Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

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#40 Ulrich Mahlert: Üben und Musizieren

Ulrich Mahlert: Die ganz großen Künstler üben ja gar nicht so viel. Also wenn man sich mal so mit dem Üben von herausragenden Künstlern beschäftigt. Das sind größenteils Menschen, die nicht so viel üben, sondern die viel lesen und die sich Gedanken machen über Musik usw. Das geht schon bei Chopin los und anderen. Chopin hat seinen Schülern verboten, mehr als drei Stunden am Tag zu üben. Das kam überhaupt nicht in Betracht, irgendwie. Und da kenne ich eine ganze Menge anderer Leute auch die, also an großen Künstlern auch, die sagen, es geht überhaupt nicht um das Quantum der Überstunden, sondern es geht darum, dass man, dass man das richtig macht. Wer hat das noch mal gesagt? Liszt, glaube ich: Nicht das Üben der Technik, sondern die Technik des Übens ist das Entscheidende.

Kristin Thielemann: Hallo und herzlich willkommen zur 40. Folge von «Voll motiviert», eurem Musikpädagogik-Podcast. «Voll motiviert» hat ein kleines Jubiläum. Das viel größere Jubiläum aber feiert in diesem Jahr die Zeitschrift «üben & musizieren»: 40 Jahre gibt es dieses Magazin jetzt! Grund genug, einen ganz besonderen Menschen in diese Folge einzuladen. Er ist ein brillanter Kopf, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass es dieses Magazin in seiner heutigen Form gibt. Die Rede ist von Ulrich Mahlert, emeritierter Professor für Musikpädagogik an der Universität der Künste Berlin und jetzt noch an der Hochschule für Musik in Rostock mit einem Lehrauftrag für Klavierliteratur tätig. Ulrich Mahlert ist ein musikpädagogisches Kraftwerk. Viele seiner Publikationen wie «Wege zum Musizieren», «Instrumentalpädagogik in Studium und Beruf» oder auch das «Handbuch Üben» sind moderne Klassiker und seine Beiträge in «üben & musizieren» waren zumindest in meinem Studium heißgeliebte Pflichtlektüre. Und hier kommt er: Ulrich Mahlert. Hallo, lieber Uli. Danke, dass du dir die Zeit nimmst!

Ulrich Mahlert: Ja, hallo liebe Kristin, ich freue mich sehr über die Einladung und bin gespannt, was wir heute besprechen werden.

Kristin Thielemann: Als allererstes mein ganz, ganz herzlichen Glückwunsch, lieber Uli. Denn deine Idee, dass wir zur Fortbildung, zum Austausch und zur Vernetzung ein Musikpädagogik-Magazin brauchen oder auch Musizierpädagogik-Magazin hat gerade Jubiläum und «üben & musizieren» wird jetzt 40 Jahre alt.

Ulrich Mahlert: Ja, ich freue mich auch sehr über dieses Jubiläum. Ich kann das gar nicht fassen, dass das jetzt 40 Jahre sind und dass ich von Anfang an dabei sein konnte und überlege manchmal selbst, wie diese Zeit eigentlich so vergangen ist. Und stelle dann fest, dass sich die Zeitschrift doch eben sehr stark entwickelt hat. Und dass nicht erlahmendes Interesse sicher auch damit zusammenhängt, dass immer wieder neue Themenbereiche und neue Aufgaben hinzugekommen sind. Also das geht sicher noch lange weiter und ich hoffe, dass die Zeitschrift weiterhin einfach Erfolg hat und auf ihrem guten Weg noch eine ganze Weile bleiben wird.

Kristin Thielemann: Davon gehe ich ganz fest aus, dass diese Zeitschrift weiter geliebt werden wird. Ja, wie kam es denn eigentlich dazu, die «üben & musizieren» zu gründen?

