Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

Transkript

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00:00:00: Habt ihr auch Kinder und Jugendliche in eurem Unterricht, die unter psychischen Belastungen leiden?

00:00:05: Wie gehen wir als Musikschullehrkräfte damit um?

00:00:08: Was sind unsere Möglichkeiten, aber auch unsere Grenzen, wenn wir bei unseren Schülerinnen und Schülern von depressiven Verstimmungen

00:00:15: oder selbst verletzendem Verhalten erfahren, von Borderline oder gar Suizidgedanken?

00:00:20: Und wie verarbeiten wir das für uns selbst?

00:00:23: Für Folge 51 von "Voll motiviert" habe ich mit dem bekannten Mediziner Prof. Dr. med. Paul Plener gesprochen,

00:00:30: über all diese Aspekte, aber auch über Schülerinnen und Schüler mit ADHS oder ASS

00:00:35: und darüber, welche Rolle die Social Media bei psychischen Belastungen spielen.

00:00:41: "Voll motiviert" –

00:00:45: der Musikpädagogik-Podcast von Schott Music,

00:00:49: dem Verband deutscher Musikschulen

00:00:52: und Kristin Thielemann.

00:00:55: Heute geht es um ein wirklich sehr ernstes Thema, nämlich Kinder und Jugendliche mit psychischen Belastungen.

00:01:04: Eine Triggerwarnung habe ich an dieser Stelle für euch, in dieser Folge sprechen wir

00:01:09: nämlich explizit über Selbstverletzung, über suizidale Gedanken und psychische Erkrankungen,

00:01:15: wie zum Beispiel Borderline. Es geht auch um ADHS und Autismus-Spektrum-Störungen.

00:01:20: Wenn dich solche Themen belasten könnten, dann höre diese Folge bitte wirklich nur,

00:01:25: wenn du dich emotional stabil fühlst und suche dir bei Bedarf Unterstützung.

00:01:29: Hilfsangebote findest du in den Shownotes.

00:01:32: So, Triggerwarnung, Ende.

00:01:35: Junge Menschen, die sich selbst verletzen, die Suizidgedanken haben, die mit Borderline,

00:01:40: ADHS oder auch Autismus-Spektrum-Störung zu uns in den Unterricht kommen, sind keine Seltenheit mehr.

00:01:46: Deswegen ist in der heutigen Folge ein Experte zu Gast, Prof. Dr. Paul Plener,

00:01:51: der uns mit seiner medizinischen Perspektive helfen kann, was den Umgang

00:01:56: mit psychisch besonders belasteten Kindern und Jugendlichen im Musikschulunterricht betrifft.

00:02:02: Danke ihr Lieben, dass ihr wieder eingeschaltet habt, bei "Voll motiviert", eurem Musikpädagogik-Podcast,

00:02:08: wo es jeden Monat eine neue Folge zu einem spannenden Thema gibt.

00:02:12: Und hier kommt mein Gast, Prof. Dr. Paul Plener. Hallo, lieber Paul!

00:02:17: Hallo, Servus.

00:02:19: Danke, dass du dir Zeit nimmst. Magst du dich gerade unserem Podcastpublikum einmal selbst vorstellen?

00:02:24: Ja, gerne. Mein Name ist Paul Plener. Ich leite die Universitätskinder- und Jugendpsychiatrie

00:02:30: am Gemeinde-Krankenhaus in der Stadt Wien, bin Lehrstuhlinhaber an der medizinischen Universität Wien

00:02:36: für Kinder- und Jugendpsychiatrie und unterrichte auch an der Universität für Musik

00:02:42: und darstellende Kunst für die Musiktherapeuten Kinder- und Jugendpsychiatrie.

00:02:47: Wow, wirklich große und wichtige Aufgaben, Paul.

00:02:50: Wir haben uns ja im vergangenen Sommer bei einem ganz tollen Symposium des Musik- und Kunstschulen-

00:02:56: Managements Niederösterreich kennengelernt, wo wir beide eine Keynote gehalten haben

00:03:00: und im Anschluss daran noch bei einem Kaffee im sonnigen Garten der Donau-Universität Krems zusammen saßen.

00:03:06: Ja, und ein wirklich spannendes Gespräch hatten.

00:03:09: Ein spannendes Gespräch über psychisch belastete Kinder und Jugendliche.

00:03:14: Aber jetzt hat uns beide der Alltag wieder eingeholt und du bist, glaube ich, gerade wieder in Wien.

00:03:19: Ist das richtig?

00:03:20: Genau, ja, ja.

00:03:22: So auch sonnig heute, aber nicht mehr so schön warm.

00:03:25: Ja, nicht mehr so schön warm, das stimmt schon.

00:03:28: Vor uns liegt hoffentlich ein kalter, aber trotzdem sonniger Winter.

00:03:33: Aber zum Thema, wenn wir heute von psychisch belasteten Kindern und Jugendlichen sprechen,

00:03:38: wie muss ich mir das vorstellen?

00:03:40: Wie hoch sind da die Zahlen?

00:03:41: Wie viele sind da in etwa betroffen?

00:03:44: Also, wir gehen davon aus, dass in der normalen Bevölkerung es so round about 20 Prozent gibt,

00:03:50: die von einer psychischen Erkrankung betroffen sind.

00:03:54: Und da muss man natürlich einen Abschlag bringen, weil wir einen gewissen Selektionsbias haben.

00:03:58: Weil ja nicht alle in den Musikunterricht gehen und wir natürlich dann bestimmte sozio-ökonomische Risikofaktoren

00:04:07: möglicherweise anders gewichtet sind, wenn man über die gesamte Population spricht.

00:04:13: Aber das macht es schwierig, wirklich einzuschätzen, wie viele wären das statistisch sein.

00:04:18: Aber das ist die Aussage, die man treffen kann, dass es dann ein Fünftel gibt, die durch psychische Erkrankungen belastet sind.

00:04:24: Aber psychisch belastet heißt ja jetzt nicht automatisch auch, dass die alle Suizidgedanken haben, oder doch?

00:04:31: Ja, das ist immer die Frage.

00:04:33: Wir wissen, dass ein Drittel der Jugendlichen Suizidgedanken schon mal gehabt hat,

00:04:37: und zwar nicht die, die tatsächlich auch alles so gefährdet sind, sondern wir müssen davon ausgehen,

00:04:45: dass wir so vielleicht zwei Prozent haben, die tatsächlich häufiger drüber nachdenken.

00:04:52: Oh, das sind aber auf jeden Fall mal zwei Prozent zu viel, finde ich.

00:04:56: Sehr ja, aber die gab es auch schon immer, sagen wir so.

00:05:00: Und was sind denn da derzeit bei dir im beruflichen Kontext die drängendsten Herausforderungen?

00:05:06: Ich glaube, es geht angesichts der raren stationären Behandlungsplätze bei uns ja immer darum zu entscheiden,

00:05:13: wer braucht das Bett sozusagen und den stationären Behandlungsplatz am drängendsten.

00:05:18: Und das ist letzten Endes das, was den meisten Druck erzeugt, weil man nicht immer jeden, der es möchte,

00:05:26: wirklich einen stationären Behandlungsplatz anbieten kann, sondern sehr gut überlegen kann

00:05:30: und muss, für wen ist es wirklich erst einmal sinnvoll.

00:05:35: Und von denen, wo es sinnvoll ist, wer braucht es am drängendsten.

00:05:38: Und das glaube ich ist das, was am drängendsten ist, diese Versorgungsproblematik.

00:05:42: Das heißt, gibt es ganz generell für Kinder und Jugendliche derzeit zu wenig stationäre Behandlungsplätze

00:05:49: oder gibt es mehr Kinder und Jugendliche mit psychischen Belastungen?

00:05:53: Das ist eine gute Frage. Also die einfache Antwort ist beides.

00:05:57: Also Wien hat nur die Hälfte der stationären Behandlungsplätze, die es auf dem Papier haben sollte,

00:06:02: in realiter umgesetzt. Also wir haben vergleichbare Größe wie Hamburg, Wien ist ein bisschen größer

00:06:09: und haben weniger als die Hälfte der stationären Behandlungsplätze wie Hamburg.

00:06:14: Eher momentan, glaube ich offen, gerade, eher nur ein Drittel der stationären Behandlungsplätze, die Hamburg hat.

00:06:19: Das ist sicher ein Faktor, der dazu beiträgt.

00:06:21: Der andere Faktor ist, dass wir im Bereich, wo es tatsächlich sehr viel Akutes geschehen gibt,

00:06:27: also Suizidalität, nicht mehr leben wollen, dass wir da auch seit der Corona-Pandemie

00:06:35: sehr viel höhere Zahlen haben an Jugendlichen nach Suizidversuchen oder mit Suizid-Gedanken.

00:06:40: Und das sind ja die, die so ein schnelles Bett brauchen dann oder einen stationären Behandlungsplatz

00:06:46: und das sind sicher zwei Dynamiken, die dazu beitragen.

