Paula die VocalBreak selbst anleiten? Und wozu brauchen wir da eigentlich noch Musiklehrer oder Musiklehrerinnen, wenn so etwas auch die Kinder und Jugendlichen selbst können?
Stephanie Buyken-Hölker: Das sind ja zwei Fragen, quasi. Also was ist der Sinn und was ist die die Motivation dahinter? Diese Peer-Teaching Prozesse auch mit ernst zu nehmen in Kooperationsentwicklungen und Unterrichtsentwicklung. Dahinter stecken ganz verschiedene lerntheoretische Annahmen, die uns eigentlich als Lehrpersonen schon seit längerem geläufig sind, nämlich die Annahmen, dass Lernen dann besonders wirksam und auch als bedeutsam erlebt wird, wenn es einen Raum gibt, in dem Schülerinnen und Schüler eigenverantwortliche Entscheidungen treffen können und als Lehrperson, als VocalBreak Lehrperson, als Übepatin bin ich in der Rolle und kann eigene Entscheidungen mit Treffen, mitbestimmen und kann auch meine eigenen künstlerischen Entscheidungen mit treffen. Und eine große Entscheidungsmöglichkeit ist, diese GesangspatInnen-Ausbildung zu machen. Also sich selber zu entscheiden: Ich gehe diesen Weg und ich werde diese Mentorin. Ein weiterer Grund für diesen Fokus auf Peer-Learning Situationen ist die Annahme, dass Schülerinnen und Schüler häufig sehr authentische und exzellente Expertinnen ihrer eigenen Stilrichtung sind, viel mehr oft als wir Lehrkräfte selbst, und dass sie deswegen als ein ganz hervorragendes «Rolemodel» für jüngere Schülerinnen und Schüler eine wichtige Funktion einnehmen.
Kristin Thielemann: Genau. Denn nicht zuletzt seit 1791 wissen wir: Papageno sucht Papagena und Tamino sucht Pamina, genau das «Rolemodel».
Ursula Schmidt-Laukamp: Es gibt nicht nur die VocalBreak-Paten, es gibt auch Übepaten. Und es ist vorgesehen, dass Übepartner auch ausgebildet werden. Und das haben wir auch in einer Schule bereits gemacht. Und das war ganz interessant, weil: Üben will gelernt sein. Und wir haben jetzt diese Jugendlichen, die das mit anderen zusammen praktizieren sollten, mit denen haben wir Methoden erarbeitet, wie sie nun mit ihren MitschülerInnen ihr Instrument oder ein ganz bestimmtes Stück oder ganz bestimmte Teile aus Stücken herausarbeiten können. Also wir haben darüber, dass Schüler und Schülerinnen Übetechniken weitervermitteln sollen, dazu gebracht, dass sie ihr eigenes Übeverhalten reflektieren und somit auch eine Chance haben, sich selbst persönlich weiterzuentwickeln. Also sie haben direkt auch etwas davon und sind nicht nur dazu da, anderen zu helfen, sondern sie haben einen eigenen, können wirklich einen eigenen Mehrwert, einen eigenen Vorteil daraus ziehen. Und ja, das hat auch ganz gut funktioniert, auch da, was Steffi eben schon gesagt hat… Da besteht ja auch dann die vielleicht die Hoffnung, dass Jugendliche auch erkennen: Vielleicht macht mir das Spaß, ein Instrument zu vermitteln, das auch dann in einem Berufswunsch münden zu lassen.
Kristin Thielemann: Lernen durch Lehren funktioniert immer gut.
Ursula Schmidt-Laukamp: Das ist wahr.
Kristin Thielemann: Ja, absolut. Und wir haben ja ohnehin gerade Fachkräftemangel, also können wir gut gebrauchen, all diese Jugendlichen, die dann Lust auf unseren schönen Beruf bekommen.
Ursula Schmidt-Laukamp: Ja, genau.
Stephanie Buyken-Hölker: So ist es.
Kristin Thielemann: Wie viele EMSA-Schulen gibt es denn derzeit?
