Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

Transkript

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#45 – Kristin Thielemann: Zukunft heißt Vernetzung

Teaser: Was glaubt ihr, wo Musikschulen in zehn, 15 oder 20 Jahren stehen, wie sie aussehen, wer dort arbeitet, mit wem die Musikschulen kooperieren und vor allem, was die Schülerinnen und Schüler sich wünschen, die dort ein und ausgehen? Für diese Solo-Folge von «Voll motiviert» habe ich einige Future Trends Musikpädagogik für euch beleuchtet. Mein Beitrag trägt den Titel «Zukunft heißt Vernetzung». Den gesamten Text könnt ihr übrigens in der «üben & musizieren» 3/24 lesen. Dort gibt es dann auch die Links zu weiterführenden Informationen und Quellenangaben zu meinem Beitrag. Und natürlich wie immer in «üben & musizieren» vieles mehr, was für uns super spannend ist. Und apropos «üben & musizieren»: Das Magazin bietet eine Vielzahl von Themen, die für den Musikunterricht wichtig sind und es erscheint sechs Mal im Jahr. Ihr bekommt das Magazin entweder ganz klassisch per Post oder ihr könnt euch für die bequeme Digitalvariante entscheiden. Ich lese «über & musizieren» in der digitalen Variante über die Schott Music App. Übrigens gibt es ein Probeabo, wo ihr eine Ausgabe gratis lesen könnt. Holt es euch doch und schaut mal für die Details unter www.uebenundmusizieren.de/abo. Wenn euch unser Podcast gefällt, dann lasst doch eine Bewertung da. Euer Feedback hilft uns besser zu werden und mit «Voll motiviert» noch mehr Menschen zu erreichen. Vergesst auch nicht, uns ein Like zu geben und die Folge mit euren Kolleginnen und Kollegen und in euren Social Media zu teilen. So können noch viel mehr von uns von den Inhalten profitieren. Danke euch für die Unterstützung! Und jetzt viel Spaß mit der Folge über Musikschulen der Zukunft.

Intro: «Voll motiviert» – der Musikpädagogik-Podcast von Schott Music, dem Verband deutscher Musikschulen und Kristin Thielemann.

Kristin Thielemann: «Concordia Domi Foris Pax» prangt seit dem 15. Jahrhundert auf einem der Stadttore der norddeutschen Hansestadt Lübeck. Frei übersetzen könnte man es mit: «nach innen Einheit, nach außen Frieden». Denn die Stadt war in ihrer Geschichte häufig von Feinden bedroht, genau wie es Kulturinstitutionen wie Musikschulen oder professionelle Klangkörper durch Sparzwänge der öffentlichen Hand auch in jüngster Zeit wieder sind. Mit ihrer Stadtbefestigung hat sich Lübeck über Jahrhunderte erfolgreich gegen Feinde geschützt. Mit dieser Inschrift wurde nach innen wie nach außen Zusammenhalt und Stärke demonstriert. Wäre es nicht auch für Musikschulen und professionelle Klangkörper eine Chance auszuloten, ob sich Synergien nutzen lassen, um eine Einheit nach außen zu demonstrieren? Eine Einheit, die durch die Liebe zur Musik und den unbedingten Willen, sie möglichst vielen Menschen in Liveformaten zugänglich zu machen, getragen wird? Es ist Anfang September 2023, als ich im Südkurier lese, dass die kommunalen Zuschüsse der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz massiv zurückgefahren werden sollen, was gleichzeitig eine Kürzung der Landessubventionen bedeuten würde, ergo einer Schließung des Klangkörpers in seiner jetzigen Form gleichkäme. Wenige Stunden später erreicht mich eine E-Mail, ob ich Zeit hätte, zur Podiumsdiskussion über die Zukunft des Orchesters zu kommen. Natürlich sage ich zu, denn dies ist auch das Orchester, dessen