00:06:50: Aber woran liegt denn das genau, dass so viel mehr Kinder und Jugendliche heute von Suiziden betroffen sind

00:06:56: oder muss man sagen Suizidversuchen?

00:06:58: Also erstmal wichtig: von Suiziden nicht.

00:07:01: Also doch Suizidversuchen.

00:07:02: Das ist natürlich eine ganz wichtige Unterscheidung.

00:07:05: Erstens, in Deutschland sehen wir keinen Zuwachs an Suiziden in dieser Altersgruppe.

00:07:10: In Österreich sehen wir einen Zuwachs über alle Altersgruppen und da auch bei den Jugendlichen,

00:07:15: während der in Deutschland der Zuwachs, der da ist bei den Suiziden auch in Deutschland zu sehen seit 2022,

00:07:20: nicht getrieben wird von der Altersgruppe der unter 18 Jahren.

00:07:23: In Österreich sehen wir den Zuwachs in den Altersgruppen auch bei den unter 18 Jahren,

00:07:27: allerdings sind da immer noch die Basisraten relativ gering.

00:07:30: Also wir reden von in Österreich 25, die sich vor der Corona-Pandemie etwa pro Jahr das Leben genommen haben

00:07:36: in dieser Altersgruppe und mittlerweile ist diese Zahl auf etwa 40 geklettert.

00:07:41: Und das ist etwas, was natürlich auch erschreckend ist, aber wenn man von dieser geringen Basisrate ausgeht,

00:07:49: sind das immer noch zum Glück relativ kleine Zuwächse.

00:07:53: Das, was tatsächlich stark zugenommen hat, sind die Suizidversuche.

00:07:57: Das ist etwas, wo wir bei unserer Klinik etwa um den Faktor 3 mehr sehen als vor der Corona-Pandemie.

00:08:04: Aber aus welchen Gründen begehen Kinder und Jugendliche denn Suizidversuche?

00:08:09: Also hier ist es so, dass es natürlich auch ein multifaktoriales Geschehen ist.

00:08:12: Wir wissen, dass Jugendliche, die eine psychische Erkrankung haben,

00:08:15: sei es jetzt eine Depression zum Beispiel oder auch eine posttraumatische Belastungsstörung,

00:08:19: ein höheres Risiko haben für einen Suizidversuch.

00:08:22: Das ist immer schon bekannt gewesen.

00:08:25: Dann spielen natürlich auch Umgebungsfaktoren wie Mobbing oder auch das Erleben von Misshandlungen,

00:08:30: Missbrauch, Vernachlässigung in der Kindheit, eine Rolle als Risikofaktor.

00:08:34: Und es kommen Dinge hinzu, die momentan eben auch als Belastung empfunden werden.

00:08:40: Also die Frage ist jetzt, wenn die Corona-Pandemie vorbei ist, wo sie begonnen hat, höher zu werden.

00:08:45: Warum ist es immer noch so hoch?

00:08:47: Und offensichtlich werden aber auch viele andere Dinge als Belastungen empfunden.

00:08:50: In der Jugendstudie, die jedes Jahr eine relativ große Anzahl von Jugendlichen,

00:08:55: jungen Erwachsenen befragt zu ihren Einstellungen und ihrem Blick auf das Leben,

00:09:01: sieht man schon, dass es vor allem die Angst ist,

00:09:07: der aufgehenden Schere zwischen Arm und Reich, die Angst vor der Klimakrise und letzten Endes auch

00:09:13: der nahe Krieg, der offensichtlich als Belastung empfunden wird,

00:09:17: oder auch Terrorismus wird als Belastung angegeben.

00:09:19: Es hat sich die Themenlage etwas verschoben.

00:09:21: Das deckt sich mit meinem Eindruck von dem, was Kinder und Jugendliche wirklich beschäftigen.

00:09:25: Ich muss gestehen, ich frage im Unterricht nur sehr selten nach,

00:09:29: ob es da wirklich was gibt, was die Kids belastet.

00:09:32: Denn in erster Linie machen wir natürlich Musikunterricht.

00:09:35: Aber man spürt doch schon manchmal, dass ein Kind oder auch ein Teenager es wirklich möchte, dass man fragt.

00:09:43: Manchmal musizieren die dann einfach nicht so frei und sie bringen einfach ihre normale Fröhlichkeit,

00:09:49: die bringen sie nicht mit.

00:09:51: Und wenn man danach fragt, hey, ist denn alles in Ordnung bei dir?

00:09:55: Du wirkst gerade so ein bisschen gedämpft und dann kommt so ein, weißt du, ich habe solche Angst.

00:10:01: Ich habe solche Angst vor der Zukunft, vor dem Krieg, dass das hierher kommen könnte.

00:10:06: Ich habe das gesehen bei Social Media oder in den Nachrichten.

00:10:10: Oder die Kinder haben gehört, wie sich die Eltern auch unterhalten.

00:10:14: Ja, und dann ist plötzlich irgendwas da, was sie mir auch unbedingt erzählen wollen

00:10:19: und was ihnen komplett ihre Konzentration aufs Musizieren raubt, was ich auch gut verstehen kann.

00:10:25: Also versuche ich da so eine Mischung zu bieten,

00:10:28: also auf der einen Seite natürlich ein offenes Ohr, Verständnis zeigen und nicht unbedingt überdramatisieren,

00:10:34: aber dann auch zu zeigen, hey, Musik machen, das ist eine echt geniale Sache,

00:10:40: mit der du auch vieles verarbeiten kannst, wo du deine Gefühle auch wirklich ausdrücken kannst

00:10:46: und auch wo du mal auf völlig andere Gedanken kommst und da auch loslassen kannst

00:10:51: bei diesen ganzen belastenden Gedanken.

00:10:54: Nee, das ist auch gut. Ich glaube, die Kinder ist ja vieles aus dem Kontext gerissen.

00:10:58: Und es geschieht uns ja, dass wir aus einer erwachsenen Perspektive auch vor Kindern reden.

00:11:04: Was ja prinzipiell überhaupt nicht schlecht ist, nicht falsch verstehen,

00:11:08: wir dürfen ja auch über Dinge reden, die uns beschäftigen, auch vor den Kindern,

00:11:13: weil es auch noch anders zu tun mit der Welt braucht.

00:11:15: Aber das Wesentliche ist ja, dass oft den Kindern oder auch den Jugendlichen ein Stück

00:11:19: für der Kontext dahinter fehlt. Wenn wir jetzt zum Beispiel über politische Entwicklungen reden

00:11:26: oder Ähnliches oder Dinge beunruhigen, dann haben wir eine Art von Informationsstand,

00:11:34: der oft Kindern so nicht zur Verfügung steht.

00:11:36: Also wir sind noch mal die, die deutlich mehr Medien nutzen

00:11:40: oder auch Nachrichtenparteien sind oder Ähnliches, deutlich häufiger als Kinder, sagen wir so.

00:11:45: Deswegen, manche das voraussetzen und je mehr Informationen haben, umso entängstigter ist man ja auch ein Stück weit.

00:11:51: Also wenn man sich dann besser auskennt, wie betrifft es mich und was gibt es für Vorhersagen,

00:11:57: wir wissen ja, dass Informationen schon auch helfen kann, Angst zu beseitigen.

00:12:01: Und das ist, glaube ich, der Punkt, dass Kinder zurückgelassen sind mit einer eher diffusen Angst

00:12:08: oder Wahrnehmung mit den Erwachsenen, die machen sich Sorgen um das eine oder andere Thema.

00:12:14: Aber eben diese Kontextualisierung und vor allem das, was Erwachsenen zur Verfügung steht,

00:12:20: dass ich eine gewisse Lebenserfahrung habe vor dem Hintergrund, ich Dinge bewerte,

00:12:24: die steht Kindern ja quasi Lebensalter noch nicht zur Verfügung.

00:12:27: Und das, glaube ich, macht den Unterschied.

00:12:29: Also ich glaube, vor den Kindern reden, um auf deine Frage Bezug zu nehmen,

00:12:33: ist erst einmal zu schauen, was ist die Angst und dann auch vieles von dem ist natürlich auch daraus dem geschuldet,

00:12:40: dass sich Ängste über Dinge machen, die jetzt so nicht keinen Realitätsbezug haben

00:12:46: oder die überhöht werden, weil einfach Informationen fehlen.

00:12:49: Und da kann man nämlich, wenn man das in den Kontext stellt, wieder auch Angst minimierend werden kann.

00:12:54: Also wichtig sicher an dieser Stelle, Musikunterricht ist nicht gleich Musiktherapie,

00:12:59: auch wenn Musik schon Unterricht sehr, sehr gut tut und auch wenn es vielen Kindern und Jugendlichen dabei hilft,

00:13:05: kleinere Krisen des Alltags zu überstehen, so was besser wegzustecken,

00:13:09: einfach besser umzugehen.