Stephanie Buyken-Hölker: Ich glaube, es gibt so ungefähr 46 Schulen aktuell. Und es gibt, glaube ich, so um die 55 Musikkoordinatoren, Musikkoordinatorinnen, die bereits hier am EMSA-Zentrum ausgebildet sind. Und jetzt letzte Woche sind wieder neue Schulen bei uns in Köln angekommen und die Qualifizierungslehrgang bei uns begonnen haben. Und das ist eine ganz spannende Truppe, auf die wir uns jetzt schon freuen, die noch mal wieder ganz neue Bausteine auch in den Blick nehmen, ganz neue Schwerpunkte in der Kooperation in uns auch wachgerufen haben. Das ist toll. Also es wächst und wächst.
Kristin Thielemann: Begleitet ihr denn das Projekt eigentlich auch forschend?
Stephanie Buyken-Hölker: Ja, also das ist ja noch ein sehr junges Projekt. Und von vornherein ist die Verbindung zur musikpädagogischen Forschung ja durch die Verortung an der Hochschule für Musik und Tanz Köln gegeben. Und da insbesondere durch die enge Zusammenarbeit mit unserer Kollegin Christine Stöger. Sie ist Professorin für Musikpädagogik, für das Lehramt und auch mit unseren Kolleginnen der Instrumental- und Gesangspädagogik Natalia Ardilla-Mantilla und Carmen Hess, mit denen wir ganz eng zusammenarbeiten. Und da entstehen jetzt gerade auch erste Forschungsprojekte, auch Promotionsvorhaben, sodass wir möglicherweise in naher Zukunft auch schon etwas stichhaltiger sagen können: Was macht das jetzt eigentlich mit Kindern und Jugendlichen, wenn sie Schülerinnen und Schüler einer EMSA-Schule sind? Aber diese dichte Verzahnung zwischen musikpädagogischer Praxis und musikpädagogischer Forschung, das erleben beide sowohl Praxis als auch Theorie als großen Schatz, ja gegenseitig als großen Schatz. Und das ist, glaube ich, etwas Besonderes, was wir jetzt hier in EMSA auch gestalten und erleben können, dass das so dicht in einen zirkulären Prozess geht.
Kristin Thielemann: Spannend. Sozusagen Bastian 2.0, Bastian reloaded, oder!? Wie erlebt ihr denn die Schülerinnen und Schüler, die in den Genuss von EMSA kommen?
Stephanie Buyken-Hölker: Ja, das schließt so ein bisschen an die Frage an, die wir gerade auch hatten, ob Forschung schon Teil von EMSA ist. Und auch wenn gerade durch Christine Stöger sehr wissenschaftlich die ganze Zeit begleitet wird, gibt es bisher noch keine Ergebnisse, die genau das belegen, was genau passiert. Aber wir haben erste Beobachtungen, erste kleine Interviews und auch Zahlen. Und da haben wir auch noch mal mit einer unserer ersten Pilotschulen hier in Köln Kontakt aufgenommen. Das ist ganz spannend zu beobachten, wie einfach diese Zahlen von Instrumentalunterricht oder Gesangsunterricht so stetig und dann wirklich exponentiell gestiegen sind, seitdem Schülerinnen und Schüler in dieser Kooperation lernen. Vorher gab es ganz wenige Kinder und Jugendliche, die Instrumentalunterricht hatten und jetzt sind es im dreistelligen Bereich einfach Kinder, die an der Musikschule außerhalb von Profilklassen, also jetzt nicht im Kontext eines Kollektivs, weil sie jetzt zufällig noch mal in so einer Bläserklasse gestrandet sind oder gelandet sind, sondern weil sie sich explizit dafür entschieden haben, ein bestimmtes Bandangebot oder einen Instrumentalunterricht zu wählen. Und das deuten wir als Zeichen, dass Schülerinnen und Schüler, die das erleben, Anschlüsse finden für ihre eigenen Bildungsmöglichkeiten. Und wenn man sich diese Kinder in diesen MentorInnen-Ausbildungen dann anschaut, dann erleben wir sie mit unglaublicher Leidenschaft und Identifikation für das, wofür sie sich entschieden haben und mit einer unglaublichen Lust, das weiterzuführen und weiterzugeben. Das ist jedenfalls das, was wir auf dieser Erlebnis- und Erdbeobachtungsebene so wahrnehmen und was uns die Schülerinnen und die Lehrerinnen und Lehrer auch zurückspiegeln, also in Richtung Zufriedenheit und Motiviertsein weiterzumachen und möglichst nicht nach der sechsten Klasse aufzuhören, sondern dabeizubleiben, auch wenn es in die Mittelstufe und in die Oberstufe geht. Denn EMSA verfolgt ja auch das Ziel, nicht nur Klasse fünf und sechs zu fördern und da Voraussetzungen zu schaffen, sondern auch von der Breite in die Spitze, also auch die Expertise so zu fördern, dass möglicherweise Schülerinnen und Schüler auch mehr das Fach Musik im Abitur wählen. Also da auch wieder die Synergieeffekte von Musikunterricht und Instrumentalausbildung und möglicherweise, wie Ulla das ja auch gerade schon gesagt hat, die Idee entsteht, ein Berufsziel damit zu verbinden und damit möglicherweise auch Fachkraftmangel in Zukunft durch EMSA-Schülerinnen und -Schüler, die möglicherweise erst mal nicht in Berührung gekommen wären mit einer solchen Form der Ausbildungsmöglichkeit, die das wählen.