Ulrich Mahlert: Ja, das war damals in den 80er Jahren eine Initiative. Es war die Zeit, wo dann die Instrumentalpädagogik, nachdem sie sehr lange Jahre im Schatten der Schulmusikpädagogik gestanden hat, irgendwie so etwas Aufwind bekam. Und da war damals der Schott-Verlag und der VdM initiativ, kann man sagen, in Bezug auf den Wunsch, eine ein Magazin, eine Zeitschrift für die Instrumentalpädagogik zu gründen. Da war damals Christoph Richter, der Schriftleiter von «Musik & Bildung», der da auch Interesse daran hatte, weil er immer ein großes Herz für die Instrumentalpädagogik hatte. Und der Schott-Verlag fragte ihn dann, ob er das irgendwie auf den Weg bringen könnte. Und dann war es zunächst mal eine Option, dass man eine B-Ausgabe von «Musik & Bildung» macht, die einen instrumentalpädagogischen Schwerpunkt haben sollte. Und Christoph Richter fragte mich dann 1983, ob ich Interesse hätte, da irgendwie ins Boot zu kommen und als so eine Art Mit-Schriftleiter mitzuwirken. Und das habe ich natürlich sehr gerne getan. Und ich war jung damals und fand das ganz spannend. Hatte gerade auch eine Stelle in Berlin bekommen, meine jetzige Stelle noch oder damalige Stelle, die ich über 30 Jahre versehen habe. Und dann habe ich zusammen mit dem Reinhard von Gutzeit, der damals die Musikschule Bochum leitete und dann später Bundesvorsitzender des VdM wurde, habe ich zusammen dann diese Arbeit der Schriftleitung übernommen und wir haben ein wunderbares Verhältnis über viele Jahre gehabt. Und ich glaube auch, dass etwas von dem Erfolg dieser Zeitschrift mit unserem guten Verhältnis und dem guten Einvernehmen mit dem VdM zusammenhängen – VdM und dem Verlag natürlich auch.

Kristin Thielemann: Und wann genau ist das erste Heft dann erschienen?

Ulrich Mahlert: Das kam dann raus im Herbst ‘83, so eine Probenummer, die heute eine Rarität ist. Also ich habe etliche Leute… also etliche Leute haben mich danach gefragt, ob es das noch irgendwie zu beziehen gibt und so weiter. Gibt es nicht mehr. Das war ein Versuchsballon, kann man sagen, der aber sofort auch großen Erfolg hatte. Und dann ging das eben richtig mit dem ersten Heft los. Ganz normal im Februar 1984 dann eben jährlich sechs Hefte insgesamt.

Kristin Thielemann: Herbst 1983. Das wäre doch wirklich eine tolle Geburtstagsüberraschung, wenn genau dieses Heft zum 40-jährigen Jubiläum nachgedruckt werden könnte. Oder beispielsweise als QR-Code oder Link für alle Kolleginnen und Kollegen, die ein Abo haben, dann abrufbar wäre. Weil, das sollte doch nicht allzu schwierig sein, sowas heute zumindest in digitaler Form zur Verfügung zu stellen. Das wäre doch wirklich spannend!

Ulrich Mahlert: Auf jeden Fall. Es wäre ein Dokument, weil daran auch sichtbar wird, wie unglaublich weit die Instrumentalpädagogik in der Zwischenzeit sich entwickelt hat. Also dieses erste Heft sieht noch sehr konservatorial aus, kann man sagen. Wirklich noch sehr auf klassische Musik fokussiert und auf traditionelle musikpädagogische Themen beschränkt. Und das mal rauszubringen und zu sehen, wie sich bis heute dieses große Gebiet der Instrumental- und Vokalpädagogik verändert hat, finde ich eine tolle Idee. Werde ich dem Verlag gerne vorschlagen. Du vielleicht auch?

Kristin Thielemann: Naja. Irgendwer wird ja diesen Podcast Korrektur hören. Und dann gute oder weniger gute Gedanken für diese Idee in meine Richtung senden.

Ulrich Mahlert: Wunderbar! Finde ich eine schöne Idee auf jeden Fall.

Kristin Thielemann: Aber warum heißt die Zeitschrift eigentlich «üben & musizieren» und nicht zum Beispiel «musizieren & üben»?

Ulrich Mahlert: Ja, die Reihenfolge über die kann man sich sicher auch Gedanken machen. Also die beiden Begriffe kamen zustande, als der Schott-Verlag irgendwie mit einigen Ideen, die wir zwischenzeitlich mal geäußert hatten, auf die Frage, wie kann denn das Kind heißen, dann verworfen hatte. Da kam dann irgendwie mal so was wie «Musik machen» oder «Musikpraxis». Oder «Klangspektren» hatte jemand ins Spiel gebracht. Und die Schott-Vertreter haben immer abgewunken und haben gesagt: Bloß nicht so ein blumiger Titel, das muss was ganz handfest-haptisches sein! Und dann haben die im Verlag eben ein Brainstorming gemacht, wo wirklich nur die Verlagsmitarbeiterinnen dabei waren. Ich war nicht dabei. Und dann kamen da, sagte mir die Frau Hermann, die war damals die damalige Redakteurin der Zeitschrift, kamen die beiden Stichwörter Üben und Musizieren ganz groß raus. Also das waren die Stichwörter, die wirklich bei allen auftauchten, auch in der Reihenfolge: Zunächst üben und dann musizieren. Also mehr üben als musizieren.