00:13:11: Und sowas wie der Einzelunterricht Musik ist natürlich auch ein Geschenk,

00:13:14: das ist ein geschützter Rahmen, wo ein junger Mensch oftmals ein intensives Vertrauensverhältnis auch zu uns aufbaut.

00:13:21: Aber für mich ist es auch genauso wichtig zu spüren, wo ist da denn jetzt auch mal eine Grenze für mich und für das Kind erreicht,

00:13:27: eine Grenze, wo es professionelle medizinisch-psychologische Unterstützung braucht.

00:13:32: Ich glaube tatsächlich, dass zumindest bei den Jugendlichen ein wissen wir ja auch, dass Musik sehr aktiv zu Emotionsregulation eingesetzt wird.

00:13:38: Also ich will jetzt nicht sagen unbedingt immer bewusst, aber wenn man Jugendliche mich fragt,

00:13:44: dann gibt es ja Studien, der Thomas Stegemann hat da ein bisschen was dazu gemacht auch,

00:13:48: dass Jugendliche sehr wohl Musik eben Stimmungsänderung einsetzen, in beide Richtungen.

00:13:55: Also auch tatsächlich dann bewusst, was gibt es für Musik, die mich nachdenklich macht,

00:14:01: was gibt es für Musik, die mich eher fröhlicher macht oder ähnliches.

00:14:04: Das nimmt schon zu natürlich auch mit der größeren Eigenständigkeit, dass ich dann auch auf Plattformen unterwegs bin.

00:14:09: Also ja, und natürlich können auch Sechsjährige irgendwie das Smartphone wahrscheinlich bedienen, wenn sie es oft genug gesehen haben,

00:14:15: aber dass Jugendliche tatsächlich dann sich da den Horizont erweitern, mal schauen, was hören die anderen,

00:14:20: es werden wir auch Sachen vorgeschlagen in den Algorithmen und das auch nutzen, um ihre Stimmung dann entsprechend zu verändern.

00:14:28: Das heißt, bezogen jetzt mal auf die Unterrichtspraxis, wäre es gut, immer wieder auch mal darauf einzugehen,

00:14:34: welche Stimmungslage eine bestimmte Musik bedient und auch, was das Spielen dieser Musik mit unseren Gefühlen macht.

00:14:42: Und dann auch konkret zu schauen, welche Musikstücke können uns denn dabei helfen, aus einer bestimmten Gefühlslage herauszukommen.

00:14:50: Ich glaube auch, viele Jugendliche finden das für sich irgendwie,

00:14:53: aber natürlich könnte dann geleiteter Prozess, wenn sie es dann annehmen,

00:14:58: viele Jugendliche wollen ja auch nicht, dass Erwachsenen ihnen das sagen, sondern sie selber finden,

00:15:02: weil sie's besser annehmen, nicht ein geleiteter Prozess, wo ich ihnen vielleicht auch etwas zeigen kann oder vorspielen kann,

00:15:08: weil sonst ist halt natürlich das geleitet werden, eines das wahrscheinlich eher vom Algorithmus stattfindet.

00:15:14: Also natürlich werden mir Musikstücke vorgeschlagen, wenn ich jetzt auf Spotify oder ähnliches bin,

00:15:19: wo ich die irgendwie interessant zu scheinen, scheinen für mich aufgrund meines Hörverhaltens.

00:15:25: Ich persönlich kann nur sagen, funktioniert super bei Spotify, also was mich betrifft.

00:15:29: Aber ist natürlich sehr eingeschränkt.

00:15:32: Und letzten Endes wird es auf bestimmte Musikarten oder Musikstile gar nicht zurückgreifen,

00:15:37: die aber vielleicht total gut funktionieren könnten.

00:15:39: Und da ist ja jemand, der jetzt Unterricht macht und der ein Experte oder eine Expertin ist für den Bereich Musik,

00:15:47: vielleicht auch ein ganz guter Guide um zu sagen, das ist ja interessant.

00:15:51: Schauen wir mal, was es da noch gibt. Ganz weit abseits von dem, was vielleicht Algorithmen bedienen können.

00:15:57: Gleich geht es weiter mit dem Thema ADHS/ASS.

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00:16:32: Wir freuen uns auf Sie und wünschen weiterhin viel Spaß im Podcast.

00:16:36: Aber jetzt mal weg von den Algorithmen, die unseren Alltag ganz schön prägen können und uns so manchen Streich spielen.

00:16:46: Hin zu zwei weiteren ganz großen Stichworten, nämlich ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) und ASS (Autismus-Spektrum-Störung).

00:16:58: Zählen denn ADHS und ASS auch zu den psychischen Belastungen?

00:17:03: Na ja, wenn wir über ADHS, ich glaube, man muss auch irgendwie tatsächlich sich anschauen, wo ist die Grenze zwischen einer Belastung, die wir alle haben, die zum Alltag dazugehören.

00:17:14: Wir haben alle mal nicht so schöne Wochen, nicht so schöne Tage, wo man sich auch nicht gut fühlt und dann sehr gut aufpassen muss,

00:17:21: was tue ich jetzt für mich, damit ich mich wieder besser fühlen kann?

00:17:24: Und dann gibt es Erkrankungen, also das was jetzt als psychische Erkrankungen bezeichnet wird.

00:17:29: Das ist natürlich dimensional.

00:17:32: Also wir legen irgendwo einen Cut-off an und machen Kategorien und sagen so, der eine ist krank, der andere nicht krank.

00:17:39: Und diese Cut-offs, die wir anlegen an etwas, weil menschliches Dasein ist nun mal dimensional, es gibt die, die weniger betroffen sind, die mehr betroffen sind und irgendwo ziehen wir halt eine Grenze -

00:17:48: die ist natürlich ein Stückweit künstlich.

00:17:50: Im Übrigen nicht nur bei der psychischen Erkrankung, auch bei Bluthochdruck oder ähnlichem

00:17:54: ziehen wir irgendwo eine Grenze und sagen, ab da ist halt nicht mehr normal, das ist jetzt nichts, was da besonders ist.

00:18:00: Und wenn wir über ADHS oder Autismus-Spektrum-Störung sprechen, dann würden wir über Krankheitsbilder sprechen, die tatsächlich einen Schweregrad erreicht haben,

00:18:09: der die Leute in ihrer Bewältigung ihres Lebens auch entsprechend einschränkt.

00:18:14: Also das ist vielleicht der größte Unterschied zwischen der Belastung, die unangenehm ist, aber die es mir erlaubt, trotzdem am Leben noch teilzunehmen,

00:18:27: uneingeschränkt, und zwischen einer Erkrankung, wo ich natürlich auch im Leben teilnehme, aber durch die Erkrankung deutliche Funktionsbeeinträchtungen habe.

00:18:36: Also jemand, der eine ADHS hat, der ist kognitiv zum Beispiel sehr gut in der Lage, eine Schule zu besuchen, Schulabschluss zu haben,

00:18:43: zu studieren, was auch immer. Und aufgrund seiner ADHS, schwer oder weniger schwer ausgeprägt, ist es halt so, dass er in dem Bereich echte Probleme hat.

00:18:52: Also es sind kluge Leute, die es aber nicht schaffen, Schulabschluss zu haben und dann prägt das natürlich auch die weitere Karrieremöglichkeiten oder Ähnliches.

00:19:01: Mit diesem Autismus-Spektum-Störung bin ich mit Leuten konfrontiert, die auch zum Beispiel total viele Fähigkeiten, Fertigkeiten haben,

00:19:10: aber aufgrund ihrer sozialen Interaktionsproblematik, diese halt nicht an den Mann oder an die Frau bringen können, weil sie schlicht und ergreifend Schwierigkeiten haben im

00:19:19: zwischenmenschlichen Umgang und denen das härter fällt als das anderen Leuten fällt und deswegen halt auch Probleme in ihrem Alltag haben.

00:19:25: Also die Funktionsbeeinträchtigung und der Leidensdruck, der entsteht, ohne den habe ich keine Erkrankung.

00:19:31: Und darunter habe ich halt das, was wir kennen, wo wir belastet sind, wo wir mit umgehen müssen, aber wo wir tatsächlich noch eine gewisse

00:19:39: Funktionsfähigkeit aufrecht erhalten können.

00:19:42: Ich hatte jetzt schon häufiger Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen im Unterricht, aber bei meinem allerersten Fall war ich dann doch ziemlich überfahren.

00:19:50: Ich war echt unsicher. Das Kind, das hat ein halbes Jahr kein Wort mit mir geredet.

00:19:56: Es hat mir zwar die Hand gegeben, wenn es reinkam, aber es hat echt kein Wort gesagt.

00:20:00: Und ich fand das so befremdlich am Anfang.

00:20:02: Ich habe mich irgendwie gefühlt, als würde ich Selbstgespräche führen, aber dann hatte ich irgendwie so das Gefühl im Laufe der Zeit, ja, das Kind, das taut doch ein bisschen auf.

