00:00:00: Leo trommelt schon, bevor die Stunde überhaupt angefangen hat, allerdings auch gegen Wände und Tür.
00:00:05: Sein Notenblatt? Weg! Hausaufgaben? Vergessen! Eine Herausforderung im Unterricht nicht gleich bewältigt?
00:00:12: Wutausbruch! Aufmerksamkeit? Kurz zur Besuch gewesen.
00:00:16: Heute geht's hier bei Voll motiviert um den Musikunterricht mit ADHS-Betroffenen.
00:00:23: Voll motiviert, der Musikpädagogik-Podcast von Schot Music, dem Verband deutscher Musikschulen und Kristin Thielemann.
00:00:34: Heute mit einer Solo-Folge zum Thema ADHS-Betroffene im Einzelunterricht Musik.
00:00:40: Aber erstmal noch ein ganz riesengroßes Dankeschön an euch für die tollen Feedbacks, für die Kommentare fürs Teilen und für die Likes
00:00:48: zur letzten Folge – der Nummer 56 zum Musikschulkongress in Dresden.
00:00:53: Für die heutige Podcast-Folge zum Thema Kinder und Jugendliche mit ADHS im Musikschulunterricht spreche ich natürlich aus der Perspektive einer Musikpädagogin,
00:01:03: lasse also vielleicht manches weg, was eine Medizinerin, ein Mediziner zu diesem Thema sagen würde, zugunsten von Pädagogik-Praxistipps aus dem Musikunterricht für den Musikunterricht.
00:01:14: Im Jahr 2020 habe ich eine Publikation veröffentlicht, in der es um den Unterricht mit ganz besonders unruhigen, konzentrationsschwachen, hyperaktiven und nur schwer lenkbaren Kindern im Instrumentalunterricht geht.
00:01:27: "Ganz schön wild" heißt dieses Üben & musizieren Spezial.
00:01:31: Es war mir ein Herzensanliegen über den Unterricht mit diesen besonderen Menschen zu schreiben, die unseren Arbeitsalltag manchmal ganz schön herausfordernd machen können.
00:01:40: Seitdem sind viele Beiträge in Fachmagazinen und auch Fortbildungen hinzugekommen, bei denen ich mit Gruppen von Lehrkräften dieses Thema erarbeite.
00:01:48: Die wissenschaftlich erhobenen Zahlen, die sprechen hier eine sehr eindeutige Sprache: Es werden mehr und mehr Fälle diagnostiziert.
00:01:55: Die Frage dürfte nur sein, warum?
00:01:58: In einer Metaanalyse, die ihr im deutschen Ärzteblatt veröffentlicht findet und die bundesweite Krankenkassen-Daten der Jahre 2009 bis 2014 drin hat,
00:02:08: die also wohlgemerkt mit über 10 Jahre alten Zahlen operiert, stieg die Häufigkeit von ADHS-Diagnosen bei den 0- bis 17-Jährigen von 5 auf 6,1 Prozent an
00:02:20: und betrug in einem Maximum 13,9 Prozent bei den Jungs im Alter von 9 Jahren.
00:02:26: Tja, und wer spielt nochmal Trompete und Schlagzeug?
00:02:29: Welche Lehrkräfte dürften also am meisten Fronterfahrung mit ADHS-Betroffenen haben?
00:02:35: Aber diese Zahlen stammen natürlich noch von vor dem aktuellen Social-Media-Hype, wo Menschen mit ihrer ADHS medial kokettieren und somit auch zum Nachdenken darüber anregen,
00:02:45: ob die eigene Konzentrationsschwäche, die Vergesslichkeit, dass sich nicht regelkonform verhalten können oder wollen, ihr Bewegungsdrang,
00:02:53: nicht vielleicht doch mit einer bis dato noch nicht diagnostizierten ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) zusammenhängen könnten.
00:03:02: Einige ExpertInnen vermuten, dass die erhöhte Aufmerksamkeit und die Sensibilisierung für dieses Thema zu mehr Diagnosen führt,
00:03:09: ohne dass es zwangsläufig einen realen Anstieg der Fälle gibt.
00:03:13: War ein Kind noch vor wenigen Jahren mit der Diagnose ADHS stigmatisiert und negativ geframed,
00:03:19: könnte man heute fast den Eindruck bekommen, dass es als "cool" gilt, so einen "Special-Effect" zu haben.
00:03:26: Aus eigener Erfahrung kann ich euch aber sagen, dass es weder für die Betroffenen noch für die Eltern oder auch die unmittelbare Umgebung cool ist,
00:03:33: wenn ein Kind von einer ADHS betroffen ist.
00:03:36: Es ist eine echt große Herausforderung für alle Beteiligten, hiermit gut umzugehen und diesem jungen Menschen einen guten Start in die Gesellschaft zu ermöglichen,
00:03:45: die auch im Jahr 2025 and beyond immer noch auf Leistungsvergleiche setzt, auf Effizienz und Produktivität fokussiert ist
00:03:53: und in der klare Strukturen sowie Anpassungsfähigkeit gefordert werden.
00:03:57: Alles Dinge, die nicht unbedingt der zweite Vorname von ADHS-Betroffenen sind.
00:04:02: Gleichzeitig könnten aber mit Blick auf Zukunftsskills wie Künstliche Intelligenz, die kreative Problemlösung,
00:04:09: emotionale Intelligenz und interdisziplinäres Denken an Bedeutung gewinnen,
00:04:14: während traditionelle Leistungsbewertungen, starre Bildungswege und rein auswendig gelerntes Wissen möglicherweise weniger relevant werden.
00:04:22: Dinge, die ADHS-Betroffenen in aller Regel sogar sehr gut liegen.
00:04:26: Meine Cousine, sie ist Grundschullehrerin in Berlin und Meisterin der treffenden Sprüche,
00:04:30: sie sagte immer: ADHS ist ein Auto, was du als junger Mensch erstmal fahren können musst.
00:04:35: Und wir, wir müssen mitfahren, ob wir wollen oder nicht.
00:04:39: Aber beginnen wir doch von vorne, denn ich möchte euch zunächst in sehr kompakter Form die wichtigsten Eckdaten näher bringen,
00:04:45: weil ich davon überzeugt bin, dass wir selbst auf sehr viele günstige Verhaltensweisen für die Unterrichtspraxis kommen,
00:04:51: wenn wir das Bild ADHS besser verstehen.
00:04:55: Wie äußert sich eine ADHS?
00:05:03: ADHS-Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung äußert sich durch eine Kombination aus Aufmerksamkeitsproblemen,
00:05:10: Impulsivität und Hyperaktivität.
00:05:13: Nicht alle Symptome kommen bei allen ADHS-Menschen vor und die, die vorkommen, die sind auch unterschiedlich schwer ausgeprägt.