Kristin Thielemann: Oh, wie schade.

Ulrich Mahlert: Wenn man sagt, das muss nun wirklich jeder und das will jeder und dazu will auch jeder Hilfestellungen haben. Zum Musizieren vielleicht nicht unbedingt, aber wie übt man richtig, war ein ganz großes Thema. Naja, und dann waren die beiden Begriffe auf dem Tapet und man nannte das die Zeitschrift «üben & musizieren». Ich fand es nicht so ganz toll, aber es war ja nicht meine Entscheidung. Ich weiß nicht, ob dir die Begriffe gefallen, oder ob du die Reihenfolge monierst, vielleicht auch, oder ob du einen genialen anderen Titel hast. Könnte ja sein, dann könnte man darüber sicher noch mal reden. Aber nach 40 Jahren den Titel zu ändern, das fände ich doch sehr schwierig.

Kristin Thielemann: Das muss nicht sein. Ich finde den Titel ja an sich gut und ich würde ihn auch auf jeden Fall so lassen, weil, er ist ja wirklich auch gewachsen in den letzten 40 Jahren. Und ja, das ist ja schon eine ganze Generation von uns, die auch Impulse, Austausch, Fortbildung, Vernetzung, all diese Sachen wofür «üben & musizieren» steht, die das von «üben & musizieren» bekommen hat. Und deswegen würde ich das nicht ändern. Aber ja, um ganz ehrlich zu sein, ich habe so ein bisschen meine Schwierigkeiten mit dieser Reihenfolge üben und musizieren, gleichwohl es sich besser spricht als musizieren und üben. Aber vielleicht ist es auch einfach nur Gewohnheit. Denn ja, ich denke, was zuerst steht, das nehmen wir ja auch automatisch häufig als etwas wichtiger war als das zweitgenannte. Ich weiß nicht, wie es für dich ist. Für mich steht immer das Musizieren im Zentrum der Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern und das Üben, Entdecken, Experimentieren, Trainieren und und und… wie man das halt so nennen möchte, das gehört natürlich dazu. Aber der zentrale Punkt für mich, wo sich immer alles trifft, das ist ganz klar die Musik, das Musizieren und nicht das Üben. Und dann, ja, wenn wir schon mal so offen und ehrlich sind: Ich habe noch mal Schwierigkeiten, und zwar mit dem Begriff Üben. Und je länger ich unterrichte, desto häufiger versuche ich, dieses Wort üben irgendwie so ein bisschen zu umgehen. Warum? Weil das nämlich so ganz häufig in Verbindung mit Müssen kommt: Üben müssen oder üben sollen. Ich muss noch üben, ich soll noch üben. Und im Grunde ist der Begriff dann recht schnell mit einer Pflicht verbunden, mit einem Auftrag, vielleicht sogar mit einem ungeliebten Auftrag. Und das ist so ein bisschen dann so ähnlich wie mit dem Wort Hausaufgaben. Ich finde, sowohl der Begriff Hausaufgaben als auch Üben – das kann beides schnell schwierig werden, wenn diese Worte negativ aufgeladen sind für unser Gegenüber. Und ja, das wäre natürlich eine Möglichkeit, den Begriff zu ersetzen und zu Schülerinnen und Schülern im Unterricht dann zu sagen: Das könntest du doch mal trainieren. Aber dann läuft es doch eher irgendwann mit dem Begriff Training ganz genauso. Also wenn die Tätigkeit an sich als belastend erlebt wird, dann hat der Begriff recht schnell seinen negativen Touch weg. Da kannst du es glaube ich nennen, wie du willst.