00:20:13: Es wollte zwar trotzdem nicht mit mir reden und ja, als allererstes habe ich natürlich erst mal das Gespräch mit den Eltern gesucht.

00:20:20: Nein, nein, das Kindes redet mit überhaupt keinem.

00:20:22: Ach so, ja, und da kam halt raus Autismus-Spektrum-Störung, wo ich dachte, hm, toll, ach so.

00:20:28: Das hättet ihr mir auch mal sagen können, wobei, hm, merkt man natürlich schnell, dass irgendwas nicht im ganz normalen Bereich ist.

00:20:35: Ja, aber ich denke, das ist ein gutes Beispiel dafür, wenn man dann den Unterricht weiterführt, ist ja so, erstens mal glaube ich, dass das eigentlich ein, gerade ein Bereich ist, wo man sagen kann, das Kind fand das jetzt sicher, was heißt sicher, ich kenne es nicht, ja,

00:20:48: aber fand es wahrscheinlich gar nicht so seltsam, den Bereich.

00:20:52: Also vielleicht merkt es, dass das gegenüber sich denkt, oh, was ist jetzt, warum redet das nicht.

00:20:56: Aber letzten Endes ist ja der Musikunterricht dann mit reinkommen, Handgeben sich hinsetzen, irgendwie ein Stück probieren oder spielen und schauen, wie man es verändern kann, ein recht strukturierter Ablauf ist auch zeitlich begrenzt.

00:21:09: Man weiß, eine Stunde geht nur wieder nach Hause.

00:21:11: Das ist eigentlich gar keine so schlechte Setting, wenn man will, weil es sich sehr gut abschätzen lässt, was passieren wird.

00:21:17: Also da gibt es ja wenig Störvariablen auch.

00:21:19: Also da gibt es das Musikinstrument, die Lehrerin, den Lehrer, da gibt es den Raum, da gibt es die zeitliche Grenze und dann wird an dem gearbeitet.

00:21:25: Und man muss ja da nicht viel zwischenmenschlich interagieren, wenn man da jetzt nicht so viel Lust drauf hat.

00:21:31: Und das ist sicher jetzt erstmal gar keine so ungute Situation, aufgrund der Bestimmtheit und wo ich jetzt ja zwischenmenschlich mich nicht unbedingt, wenn ich nicht will, sehr engagieren muss,

00:21:44: weil es ja jetzt um das gemeinsame Tun geht und weniger darum zu analysieren, wie geht es meinem Gegenüber, was dann ja mitunter viel stressiger ist, wenn ich nicht so genau verstehe, was die Person von mir will.

00:21:57: Das war dann ja auch ganz, also... ich habe die Eltern dann natürlich auch gefragt, kommt ihr Kind dann eigentlich gerne zu mir in den Trompetenunterricht?

00:22:04: Ja, ja, auf jeden Fall, auf jeden Fall.

00:22:06: Und ja, ich habe dann angefangen, das Kind jedes Mal zu bestärken, wenn irgendeine Form von Reaktion kam. Also wenn es mal genickt hat oder gelächelt oder mir auf irgendeine Weise gezeigt hat, was es mochte.

00:22:19: Ja, und dann fing das Kind auch irgendwann an zu reden und das war ganz witzig.

00:22:25: So war zwar vom Umfang her überhaupt nicht vergleichbar mit anderen Kindern, aber es hat dann wirklich angefangen, verbal mit mir zu kommunizieren und wir konnten auch darüber sprechen,

00:22:35: dass es so lange eben nicht mit mir geredet hat. Ja, und irgendwann habe ich dann gesagt, ich finde es echt super, super klasse, dass du jetzt mit mir sprichst und ich dank dir einfach dafür.

00:22:46: Ja, wir haben beide gespürt, dass wir mit diesem Trompetenunterricht auch irgendwie beide ein Stück gewachsen sind.

00:22:52: Und was mich auch beeindruckt hat, war, dass das Kind dann auch nach einiger Zeit echt toll Trompete spielen konnte und die Trompete dann auch wirklich so eine Art Sprachrohr für es war.

00:23:02: Trotzdem muss ich sagen, dass ich mich mit dieser Problematik oder Herausforderung, wie auch immer, Autismuskind im Musikunterricht echt allein gelassen gefühlt habe,

00:23:12: weil ich zu diesem Zeitpunkt noch gar kein großes Wissen darüber hatte, wie man am besten damit umgeht.

00:23:17: Ja, es ist was natürlich, was uns je nach Ausprägung, auch da gibt es eine dimensionale Schweregradverteilung,

00:23:25: was uns natürlich erstmal sehr komisch vorkommt, weil wir es gewohnt sind, dass die Leute mit uns in Kontakt gehen oder gewisse Spielarten der menschlichen Interaktion aufrecht erhalten.

00:23:37: Und die nehmen sich da auch raus und das fällt im Umfeld natürlich dann auch ein Stückweit, weil es kommt einmal komisch vor, das ist vielleicht besser so gesagt.

00:23:48: Und trocktem ist es ja aus deren Perspektive deswegen kein aversives Erlebnis.

00:23:55: Also es ist ja trotzdem so, dass das halt gar nicht so sein muss für viele und das es trotzdem nett sein kann und umso besser, wenn es irgendwie ganz gut beherrschbar ist.

00:24:08: Oder wenn man weiß, es geht in geordneten Bahnen und das tut der Musikunterricht ja oft.

00:24:13: Und dann gibt es da ja noch die ADHS Betroffenen. Hast du da auch noch ein Tipp für uns?

00:24:18: Ja, da geht es ja vor allem auch darum zu sagen, wie kann ich mir die Musikunterricht so zurechtlegen, dass es halt in kleinen Portionen funktioniert.

00:24:31: Also das sind ja, wenn wir jetzt ADHS anschauen, dann sind die Kernkriterien, die drei, die erfüllt sein müssen, eine Konzentrationsproblematik, letztendlich eine erhöhte Impulsivität und eine motorische Überaktivität.

00:24:50: Das heißt, alles, wo ich kurze Blöcke schaffe und dazwischen wieder Zeit für Austausch oder was anderes tun oder vielleicht auch die Aufgabe verändere, kommt Ihnen natürlich entgegen.

00:25:02: Das sind ja keine Leute, die sagen wir mal, kognitiv ein Problem haben, die Dinge zu verstehen oder damit umzugehen, aber halt mit längeren Zeiten, wo sie motorisch nicht aktiv sein können,

00:25:14: so was, was ihre Energie nicht loswerden oder längere Zeiten Konzentration, eher Schwierigkeiten haben.

00:25:20: Ich glaube schon, dass ich das in der Musikunterricht relativ gut machen lässt, indem man eben die Blöcke, wo man konzentriert arbeitet, beschränkt, schon mal weiß, das geht bis dahin.

00:25:30: Und dann macht man wieder was, also gerne aufstehen oder sich bewegen, falls das möglich ist im jeweiligen Raum, im jeweiligen Setting.

00:25:37: Und dann zu sagen so, und das machen wir jetzt fünf Minuten, da machen fünf Minuten was anderes und dann gehen wir wieder in eine Aufgabe hinein, wo man jetzt nochmal konzentriert,

00:25:44: sagen wir mal sich das Blatt anschaut oder den Bewegungsablauf beim Spielen sich anschaut oder ganz kurz immer mit der Ankündigung, es ist auch zeitlich begrenzt und dann halt wechseln.

00:25:58: Also die können gut werden, aber wenn man darauf eingeht, oder gut mitmachen, so muss ich sagen, gut mitmachen, wenn man darauf eingeht, dass es halt die kürzere Blöcke sind, in denen man arbeitet und vielleicht das Element Bewegung integrieren kann.

00:26:10: Was ich bei meinen ADHS-betroffenen Schülerinnen und Schülern oft mache ist, dass ich mir nach der Unterrichtsstunde so eine kleine Pause in den Stundenplan einbaue.

00:26:18: Meist habe ich 30 oder 45 Minuten Lektionen und dann leg ich mir einfach so eine Viertelstunde Pause dahinter, denn häufig ist das ja auch so, wenn die so ein bisschen aufgetaut sind im Unterricht, da kommen die in so einen Hyperfokus rein und ich kann die Stunde dann gar nicht beenden, wenn es eigentlich einer Zeit wäre,

00:26:34: sondern die wollen dann unbedingt weitermachen.

00:26:37: Und wenn ich ...

00:26:38: die Stunde dann aber trotzdem in diesem Moment beenden würde, dann wäre das voll schade, weil sie gerade so richtig schön in die Konzentration gekommen sind.

00:26:46: Und ja, wir gerade so schön am Arbeiten sind und ja, das möchte ich dann ja natürlich auch bedienen können.

00:26:52: Und dann ist eine Stunde eben einmal ein paar Minuten länger.