00:05:20: Derzeit ist es Gegenstand der Forschung, ob man bei ADHS von einer Spektrumsstörung, wie zum Beispiel bei ASS,
00:05:27: also Autismus-Spektrumsstörung, sprechen sollte.
00:05:30: Wir können uns aber merken, dass es mit den ADHS-Symptomen so ist wie bei Kopfschmerzen:
00:05:35: Manchmal können sich Kopfschmerzen als leichtes Spannungsgefühl äußern,
00:05:39: anderentags hämmert es hinter unseren Schläfen und manche von uns haben sogar mit so starker Migräne zu tun,
00:05:46: dass sie an solchen Tagen ihre heimischen vier Wände nicht verlassen können.
00:05:49: Auch bei ADHS-Menschen sind manche Symptome ausgeprägter, andere lassen sich bei einigen Betroffenen gar nicht finden.
00:05:56: Das betrifft insbesondere die Hyperaktivität, deshalb sprach man auch eine zeitlang von ADHS und ADS.
00:06:03: ADS, also Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, dort fehlt das H für Hyperaktivität.
00:06:09: Heute ist es aber üblich, alles unter dem Begriff ADHS zusammenzufassen, selbst wenn jemand nicht hyperaktiv sein sollte.
00:06:16: Aber jetzt zu dem, was drin sein kann in unserem Gegenüber mit ADHS-Diagnose – alles in unterschiedlicher Ausprägung.
00:06:28: Aufmerksamkeitsprobleme können sein, dass die Personen Schwierigkeiten haben, sich über längere Zeit zu konzentrieren,
00:06:34: sich leicht durch etwas ablenken lassen, häufig Dinge vergessen, verlieren oder verlegen,
00:06:40: weniger gut darin sind, sich selbst zu organisieren und schneller Flüchtigkeitsfehler machen.
00:06:46: Die Hyperaktivität zeigt sich meist durch eine allgemeine Unruhe, die wir bei unserem Gegenüber spüren,
00:06:52: durch das ständige in Bewegung sein mit Händen oder Füßen oder auch mal durch spontanes Aufstehen und herumlaufen, insbesondere bei jüngeren Kindern.
00:07:01: Der übermäßige Rededrang kann vor allem bei Gruppensettings als störend empfunden werden
00:07:06: und unbedachte oder überstürzte Handlungen können nachweislich sogar die Unfallgefahr von ADHS-Betroffenen steigern.
00:07:14: Hier ist für mich immer besondere Vorsicht geboten, wenn ich mit SchülerInnen außerhalb der gewohnten Umgebung unterwegs bin,
00:07:20: also zum Beispiel zu einem Konzert oder eine Exkursion.
00:07:24: Und dann ist dann auch die erhöhte Impulsivität.
00:07:27: Diese zeigt sich häufig in einem Mangel an Geduld, fehlender Resilienz,
00:07:32: plötzlichen Wutausbrüchen, Schwierigkeiten, die eigenen Emotionen zu regulieren.
00:07:37: Auch diese erhöhte Impulsivität kann zu Unfällen führen, und zwar sowohl bei den Betroffenen selbst als auch bei ihrem Umfeld.
00:07:44: Denn zum Beispiel impulsives und unerwartetes Handeln oder auch ruckartige Bewegungen, zum Beispiel mit der Trompete in der Hand,
00:07:51: könnten Beulen an den Instrumenten der Mitspielerin oder auch mal eine Beule am Kopf verursachen.
00:07:56: Auch kann gerade in Gruppensettings, die einfach schneller als bei anderen Kindern und Jugendlichen durchbrennende
00:08:01: "Zündschnur" zu einem echten Problem werden.
00:08:05: Hierfür ein gutes Gespür zu entwickeln, eine erhöhte Aufmerksamkeit und Sensibilität an den Tag zu legen,
00:08:11: das kann für uns im Arbeitsalltag schon echt herausfordernd sein.
00:08:15: Ja, und ich würde so weit gehen zu sagen, dass der Unterricht mit ADHS-Betroffenen aufwendiger oder vielleicht besser aufreibender für uns sein kann.
00:08:23: Aber mit der Praxis steigt das Können, ihr Lieben, also auf geht's!
00:08:28: Denn eines kann ich euch versprechen, es gibt ja immer zwei Seiten der Medaille.
00:08:32: Was ich damit sagen will, auf der Welt ist nichts ohne sein Gegenteil wahr.
00:08:36: Ohne Nacht gibt es keinen Tag, ohne Dunkelheit, kein Licht und ohne Stille, keinen Klang.
00:08:42: Ohne Kälte wüssten wir nicht, was Wärme bedeutet und ohne Krankheit würden wir unsere Gesundheit gar nicht wertschätzen.
00:08:48: So ist das Leben ein stetiges Spiel der Gegensätze, ein Tanz zwischen Licht und Schatten
00:08:53: und vielleicht liegt die wahre Kunst des Daseins darin, nicht nur das eine zu suchen,
00:08:59: sondern beide Seiten zu erkennen und in ihrem Zusammenspiel die gute Balance zu finden.
00:09:05: Und so empfinde ich persönlich eine ADHS auch überhaupt nicht als negativ.
00:09:09: Ganz im Gegenteil, nur passt sie vielfach nicht zu unseren Lerngewohnheiten und zu unserem Schulsystem.
00:09:15: Für diesen Podcast will ich euch ganz kurz von den Vorteilen erzählen, die ich sehe bei ADHS-Betroffenen.
00:09:21: Viele Menschen mit ADHS haben eine lebhafte Vorstellungskraft und eine hohe kreative Energie.
00:09:27: Sie denken oft "out of the box", sie können sehr spontan und begeisterungsfähig sein,
00:09:32: sie können andere mitreißen und motivieren und sie sind häufig extrem empathische Menschen.
00:09:38: Daher gibt es vor allem bei uns in den künstlerischen Berufen viele, die ADHS-Symptome zeigen.
00:09:44: Auf meinen allerersten "Ganz schön wild" Fortbildungen habe ich immer einen Online-Selbsttest verlinkt,
00:09:51: den die Teilnehmenden in der Pause machen durften, wenn sie Lust darauf hatten.
00:09:55: Ich wollte ihnen damit zeigen, dass in vielen von uns ADHS-Symptome stecken
00:09:59: und sie bitte diese Kinder und Jugendlichen nicht negativ stigmatisieren sollen.
00:10:03: Natürlich ist ein Selbsttest keine Diagnose, aber er kann zumindest mal eine Richtung zeigen.
00:10:08: Mittlerweile verzichte ich aber komplett auf diesen Selbsttest, weil viel zu viele unserer KollegInnen dort hohe Punktzahlen eingefahren haben
00:10:16: und verständlicherweise entsprechend aufgewühlt waren.
00:10:20: Was ist noch drin an Dingen, von denen wir unbedingt auch die andere Seite der Medaille sehen sollten?