Konzerte ich mit meinen Schülerinnen und Schülern besuche, wo Freunde ihren Arbeitsplatz haben. Es erreichen mich Anrufe von Orchestermitgliedern. Man befürchte, durch das gemeinsame Dach mit der Musikschule zum Unterrichten gezwungen zu werden! Zum Unterrichten gezwungen? Mir stockt der Atem. Ich selbst habe den Arbeitsplatz in einem professionellen Opern- und Sinfonieorchester gegen das Unterrichten getauscht und ich bin mit diesem Schritt nach wie vor überglücklich. Trotzdem unterstütze ich gerne die Anliegen der Orchestermitglieder. Denn wo kämen wir denn hin, wenn Schülerinnen und Schüler bei Lehrkräften Musikunterricht erhielten, die zu ihrer Arbeit gezwungen wurden, statt leidenschaftlich mit Kindern und Jugendlichen die Welt der Musik zu entdecken? Die Podiumsdiskussion verläuft harmonisch. Beat Fehlmann, als ehemaliger Intendant der Südwestdeutschen Philharmonie und Shootingstar der Intendantenszene, der Chefdirigent Gabriel Venzago und ich, wir sitzen auf der Bühne des historischen Konstanzer Konzilgebäudes mit seiner herrlichen Aussicht auf den Bodensee. Marc Grandmontagne als Kulturberater und ehemaliger Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins sowie Dr. Birgit Schneider-Bönninger, Sport und Kulturdezernentin der Stadt Bonn, sind virtuell zugeschaltet. Wir sind uns alle ohnehin mehr als einig, dass der Bodenseeraum einen «kulturellen Nahversorger» braucht. Konstanz wird kurzerhand zum «Kulturschutzgebiet» erklärt. Das Publikum jubelt, der Konstanzer Bürgermeister als einzige Opposition im Saal macht zerknirscht schwammige Zugeständnisse. Wenige Wochen später versprechen die Verantwortlichen der Stadt Konstanz, die angekündigten Sparmaßnahmen zurückzunehmen. Mission accomplished? Nein! Denn klar ist natürlich, dass irgendwoher mehr zahlendes Publikum kommen muss! Die junge Generation findet auch hier nicht mehr flächendeckend ihren Weg in Klassikkonzerte. Mit einigen Street und Kulturfestivals hat sich eine Art Gegenbewegung zu unserem «kulturellen Nahversorger» formiert, deren Fans kaum einen Fuß in die Konzerte der Südwestdeutschen Philharmonie setzen würden. Was aber, wenn es nun in der Stadt ein «Haus der Musik» gäbe? Ein großes Zentrum, in dem sowohl die Philharmonie, die Musikschule, Kulturvereine, Chöre und private Bands ein gemeinsames Zuhause finden würden? Ein Haus mitten in der Stadt, in dem sich ein großer Teil des musikalisch kulturellen Lebens abspielen würde? Wo Menschen, deren gemeinsames Interesse, die Liebe zur Musik ist, den Ort finden, der sie vereint? Natürlich wäre dieses Vorhaben für die Stadt Konstanz mit ihrem fehlenden Platz, bedingt durch die natürlich geografischen Einschränkungen mit Bodensee und Rhein auf der einen, der Schweizer Grenze auf der anderen Seite ein vermutlich aussichtslos es Unterfangen. Aber andere Orte, an denen Orchester erfolgreich mit Musikschulen zusammenarbeiten, wo professionelle Klangkörper aufblühen, die eine eigene Musikschule betreiben oder eng mit einer bestehenden Musikschule der Region zusammenarbeiten oder es gleich ein Haus der Musik für alle Musikbegeisterten der Region gibt, zeigen, welch enorme Chance in dieser Symbiose liegt. Gleich dem Geschehen auf einer Skipiste, wo die Wintersportneulinge, angespornt durch die schwarze Pistenprofis, den Wunsch verspüren, diesen Vorbildern nachzueifern, Skirennen besuchen und sich auch in anderen Disziplinen wie beispielsweise dem Snowboarden oder