Ursula Schmidt-Laukamp: Und dazu muss man sagen EMSA ist ein Modell, was nicht ausschließlich an Gymnasien angeboten wird, sondern in allen weiterführenden Schultypen. Das heißt also Hauptschule, Realschule, Gesamtschule, Sekundarschule, Gymnasium. Es ist alles dabei. Das heißt, auch die Schüler und Schülerinnen, die sich zum Beispiel für Instrumentalunterricht anmelden, oder auch - das haben wir auch gesehen bei den VocalBreak-PatInnen - die sind wirklich sehr divers aufgestellt. Das sind Kinder, die nicht unbedingt aus Elternhäusern kommen, in denen es leichtfällt, Musikunterricht zu nehmen oder wo es, wo es vielleicht an der Tagesordnung wäre, wie es an einigen Schultypen ja eher zu finden ist. Und das erleben wir auch immer wieder, dass es eine unglaubliche Vielfalt gibt. Es gibt eine kulturelle Vielfalt, es gibt dadurch auch wirklich ein wunderbares, vielfältiges Musikangebot, was dadurch zustande kommt und gerade jetzt beispielsweise an Gesamtschulen, es sind auch sehr große Schulen, fluktuiert es zwar, aber es bleibt, wie jetzt das Beispiel, was Steffi gerade gesagt hat, an dieser Schule doch so ein Sockel an Kindern, die sich aktiv in diesem Format, in diesen Musikformaten und auch im Instrumentalunterricht bewegen. Es bleibt so ein Sockel / Anzahl von Kindern, so dass dieses EMSA-Modell auch lebendig bleiben kann und nicht, dass es dann tatsächlich auch über Corona hinweg hat es das getragen. Da sind dann über ZOOM so ganz wunderbare Arrangements entstanden. Also es bleibt doch dann etwas bestehen.
Kristin Thielemann: Das klingt jetzt natürlich alles ziemlich rosarot mit diesen vielen tollen, motivierenden Erfahrungen, die junge Menschen im EMSA Projekt bei euch machen dürfen. Das kostet aber doch bestimmt auch so einiges an Geld, damit eine Musikschule und eine Schule kooperieren. Ja, es bedarf auch sicher einiges an Zeit, damit sich die Verantwortlichen auf beiden Seiten absprechen, alles koordinieren und dann gehört sicherlich auch so einiges an zusätzlichen Lektionen auf beiden Seiten dazu. Möglicherweise auch Musikinstrumente, die angeschafft werden müssen. Du, liebe Ursula, wirst gerne mal mit dem Satz zitiert: «Kooperation fällt nicht vom Himmel.» Mit welchen Kosten muss ich denn ungefähr rechnen, wenn ich jetzt sage: Ich brauche EMSA an meiner Schule? Und was sind die Folgekosten? Und das Allerwichtigste: Wer zahlt?