00:10:26: Der Hyperfokus, also die intensivste Form der Konzentration bei Interesse.
00:10:31: Wenn ein Thema wirklich interessiert, können Menschen mit ADHS stundenlang vertieft und hochproduktiv arbeiten.
00:10:39: Was tun, wenn ein junger ADHS-betroffener Mensch seinen Hyperfokus in der Musik findet?
00:10:44: Wenn wir in einem Hyperfokus sind, dann interessiert uns weder Zeit nach Raum.
00:10:48: Das ist eine unglaublich intensive Flow-Erfahrung und wir können sie bei ADHS-Betroffenen
00:10:54: sehr ähnliche Weise hervorrufen, wie wir im Unterricht oder beim Üben ganz normalen Flow versuchen zu erzeugen.
00:11:00: Also eine Aufgabe finden, die weder langweilig noch überfordert, sondern sich im sogenannten "Sweet Spot" befindet,
00:11:06: dann eine Atmosphäre schaffen, die Ablenkungen und Störungen wie Geräusche, grelles Licht oder auch ständiges Korrigieren und Anleiten
00:11:13: seitens der Lehrkraft minimiert.
00:11:16: Wir geraten mit SchülerInnen häufig besser in den Flow, wenn wir zunächst etwas Improvisatorisches nehmen
00:11:21: und versuchen nonverbal zu kommunizieren.
00:11:24: Abwechseln des Spielen, "Call and Response", das intuitive Reagieren aufeinander,
00:11:29: Atmosphäre schaffen mit Musik.
00:11:31: Gerade habe ich eine neue Publikation, eine zweibändige Trompeten-Notenausgabe für Fortgeschrittene bei Schott Music in Arbeit,
00:11:38: wo es bei den Übungen ganz besonders darum geht, den Flowzustand hervorzurufen, in dem gemeinsames Üben und Musizieren möglich wird.
00:11:46: Tolle Klänge entstehen und ja, indem es viele interessante Übungsmöglichkeiten gibt, in die man sich auch selbst mit seinen Ideen einbringen kann.
00:11:54: Für euer Instrument fallen euch sicher auch tolle Möglichkeiten ein, wie ihr beim gemeinsamen musikalischen Tun in den Flow geraten könnt.
00:12:01: Jetzt ist mir noch an vier wichtigen Kleinigkeiten von ADHS gelegen, die man unbedingt wissen sollte,
00:12:13: bevor wir dann zu den Handlungsoptionen für den Unterricht kommen.
00:12:17: Nummer eins ist ganz kurz, aber ja, es hat's in sich.
00:12:22: Mädchen werden signifikant seltener als ADHS-Betroffene diagnostiziert.
00:12:27: Das heißt aber nicht automatisch, dass Mädchen weniger häufig betroffen sind,
00:12:31: sie sind nur oft ein wenig besser darin, ihre Symptome zu kaschieren.
00:12:35: Und somit wären wir schon bei Nummer zwei.
00:12:37: Eine weitere wichtige Sache, die nicht allen Menschen klar ist, ist nämlich, dass sich ADHS nicht auswächst
00:12:44: und mit dem Erreichen des Erwachsenenalters dann einfach irgendwann verschwunden ist.
00:12:49: Aber ein guter Umgang mit dem als negativ empfundenen Symptom kann trainiert werden.
00:12:54: Und dabei können wir im Musik- und Richt auch helfen, indem wir beispielsweise die Resilienz unserer SchülerInnen trainieren,
00:13:00: ihnen zeigen, wie lohnenswert es sein kann, vertieft an etwas zu arbeiten,
00:13:05: sich eine gute Übe- und Arbeitsstruktur zuzulegen und die eigenen Gefühle in Musik zu legen,
00:13:11: statt in den nächsten Faustschlag oder in den nächsten Wutausbruch.
00:13:16: Nummer drei, wieder ganz kurz, aber extrem wichtig zu wissen.
00:13:20: Es gibt zu manche Begleiterscheinungen einer ADHS, die das Lernen, auch das musikalische Lernen stark erschweren können:
00:13:27: So zum Beispiel sind viele ADHS-Kids auch von einer Lese-Rechtschreibschwäche betroffen,
00:13:32: was natürlich auch das Noten- und Rhythmuslesen stark erschweren kann
00:13:36: und hier von uns ein vertieftes Arbeiten erfordert.
00:13:39: Die Zahlen der Betroffenen schwanken hier je nach Studie, wer von einer Lese-Rechtschreibschwäche betroffen ist.
00:13:45: So, und jetzt kommen wir zu Punkt vier, eine weitere Besonderheit bei ADHS ist,
00:13:50: dass die Neigung zu Depressionen erhöht ist.
00:13:53: Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass vor uns ein junger Mensch sitzt,
00:13:57: der irgendwann im Laufe seines Lebens eine depressive Verstimmung oder sogar eine ausgewachsene Depression entwickeln wird.
00:14:04: Oder auch bereits schon jetzt viele dunkle Momente hat.
00:14:08: Das Musik hier zumindest lindern kann es ein Geschenk, was wir gemeinsam mit diesem jungen Menschen entdecken dürfen.
00:14:14: Wenn ihr mehr zum Thema Kinder und Jugendliche mit psychischen Belastungen Musikunterricht erfahren wollt,
00:14:19: möchte ich euch sehr die Podcastfolge 51 ans Herz legen,
00:14:23: bei der ich Professor Dr. med. Paul Plener, Universitätsprofessor für Kinder- und Jugendpsychiatrie
00:14:28: an der Medizinischen Universität Wien und Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Wien zu Gast hatte.
00:14:35: Jetzt kommen wir gleich zu den Praxistipps, aber erstmal noch ein ganz großes Dankeschön an iMikel für die großartige Unterstützung.
00:14:44: Dieser Podcast wird gesponsert von der professionellen Musikschulverwaltungslösung iMikel,
00:14:50: die perfekte Software für deine Zukunft mit integriertem Chatboard und KI-Assistent.
00:14:55: Stell dir vor, du kannst mit iMikel sprechen und sagst einfach nur, zeige mir alle Schüler, die älter als 30 sind und erstelle eine Statistik.
00:15:04: Und der KI-Assistent erledigt das für dich.
00:15:07: Mit iMikel hebst du deine Musikschule auf ein völlig neues Level. Über 270 Musikschulen setzen auf iMikel.
00:15:14: Wir freuen uns auf dich und wünschen weiterhin viel Spaß im Podcast.
00:15:18: So und jetzt zu den Praxistipps, die würde ich ganz gern anfangen mit dem Stichwort Dopamin.
00:15:28: Und dazu gibt es noch etwas ganz Wichtiges zu wissen, bei ADHS-Betroffenen.
00:15:33: Menschen mit einer ADHS haben nämlich eine veränderte Dopaminregulation in ihrem Gehirn.