00:26:56: Natürlich spreche ich dann auch irgendwann mit den Eltern, wenn das regelmäßig vorkommt.

00:27:00: Und ich schlag dann vor, diese Überzeiten irgendwann auch mal zu kompensieren.

00:27:04: Das ging bisher immer völlig problemlos.

00:27:07: Und wenn die Stunde dann aber trotzdem wie geplant nach 30 oder 45 Minuten zu Ende ist, dann tut mir selbst so eine Pause auch mal ganz gut,

00:27:15: um nach einer Lektion runterzukommen, die vielleicht ein bisschen aufreibender war als andere.

00:27:22: Ja, es ist tatsächlich so, dass was du beschreibst mit dem Hyperfokus kennt man bei der ADHS, dass sie tatsächlich dann wie so in einen Tunnel hineingehen können,

00:27:32: wenn das wirklich eine sehr, sehr interessante Aufgabe ist.

00:27:36: Das stimmt und das beschreiben wir auch Eltern immer wieder, die sagen, ein Kind kann gar keine ADHS haben,

00:27:43: weil es kann zwei Stunden ganz konzentriert Videospiele spielen, da sehen wir auch oft Hyperfokus.

00:27:48: Da sagen wir, naja, das spricht nicht unbedingt dagegen.

00:27:50: Also wenn das eine sehr aus subjektiv sehr interessante Geschichte ist, dann kann das eintreten.

00:27:55: Und das ist durchaus auch etwas, was man eben sehen kann, wenn es die Möglichkeit gibt es zeitlich ein bisschen flexibler zu gestalten.

00:28:02: Und vielleicht zeitlich flexibel hieß es ja auch zu sehen, wenn man gerade in einem Stadium ist, wo die Kinder da eher abgelenkt sind oder ähnliches zu sagen,

00:28:09: so, lass mal jetzt machen wir hier eine kurze Pause und schauen das nacher nochmal an, dann ist natürlich auch von Wert.

00:28:15: Also eine große Flexibilität mit den Stundenelementen mitbringen, Ruhe und Bewegung, Konzentration und Pausen

00:28:22: gut abwechseln. Aber weiß man denn, Paul, warum ADHS Betroffenen Bewegung so gut tut?

00:28:29: Na ja, also ADHS begreifen wir schon als etwas, wo es viel, also erstmal muss man sagen, es ist eine Erkrankung, die sehr stark genetisch determiniert ist,

00:28:40: und wo es viel um den Botenstoff Dopamin geht. Und der Botenstoff Dopamin hat bloß mit unserer Konzentration, mit unserem Belohnungslernen zu tun,

00:28:49: auch mit unserer Möglichkeit, Impulskontrolle auszuüben, aber eben auch unser zentraler Botenstoff mit allen unseren Bewegungen.

00:28:57: Also das Extrembeispiel, wo man den Zusammenhang sieht, ist sicher die Parkinsenererkrankung von Leuten, die eben zu wenig Dopaminangebot haben

00:29:06: und dann sich noch mehr sehr eingeschränkt bewegen können oder in sehr abgehaken Bewegungen.

00:29:10: Da sieht man, was das Dopamin mit den Bewegungsmustern machen kann,

00:29:15: als eindrückliches Beispiel. Und letzten Endes ist da halt auch Überschuss in einer motorischen Aktivität da, schlechtere Impulskontrolle.

00:29:23: Das passt schon alles relativ gut zusammen auf einer, wenn man so will, auf einem neubiologischen Erklärungsmodell warum,

00:29:29: die Bewegung, was so zentrales ist.

00:29:32: Ja, Stichwort Bewegung.

00:29:34: Jetzt habe ich mir für meine jüngeren ADHS Betroffenen so einiges an Lernspielen zurechtgelegt, die zunächst mal wirklich auf Großbewegung setzen,

00:29:42: wo man Noten auf großen Notenlinien im Raum abläuft, wo man mal Intervalle hüpft,

00:29:48: wo man Rhythmen springt, auch alles mit dem ganzen Körper spürt.

00:29:53: Und ja, man hat gesehen davon, dass die Kids Musiktheorie auf diese Weise viel, viel leichter begreifen und top Spaß dran haben,

00:30:01: merke ich aber auch, dass natürlich auch die Nicht-ADHS-Betroffenen, also die Kinder ohne Stempel, die sprechen da auch wahnsinnig gut drauf an.

00:30:10: Ja, aber das sind ja auch Dinge, die man kennt, auch aus der Lernforschung in anderen Bereichen,

00:30:17: ist das Ansprechen von verschiedenen sensorischen Qualitäten. Und Letztenendes ist natürlich auch die Bewegung im Raum und die Lage im Raum

00:30:24: und das Wahrnehmen über unsere Lage- und Bewegungssensoren in den Muskeln, etwas, was eine zusätzliche Qualität darstellt.

00:30:32: Und ich verstärke damit erst einmal die Signale, die ich im Gehirn erzeuge beim Lernen.

00:30:40: Also wenn ich auch zwei Dinge verknüpfen kann, Lernen und Bewegung,

00:30:44: dann sind das schon auch Dinge, die mir eher bleiben und das geht natürlich auch in anderen Bereichen, natürlich auch im Musikunterricht.

00:30:52: Und dafür braucht es jetzt kein Kind, das eine ADHS hat, sondern das ist generell etwas, das funktioniert.

00:30:58: Also wenn ich Motorik mit Lernstoff kombiniere, dann tun sich sehr viele leichter.

00:31:03: Ja, absolut. Ich muss dir jetzt erzählen.

00:31:06: Ich habe hier einen Schüler, der ist elf und mit dem habe ich neulich Intervalle hüpfen gemacht.

00:31:11: Und die Stunde danach hatte ich Unterrichtsbesuch von meinem Chef.

00:31:13: Er saß so ganz gemütlich gechillt in seinem Besuchersessel in meinem Raum und dann kam dieser Elfjährige rein.

00:31:19: Und ich dachte, ja, ich halte das heute bei ganz besonders schülerzentriert, nur heute, sonst selbstverständlich nie.

00:31:25: Na, ich sage, ja, was möchtest du denn so machen?

00:31:28: Der kleine, ja, oh, ich würde total gern anfangen mit Intervallen hören und mein Chef raunzt so, was hast du ihm gezahlt?

00:31:36: Gar nichts. Nur das coolste Intervallsspiel überhaupt gespielt.

00:31:41: Ja, damit ich jetzt nicht ganz wie Post bekomme, was denn das für ein Spiel ist,

00:31:45: in üben & musizieren, "Ganz schön wild - besondere Schüler entspannt unterrichten", wird es übrigens vorgestellt.

00:31:52: So, jetzt muss ich Luft holen.

00:31:55: Jetzt aber mal eine harte Wendung.

00:31:58: Ich habe eine Schülerin im Unterricht, die ritzt sich immer mal wieder

00:32:04: und ich sage dir, das belastet mich schon ziemlich.

00:32:08: Das Mädchen kommt in den Unterricht und es hat blutige Unterarme.

00:32:12: Und jetzt haben wir mit den Lehrkräften an unserer Schule so eine Art kleinen Austausch-Tank, so eine Austauschrunde zu dritt.

00:32:19: Wir treffen uns alle paar Wochen und wir sprechen über dies und das, was uns beim Unterrichten belastet.

00:32:25: Und was ich wirklich erschreckend finde,

00:32:29: wir haben alle drei Schülerinnen und Schüler mit starken psychischen Auffälligkeiten im Unterricht

00:32:36: und das belastet uns, das nehmen wir natürlich mit nach Hause.

00:32:40: Und wir haben alle im Studium nicht gelernt, wie wir damit umgehen können.

00:32:45: Ja, wie gehe ich denn jetzt mit Kindern und Jugendlichen um, die mit blutigen Unterarmen in die Musikschule kommen, Paul?

00:32:53: Ja, zunächst ist es ja kein so seltenes Phänomen.

00:32:57: Also, man sagt, so ungefähr ein Drittel aller Jugendlichen in Deutschland,

00:33:02: etwa ein Viertel aller Jugendlichen in Österreich, ein bisschen mehr, haben sich zumindest einmalig selbst verletzt.

00:33:08: Es ist ja, reden wir hier ja nicht über Jugendliche, die sich einmalig selbst verletzen.

00:33:11: Viele lassen es dann noch, machen es ein, zwei Mal, etwa die Hälfte, die sich selber verletzen

00:33:15: machen es ein, zwei Mal und dann nicht wieder.

00:33:17: Aber das Beispiel, das man dir geschildert wird, ist sicher jemand, der es ja auch häufiger macht.

00:33:21: Und prinzipiell ist da immer die Frage, wie wir reagieren.

00:33:25: Und wir müssen selbstverletzenes Verhalten eigentlich verstehen, als Emotionsregulationsmechanismus,

00:33:31: das sicher nicht funktional ist, aber erstmal für die Leute, was bringt, sonst würden sie es nicht machen.