Ich weiß nicht, ob ich da eine bessere Lösung gefunden habe. Ich spreche meistens von Spielen. Ich sage dann oft: «Ja, spiel doch daheim mal ein bisschen mit dieser Stelle!» oder «Spiel mal ein wenig mit diesem ersten Satz», «Spiel mal etwas mit dieser Tonleiter herum.» Das geht dann eine Weile, aber irgendwann bin ich doch wieder beim guten alten Begriff «üben». Und ehrlich gesagt, ich für mich selbst übe auch wahnsinnig gerne, weil ich diese Zeit immer so ganz für mich allein habe und ja dann so richtig schön an Herausforderungen herumtüfteln kann. Also meine Strategie auch in aller Regel, dass ich den Schülerinnen und Schülern zeige, wie spannend oder entspannend, wie lustvoll oder eben auch herausfordernd, wie vielfältig dieses Üben auch sein kann. Dass da auch irgendwie das Kennenlernen von sich selbst drinsteckt, was ja nicht nur musikalisch gesehen, sondern auch für die eigene Persönlichkeit total wertvoll ist. Aber bis es soweit ist, die Beschäftigung mit dem Instrument und die ganzen Hausaufgaben von den Schülerinnen und Schülern auch wirklich als positiv erlebt werden, taucht das Wort üben derzeit nur sehr wohldosiert in meinem Unterricht auf. Wie stehst du denn zu dem Begriff «üben»? Wie sieht es mit dem Bedeutungsspektrum des Wortes «üben» aus, lieber Uli?

Ulrich Mahlert: Na, das war jetzt ein sehr weiter Rundumschlag von dir. Da könnte man wirklich vieles zu sagen und du hast wirklich ganz wichtige Dinge angesprochen. Ich kann da nochmal mit dem letzten Fragen: Wenn du sagst, dass du sehr gerne übst, dann ist damit glaube ich schon ein Element gesagt, ausgedrückt, dass einfach für ein gutes Üben wichtig ist, nämlich die Selbstbestimmtheit. Du übst ja nicht aufgrund von Vorgaben eines Lehrers, einer Lehrerin, die du jetzt wahrscheinlich auch gar nicht mehr hast, sondern du hast es gelernt, mittlerweile selbst zu entscheiden: Was willst du üben, wie willst du üben? Das heißt, du praktizierst diese Tätigkeit ist eine freie und von dir selbst verantwortete, von dir selbst gestaltete Tätigkeit. Und ich glaube, das ist die Schwierigkeit, dahin zu kommen und die Schwierigkeit, die sich am Anfang bei jungen kleinen Schülern, die mit der Praxis des Übens noch nicht so viele Erfahrungen haben, die sich dort bilden, ist eben wahrscheinlich vor allen Dingen, dass so ein Üben nach Rezept des Lehrers der Lehrerin meistens nicht so ganz gut funktioniert. Und der Weg zu einem guten Üben ist meistens ein langer Weg. Und der kann wahrscheinlich auch gar nicht so ganz schnell durch gute Überezepte von Seiten der Lehrenden abgekürzt werden. Ich finde diesen Satz von Eckart Altenmüller, der in seinem Beitrag für das «Handbuch Üben» geschrieben hat, üben wird durch Üben gelernt, einen ganz, ganz tollen Satz. Da steckt nämlich drin, man kann das nicht irgendwie per Vorgabe jedenfalls nicht direkt lehren, sondern es ist eine Praxis, die durch die Praxis eben erlernt wird, durch ein Reflektieren dieser Praxis. Und das ist ein ganz wichtiges Element, um mit dem Üben selbst Erfahrungen zu machen, so dass man das nach und nach als eine selbstbestimmte Tätigkeit wirklich auch praktizieren kann.

Kristin Thielemann: Absolut.