00:15:39: Das Dopamin, das unter anderem zuständig für Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Motivation ist, wird zu schnell abgebaut, verstoffwechselt oder ist in wichtigen Hirnregionen wie den präfrontalen Cortex zu niedrig.
00:15:52: Der präfrontale Cortex, hier sitzt unter anderem unsere kurze oder langen "Zündschnur" und auch das Arbeitsgedächtnis für die kurzfristig zu speichenden Dinge.
00:16:01: Mit weniger Neurotransmitter oder Botenstoff Dopamin wird es also deutlich schwieriger, sich zu konzentrieren, fokussieren und sich immer wieder aufzuraffen, etwas erneut zu tun.
00:16:12: Hier setzen dann die Medikamente an, die man vielleicht vom Namen her kennt: Ritalin, ursprünglich erfunden damit Ehefrau Rita ihre Diät durchhält, enthält den Wirkstoff Methylphenidat.
00:16:25: Dieser bewirkt – verkürzt gesagt –, dass die Wiederaufnahme von Dopamin blockiert wird.
00:16:30: Das bedeutet, Dopamin bleibt länger im Gehirn aktiv und kann besser wirken.
00:16:34: Es gibt noch Medikamente mit anderen Namen und anderen Wirkstoffen, die aber meist auch darauf abzielen, die Dopaminkonzentration hochzuhalten.
00:16:44: Aber, was man auch sagen muss und wo ich in meinen Publikationen "Ganz schön wild" und "Voll entspannt" ansetze, gibt es natürlich auch völlig natürliche Wege, um das Dopamin zu steigern.
00:16:56: Und deswegen habe ich diese Info auch in der Ruprik Praxistipps für euch verortet.
00:17:02: Bewegung hilft hierbei und bewirkt eine starke Dopaminausschüttung.
00:17:07: Wer also einem zappeligen Kind die Möglichkeit zur Bewegung nimmt, nimmt ihm einen Teil der Lösung weg, die längst in ihm oder in ihr drin steckt:
00:17:15: Ich muss mich bewegen, um Dopamin auszuschütten und mich dadurch besser zu fühlen und mich besser konzentrieren zu können.
00:17:21: Also versuche ich doch einen solchen Bewegungstang immer erst mal zu verstärken, bevor ich dem Kind helfe, zurück in die Ruhe zu kommen.
00:17:29: Da gibt es ein wunderschönes Zitat aus dem Tao. Ich lese euch das mal eben vor. Habt mir das hier rausgesucht für euch:
00:17:35: "Wilst du etwas schwächen, so lasse es sich zuvor erstarken. Willst du etwas auflösen, so lasse es zuvor sich richtig entfalten."
00:17:45: Ich habe mich also auf die Suche nach Lern- und Musikspielen gemacht, die als zentrales Element das Lernen durch Bewegung und hier vor allem durch die Großbewegung haben.
00:17:56: Etwas sehr einfaches und für alle Instrumente und den Gesang Passendes könnte da zum Beispiel sein "Hüpft doch mal den Rhythmus" oder "Hüpft mal den Rhythmus in vorgegebene Felder oder Ringe."
00:18:07: "Stelle mal die Auf- und Abbewegung der Melodie mit deinem ganzen Körper dar, während ich sie dir vorspiele."
00:18:13: Hier habe ich hunderte von kleinen Spielideen für verschiedene Herausforderungen aus der Musiktheorie, Ausdruck, Phrasierung, Instrumentaltechnik, Feinmotorik, Grifftechnik und so vieles mehr noch entwickelt, die ich ohne großen Vorbereitungsaufwand spontan in den Unterricht integrieren und so dem Bewegungstrang Rechnung tragen kann.
00:18:32: Doch die wahre Kunst, finde ich, liegt darin, einem jungen Menschen zu helfen, danach wieder in die Ruhe zurückzufinden.
00:18:39: Also auf den Weg "Ganz schön ruhig" zu kommen und sich zu entspannen.
00:18:43: Wenn euch das wirklich vertieft interessiert und ihr da an dieser Stelle noch Handlungsoptionen kennenlernen wollt, dann kann ich euch neben dem üben & musizieren Spezial "Ganz schön wild" auch mein neuestes Buch "Voll entspannt – Ruhe und Konzentration für Ihren Musikunterricht" empfehlen.
00:18:58: Ich habe hierin außerdem dargestellt, wie wir unsere eigenen Emotionen so weit in den Griff bekommen können, dass wir nicht eventuelle Unruhe, die wir in uns spüren, ungewollt auf unser junges Gegenüber übertragen.
00:19:11: Das ist ja auch eine Sache, die gerade bei ADHS-Betroffenen uns schnell mal passiert, wenn wir uns über etwas ärgern, weil etwas nicht so klappt, wie wir uns das vielleicht wünschen.
00:19:22: Ja, ich habe dargestellt, wie wir im Gegenteil sogar mit unserer eigenen Ruhe und Ausgeglichenheit eine Gruppe oder einen Schüler, eine Schülerin im Einzelunterricht nur mit unserer bloßen Anwesenheit beruhigen können.
00:19:35: Weiter geht es mit den Praxistipps, nämlich kommen wir jetzt zur guten Unterrichtsstruktur.
00:19:41: Neben der eigenen Entspanntheit, nicht zu verwechseln mit Spannungslosigkeit, kann auch eine gute Unterrichtsstruktur helfen, dass ADHS-Betroffene dem Musikunterricht besser folgen können.
00:19:53: Die Eckpunkte, die ich mir für den Unterricht mit meinen ADHS-Kids zurechtgelegt habe, nutze ich mittlerweile auch in den Lektionen anderer, da diese auch von klaren, aber fließenden Abläufen profitieren.
00:20:05: So habe ich ein Warm-up-Programm, was alle SchülerInnen nach und nach auswendig lernen und was am Anfang, wenn die Kids neu bei mir sind, natürlich noch recht kurz ist, aber ich dann fast unmerklich Stück für Stück ausbaue.
00:20:19: So spielen die neuen oder auch die AnfängerInnen bei mir immer ein Warm-up-Programm von vielleicht 3-5 Minuten, bestehend aus langen Tönen, die ich am Klavier begleite,
00:20:29: Naturtonbindungen, ebenfalls unterlegt mit wunderschönen Harmonien und Tonleiterübungen, die wir als
00:20:35: Trompetenduett haben.
00:20:37: Dabei rede ich praktisch kaum.
00:20:39: Ich sage den Kleinen manchmal die nächsten Sachen an oder spiele einfach ein paar Einleitungstöne
00:20:45: auf dem Klavier und schon wissen sie Bescheid.
00:20:47: Damit es aber nicht langweilig wird, versuche ich, die Schwierigkeit sukzessive zu erhöhen
00:20:53: oder immer mal eine kleine Überraschung einzubauen wie ein neues Tempo, einen unerwarteten Begleitakord
00:20:59: oder ein anderes oder neues Muster.