Schneeschuhwandern ausprobieren, könnte in einem musikalisch-kulturellen Zentrum einer Stadt ein vielfältiger, inspirierender und vor allem sichtbarer Kosmos der Musik entstehen. Schon während mir diese Gedanken durch den Kopf gehen, höre ich mahnende Stimmen: utopisch! Geht nicht, weil… Vor 150 Jahren gab es auch noch keine Autos und die Idee, dass sich flächendeckend und verpflichtend junge Menschen in Schulen Bildung erarbeiten, wurde noch vor 350 Jahren mit einem Kopfschütteln abgetan! Vor den 1980er Jahren besaß praktisch keine Privatperson einen Computer und erst Mitte der 1990er Jahre wurden Handys salonfähig. Heute sprechen schon die Generation Z und Alpha von ihrem Grundrecht auf Internetzugang, und die Europäische Union hat bereits Studien hierzu in Auftrag gegeben. Warum sollte es also nicht gelingen, in einer Zeit, in der wir uns mit Ideen derart gut vernetzen können, ein musikalisch-kulturelles Zentrum auf die Beine zu stellen, wo alle Menschen die Möglichkeit haben, sich musikalisch auszuleben? Ein Zentrum mit Konzertsälen, die für verschiedene Bedürfnisse ausgelegt sind und mit Übe- und Proberäumen durch große Glasfronten, auch Passanten von außen einen Einblick in das Innere ermöglichen. Gleich dem Geschehen auf einer Skipiste bieten so selbst Übe- und Probesituationen den Mitwirkenden eine Bühne und gleichermaßen auch eine Inspiration für Außenstehende. Die Übe- und Probenräume könnten via internem System über eine App vergeben werden, die bestimmte Filter vorschaltet, damit beispielsweise der regelmäßige Platzbedarf für den Musikunterricht oder Übezimmer für Orchestermitglieder gewährleistet sind. Das Städtische Blasorchester, das privat organisierte Eltern-Kind-Singen, der SeniorInnenchor der Kirchengemeinde, das einst in Privaträumen tobende Baglama-Ensemble und auch die Privatmusiklehrkraft könnten diese Räumlichkeiten nach Belieben nutzen. In abschließbaren Depots oder Spinds könnten kleine und große private Instrumente oder auch Technikequipment gelagert werden. Eine Grundausstattung wäre in den Räumen bereits vorhanden. Die teilweise digitale Noten- und Musikbuchbibliothek ermöglicht einfaches und nachhaltiges Teilen von Noten und Büchern und eröffnet Einblicke in neueste Werke. In einigen, nach dem digitalen Einchecken offenen Räumen, stehen verschiedene Silentinstrumente zur Verfügung und bieten so Interessierten die Möglichkeit, sich im Jam-Space and Silent-Band-Instrumenten wie Gitarre, Piano oder Schlagzeug auszuprobieren, sich spontan oder auch geplant mit anderen zusammen zu finden. Der Open-Piano-Practice-Room bietet einige Silent Pianos an, denen auch diejenigen üben können, die kein Klavier zu Hause haben, die sich einfach mal am Klavier ausprobieren möchten oder ihre Warte- und Pausezeiten sinnvoll verbringen möchten. Über die App des Hauses kann möglicherweise auch noch spontan eine Lektion Klavierunterricht gebucht werden, den eine Klavierlehrkraft dort gerade als freien Zeitslot eingestellt hat. Die in das Haus integrierten Open Workspaces, die Cafés und die Mensa ermöglichen Vernetzung und Austausch. Kurze Wege und das hautnahe Erleben anderer schaffen einen Musikkosmos ähnlich einer Social-Media-Plattform im Real Life. Andere Menschen erleben, aber auch selbst zum Impulsgeber werden, wäre in solch einem Zentrum sehr einfach möglich, was gleichermaßen von einer der großen Freizeitbeschäftigungen unserer Zeit, dem Shopping, ablenken