Ulrich Mahlert: Ich finde einfach den Begriff üben, aber nachdem ich mich mit ihm beschäftigt habe, längere Zeit beschäftigt habe, doch einen ganz, ganz tollen Begriff. Und zwar deswegen so toll, weil er eine lange Tradition hat. Der kommt ja eigentlich aus der Philosophie, aus der griechischen Philosophie und hat etwas zu tun mit Lebenskunst und mit Selbstsorge. Das heißt mit der Frage: Wie gestalte ich mein Leben so, dass ich selbst mit mir ins Reine komme und aber auch für die Gesellschaft sinnvoll wirken kann. Also Selbstsorge und Lebenskunst. Das finde ich einen sehr schönen Gedanken. Und wenn man das Üben mal so sieht, dann könnte es sein, dass beim Musikmachen vielleicht auch irgendwie dieser Aspekt der Selbsterfahrung, des Selbstexploration, der Beschäftigung mit sich selbst ins Spiel kommt. Das heißt, es geht dann doch weit hinaus über ein unmittelbares, produktorientiertes Agieren mit dem Instrument. Es geht wirklich auch um die Beschäftigung mit sich selbst. Man unterscheidet ja auch zwischen etwas üben und sich üben. Das ist ja so: Wenn ich ein Musikstück übe, ist es natürlich zunächst mal der Gegenstand des Stückes, den ich übe. Aber mich ja auch selbst als jemanden, der Geduld aufbringen muss, der reflektieren muss, der diesen Prozess mit Fantasie gestalten muss usw. Also es hat immer auch sehr viel mit der eigenen, ich würde fast mal sagen Lebensführung zu tun. Und wenn man den Begriff so sieht, dann ist es ein ganz toller Begriff eigentlich und das wäre jetzt die Aufgabe von Lehrenden, irgendetwas von dem Reichtum dieses Begriffes auch im Unterricht zu vermitteln. Du hast es ja gerade schon angedeutet, wenn du deine Schüler anregst, selbst Musik zu explorieren, auszuprobieren, mit ihr zu spielen usw., dann geht es, glaube ich, wirklich in diese Richtung. Und dann ist eigentlich das, was ich mir als Ideal vorstelle, wirklich erfüllt, nämlich das Üben als richtiger Prozess von Bildung. Ist jetzt Bildung wirklich als aktives Wort verstanden, als ein Prozess verstanden. Und ich denke, dass gutes Üben wirklich so etwas ist wie Bildung.

Kristin Thielemann: Wow, Uli! Und ich sag doch: brillanter Kopf!

Ulrich Mahlert: Das war jetzt auch ein sehr weiter Rundumschlag und ich finde auch, dass man das nicht so ganz schnell handfest vermitteln kann. Aber ich finde eigentlich, dass Lehrende sich mit dem Begriff beschäftigen sollten. Und auch wenn sie das jetzt nicht unmittelbar alles sofort in die Praxis umsetzen können, doch irgendwie durch einen größeren Horizont des Bildungsverständnisses wahrscheinlich ihren eigenen Unterricht auch noch kreativer und noch menschenfreundlicher gestalten könnten, so wie du das bestimmt machst.

Kristin Thielemann: Wer weiß. Ob man das auf der Trompete überhaupt kann?

Ulrich Mahlert: Ich habe ja noch ein Horn hier liegen auch, aber das ist auch eine andere Geschichte. Das müssen wir jetzt auch nicht…

Kristin Thielemann: Okay! Wie siehst du denn das Verhältnis von rein künstlerischen Studiengängen, sowas wie Orchestermusik, im Vergleich zu künstlerisch-pädagogischen Studiengängen in den Musikhochschulen? Bekommt die Musikpädagogik oder auch Musizierpädagogik denn derzeit wirklich die Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die sie braucht, damit Studierende die Wichtigkeit dieses Berufs auch spüren und so von Anfang an zu wirklich enthusiastischen und leidenschaftlichen Lehrkräften werden?

Ulrich Mahlert: Ich tue mich vielleicht etwas schwer damit, das generell zu beantworten, weil ich finde, dass an den verschiedenen Musikhochschulen die Schwerpunkte unterschiedlich gesetzt werden. Also es gibt sicher Musikhochschulen, wo diese rein künstlerische Ausbildung dominiert. Und es gibt andere, wo die Musikpädagogik doch eine stärkere Position gewonnen hat mittlerweile. Ich meine, der künstlerisch Lehrende tun sich oft schwer damit, den Nutzen von pädagogischer Ausbildung zu sehen. Das weiß ich, weil sie immer oder sehr häufig das Gefühl haben, das passiert doch alles bei mir im Unterricht. Wozu dann noch eine pädagogische oder didaktische Ausbildung? So dieses Selbstverständnis, das eigentlich ich in meiner Kompetenz, meiner künstlerischen Kompetenz im Grunde alles abdecke. Das ist, glaube ich, immer noch ein verbreitetes Muster von Selbstverständnissen, von künstlerisch Lehrenden. Aber auch das würde ich nicht generalisieren. Ich glaube, es gibt wirklich mittlerweile viele künstlerisch Lehrende, die sehr wohl wissen, was in den musikpädagogischen Fächern alles passiert.

Kristin Thielemann: Absolut, so nehme ich das auch wahr.