00:21:02: Auch Rollenwechsel, so was wie "Hey, jetzt übernimmst du mal den Lead!" bieten sich natürlich an.
00:21:07: Manchmal schmunzeln wir dann über solche Dinge bei diesem Einspielprogramm.
00:21:11: Auf jeden Fall entsteht immer eine sehr, sehr positive Atmosphäre.
00:21:14: Nicht nur der Körper ist danach fit für den Unterricht, er ist aufgewärmt, sondern der
00:21:20: ganze kleine Mensch, mein Gegenüber, konnte ankommen im Unterricht und ist nun bereit
00:21:25: für mehr.
00:21:26: Was ich manchmal aber nicht immer mache, sind Körper-, Atem- und Bewegungsübungen, die
00:21:31: das Instrumentalspiel unterstützen.
00:21:33: Diesen Baustein den füge ich meist nur bei Kindern und Jugendlichen ein, die mir speziell
00:21:38: angespannt vorkommen und von denen ich den Eindruck habe, dass sie ohne diese Übungen
00:21:44: deutlich unter ihren spieltechnischen Möglichkeiten bleiben würden.
00:21:47: Meistens, und ja, das muss ich leider so sagen, fällt dieses Element aus Zeitmangel weg.
00:21:53: Denn auch ich habe ja nicht unendlich Zeit mit meinen SchülerInnen zur Verfügung.
00:21:57: Ich habe einige Videos für Körper-, Atem- und Bewegungsübungen auf meiner Lernplattform
00:22:02: drauf.
00:22:03: Diese Lernplattform, die steht nur meinen SchülerInnen zur Verfügung.
00:22:06: Aber es ist einfach nicht das Gleiche wie im Unterricht, wenn man einfach bei einem
00:22:10: Video "mitturnt", sagen meine SchülerInnen zumindest.
00:22:15: Älteren SchülerInnen habe ich auch schon mal die App "Fittissimo" empfohlen oder auch
00:22:19: mir selbst einige Anregungen hieraus geholt.
00:22:22: Schon in der Gratis-Variante bietet es für Lernende und auch für Lehrende so einiges,
00:22:28: was sich lohnen kann.
00:22:29: Dann habe ich in meiner Unterrichtsstruktur Bausteine drin, wo wir an den aktuellen
00:22:35: Stücken arbeiten, wo wir gemeinsam spielen.
00:22:37: Manche SchülerInnen bauen sich auch selbst den Punkt "Entdecken" oder "Überraschung"
00:22:42: ein, wo wir gemeinsam eine neue Ausgabe entdecken, darin Blättern und herumspielen,
00:22:48: so wie ich es mir auch für daheim wünschen würde.
00:22:51: Entdecken kann aber auch bedeuten, dass wir uns Dinge aus den Social Media vornehmen, die
00:22:56: mein junges Gegenüber begeistert.
00:22:58: Wie können wir das nachmachen, ist hier dann oft die Frage, die uns ins Arbeiten und in
00:23:03: die Konzentration, in den Fokus kommen lässt.
00:23:06: Bei diesen Entdeckerzeiten entsteht dann ganz schnell ein Ziel, was mein Gegenüber ansteuern
00:23:11: möchte und wo ich dann einfach mit muss.
00:23:14: Der Punkt "Überraschung" ist beliebt und wird gerne gewählt und das hat natürlich
00:23:20: wieder etwas mit dem Dopamin zu tun.
00:23:22: Wir Menschen, wir lieben Überraschungen, weil sie unser Dopaminsystem aktivieren, das
00:23:28: Belohnungshormon, das für Freude, Motivation und Neugier sorgt.
00:23:32: Studien konnten auch zeigen, dass unerwartete positive Erlebnisse mehr Dopamin ausschütten
00:23:38: als vorhersehbare Belohnungen, wodurch wir sie intensiver erleben.
00:23:43: Schon die Erwartung einer Überraschung kann unser Gehirn in einen echt freudigen Spannungszustand
00:23:49: versetzen.
00:23:50: Das ist sicher auch der Grund, weswegen Gamification-Elemente beim Üben so gut wirken.
00:23:54: Aber das Thema Gamification, was ich in meinem üben & musizieren Spezial "Digital Jetzt"
00:23:59: beschrieben habe und auch immer wieder in meinen Fortbildungen mit den Gruppen ausprobiere
00:24:03: und vertiefe, würde hier jetzt komplett mal den zeitlichen Rahmen sprengen,
00:24:08: fällt also aus für heute, sorry.
00:24:10: Beim Unterricht, ganz gleich, ob mein Gegenüber nun ADHS betroffen ist oder nicht, nehme
00:24:15: ich mir ganz viel Zeit dafür, eine gute Übemethodik zu trainieren.
00:24:19: Also das "Wie kann ich etwas üben?"
00:24:21: Denn ich will mit meinen SchülerInnen immer unbedingt weg davon, dass sie gegen die Uhr
00:24:26: üben.
00:24:27: "Ich muss so und so viel Zeit schaffen, dann habe ich meine Hausaufgabe für den
00:24:30: Trompetenunterricht erledigt."
00:24:31: Sicher ist eine Zeitangabe mal eine gute Hausnummer und auch etwas über das ich mit meinen SchülerInnen
00:24:39: spreche.
00:24:40: Denn jemand, der dauerhaft nur drei Minuten täglich investiert, wird bei allem Talent
00:24:44: mit dem besten Unterrichtsmaterial und aller Motivation dauerhaft nicht die riesengroßen
00:24:49: Fortschritte machen.
00:24:50: Das muss man einfach mal so sagen.
00:24:52: Und wo die Fortschritte fehlen, fehlen uns irgendwann die Möglichkeiten wirklich
00:24:57: spannende musikalische Dinge zu entdecken.
00:24:59: Das eigene Musizieren bleibt dann auf einem Niveau, wo es nicht unbedingt als pure Freude
00:25:06: erlebt wird:
00:25:07: Es strengt an, es klingt unbefriedigend und/oder Zugang zu richtig cooler Musik, bleibt uns
00:25:13: verwehrt.
00:25:14: Daher hier nicht nur mein Plädoyer im Unterricht eine wirklich gute Übemethodik beizubringen.
00:25:20: Klammer auf: In meinem üben & musizieren Spezial "Voll motiviert" findet ihr als Beispiel
00:25:24: nicht nur die Übemethodik Straßenverkehr, Klammer zu, sondern auch ein richtig durchdachtes System
00:25:31: bei den Hausaufgaben:
00:25:32: Also wie und wo werden die Aufgaben notiert, wie wird kontrolliert, wie wird unterstützt?
00:25:38: Wenn ihr hier Interesse habt, das Thema Hausaufgaben weiter zu vertiefen, dann kann ich die Podcastfolgen
00:25:43: 44 und 47 empfehlen.