Ursula Schmidt-Laukamp: Ja, dieser schöne Satz ist leider nicht von mir, den habe ich mal irgendwo gelesen. Kooperation fällt leider nicht vom Himmel. Ich interpretiere ihn jetzt mal so: Kooperation macht Mühe. Kooperation ist nicht unbedingt von schnellem Erfolg geprägt. Es gibt unglaublich viele Herausforderungen. Es geht nicht nur um Corona, es gibt auch noch ganz andere Herausforderungen. Es kann Missverständnisse geben. Es sind einfach viele Menschen unterwegs, die miteinander kommunizieren. Es kann so viele Probleme geben, es kann Sackgassen geben, es kann Umwege geben. Also niemals führen Kooperationen wirklich linear geradeaus zum Ziel. Also es ist eben alles passiert, was passiert, wenn Menschen zusammenarbeiten. Und dann kann man sich nicht mal sicher sein, ob man ein schönes Modell… da kann man sich nicht mal sein sicher sein, dass das alles so gelingt, wie man sich das so vorstellt. Also man braucht viel Geduld und darauf will ich hinaus. Geduld heißt Zeit und das ist ein ganz, ganz wichtiger Faktor. Und man kann vielleicht sogar sagen: Zeit ist eine der grundlegenden Ressourcen in der Kooperationsarbeit. Planung, Umsetzung und sowas. Das ist in der Regel sehr, sehr zeitaufwändig. Vor allen Dingen, auch wenn im Team gearbeitet wird, bei EMSA wird sehr viel in Teams gearbeitet und es gelingt auch nicht immer alles auf Anhieb. Prozesse dauern schon mal länger. Ja, worauf ich hinaus? Zeit ist Geld und da braucht man schon auch wirklich verständige Schulleitungen, die dann entsprechende Zeitressourcen zur Verfügung stellen, also letztendlich finanzieren.Aber du hast nach Kosten gefragt. Das war ja eigentlich deine Frage. Was braucht man also, um ganz konkret EMSA zu starten? Man braucht Personalkosten oder eben Personalressourcen für in der Regel zwei MuKos. Das wird sehr unterschiedlich in den Schulen finanziert, in den Musikschulen. Ja dann… Es wird ja Instrumental- oder Gesangsunterricht angeboten. Das wird meistens über die Musikschulen abgerechnet, also in der Regel über einen Elternbeitrag. In einigen Schulen, vor allem ja auch in Schulen, wo vielleicht Jugendliche sind, die, wo es vielleicht finanziell nicht ganz so gut gestellt ist, da gibt es sehr häufig spezielle Fördertöpfe. Das wird aber meistens schulintern geregelt. Die EMSA-Bausteine werden finanziell sowohl von den Musikschulen als auch von Schulseite getragen. Hier geht es wieder um Aushandlungsprozesse. Und unserer Erfahrung nach funktioniert das mehr und mehr und immer besser, also mit zunehmendem Erfolg auch. Unsere MuKos – sie bekommen beim Finanzthema von uns Unterstützung. Denn die MuKos sorgen auch in einigen Fällen auch dafür, also beispielsweise die Finanzierung der Bausteine. Das muss ja in irgendeiner Form thematisiert werden und da sind die MuKos schon auch sehr entscheidend, dass sie auch Wege finden mit Schulleitungen zusammen, wie finanziert werden kann. Aber wir unterstützen das vom Zentrum aus natürlich auch aktiv. Wir informieren laufend über alle möglichen Fördermittel, helfen auch bei Antragstellung usw. Denn es gibt ja hier in Nordrhein-Westfalen, aber ich nehme an, in allen Bundesländern gibt es ja eine ganze Reihe von Förderprogrammen hier in Nordrhein-Westfalen, für das Beispiel kann man die beispielsweise beim Landesverband der Musikschulen beantragen. Oder Schulen zum Beispiel können Stellen kapitalisieren. Das ist nicht so selten und das ist wirklich eine tolle Möglichkeit, die Schulen haben, um musikalische Arbeit zu finanzieren. Man kann aus diesen Ausführungen, denke ich, auch erkennen Finanzen, Finanzierung, das ist wirklich ein Riesenthema. Also generell in Kooperationsarbeit. Aber bei uns natürlich jetzt besonders, weil wir sind ja immer noch im Projektstadium. Wir möchten gerne, dass das überführt wird bzw. dass auf dem Weg dahin in eine in ein bestätigtes Zentrum und da ist natürlich unser großes Ziel, dass wir irgendwann mal eine ganz verlässliche Grundfinanzierung bekommen. Also da arbeiten wir dran. Wir können uns vorstellen beispielsweise, dass Schulen, vor allen Dingen Musikschulen, einen bestimmten Sockelbetrag zur Verfügung gestellt bekommen, um einfach, mühelos und sorgenfrei auch diese tollen Angebote zu konsolidieren, zu festigen. Es geht im Moment einfach wahnsinnig viel Ressource dahin. Sind wir immer wieder versucht das die einzelnen Bausteine oder auch die die MuKos zum Teil zu finanzieren. Ja, also von daher - es stimmt: Kooperation fällt nicht vom Himmel. Es ist viel Arbeit!