00:33:37: Und natürlich löst es aber darüber hinaus auch eine Reaktion in der Umwelt aus, so wie du beschreibst,

00:33:44: wenn man den Namen sieht, die Wunden sieht.

00:33:47: Ich glaube, die allererste Reaktion ist immer erstmal, weiß ich nicht, wenn die Wunden akut zugefügt sind,

00:33:53: geht es ja um medizinische Erstversorgung.

00:33:55: Und die sollten emotional relativ neutral sein, also ähnlich wie, wenn man jetzt mal hingefallen ist mit dem Rad

00:34:01: und irgendwie eine Wunde hat, dann würde man jetzt auch nicht über die Beweggründe sprechen,

00:34:05: sondern erstmal schauen, dass die Wunde irgendwie versorgt ist.

00:34:08: Also wer blutet, mit dem führ ich jetzt auch kein Gespräch darüber, warum man das gemacht hat.

00:34:14: Warum ich das unter anderem nicht mache, so vielleicht unempatisch das auch klingen mag, ist,

00:34:18: dass ich in der Situation nicht verstärkend sein will.

00:34:22: Also wenn das ein Verhalten ist, wo ich, wo viele sagen, ich mache das auch, um zu zeigen, wie schlecht es mir geht,

00:34:29: weil ich keinen anderen Weg habe, um das zu tun.

00:34:33: Und ich habe ein sehr empatliches Gegenüber, das da immer drauf einsteigt,

00:34:37: dann kann das durchaus aufrechterhaltend sein.

00:34:39: Wir wollen ja eigentlich nicht dieses Verhalten verstärken,

00:34:42: sondern wir hätten gerne, dass die Leute bevor sie sich selber verletzen kommen und sagen, ich habe ein Problem

00:34:46: oder anderweitig sich Hilfe holen, aber dass eben nicht mit dem Verhalten verknüpft wird.

00:34:51: Das heißt, wenn jemand sich akut geschnitten hat, das wäre auch bei uns auf der Station oder an der Klinik so,

00:34:56: wird das ganz neutral, ohne Vorwürfe natürlich, wie eine ganz normale Wunde verarztet,

00:35:01: verbunden oder ein Plaster oder genäht, je nachdem wie groß das Schweregrad ist.

00:35:07: Aber wir besprechen jetzt erstmal für die nächsten 24 Stunden nicht, was dazu geführt hat,

00:35:12: weil wir eigentlich aus einer Verstärkerkiste, dass du immer wieder dich verletzt,

00:35:16: um dann ein Gespräch über dein Gefühlzustand zu haben.

00:35:19: Wir hätten gerne ein Gespräch über den Gefühlzustand, unabhängig von der Verletzung, nämlich dann, wenn es gebraucht wird.

00:35:23: Punkt.

00:35:24: Aber wenn es auffällt, und es kann ja durchaus sein, wenn ich jetzt eine Musikstunde habe

00:35:31: oder wo oft zum Beispiel am Unterarm sichtbar wird und es sind Narben da, weil man die halt sieht beim Klavierspielen oder Geigespielen oder was auch immer,

00:35:41: dann darf man das schon benennen.

00:35:43: Also es gibt so den Grundbegriff der respektvollen Neugier, der empfohlen wird für den Umgang mit selbstverletzendem Verhalten.

00:35:50: Da sagt man, ich darf schon fragen, also darf man schon benennen.

00:35:53: Also mir sind diesen Narben aufgefallen, verletzt du dich selber? Und auch die Frage, wobei hilft es dir, ist durchaus legitim.

00:36:00: Weil man auch vermittelt, dass man verstanden hat, dass die Leute das nicht aus Jux und Tollerei machen.

00:36:04: Für viele ist das sehr, sehr entlastend.

00:36:06: Oder vielleicht auch: Gibt es irgendwas, wo ich helfen kann?

00:36:11: Man ist natürlich selber nicht in einer therapeutischen Rolle und trotzdem ist es eine Möglichkeit, wo man eine Brücke bilden kann.

00:36:20: Man muss dann halt auch wissen, wie man reagiert.

00:36:22: Also wenn jemand sagt, ja, ich hätte da gerne Hilfe, wäre die Frage, dass ich wissen muss, was ich dann mache und das kann eben sein:

00:36:28: Ich kann das bei deinen Eltern ansprechen, wenn sie noch nicht wissen.

00:36:32: Ich kann, oder ich habe zumindest einen Repertoire an möglichen Ansprechpartnern.

00:36:37: Also es gibt ja viele Orte, wo man auch mal gratis eine Telefon- oder Online-Beratung machen kann.

00:36:46: Das heißt, in Deutschland bei U25, das ist eine Österreich "Rat auf Draht" oder eine Nummer gegen die Kummer oder was es alles gibt, Telefonseelsorge.

00:36:54: Da zu sagen: Kennst du da die Nummer, zumindest kannst du mal anrufen und man darf auch benennen, weil ich eigentlich kein Profi dafür bin,

00:37:01: mehr ist es nur aufgefallen und ich mache mir halt Sorgen.

00:37:03: Das darf man schon sagen.

00:37:04: Man darf ja sagen, was bei einem selber auslöst, dass es tatsächlich einen, ja, irgendwie beschäftigt und man das deswegen gerne angesprochen hätte.

00:37:14: Das ist vollkommen okay.

00:37:16: Das ist zwar eine lange Antwort, aber ich glaube, das ist ein diffizibles Thema.

00:37:19: Ja, lange Antwort schon.

00:37:21: Das ist ein wichtiges Thema, absolut.

00:37:23: Und das darfst es da echt mal haben.

00:37:25: Das ist ja was, ich weiß nicht, ob wir da irgendwie einen blinden Fleck haben im Studium, aber in meinem Musikpädagogikstudium kam das zumindest nicht vor.

00:37:34: Handlungsoptionen bei selbstverletzendem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen, die psychisch in Not sind.

00:37:40: Und ja, das ist auch das, was bei vielen Kolleginnen und Kollegen aus meinem Umfeld noch kein Thema im Studium war.

00:37:47: Ich vermute aber, dass man das in den Hochschulen jetzt auch wirklich auf dem Radar hat, weil es gut und wichtig ist für uns, darüber Bescheid zu wissen.

00:37:55: Deswegen vielen Dank für diese ausführliche Antwort.

00:37:58: Und ja, das war auch in der Tat was, was ich bei den Eltern dieser Schülerin angesprochen habe.

00:38:03: Und sie haben mir dann gesagt, dass ihre Tochter wahnsinnig gerne in den Unterricht kommt, dass sie auch der Heim vom Unterricht erzählt und auch wirklich gerne Musik macht.

00:38:12: Aber einfach nur, dass ich das weiß, sie als Eltern, sie wissen um die Problematik und sie haben sich dafür externe Hilfe geholt.

00:38:20: Und sie haben mir gegenüber auch ungefähr das beschrieben, was du jetzt gerade gesagt hast, respektvolle Neugier.

00:38:26: Find ich einen wirklich guten Begriff dafür.

00:38:28: Also man darf noch nachfragen und es ist okay.

00:38:32: Und letzten Endes, dann muss man eh darauf vertrauen, dass die Prozesse laufen, wie sie laufen, weil die Sorgeberechtigten

00:38:37: das sind natürlich die, die in diesem Fall gemeinsam mit den Jugendlichen am ersten Teil der Lösung sein sollten.

00:38:43: Und wenn ich als Lehrerin mich jetzt durch diese Situation aber stark belastet fühle, hättest du da noch ein Tipp für mich, wie ich mit dieser Last gut umgehen kann?

00:38:52: Ja, du hast ja ohnehin was ganz Gutes gesagt oder machst du auch noch?

00:38:56: Du sagst, dass die macht so eine Gruppe von Leuten, die dann über diese Situation sich auch austauschen, quasi wie eine Intervision fast.

00:39:06: Letzten Endes ist es so, dass wir schon wissen, dass in belastenden Situationen uns der Kontakt zu anderen Menschen als Menschen relativ gut tut.

00:39:16: Also dass das Aussprechen von einer Belastung auch zu einer Belastungsreduktion führt.

00:39:22: Wir wissen auch bei der Forschung zum Beispiel zu traumatischen Ereignissen, dass wenn was Schlimmes passiert ist, dass es den Menschen am allerbesten hilft,

00:39:30: wenn sie jetzt mit einer vertrauensvollen Person das erst einmal durchsprechen und das rauskriegen aus dem eigenen Kopf und den anderen Personen mitteilen,

00:39:37: ist ein gar nicht zu unterschätzen der Faktor in einer Bewältigung auch.

00:39:41: Das sind also sozusagen Dinge, die im sozialen Kontakt funktionieren.

00:39:45: Natürlich ist auch gut, wenn man seine eigene Strategie hat, wie man mit Stress umgeht,

00:39:51: Seit das jetzt, dass man... Viel von kann man mit Bewegung glaube ich ganz gut kompensieren.