00:25:47: Die Folge 44 von "Voll motiviert" ist ein Musikpädagogisches Quartett zum Thema Hausaufgaben im Musikunterricht,
00:25:54: die 47 ist eine Publikumsfolge, wo es Einsendungen aus dem Publikum mit tollen Kniffs und Tipps
00:26:01: zu diesem Thema gibt.
00:26:02: Ein wichtiger Punkt für mehr Ruhe und Entspannung im Unterricht und beim Musizieren ist für
00:26:13: mich der Aspekt, wie ich mit Fehlern umgehe und welche Haltung ich da meinen SchülerInnen
00:26:18: vorlebe.
00:26:19: Natürlich haben wir häufiger in unserer Kindheit beim Lernen in der Schule verinnerlicht,
00:26:24: dass man für einen Fehler eine schlechte Note bekommt, auch beim Musizieren sind Fehler
00:26:29: nicht eben willkommen.
00:26:30: Wir haben meist ganz tief in uns drin, dass Fehler etwas Böses sind:
00:26:35: Prüfungen waren für uns nicht Bestandsaufnahmen unseres Könnens, sondern eine Hürde, die
00:26:40: ist zu überwinden galt.
00:26:41: Gelang das nicht oder nicht gut genug, waren alle traurig, enttäuscht, sauer.
00:26:46: Eltern, Lehrkräfte und wir selbst natürlich auch, denn für Fehlerfreiheit gab es Lob
00:26:52: und Anerkennung und meistens auch noch vermischt mit Zuneigung von unseren Eltern die Liebe.
00:26:59: Ich liebe dich mein Kind, weil du alles so toll machst und so fehlerfrei bist –
00:27:04: das könnte herübergekommen sein.
00:27:06: Nicht ganz unproblematisch diese Haltung, wenn wir sie heute unseren eigenen Kindern
00:27:11: oder auch den SchülerInnen so vorleben:
00:27:13: Du hast meine Aufmerksamkeit und Anerkennung, lieber Schüler, liebe Schülerin, wenn du so fehlerfrei
00:27:19: wie möglich bist.
00:27:20: Denn wer von uns ist schon wirklich komplett fehlerfrei?!
00:27:24: Wir bekommen Angst davor Fehler zu machen, bei einem Fehler unser Gesicht zu verlieren,
00:27:30: die tolle fehlerfreie Fassade nicht mehr aufrechterhalten zu können und dann sind natürlich Auftrittsängste
00:27:36: und Lampenfieber nicht weit.
00:27:37: Ein Fehler oder etwas noch nicht zu können zeigt uns aber eigentlich nur, wo wir noch
00:27:43: Potenzial haben, was es auszubauen gilt, dass wir einen Bereich haben, wo wir noch arbeiten
00:27:48: können und manchmal auch, dass wir uns neue Wege suchen müssen.
00:27:52: Gerade gibt es auf Social Media ganze Kanäle, die sich mit nichts anderem beschäftigen als
00:27:58: dem Fixed und dem Growth Mindset –
00:28:01: also vom starren Denken hin zur dynamischen Denkweise.
00:28:05: Von "Ich mache Fehler, also kann ich kein Mathe" hin zu
00:28:08: "Ich mache einen Fehler, also kann ich es noch nicht und ich werde mir einen guten Weg
00:28:12: suchen, wenn ich wirklich an dieses Ziel gelangen will."
00:28:15: Wenn wir Fehler machen, liegt darin das größte Lernpotenzial, weil unser Gehirn genau dann
00:28:22: aktiv wird und neue, stabile und langfristige Verbindungen schafft.
00:28:26: Fehler zeigen uns, was wir noch nicht verstanden haben und wo wir anders denken müssen, um
00:28:31: eine Aufgabe richtig zu lösen.
00:28:33: Ohne Fehler würden wir immer nur das wiederholen, was wir bereits können.
00:28:38: Echtes Lernen passiert aber erst, wenn wir auf eine Herausforderung stoßen und versuchen,
00:28:44: eine bessere Lösung zu finden.
00:28:46: Damit beheben wir nicht nur den Fehler, sondern wir schulen auch unsere Problemlösekompetenz,
00:28:51: eine der Schlüsselkompetenzen überhaupt.
00:28:54: Studien konnten zeigen, dass SchülerInnen, die sich mit ihren Fehlern beschäftigten, signifikante
00:28:59: Leistungssteigerungen zu verzeichnen hatten.
00:29:02: Also wenn dann eine hohe Leistung das Ziel unseres Musikunterrichts ist, würde ich sehr, sehr, sehr
00:29:07: dafür plädieren, mit Fehlern statt gegen sie zu arbeiten.
00:29:11: Aber auch wenn das Ziel unseres Musikunterrichts, das Entdecken der eigenen Kreativität oder
00:29:17: beispielsweise die Musikierfreude ist, können Fehler auf dem Weg dorthin helfen.
00:29:22: Denn die Geschichte zeigt uns, dass die größten Erfindungen und die tollsten Kunstwerke häufig
00:29:28: auf Fehler zurückgeben.
00:29:29: In der Musik kann ein falscher Ton der Anfang für eine neue Improvisation sein.
00:29:34: Eine ungeplante Klangkombination kann zu einem originellen Musikstil führen.
00:29:40: Blues, Jazz und viele moderne Musikrichtungen entstanden durch spontane Abweichungen von
00:29:44: klassischen Mustern.
00:29:46: Auch berühmte Komponisten wie Beethoven oder Strawinsky brachen bewusst Regeln und erschufen
00:29:51: dadurch etwas völlig Neues.
00:29:53: Fehler ermöglichen es, sich von starren Erwartungen zu lösen und stattdessen mit einem offenen,
00:29:58: experimentellen Geist an die Musik ranzugehen.
00:30:01: Sie bringen uns dazu, neue Lösungen zu suchen, ungewöhnliche Wege zu gehen und den Mut
00:30:06: zu haben, unseren eigenen Klang zu finden.
00:30:09: Viel entscheidender als Fehlerfreiheit ist also das gute Fehlermanagement.
00:30:13: Daher lobe ich in meinem Unterricht SchülerInnen immer dafür, wenn sie ein gutes Fehlermanagement
00:30:18: gezeigt haben, in der Hoffnung, dass sie zu kompetenten FehlermanagerInnen werden und
00:30:22: geübt darin, aus Steinen, die ihnen in ihrem Leben immer mal wieder im Weg liegen werden,
00:30:27: Tolles zu bauen in der Lage sind.
00:30:29: Fehler sind keine Störungen im Lernprozess, sondern Bausteine eines echten Lernprozesses,
00:30:37: denn nur, wo ein Fehler geschieht, kann echtes Lernen entstehen.
00:30:40: Aber das einem jungen Menschen zu vermitteln, der in einem Schulsystem aufwächst, was einen
00:30:47: Fehler häufig immer noch als etwas schlechtes brandmarkt, verlangt von uns ein sehr deutliches
00:30:52: Positionieren zu den positiven Aspekten von Fehlern und der eigenen Fehlerfreundlichkeit.