Kristin Thielemann: Aber jetzt euer Buch noch mal durchgeblättert, heute vor unserer Podcast Aufnahme. Ich habe da schon große Teile von gelesen und was ich ja ganz, ganz spannend finde, sind diese Pausenkonzerte. Das finde ich ja ein so zauberhaftes Element, was sich ganz, ganz einfach und schnell umsetzen lässt. Könnt ihr darüber noch ein bisschen erzählen?
Stephanie Buyken-Hölker: Ja, das ist ein Baustein, der tatsächlich einer auch der ersten, Ulla, oder, der einer der ersten Bausteine bei EMSA war, weil das Bedürfnis da war, was wir anfänglich auch schon gesagt haben, dass die Schülerinnen und Schüler in der Schule, die bereits ein Instrument spielen und die auch schon lange üben und die möglicherweise auch schon Erfolge haben und Auftritte haben, dass die ganz oft in «normalen Schulen» gar nicht hörbar und sichtbar sind, wenn es nicht unbedingt eine bereits sehr lebhafte Kultur des Schullebens gibt. Oder es gibt auch Schülerinnen und Schüler, die gerade in den Formaten, die die Schule bisher angeboten hat, durch ein Orchester oder eine Bigband, die vielleicht, weil sie Solisten sind, weil sie Alte Musik Sängerin sind oder Blockflötisten sind, die gar nicht ihren Ort in diesem Kontext hatten. Und in diesem Format sind sie dann auf die Bühne gekommen. Und, Ulla, vielleicht kannst du noch was dazu sagen, denn dieser Baustein ist ja auch ein Baustein, der durch Schülerinnen und Schüler organisiert wird. Und deswegen ist der ja besonders zauberhaft, finden wir.
Ursula Schmidt-Laukamp: Ja, genau. Und also vorweg vielleicht noch gesagt: Die Openstage ist auch ein Baustein der relativ schnell eingeführt werden kann da braucht man keine großen, keine großen Vorläufe. Es gibt immer, wie ich schon sagte, es gibt immer Schüler und Schülerinnen, die bereits etwas auf dem Kasten haben, ein Repertoire haben und die endlich eine Möglichkeit finden, die auch dann in kurzen Pausenkonzerten einfach informell… Drumherum stehen alle andern Schüler und Schülerinnen und futtern ihr Butterbrot… Also auch relativ niederschwellig. Obwohl es wird auch darüber Konzertkultur einstudiert, dass also das Butterbrot leise gegessen wird, zum Beispiel.
Kristin Thielemann: Also es ist ja auch genial, weil was du auf einer Bühne spielen kannst, wenn neben dir deine Mitschüler stehen und ein Pausenbrot futtern, das kann es auf jeder Bühne der Welt.
Ursula Schmidt-Laukamp: Ja, aber Steffi, du sprachst das an, die OpenStage wird oder wir propagieren das auch, aber es wird auch in vielen Schulen von Schülern organisiert. Es gibt in EMSA neben dem MuKo-Team noch andere Teams und eine Teamstruktur heißt Subteam. Es gibt also verschiedene Subteams. Das sind immer nur ganz kleine Teams, die ganz bestimmte musikalische Formate unterstützen, planen, durchführen. Es braucht immer einen Support auch. Das können ja nicht alles diese MuKos machen. Und diese OpenStage ist ein Baustein, der sich wunderbar dazu eignet, dass Schüler und Schülerinnen das selber machen. Das heißt, sie müssen es planen. Also ich war neulich in Heinsberg und habe mit einem vierköpfigen Schülerteam – die sind neu, es hat sich also ein neues Team gebildet – haben wir mal so Projektplanung uns angesehen: Wie… von der ersten Minute an… was muss passieren, bis die Mitschüler und Schülerinnen auf der Bühne stehen? Und dann machen die sich Gedanken über Moderation und dann präsentieren sie das auch und dann wird das hinterher reflektiert und dann geben sie sich Feedback und das wird unterstützt dann wieder von MuKos oder anderen Lehrkräften, die vielleicht in dieses Subteam gehören. Also das ist ein relativ schnell durchzuführender Baustein.