00:39:56: Das muss jetzt ja nicht immer irgendwas sehr Hartes sein, wo ich jetzt einen 20 Kilometer Lauf mache.

00:40:04: Also das hilft natürlich auch - keine Frage! Aber das liegt nicht jedem.

00:40:07: Aber da reicht eben auch die Bewegung im Sinne von Spazieren gehen und also quasi den Augenblick verändern,

00:40:16: rausgehen, ganz bewusst das wahrnehmen.

00:40:18: Natürlich helfen auch manche Leute Dinge wie Meditation

00:40:22: und andere Stressbewältigungsmechanismen, die sind ja ganz ganz individuell.

00:40:29: Ich glaube, da muss jeder sein Repertoire haben.

00:40:31: Aber zunächst mit anderen darüber zu sprechen, nimmt mal einen ersten Druck weg und dann zu schauen,

00:40:35: wie gehe mit dem Rest um, indem ich zum Beispiel über den Bereich körperlicher Bewegung agiere.

00:40:42: Ich muss mich auch sehr gut über meinen Schlaf aufpassen,

00:40:45: von dem wissen wir auch, dass wir dünnhäutiger sind, wenn der nicht besonders gut ist.

00:40:50: Und weißt du, was ich auch noch eine echt gute Hilfe finde, ist vor mir und auch vor anderen mal zugeben zu können:

00:40:57: Hey, in dieser Situation im Unterricht habe ich mich jetzt schlicht überfordert gefühlt.

00:41:02: Genau, also ich glaube tatsächlich, wenn jetzt was kommt, was man noch nie erlebt hat,

00:41:07: ist das ja auch legitim zu sagen.

00:41:09: Ich habe mich, und selbst wenn mich... Also wir leben ja auch hier bei uns, Patientinnen und Patienten,

00:41:15: die wir so noch nie gesehen hatten, also selbst wenn wir das Thema Selbstverletzung hier an der Klinik natürlich ein sehr alltägliches Thema ist,

00:41:24: in allen Facetten gibt es dann doch immer wieder Patientinnen und Patienten, die im Schweregrad der Selbstverletzung dann auch eine große Hilflosigkeit auslösen.

00:41:35: Und das haben wir bei manchen Erkrankungsbildern, also gerade die Essstörungen sind auch so etwas,

00:41:39: wo wir immer wieder erleben, dass das ein Thema ist, wo Eltern sehr, sehr hilflos sind.

00:41:43: Weil sie es letztendlich nicht beeinflussen können. Also wenn das Kind nicht isst, isst es nicht.

00:41:47: Und dann gibt es natürlich irgendwann mal das Thema, sozusagen, muss man das Kind dann auch zwangsernähren, bevor er stirbt,

00:41:55: das sind natürlich die Extremfälle, aber ansonsten entzieht es sich komplet der Kontrolle.

00:41:59: Und das ist halt das, wo wir als Elternteile immer wieder erleben, dass es eine große Hilflosigkeit auslöst.

00:42:08: Und das Thema Selbstverletzung ist auch so ein Thema, weil man kann es nicht kontrollieren,

00:42:12: da das entzieht sich... Du kannst jemand nicht so kontrollieren, dass er sich nicht selber verletzen kann.

00:42:17: Das geht nicht. Nicht einmal auf eine geschlossene psychiatrische Station, es wird immer irgendwie gehen.

00:42:22: Und das ist halt ein Stück weit auch mit Autonomie zu tun, die man dann auch erkennen kann,

00:42:29: aber es löst erst mal Hilflosigkeit aus.

00:42:32: Das ist ja kein Gefühl, dass nicht auch bei Leuten, die professionell damit arbeiten, durchaus auch da sein kann.

00:42:38: Und Selbstverletzung ist das denn jetzt gleich Borderline?

00:42:42: Nein, das ist gut, dass du das noch mal ansprichst, weil tatsächlich wird das oft so synonym verwendet.

00:42:47: Und die Selbstverletzung an sich kann ein Symptom von Borderline sein, also emotionale instabile

00:42:52: die Persönlichkeit vom Borderline-Typus.

00:42:56: Aber die Selbstverletzung kann im Kontext von ganz vielen Dingen auftreten.

00:43:01: Wir haben schon über die Häufigkeit gesprochen. Wir müssen davon ausgehen, dass etwa 4% der Jugendlichen ab 15 das relativ häufig macht

00:43:07: und die haben natürlich alle keine, nicht alle davon haben eine Borderline-Störung.

00:43:11: Und wir sehen Selbstverletzung auch sehr häufig im Kontext von postraumatischen Belastungsstörungen,

00:43:17: sehr häufig im Kontext von Depressionen oder auch Anstörungen.

00:43:22: Und das ist ja für sich genommen ein Symptom, aber steht nicht für sich genommen als Pars pro Toto einer Borderline-Störung,

00:43:30: sondern ist eben nur ein eines von mehreren Symptomen.

00:43:33: Jetzt ist ja kürzlich durch die Medien gegangen, das Buch "Generation, Angst" von Jonathan Haidt.

00:43:42: Jetzt ist mir das tatsächlich schon passiert, dass Eltern gesagt haben, wir haben "Generation Angst" gelesen

00:43:48: und wir wünschen jetzt keine digitalen Elemente mehr im Musikunterricht unserer Kinder.

00:43:52: Wir machen jetzt als Familie das totale Digital Detox.

00:43:56: Wir haben uns von den Inhalten aus "Generation Angst" überzeugen lassen,

00:43:59: dass wir einen komplett anderen Umgang mit digitalen Medien in unserem Erziehungsstil umsetzen werden.

00:44:05: Ja, und ich kann da natürlich nur sagen: Klar, ich respektiere das so, wenn ihr keine digitalen Elemente mehr im Unterricht eurer Kinder möchtet,

00:44:13: dann gibt es das eben nicht mehr für euer Kind in dem Unterricht.

00:44:17: Aber ich habe mir dann dieses Buch gekauft und das auch mal gelesen.

00:44:21: Und ehrlich gesagt habe ich mich beim Lesen doch ziemlich manipuliert gefühlt von dem Autor.

00:44:26: Ja, ging mir ähnlich.

00:44:28: Ich habe in letzter Zeit gerade viele Vorträge auch zu der Thematik gehalten und weiß, um die Popularität des Buches, habe es deswegen auch eingebaut

00:44:35: und erlaube mir ein bisschen eine differenzierte Sichtweise.

00:44:39: Was man über das Buch sagen kann ist, das ist letzten Endes.

00:44:43: Also auch bei mir, ich habe das Gefühl, du nachvollziehen der Manipulation,

00:44:46: das hat natürlich einen Punkt, wo es sagt, Eltern schenken immer mehr in freien Bewegungsraum ihrer Kinder ein, seit den 70er Jahren ungefähr.

00:44:53: Das ist natürlich relativ gut empirisch bewiesen.

00:44:57: Trotzdem muss man sagen, es gibt einen eingravierenden Kritikpunkt und dieses Buch ist zum Beispiel in Nature,

00:45:02: was so eines der renommiertesten Journals in der Wissenschaft generell ist, komplett zerlegt worden,

00:45:07: von renommierten Wissenschaftern also wirklich übelst rezensiert und auseinandergenommen worden.

00:45:12: Und das, was man tatsächlich im Buch zum Vorwurf machen muss, ist, dass es etwas behauptet, was nicht wissenschaftlich substanziert ist.

00:45:21: Rein auf der Faktenlage von Korrelationen kann ich nie, und das der nicht eigentlich im ersten Semester, eine Kausalität behaupten.

00:45:28: Also den Punkt, den Johnathan Haidt macht, ist, und er stellt der eindrucksvolle Grafiken vor,

00:45:34: wo er zeigt, dass in den USA die Zahlen der Depressionen, der Suizide bei Teenagern, der psychischen Erkrankungen stark zugenommen hat.

00:45:44: Im Zeitraum 2010/2012 auch interessant, also er stellt das auch grafisch sehr schön in den Buch,

00:45:50: damit verschiedene Grafiken und dieser Zeitraum 2010/2012 variiert,

00:45:53: dann, je nachdem wie es dramatisch ausschaut, wenn man sich es genau anschaut, also ein bisschen zudem manipulativ.

00:46:00: Und ich habe mir beim Lesen des Buches gedacht, also ich habe mir die Grafik angeschaut und die Studie nochmal nachgeschaut,

00:46:05: tatsächlich, das stimmt alles, was er sagt, das hat deutlich zugenommen,

00:46:09: aber es ist zunächst einmal, muss man sagen, ein US-zentrischer Blick.

00:46:13: Weil wir haben diese Zunahme an Suiziden gar nicht gesehen in Europa

00:46:16: und auch die Zunahme der Depressionen gibt es sehr wohl, schon lang bekannt in den USA und UK, aber halt nicht im Rest Europas.