00:30:58: Manchmal sitze ich beim Begleiten meiner SchülerInnen am Klavier und spiele bewusst etwas falsch
00:31:04: und dann versuche ich wieder in die Musik zurückzufinden.
00:31:07: Wenn das nicht gelingt, dann spiele ich es extra noch viel schlimmer und baue absichtlich
00:31:11: noch viel viel mehr Fehler ein, bis ich nur noch mit der flachen Hand auf den Tasten
00:31:15: herumpatsche oder besser sogar noch mit der Stirn und dann mit dem Schüler oder der Schülerin
00:31:21: gemeinsam lache.
00:31:22: "Wow, da muss ich jetzt echt noch Gas geben, wenn ich mich mit diesem Stück auf der Bühne
00:31:27: wohlfüllen will!"
00:31:28: Das dann gepaart mit etwas vielleicht wie: "Kannst du mir in dieser Stelle helfen, lieber Schüler,
00:31:34: liebe Schülerin, indem du hier oder da vielleicht ein ganz klein wenig langsamer spielst.
00:31:39: Mir rutscht hier immer das Tempo weg und wenn du an dieser Stelle auf mich aufpassen könntest,
00:31:44: dann wäre das viel einfacher für mich."
00:31:45: Das zeigt dann auch gleich eine generelle Haltung, nämlich nicht "Ich Chefin, du
00:31:50: Ausführende", sondern Augenhöhe, Musizierpartnerschaft, Vernetzung, Verbindung, Gemeinschaft, vielleicht
00:31:58: sogar ganz entfernt sowas wie Demokratie.
00:32:01: Alles Werte, die wir mit unserem Unterricht leben können und die enorm viel in jungen
00:32:05: Menschen bewirken, und zwar ganz ohne belehrend zu sein.
00:32:08: Einen weiteren Punkt, den ich in Bezug auf Kinder mit ADHS im Musikunterricht ansprechen
00:32:16: möchte, sind die Unterrichtsräume.
00:32:18: Natürlich ist mir bewusst, dass wir nicht immer so viel Einfluss auf den Unterrichtsraum
00:32:23: haben, wie wir uns das idealerweise vielleicht wünschen würden.
00:32:26: Aber wie sieht er denn aus,
00:32:30: der ideale Musikunterrichtsraum für ADHS-betroffene Kinder und Jugendliche.
00:32:34: Also vorweg: Ein Raum, der jedem Menschen gefällt und in dem jeder optimal lernen kann, den
00:32:42: gibt es nicht, weil wir alle dazu viel zu unterschiedlich sind.
00:32:45: Aber es gibt Dinge, auf die wir achten können und die für mehr Ruhe und weniger Ablenkung
00:32:50: sorgen.
00:32:51: Natürlich ist eine Wandfarbe, die optisch nicht aufputschend wirkt, schon mal ein echt
00:32:56: guter Wurf.
00:32:57: Also alles, was grell ist, vermeiden.
00:33:01: Ich habe mich in meinem Unterrichtsraum für ein dunkles Blau entschieden, hatte aber auch
00:33:06: ein tiefes Grün und ein neutrales und ausgleichenes Grau in der näheren Auswahl, bevor ich gestrichen
00:33:12: habe.
00:33:13: Die grellen Deckelampen, die nutze ich nicht mehr, dafür aber indirektes Licht und eine
00:33:17: Beleuchtung fürs Notenpult, die den Schüler oder die Schülerin nicht blenden kann.
00:33:22: Hier hat es mir wirklich geholfen, einmal die Sitzperspektive meines jungen Gegenübers
00:33:26: einzunehmen und zu schauen, was sieht er oder sie denn eigentlich von seinem Platz?
00:33:31: Die blendende Notenpultlampe, beim Blick aus dem Fenster das gleißende Sonnenlicht,
00:33:36: was auf die weiße Wand strahlt? Nicht gut!
00:33:38: Kann ich das vielleicht ändern?
00:33:40: Platz ändern?
00:33:41: Kann ich die Beleuchtungssituation anpassen?
00:33:42: In den Büchern von Fabian Grolimund, der in Podcast Folge 9 von "Voll motiviert" zu Gast
00:33:48: war, wo es im Gespräch natürlich auch um ADHS ging, kann man lesen, dass ADHS-Betroffene
00:33:54: sogar besser lernen konnten, wenn sie pastelfarbenes Papier nutzten.
00:33:58: Ich würde aus dem Raum aber noch alles herausnehmen, was in irgendeiner Form ablenkend sein könnte,
00:34:04: sodass wirklich nur das Instrument, die Musik und die Lehrkraft im Fokus stehen.
00:34:09: Auch Notenmaterial, was mit vielen lieb gemeinten kindlichen Grafiken versehen ist, verfehlt
00:34:16: nicht nur seinen Zweck, sondern kann unfassbar vom Wesentlichen ablenken.
00:34:20: Wenn es sich nicht ganz vermeiden lässt, nutze ich bei ADHS-Betroffenen auch schon mal eine
00:34:26: Zeitlang so eine mit vielen Grafiken verzierte Ausgabe, decke diese dann aber mit großen
00:34:32: Post-Its ab; lenke also den Fokus ganz bewusst.
00:34:35: Eine Alternative wäre, die entsprechenden Seiten zu kopieren,
00:34:39: hier könnte man dann ja auch pastelfarbenes Papier nutzen und die Grafiken vor dem Kopieren
00:34:44: abzudecken.
00:34:45: Ich möchte das hier unbedingt dazu sagen, auch wenn mir bewusst ist, dass ihr das längst
00:34:49: wisst. Bitte beachtet Kopierrechte.
00:34:52: Ich spreche auch mit den ADHS-Betroffenen darüber, was uns ablenken könnte und ich
00:34:57: schlage vor, dass wir diese Ablenkungen doch irgendwie minimieren könnten.
00:35:02: So kommen sie dann auch ins Mitdenken und erleben sich in ihrer Abgelenktheit nicht
00:35:06: so ausgeliefert, sondern mitgestaltend.
00:35:09: Ein kleiner Schüler sagte mir neulich, dass er jetzt die gleiche Technik mit dem Abdecken
00:35:15: auch mit seinem Mathebuch anwenden würde und dieses "mangelhafte Lehrmaterial" dadurch
00:35:21: natürlich jetzt schon viel besser sei.
00:35:23: Ich musste so lachen.
00:35:25: Ein weiteres schönes Gadget kann es auch sein, sich mit einer Joggingstirmlampe beim Musizieren
00:35:31: vor eine Wand zu stellen, so man denn ein Instrument hat, bei dem man steht.
00:35:36: Und auf diese Art festzustellen, wie sehr man sich selbst beim Musikieren eigentlich bewegt.