würde. Natürlich entstehen durch so ein Zentrum der Musik erst einmal Kosten. Aber wiegen die Vorteile für alle Menschen der Region nicht bei weitem diese Investitionen auf? All diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich bei der Podiumsdiskussion auf der Bühne des im späten 14. Jahrhundert als Kornspeicher für die Konstanzer gebauten Konzils sitze. Ein Haus, welches auch heute noch steht und Menschen in seinen Bann zieht, was von mutigen Menschen vor über 600 Jahren erdacht und erbaut wurde. Vielleicht ist es an der Zeit, jetzt mit kühnen Gedanken den Schritt zu wagen, von denen noch Generationen nach uns profitieren: nämlich die Menschen mit der Liebe zur Musik zu vereinen - in einem Haus, in einem Musikzentrum, unter einem Dach. Damit hier Gutes entstehen kann. Verbindung, Vernetzung, Verständnis für alle anderen. Und damit in Gedanken über dem Eingangstor zu diesem Zentrum der Musik die Worte prangen, die das Lübecker Holstentor seit Jahrhunderten zieren: Concordia Domi Foris Pax.

[Musik]

Kristin Thielemann: So, jetzt seid ihr zwar am Ende dieses Beitrags aus der «üben & musizieren» angekommen, nicht aber am Ende der heutigen Folge. Denn jetzt kommt noch so einiges für euch, was es wirklich in sich hat. Nach meinem Lob-Solo in Folge 37 hattet ihr euch wieder mal ein Solo von mir gewünscht. Und ja, da wollte ich in dieser Episode mal mit einem Luftschloss für euch experimentieren, also mit einem Gebäude der Zukunft, das mit den Bausteinen Motivation, Vernetzung, Nachhaltigkeit ja und auch irgendwie Demokratie spielt. Und dazu habe ich mich gefragt, was denn eine supercoole und auch wünschenswerte Form des musikalischen Lernens und Erlebens wäre für uns alle. Wie diese wirklich enge Verbindung zwischen Musikschule und professionellem Klangkörper, vielleicht auch noch mit anderen Musikschaffenden an Bord, entstehen könnte. Ein Gebäude, was auch Kooperationen fördert und was die Motivation derjenigen, die in diesem Haus ein- und ausgehen, stärken würde und dazu anregen könnte, auch an der Kunst der anderen viel bewusster teilzuhaben. Ich habe mich gefragt, was für die Musikschülerinnen und -schüler denn nachhaltig im musikalischen Kontext wäre. Also sowas wie: Was bleibt nach dem Musikunterricht? Aber auch: Was wäre nachhaltig im Umweltkontext, also im Hinblick auf das Teilen von Räumlichkeiten und Instrumenten beispielsweise? Hier habe ich natürlich diese ganze digitale Anbindung jetzt weggelassen, denn solche Räumlichkeiten hätten noch viel, viel mehr Möglichkeiten, wenn sie beispielsweise auch virtuell betreten werden könnten oder der Unterricht virtuell zu den Menschen auch kommen könnte, wenn Konzertbesuche in digitaler Form möglich wären, Veranstaltungen auch ganz einfach gestreamt werden könnten. Auch war mir nicht nur im Hinblick auf Nachhaltigkeit, sondern auch mit dem Fokus auf soziale Gerechtigkeit das Teilen von Räumen und Instrumenten wichtig. Und was mir einfach ein besonderes Anliegen bei diesen Gedanken ist, dass wir mit einem solchen Bauwerk auch die Chance hätten, in unserer ja sehr diversen Gesellschaft muss man ja fast sagen, die Demokratie zu stärken, indem sich in dem Konzept des Hauses auch Möglichkeiten zur Mitgestaltung und Mitbestimmung finden. Die Demokratie würde auch durch den Aufbau von Beziehungen und Verständnis für die Kultur anderer Menschen gefördert werden. Aber in Sachen Demokratie ist da auch natürlich der