Kristin Thielemann: Liebe Ursula, wenn ich jetzt sage: EMSA, das brauche ich auch für meine Region, wie und wo kann ich mir das nötige Fachwissen hierfür holen?
Ursula Schmidt-Laukamp: Ja, das sind wir schon öfter gefragt worden. Bisher gibt es EMSA nur in Nordrhein-Westfalen. EMSA es ein Projekt, das vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft und dem Ministerium für Schule und Bildung in NRW gefördert wird. Deswegen gibt es das eben bisher nur hier. Hier in Nordrhein-Westfalen werden die zukünftigen Muko-Tandems, das habe ich ja vorhin schon gesagt, diese MusikkoordinatorInnen von uns in unserem EMSA-Zentrum qualifiziert. Das heißt im Laufe eines Jahres erfahren Lehrkräfte in mehreren Seminarblöcken theoretisch und praktisch alles über das Modell EMSA. Hier geht es um das Know-how, was nötig ist, um eine Kooperation zu starten. Das heißt, die MuKo bekommen in der Qualifizierung die Möglichkeit, sich mit ihrer neuen Rolle und der dafür notwendigen inneren und äußeren Haltung auseinanderzusetzen. Ja. Und darüber hinaus erarbeiten Sie auch, wie Sie Ihren Arbeitsplatz gestalten können oder wie Sie mit verschiedenen Teams arbeiten können. Sie befassen sich neben Ihrer musikpädagogischen Expertise mit allen auf Sie zukommenden Arbeitsbereichen. Da geht es um personelle Kompetenzen, zum Beispiel die in der Gesprächsführung, in Sitzungsleitung oder auch im Konfliktmanagement gebraucht werden. Aber es geht genauso um organisatorische oder Fähigkeiten, aber auch um Verwaltung. Ganz interessant ist: 2017 wurde in der Schweiz eine Studie veröffentlicht, in der genau diese Kompetenzen im Zusammenhang mit dem Erfolg von Projekten untersucht wurde. Man hat dort die Praxisrelevanz von Kooperationskompetenz in vier Handlungsräumen erfasst, nämlich dem strategischen, dem fachlich-konzeptionellen, dem organisatorischen, dem sowie dem sozial-kulturellen. Und es wurde wissenschaftlich bestätigt, dass erst das Vorhandensein einer solch umfassenden Kooperationskompetenz zu einem wichtigen Indikator für den Projekterfolg bzw. auch Praxiserfolg wird. Und genau diese Grundprinzipien haben uns damals, 2015, als wir angefangen haben, geleitet. Und man findet sie im Fundament unseres EMSA-Hauses auch wieder. Wenn man sich mal die Website ansieht, dann prangt einem dieses schöne Haus auch entgegen.
Kristin Thielemann: Im Buch ist es auch drin.
Ursula Schmidt-Laukamp: Im Buch ist es auch drin. Das heißt also: MuKos müssen entsprechend musikpädagogisches Know-how mitbringen und darüber hinaus gezielt auch organisatorische, soziale und personale Kompetenzen schärfen oder entwickeln. Das ist jetzt nur ein ganz mini kleiner Einblick in diese Qualifizierung für die MuKos, für die MusikkoordinatorInnen, also detaillierter… jetzt kommt wieder der Werbeblock… detaillierter kann man das alles natürlich in unserem Buch und auch auf der Homepage www.emsa-zentrum.de nachlesen.
Kristin Thielemann: Wenn du jetzt als Schülerin auf so einer, auf so einer EMSA-Schule, was hätte dich denn, liebe Steffi, ganz persönlich am meisten angesprochen?