00:35:41: Ich habe kürzlich die Joggingstirmlampe, die immer in meinem Unterrichtsraum liegt,
00:35:47: an einen 14-jährigen Jungen verliehen, der beim Trompetespielen immer extrem durch seine
00:35:51: Kiekser und seine Unruhe aufgefallen ist.
00:35:54: Und als er nach einer Woche wieder in den Unterricht kam, war er auffallend ausgeglichener
00:35:59: und ruhiger. Und er berichtete mir, wie sehr ihm durch das Spielen mit dieser Joggingstirmlampe
00:36:06: überhaupt mal bewusst geworden ist, dass er unruhig steht.
00:36:09: Als er es jetzt geschafft hat beim Spielen ruhiger zu stehen, waren seine Kickser deutlich reduziert.
00:36:16: Auch kann so eine Joggingstirmlampe als Symbol für den Fokus dienen, den wir uns manchmal
00:36:21: wünschen. Also trägt doch schon mal das eine oder andere Kind im Unterricht bei mir solch
00:36:26: eine Lampe, weil es dann selbst viel aktiver merkt, wohin es eigentlich blickt oder seinen
00:36:31: Fokus lenkt.
00:36:32: Da kann dann mal eine Aufgabe sein: Bleib doch mit dem Lichtkegel auf deinen Fingern oder
00:36:37: bleib mit dem Lichtkegel auf dem Notenblatt.
00:36:39: Wichtig ist jedoch, dass wir bei der Joggingstirmlampe warmes, nicht-blendendes Licht einstellen können.
00:36:46: Alternativ kann man natürlich auch die Lampe mit ein wenig pastelfarbigem Transparentpapier
00:36:51: bekleben, so man gerne bastelt.
00:36:54: Ebenso können natürlich Balanceboards oder Balancekissen dabei helfen, den Fokus aufs
00:36:59: ruhige Stehen oder Sitzen zu lenken.
00:37:02: Ähnlich dem Churer-Modell für Grundschulen, das werde ich für euch in den Shownotes verlinken, gibt es in meinem Raum verschiedene Arbeitsbereiche
00:37:10: und Lernstationen.
00:37:12: Es gibt einen kleinen Gruppentisch für Gespräche,
00:37:15: gerade werde ich mit mehreren arbeite, gibt es auch einen Sitzkreis für Erklärungen, Atem-
00:37:20: und Bewegungsübungen sowie noch eine Station mit dem Notenständer zum Üben und Musizieren.
00:37:25: Die dann entstehende Bewegung im Raum bringt nicht etwa Unruhe, sondern sie soll die Konzentration
00:37:32: fördern, indem sie den Unterricht strukturiert und den SchülerInnen klare Wechsel zwischen
00:37:37: den Unterrichtselementen verdeutlicht.
00:37:40: Das ist insbesondere auch für die Arbeit mit Gruppen ein ganz großer Wurf.
00:37:44: Mag von außen betrachtet vielleicht nur eine Kleinigkeit sein,
00:37:47: für mich ist es ein gewisser Vorbereitungsaufwand, aber für die Konzentration und für die Ruhe
00:37:53: meiner Schülerinnen und Schüler ist das wirklich genial!
00:37:56: Meine Grundsätze beim Arbeiten mit ADHS-Betroffenen Kindern und Jugendlichen sind, dass ich die
00:38:06: Symptome, die da sind, gerne erstmal verstärke, damit es mal im Gegenüber und mir überhaupt
00:38:12: erstmal so richtig bewusst wird, womit wir es eigentlich zu tun haben.
00:38:16: Und dann versuche ich mit den Techniken "Ganz schön wild" und "Ganz schön ruhig" kreativ
00:38:21: zu spielen.
00:38:22: Also nicht unbedingt einem vorgefertigten starren Lernweg zu folgen und ja, auch der Einbezug
00:38:29: meines Gegenübers in die Lösung, der kann viel, viel Gutes vollbringen.
00:38:33: Natürlich können meine Ausführungen hier nicht eine vertiefte Beschäftigung mit neurodiversen
00:38:38: Themen ersetzen, doch sie sollen euch dazu ermutigen, einen offenen und wertschätzenden
00:38:44: Blick auf neurologische Vielfalt zu entwickeln.
00:38:47: Neurodivergenz, sei es jetzt in Form von ADHS, Autismus oder anderen individuellen Denk-
00:38:54: und Wahrnehmungsweisen, ist keine Schwäche, sondern eine Variation des menschlichen Geistes
00:39:00: mit besonderen Herausforderungen und Stärken.
00:39:03: Kein Schüler, keine Schülerin ist zufällig bei uns gelandet.
00:39:07: Jemand, der uns gegenüber sitzt, ist immer ein Geschenk oder eine Herausforderung für
00:39:11: uns.
00:39:12: Beides sollten wir annehmen und jeweils das Beste draus machen.
00:39:16: Das ist nicht nur einfach unser Job, sondern ist es unsere Verpflichtung als Mensch mit
00:39:20: einem jungen Menschen, der ganz sicher nicht nur in der Welt der Musik seine Verhaltensauffälligkeiten
00:39:25: zeigt, gemeinsam zu wachsen und ihm zu zeigen, wie er seine Besonderheiten in einen Schatz
00:39:31: für sich und vielleicht sogar auch für andere Menschen verwandeln kann.
00:39:34: Ich danke euch, dass ihr bis hierhin dabei wart.
00:39:38: Und jetzt wünsche ich euch viel Freude bei der Schatzsuche.
00:39:41: Alles Liebe für euch, eure Kristin Thielemann.
00:39:44: Das war sie, die Folge über ADHS in der Unterrichtspraxis.
00:39:52: Für die üben & musizieren 4/25 habe ich gerade einen Beitrag geschrieben, der den Arbeitstitel
00:39:59: trägt "Ruhe auf Knopfdruck – Unterrichtsstörung und Disziplinkonflikte im Kontext von Musikiergruppen
00:40:06: mit Kindern".
00:40:07: Wenn ihr ein üben & musizieren Abo habt – das gibt es auch digital –, dann könnt ihr diesen
00:40:13: Beitrag noch in diesem Jahr von mir lesen.
00:40:16: Da geht es dann vor allem um ADHS-betroffene Kinder in Gruppen.
00:40:20: Wenn es Feedback oder Anregungen zu der heutigen Folge gibt, dann erreicht ihr mich unter
00:40:28: podcast@schott-music.com und ihr findet mich selbstverständlich auch auf vielen Social-Media-Kanälen.
00:40:36: Auch hier freue ich mich über Post von euch.
00:40:39: Und vielleicht sehen wir uns ja auch eines Tages bei einer meiner Fortbildungen mit dem
00:40:42: Schwerpunkt ADHS-Betroffene im Musikschulunterricht.
00:40:48: [Musik]