Ulrich Mahlert: Und die auch den Nutzen für die für das künstlerische Studium, also das Studium des Hauptfachinstruments oder des Gesangs sehen und insofern dann auch die musikpädagogische Ausbildung fördern. Ich finde einfach wichtig, dass die Studiengänge eine gute Leitung haben, also dass die musikpädagogischen Studiengänge wirklich jemanden haben, der oder die eine Art Scharnier zwischen künstlerischer und pädagogischer Ausbildung bildet. Der oder die einen guten Kontakt zu den künstlerisch Lehrenden hat und damit verhindert, dass irgendwie so die die pädagogische Ausbildung in so ein stiefmütterliches Abseits gerät, wie das lange Zeit an vielen Hochschulen der Fall war. Gott sei Dank heute nicht überall und ich denke, die Tendenz geht schon dahin, dass die Wertigkeit von musikpädagogischer Ausbildung steigen wird.

Kristin Thielemann: Gebe ich dir vollkommen recht. So gern ich meine Stelle im Profiorchester auch hatte, ich glaube, wenn ich meinem Kind einen Studiengang Musik empfehlen sollte, dann wäre es auf jeden Fall die Musikpädagogik, denn allein durch diese vielfältige und kreative Beschäftigung mit Musik in der Hochschule, gewinnt man so vieles auch für die Tätigkeit im Orchester. Klar, kann natürlich herausfordernd sein, Orchestermusik und Musikpädagogik gleichzeitig zu studieren, aber – ich kann nur für mich sprechen – ich habe diese Kombination der beiden Fächer und auch später die Kombination der beiden Berufe, also eine Orchesterstelle zu haben und gleichzeitig auch noch in der Musikschule zu arbeiten, das habe ich immer als sehr bereichernd für beide Seiten erlebt. Aber ja gut, um in die Verlegenheit zu kommen, muss man ja überhaupt erst mal einen Vertrag bei einem Orchester bekommen. Und das dürfte ja mangels Stellen deutlich herausfordernder sein, als sich im Bereich Musikschule etwas wirklich Schönes aufzubauen. Ja, und daher Musikpädagogik ist für mich das absolute Muss in Kombination oder auch als alleiniger Studiengang.

Ulrich Mahlert: Ganz toll.

Kristin Thielemann: Was sollte denn deiner Meinung nach die Musikpädagogik in der Hochschulausbildung leisten? Was muss drin sein? Was darf drin sein?

Ulrich Mahlert: Ja, das ist auch eine schwierige Frage. Also Musikpädagogik ist ja ein schillernder Begriff. Ich habe mir mal klar gemacht, ich kann eigentlich drei Facetten unterscheiden. Also ich könnte sagen, Musikpädagogik ist zum einen so etwas wie Erziehungskunst, also das, was man mit Intuition und mit Fingerspitzengefühl verbindet. Dann etwas, was ganz stark mit Praxiswissen zu tun hat, also etwas, was man ohne große wissenschaftliche Ausbildung, durch viel Unterrichten und durch viel Nachdenken selbst herausbekommen kann. Und dann natürlich, heute auch, ist Musikpädagogik eine Wissenschaft. Und ich würde mal sagen, diese drei Komponenten von Kunst, also Kunst des Lehrens von vertieftem Praxiswissen und von wissenschaftlich fundierten Untersuchungsergebnissen, diese drei Dinge zusammenzubringen, wäre für mich ein Ideal von Musikpädagogik. Und dann hat man im Grunde so eine Aufgabe wie ein Jongleur, der mit drei Bällen jonglieren muss, nämlich mit diesen drei Komponenten immer wieder fantasievoll umgehen muss. Und ich finde immer, dass keines von den dreien zu kurz kommen darf. Also weder die Intuition noch das Praxiswissen, noch die wissenschaftlichen Ergebnisse. Und das müssten irgendwie Lehrende an Studierende weitergeben. Dann ist das das Fach, glaube ich wirklich produktiv.

Kristin Thielemann: Der Jongleur mit drei Bällen, das ist… Das ist ein ganz tolles Bild, Das gefällt mir, Uli!