Aspekt, sich darüber bewusst zu werden, was wir Bewährtes und Liebgewonnenes eigentlich bewahren und auch für andere Menschen zugänglich machen wollen. Aber ich habe jetzt natürlich ganz, ganz viele Future Trends auch einfach weggelassen, denn es war hier ja überhaupt nicht die Absicht, etwas Vollständiges zu bieten, zu dem es ja ganze Konferenzen gibt oder ich auch auf Fortbildung mit Musikschulteams spannende Tage verbringe. Sondern ihr dürft diese Idee mit der Vernetzung durch dieses Gebäude, wenn sie euch denn gefällt, die Idee, gerne weiterdenken und weiterentwickeln, Elemente herauspicken, umsetzen oder ändern und ja, das für euch und eure Gegebenheiten anpassen. Als Ideengeber könnte an dieser Stelle auch zum Beispiel das «Haus der Musik» in Waldkirch dienen. Nach den Ideen von Prof. Andeas Doerne und auch unter Mitarbeit vieler anderer kreativer Menschen wurde hier die Musikschule des Ortes zu einem Musizierlernhaus umgebaut. Andreas Doerne hat es ja in seiner Podcast-Folge hier bei «Voll motiviert», aber vor allem auch sehr umfassend und sehr ausführlich in seinem Buch «Musikschule neu erfinden» beschrieben, wie diese Schule jetzt genau aussieht, welche Gründe zu dieser räumlichen Gestaltung geführt haben und was das für Auswirkungen auf den Alltag der Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler hat. Und es gibt ja auch bereits viele Musikschulen und aus diesen Ideen heraus eigene Konzepte entwickeln. In meiner Idee mit der Räumlichen Verbindung von Musikschule, professionellem Sinfonieorchester und anderen musikalisch-kulturellen Playern habe ich aber die ganze Musikhochschulschiene jetzt weggelassen. Dabei ist so eine Musikhochschule natürlich auch einer der großen Eckpfeiler für musikalisch-kulturelles Leben einer Stadt. Und hier eine Vernetzung von Hochschulen und Musikschulen zu schaffen, wäre natürlich auch noch eine Riesenchance gegen den Fachkräftemangel bei uns an den Musikschulen. Warum ich die Hochschulen hier weggelassen habe? Weil ich für die ganze Idee, die ich in meinem Beitrag skizziert habe, die Herausforderung der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz als Ausgangsüberlegung genommen habe und es ja in Konstanz einfach keine Musikhochschule gibt. Schade auch! Außerdem würde ich mal mutmaßen, dass Musikhochschulen selbst so viel Platz benötigen, dass es wirklich äußerst, äußerst tricky wäre, sie auch noch in so einem Gebäude unterzubringen. Mir gefällt da eher die Idee der Öffnung von Musikhochschulen mit Angeboten für Musikschülerinnen und -schüler, also Kooperationen mit Musikschulen, die ja auch gerade schon vielerorts entstehen, die Vernetzung mit professionellen Klangkörpern oder auch Programme, wo Musikhochschulen Partizipation für Menschen schaffen, die eben nicht an einer Musikhochschule studieren oder studieren können, aber trotzdem hochinteressiert sind und sich selbst fortbilden möchten. Stichwort lebenslanges Lernen. Auch das haben ja einige Hochschulen bereits etabliert. Denn wir müssen uns einfach im Klaren darüber sein, dass die Chancen, die sich für beide Seiten hier bieten können, einfach riesig sind. Mir ist bei diesem und auch bei anderen Zukunftstrends immer ganz wichtig zu fragen: Wohin entwickelt sich denn die Gesellschaft denn gerade ganz von alleine? Und dann aber auch die Frage: Was wäre denn ein wünschenswertes Ziel für unsere Gesellschaft? Nicht, dass wir so ein selbst gestecktes Ziel auch unbedingt