Stephanie Buyken-Hölker: Mich hätte glaub ich angesprochen, dass das, was ich tue, was ich sowieso leidenschaftlich tue, nämlich Musik machen, dass ich das zeigen kann, dass ich dazu stehen kann. Ulla und ich sind am Anfang immer von einer Vision ausgegangen, wo wir gesagt haben: Die Kinder und Jugendlichen sind mit ihren Koffern unterwegs und sind damit auch identisch mit ihrem Instrument und sind gleichzeitig Fußballspielerin und Tänzer und was auch immer für eine Sportart sie auch noch nachgehen oder welchem anderen Hobby. Aber sie sind auch sichtbare Musikerinnen und Musiker und das fand ich immer unglaublich berührt. Und das finde ich auch toll, wenn ich das an extra ausgewählten Musikgymnasien oder Profilschulen sehe. Aber das ist natürlich etwas, was dann nur ganz wenigen Schülerinnen und Schülern zugutekommt. Und EMSA ist ja gerade für alle Schülerinnen und Schüler da, für alle weiterführenden Schulen. Und das war unser Traum und das ist unser Ziel, dass diese Idee, dass man als Musikerinnen, als Musiker zu sehen ist und identisch sein kann und das weiterverfolgen kann und dass das Spaß macht und dass man auch damit angesehen und ein stückweit cool und ja, dazugehört, dass das überall möglich ist, dass es ein Anreiz für uns an meiner eigenen Schule ich komme aus einer Kleinstadt, da hatte ich das. Da gab es einfach keine andere weiterführende Schule und da gab es so eine Musikkultur, die das ermöglicht hat, dass ich zu sehen war nach einer gewissen Zeit als Schülerin, die musiziert. Wenn ich mir aber jetzt gerade in großstädtischen Raum Schulen anschaue, wo viele Kinder und Jugendliche auch untergehen mit den Hobbies, mit den Leidenschaften, die sie tun, da denke ich, ist es auch als Mutter, wenn ich mir das vorstelle, wenn meine Söhne die Möglichkeit hätten, da anzupacken und zu zeigen, was sie können und auch andere Menschen zu sehen, die das tun, so dass sie motiviert sind, da weiter dranzubleiben, das finde ich ein ganz wunderbares Ziel. Und da hoffe ich, bieten wir mit EMSA an den EMSA-Schulen genügend Anstöße, individuelle Wege zu gehen.
Ursula Schmidt-Laukamp: Ich habe auch was Persönliches. Ich komme mich aus einer ganz anderen Zeit. Da gab es so was überhaupt nicht. Also Steffi, wenn du sagst, bei euch gab es das schon mal ansatzweise. Ich komme aus einer Zeit, da gab es so was wie ein Schulorchester oder Schulchöre. Aber das war toll. Ich habe im Schulorchester Cello gespielt und das auch sehr lange. Die ganze Schulzeit. Ja, aber ich hätte, was ich mir gewünscht hätte, wäre auch so eine Art Community. Die gab es nicht. Wir haben dann zwar auch unsere Köfferchen genommen, also ich habe das Cello gespielt - das Köfferchen war ein bisschen größer und dann bin ich wieder nach Hause gefahren und wir haben und das war's. Wir hatten eine tolle Schulkonzerte, aber es war eigentlich kein wirklich musikalisches Leben an der Schule. Heute würden wir sagen, es ist ein Profil gewesen. Deswegen gingen auch ganz bestimmte Kinder, die schon in der Sexta damals schon ein Instrument so gut spielten, kamen sofort ins Orchester. An den EMSA-Schulen, das finde ich so toll, gibt es eben viele informelle Räume. Wir haben also ein paar informelle Räume angesprochen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass sich einfach mal drei Leute zusammentun, einen Raum suchen und jammen, oder einen Song schreiben, oder aber auch ein Menuett spielen, je nachdem, was für ein Unterricht sie haben. Sie können gemeinsam üben, sie können ihre Interessen austauschen und das wird auch gefördert. Das ist ja auch im Programm enthalten. Das hätte ich mir gewünscht, dass das eine ein Lebensraum Musik im Lebensraum Schule gegeben hätte.