00:46:23: Und da hätte ich schon mal das erste Problem, weil eine Hypothese, wenn ich irgendwie eine Hypothese falsifizieren kann,

00:46:31: dann muss ich an der Stelle auch sagen, stimmt halt nicht, so funktioniert Wissenschaft, also ich kann mir ja was überlegen

00:46:37: und dann merke ich aber, puh, wenn ich das abgleiche mit anderen Daten, die Jugendlichen in Europa haben ja auch ein Smartphone,

00:46:46: wir haben auch fast eine 100% Abdeckung mit Smartphones in der Altersgruppe der Jugendlichen

00:46:50: und haben aber keine gestiegene Suizidraten gehabt vor der Corona-Pandemie - gar nicht.

00:46:54: Und auch keine gestiegene Depressionsraten in den meisten Ländern Europas vor der Corona-Pandemie, also das stimmt schon mal was nicht.

00:47:01: Und das ist mir letztendlich zu einfach. Und wenn ich mir aber eine Hypothese anschauen will, ob sie hält,

00:47:07: muss ich Longitudinalstudien machen, also ich muss mir Leute im Langzeitverlauf anschauen und nicht bloß Korrelationen,

00:47:15: weil es kann diverse andere Faktoren geben, die eine Korrelation beeinflusst, die gar nichts mit dem behaupteten Zusammenhang zu tun haben.

00:47:24: Und letztendlich die Longitudinalstudien geben die Idee von digitale Mediennutzung beeinflusst psychische Gesundheit,

00:47:33: halt gar nicht her. Es gibt sehr gut gemachte riesige Longitudinalstudien, auch aus Deutschland zum Beispiel,

00:47:38: basierend auf der Familien-Panelstudie, eine 9 Jahre, 5 Fällen Longitudinalstudie mit über 4000 Teilnehmern,

00:47:44: die keinen Zusammenhang gesehen haben zwischen der digitalen Mediennutzung,

00:47:48: psychisches Wohlbefinden, Depressionen. Es gibt die ABCD-Studie aus den USA, 11500 Teilnehmer,

00:47:54: jetzt die ersten zwei Jahre longitudinal, da die 9- bis 12-jährigen nachverfolgt - kein Einfluss.

00:47:59: Es gibt die sehr berühmte Trondheimstudie aus Norwegen, sehr sauber gemacht,

00:48:03: sogar mit diagnostischen Interviews über mit vier Erhebungszeitpunkten Jugendaltern - kein Einfluss.

00:48:09: Es gibt systematische Reviews, es gibt Reviews über Reviews, also Meta-Reviews,

00:48:14: die die Gesamtliteratur zusammenfassen und sagen, in longitudinalen Studien finden wir zusammengerechnet

00:48:21: in ganz vielen Studien gar keinen Einfluss, in manchen einen negativen, aber der ist sehr, sehr klein,

00:48:27: in manchen einen positiven, auch der ist sehr, sehr klein, so dass jetzt, wenn man sich die letzte große Meta-Review anschaut

00:48:34: zur Thematik und die longitudinalen Studien betrachtet, sie zum Schluss kommen, es gibt vermutlich 10 bis 15% der Jugendlichen,

00:48:40: die, wo es wirklich ein Problem darstellt, 10 bis 15% der Jugendlichen, die davon profitieren,

00:48:45: wie besser werden durch sozialen Medienkonsum und der Rest ist vollkommen davon unbetroffen.

00:48:51: Also ich glaube, es ist wie bei vielen Dingen, muss man sich sehr gut hüten von einer Panikmache

00:48:56: und das ist natürlich weniger gut zu verkaufen, aber es lohnt sich ein sehr differenzierter Blick auf die Studienlage.

00:49:03: Und es ist zu respektieren, meine Eltern sagen, sie wollen möglichst wenig digitale Medien.

00:49:07: Es ist sicher nicht schädlich für Kinder, wenn es da ein analoges Angebot gibt,

00:49:13: aber davon auszugehen, dass das, also sagen wir mal, am Untergang der Menschheit schuld ist, das halte ich für doch für deutlich sehr überzogen

00:49:21: und unsere, unsere Lesart, die Lesart unserer Generation, was dazu führt, dass die Jugend dem Untergang geweiht ist,

00:49:28: und das ist ja letzten Endes ein altes Narrativ, das wir als Menschheit Antike kennen, zumindest seit der Antike,

00:49:33: dass immer die Erwachsenen sagen, mit der Jugend geht es bergab. Und das ist jetzt sozusagen das neue Narrativ,

00:49:41: das aufgesetzt wird, weil wir halt weniger Soziale Medien benutzen als die Jugendlichen,

00:49:45: in aller Regel, dass wir sagen: Eh klar, der Schuldige ist dort zu suchen und mit dieser Generation geht es bergab,

00:49:52: so pessimistisch sehe ich es nicht.

00:49:54: Wow, ich bin sehr beeindruckt von dieser detaillierten Ausführung, danke dir, Paul.

00:49:58: Gibt es denn jetzt noch irgendwas, was ich vergessen habe in Bezug auf Musikschulen und Kinder und Jugendliche mit psychischen Belastungen?

00:50:06: Etwas, was wir unbedingt in unserem Gespräch noch mit drin haben sollten?

00:50:11: Ich glaube ein guter Punkt bei Musikschulen, ich war letztens wieder, da kam ich drauf, weil ich einen Musikschullehrer gesprochen habe, zufällig letzte Woche

00:50:20: und leider Gottes Anlass war bei einem Begräbenis, aber wo er nochmal so Bilder gezeigt oder berichtet hat von Ensembles, die er zusammengestellt hat,

00:50:30: das ist ja noch ein Element für sich ist, dass man schon noch sagen kann, ich denke in puncto psychische Gesundheit,

00:50:37: dass das Zusammenspielen von mehreren Leuten, also Dinge, die ich gemeinsam in der Gruppe mache, ist was sehr, sehr Wertvolles.

00:50:44: Also muss natürlich gut aufpassen, Faktor Leistung und so weiter, spielt ja auch manchmal eine Rolle,

00:50:49: wenn es dann vielleicht noch ein Wettbewerbe oder kompeditives Aufeinandertreffen geht,

00:50:54: aber das Zusammenspiel mit verschiedenen anderen und Zusammenwirken, das ist glaube ich auch etwas,

00:51:00: wo man betonen muss, dass ich wirklich denke, da ist auch noch mal ein zusätzlicher Effekt da.

00:51:05: und das ist glaube ich was, was man auch im Musikschulunterricht, wenn man jetzt Vierergruppen zusammenstellt,

00:51:11: Ensembles zusammenstellt, irgendwie Zusammenwirken, was ganz Tolles sein kann.

00:51:17: Gebe ich dir vollkommen recht, Ensemblespiel, Musizieren mit anderen,

00:51:20: sofern es sozial harmoniert oder von uns zum Harmonieren gebracht werden kann,

00:51:26: ist einfach echt ein Geschenk für viele Kinder und Jugendliche und genau das, was sie auch durch kleinere Motivationstiefs trägt,

00:51:34: die es natürlich in jedem Unterricht gibt und auch mal geben darf.

00:51:37: Ich glaube, was Musiklerkräfte darbieten, ist natürlich, dass sie die Tür auch machen zu einer möglicherweise verandenen Fähigkeit,

00:51:46: oder Begabung und dass sie etwas bieten, was so eigentlich im Alltag von Jugendlichen normalerweise nicht vorkommt.

00:51:55: Also viele Jugendliche verbringen viel Zeit in der Schule oder mit schulverwandten Themen,

00:52:01: und Musikunterricht, genauso wie vielleicht auch andere Dinge, die jetzt weniger kompetitiv ausgerichtet sind,

00:52:07: bringen halt ein ganz anderes Element rein, wo es um Fertigkeiten geht, um Skills geht,

00:52:13: die woanders anders gar nicht Beachtung finden möglicherweise.

00:52:17: Und das ist natürlich ein Schatz, der zur Verfügung steht.

00:52:20: In unseren Shownotes findet ihr dieses Mal nicht nur Tipps zum Weiterlesen und Vertiefen des Themas,

00:52:26: sondern auch eine Auswahl an Beratungsstellen und Hilfsangeboten, an die ihr euch bei Bedarf wenden könnt.

00:52:33: Das war sie, die Folge 51 von "Voll motiviert".

00:52:36: Wenn ihr das Thema ADHS betroffene Schülerinnen und Schüler im Musikunterricht weiter vertiefen möchtet,

00:52:42: dann empfehle ich euch die Folge 9 von "Voll motiviert".

00:52:45: Sie trägt den Titel "Herausforderung ADHS"

00:52:48: und zu Gast hatte ich dort den Schweizer Psychologen und Lerncoach Fabian Grolimund.

00:52:54: Auch diese Folge findet ihr in den Shownotes verlinkt.

00:52:57: [Musik]

00:53:15: [Durchsage]