Ulrich Mahlert: Ich kann vielleicht noch eins sagen aus meiner eigenen Erfahrung. Ich fand immer so toll, dass man in dem Fach so viel Freiraum hat. Also keiner schreibt einem da viel vor. Gut, es gibt Studienordnung, natürlich. Aber das Fach hat ja jetzt nicht diese Tradition, wie etwa das Fach Musikwissenschaft oder wie andere Fächer. Das heißt, man kann unglaublich viel selbst tun. Also man kann seine eigenen Interessen einbringen, man kann neue Dinge auffangen. Ich weiß nicht. Damals kam die Kommunikationspsychologie ganz intensiv auf. Dann gab es eine Welle, wo die Physiologie plötzlich eine sehr, sehr große Rolle spielte. Dann sind es natürlich Themen wie Interkulturalität und wie Migration jetzt in letzter Zeit. Also alles Themen, um die sich wirklich die Musikpädagogik kümmern kann und kümmern sollte auch, weil die oft in anderen Fächern nicht so aufgegriffen werden. Also das finde ich ein ganz großes Plus des Fachs, so immer nah am Puls der Zeit sein zu können und immer irgendwie auch so eine integrative Funktion wahrnehmen zu können.

Kristin Thielemann: Stimmt, das macht mir auch wirklich viel Freude und dadurch erlebe ich auch die Inhalte, die ich unterrichte, immer wieder neu und immer wieder anders.

Ulrich Mahlert: Toll, geht dir auch so?! Ja, das macht auch jeder individuell. Also das ist übrigens noch ein Punkt, den ich toll am Fach Musikpädagogik finde, wenn man sich die Lehrenden an den deutschsprachigen Hochschulen anschaut, die haben alle unterschiedliche Schwerpunkte. Und dementsprechend ist das Fach Musikpädagogik auch an den Hochschulen verschieden gefüllt. Also ich komme sehr stark aus der Musikwissenschaft zum Beispiel. Es gibt Kollegen, die kommen mehr aus der EMP, oder haben da einen Schwerpunkt, oder aus der Erziehungswissenschaft, oder aus der Neuen Musik zum Beispiel. Es gibt auch Musikpädagogen, die sehr stark von der Alten Musik herkommen. Dann hat natürlich jeder Lehrende, jede Lehrende auch ihr eigenes Hauptinstrument, was ja auch schon wieder im Schlepptau hat bestimmtes Repertoire und bestimmte Herangehensweisen an Musik und so weiter. Also von daher ist das Fach einfach auch in seiner konkreten Ausgestaltung immer sehr stark geprägt von den einzelnen Lehrern und deren Schwerpunkten. Das ist eigentlich auch schön, finde ich, weil das dazu führt, dass das Fach eine große Vielfalt bekommt.

Kristin Thielemann: Wie war das denn in deinem Musikstudium? Wie war denn da das Fach Musikpädagogik? Wie hast du das erlebt?

Ulrich Mahlert: Also da war nichts eigentlich oder fast nichts. Ich habe damals die sogenannte staatliche Prüfung für Musiklehrer abgelegt, der SMP, Das waren sechs Semester und da hatte man… ich habe zwei Semester Methodik und zwei Semester Musikpädagogik. Und die Haupterfahrung, die ich in Musikpädagogik gemacht habe, war ein Seminar bei meinem damaligen Lehrer Lars Ulrich Abraham, von mir hochverehrt. Ein ganz wunderbarer Mann mit einem tollen Horizont, der aber eigentlich von Instrumentalpädagogen usw. praktisch keine Ahnung hatte, auch sich dafür nicht interessiert hat. Und der einfach uns Studierende dazu gebracht hat zu finden, dass wir selbst verantwortlich sind für das, was wir lernen wollen. Der plauderte in seinem Seminar so und dann saß man da und fragte sich: Was soll das jetzt eigentlich? Und irgendjemand sagte dann: «Also ich möchte jetzt mal was Richtiges lernen hier!» Und dann bekam er ganz große Ohren und sagte: «Ja, das ist interessant! Sagen Sie doch mal, was Sie lernen wollen!» Und da ging mir ein Licht auf, dass wir merken Mensch, wir haben eigentlich so eine Bedienhaltung. Wir gehen davon aus, dass uns gesagt wird, was wir in Musikpädagogik zu lernen haben. Aber selbst haben wir im Grunde keine Vorstellung davon. Und das hat sich durch dieses Erlebnis für mich jedenfalls eigentlich lebenslang umgestülpt. Also ich habe mich immer gesehen von da an, als jemanden, der selbst für sein eigenes Lernen verantwortlich ist und dann eben auch möglichst in der Lehrveranstaltung in späteren Jahren so gestalten wollte, dass das die Interessen der Studierenden zum Zuge kamen und die auch selbst die Subjekte ihres Studiums und nicht die Objekte einer Belehrung wurden.