erreichen müssten. Aber mit einem Ziel vor Augen einen Weg einzuschlagen, der sich für uns als Gesellschaft lohnen würde - das ist doch der Punkt, um den es geht. Ich habe für meinen Beitrag in der «üben & musizieren» und ja, für mein heutiges Podcast-Solo die Gelegenheit genutzt, um so ein Bauwerk zu beschreiben, was auch ein ganz, ganz wichtiges und auch ein wirksames optisches Zeichen für die Menschen sein kann, die denken Musik, das wäre doch nur ein schönes Hobby und ja, für manche auch vielleicht ein Beruf, den es möglicherweise in einigen Jahren nicht mehr geben wird. Die berühmte «brotlose Kunst»! Ein Bauwerk als Zeichen für Politikerinnen und Politiker, die glauben, die Musik könnte sich auch ganz wunderbar in einem Fächercluster mit Handarbeit beispielsweise oder Sport machen, wo die Lehrkräfte nach eigenem Gutdünken so mir nichts dir nichts daran herumstreichen und sogar einzelne Fächer auf Null setzen können, wenn es ihnen gerade in den Sinn kommt. Wer mit solch einem Mindset «musikalische Bildung ist weniger wichtig» unterwegs ist, der sollte sich einfach dringend fragen, was ganz genau die Fähigkeiten sind, die wir und die nachfolgenden Generationen echt dringend brauchen werden! Ja, und wenn die Antwort dann gefunden wurde, meine nächste Frage: Fördern die derzeitigen Fächer in den allgemeinbildenden Schulen wirklich diese Fähigkeiten? Da wird jeder sehr, sehr schnell drauf kommen, dass das Fach Musik hier der absolute Türöffner für enorm viele Zukunftsskills ist. Ich will jetzt ganz zum Schluss noch in knapper Form darauf eingehen, auf diese Zukunft Skills, die wir mit dem Musizieren fördern können. Und zwar: Wir lernen beim Musizieren den Umgang mit Herausforderungen. Wir lernen es, selbstständig Probleme zu erkennen und sie kreativ zu lösen. Die Belohnung hierfür ist nicht eine Zensur auf einem Blatt Papier, die uns eine andere Person für unsere Leistung gegeben hat, sondern es ist das Erleben, dass unsere Musik dann schöner klingt, dass sie besser klingt, dass wir besser unser Instrument beherrschen, dass wir noch schwerere Werke spielen können. Musizieren ist Kreativitätsförderung und das Stärken von Problemlösekompetenz. Beim Musizieren geht es darum, ein kompetentes Fehlermanagement zu entwickeln. Und das ist doch was, was wir nicht nur im Berufsleben gut gebrauchen können, sondern was uns doch ganz generell als Gesellschaft echt gut zu Gesicht stünde. Und dann das Stichwort Resilienz. Wer zehn Mal an der gleichen Stelle stolpert und sich selbst den Lösungsweg sucht, wer aus einer anfangs holprig gespielten Reihe von Tönen irgendwann ein berührendes Musikstück zu machen in der Lage ist, der weiß, dass er Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten haben kann. Das ist Resilienzförderung! Beim Musizieren können wir gemeinsam mit anderen Menschen an etwas Größerem schaffen, auch mit Menschen, mit denen wir vielleicht nicht eine gemeinsame Sprache sprechen, oder mit Menschen, mit denen wir vielleicht nicht oder noch nicht eine gemeinsame Kultur gefunden haben. Wir können aber gemeinsam Musik genießen, wir können sie erleben, wir können Musik machen, auf einer Bühne stehen, eine Herausforderung bestehen. Das ist nicht nur für Kinder enorm wichtig. Es wäre ein Schlüssel für unsere Gesellschaft: Denn Verständnis für andere, das Kennenlernen und eine gemeinsame Vergangenheit, die helfen beim Aufbau einer gemeinsamen Zukunft. Kurz: Wer mehr Verständnis innerhalb der jungen Generation will, der muss das gemeinsame Musizieren fördern und nicht das gemeinsame Bruchrechnen! Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily wird zitiert mit dem Satz: «Wer Musikschulen schließt, gefährdet die innere Sicherheit.» Was ist eigentlich mit den Politikerinnen und Politikern, die dafür verantwortlich sind, den Schulmusikunterricht zu streichen oder zu kürzen? Ausgerechnet den Unterricht, der wirklich jedes Kind in Deutschland erreichen sollte? Aber jetzt noch mal zurück zu den Skills der Zukunft, denn da war ich noch gar nicht ganz fertig geworden. Beim Musizieren lernen wir eine der Schlüsselkompetenzen überhaupt: das sehr genaue Hinhören. Welche bessere Schulung als Musik gibt es denn auf dieser Welt? Und wer zuhören kann, dessen Empathie wird gestärkt, der entwickelt seine Kommunikationsfähigkeiten. Ja, und eine Sache sollten wir noch nicht vergessen bei diesen Zukunftsskills: Wir Musikschaffenden, wir haben noch praktisch alle ein sehr breites Grundwissen im Umgang mit Technik. Es gehört heute echt zum guten Ton in der Musikbranche, sich schnell in neue Programme, in neue Apps einarbeiten zu können oder zumindest zu wissen, wo man sich dieses Wissen holen und aneignen kann. Und es gibt in unseren Reihen auch enorm viele Hochqualifizierte, die diese technischen Fähigkeiten, aber auch diese Haltung, die dazugehört, um sich immer wieder neues Technikwissen anzueignen, an ihre Schülerinnen und Schüler weitergeben. Und jetzt ein Punkt noch in Sachen Zukunftsskills, der mir wirklich eine Herzensangelegenheit ist: Wir leben mit der Musik wirklich eine Wertschätzung. Wir hypen Kompositionen der vergangenen Jahrhunderte, wir setzen sie in andere Kontexte, beleuchten sie neu und entwickeln hieraus die Musik der Zukunft. Ohne unsere Wiener Klassiker werden wir doch nie bei so einer hochstehenden Musik der Romantik oder Moderne gelandet, die den Weg für unsere aktuelle Musik bereitet hat. Jetzt erleben wir auch die Integration von digitalen Elementen und auch von Musik anderer Kulturen. Und diese Wertschätzung von zunächst Unbekanntem, das Entdecken von vielleicht Fremden, das ist doch das, was wir in allen Bereichen unserer Gesellschaft so dringend bräuchten. Natürlich gibt es kompetente Musikerinnen und Musiker nicht zum Nulltarif. Die Ausbildung, die beginnt ja oft im Kindesalter und ist zeitlich und finanziell wirklich intensiv - das wissen wir alle! Die musikalische Bildung von jungen Menschen zu stärken, ist nicht irgendein Nebenfach an Schulen oder irgendein hübsches Hobby für Kinder von Besserverdienenden. Musik ist der Schlüssel für die Bildung von heute, die wir für unsere Zukunft so dringend brauchen!

[Musik]

Kristin Thielemann: So, das war mein Podcast Solo für euch in Sachen Musikschule der Zukunft. Ich bin schon gespannt auf euer Feedback, was wie immer unter podcast@schott-music.com willkommen ist, aber was ich natürlich auch über meine Social Media lese, wenn es dort ankommt. Wenn ihr der Meinung seid, andere Menschen sollten diese Folge auch hören, dann teilt sie doch bitte mit anderen und hinterlasst einen Like oder eine Bewertung für «Voll motiviert». Das würde mich und alle Menschen, die an diesem Podcast mitarbeiten wirklich sehr freuen! Als Hörtipp für euch an dieser Stelle noch die Folge 12 von «Voll motiviert». Sie heißt «Musikschule neu erfinden» und zu Gast hatte ich hier Prof. Andreas Doerne.