Kristin Thielemann: Ja, das finde ich ganz gut, dass du das sagst, weil dieses diese «Konsumhaltung», das wird ja den Kindern heute schon häufig in der Schule so beigebracht. Hier ist der Lehrplan und Lehrer/Lehrerin gestaltete pfiffige Stunde und füllt das Wissen in die Kinder rein. Und ja, ich weiß nicht, wenn du Kinder und Jugendliche mit dieser Haltung im Unterricht hast, das finde ich ein bisschen mühsam. Ich versuche sie dann immer so ein bisschen aufzubrechen, dass sie sich selber was vornehmen, was sie wissen wollen, weil dann laufen sie viel leichter und ja, viel motivierter, intrinsisch motivierter. Und dann kann ich viel besser das tun, was ich eigentlich tun möchte, nämlich Menschen auf ihrem Weg in die Welt der Musik zu begleiten und hin und wieder mal zu sagen: «Guck mal, wir sind hier auf unserer Autobahn des Lernens unterwegs und wenn du magst, hier wäre eine tolle Abfahrt. Ich war da schon mal, wir können mal zusammen rausfahren, können mal gucken, wie es dir gefällt!» Und dann entdeckt man halt da irgendwie tolle Wanderwege oder tolle Gegenden. Und dann geht man irgendwann wieder auf diese Autobahn des Lernens zurück und sucht sich die nächste Ausfahrt und so sehe ich das eigentlich viel mehr. Aber wenn sich jemand einfach in den… ja, in das Auto, in den Bus setzt und sagt: «So ja, liebe Kristin, liebe Lehrerin, jetzt fahr du mal los, zeig mir mal alles. Irgendwann bin ich am Ende angekommen der Autobahn, ich bin irgendwann am Ziel!» So läuft das nicht.

Ulrich Mahlert: Ganz toll. Du hast ja auch einen wunderbaren Text geschrieben. Ich werde dich nie vergessen in dem Üben-Heft von «üben & musizieren». Ich glaube im letzten Jahr war das, wo genau dieser Ansatz, nämlich wirklich die Schüler zu Selbstgestaltern ihres Lernenwollens zu machen und auch davon auszugehen, dass sie selbst bereit sind und fähig sind dazu, ihre eigenen Interessen zu entwickeln, zu artikulieren, das kam in diesem Text ganz toll raus und den würde ich wirklich allen Studenten, wenn ich jetzt lehren würde, sehr empfehlen.

Kristin Thielemann: Jetzt werde ich rot, Uli. Aber sieht ja keiner außer dir. «Das Üben von morgen» heißt der Text. Stelle ich mal in die Shownotes, den Link und ich vermute aber, dass es nur für die Person zu lesen, die auch ein Abo haben. P.S. Abo gibt es auch als Digital-Abo – für alle Fans der Nachhaltigkeit.

Ulrich Mahlert: Ich komm’ an deine wunderbare Verbalisierungsfähigkeit bei Weitem nicht ran.

Kristin Thielemann: Ach komm. Sagt der Mensch mit den wunderbarsten Verbalisierungsfähigkeiten überhaupt. Düt, düt. Gehen wir mal weiter. Jetzt bist du wieder jemand, lieber Uli, der die Musikpädagogik extrem geprägt hat. Denn wenn man sich mal so umschaut, sind durch deine Schule viele, viele Menschen gegangen, die jetzt selbst die Musikpädagogik prägen. Wie ist dir das gelungen, Uli?

Ulrich Mahlert: Na ja, das war… das hing damit zusammen, dass in Berlin, glaube ich, als erster von allen deutschen Hochschulen an der UdK ein Promotionsstudiengang auch für Instrumentalpädagogen eingeführt wurde. Das gab es damals noch nicht und wir hatten immer die Promotionsordnung für die Schulmusiker. Und dann haben wir das erweitert auf die Instrumental- und Vokalpädagogen. Und dann kamen doch einige wirklich sehr kluge Köpfe, die promovieren wollten in diesem Fach. Und ich habe dann immer etliche Promovenden gehabt neben meiner Lehre. Es war immer ganz toll, weil das natürlich wirklich eine sehr intensive und richtig bohrende Arbeit gewesen ist für die Studierenden, wie für mich auch. Ja, und das sind ein paar sehr gute Leute draus rausgekommen, kann ich schon sagen, die jetzt Professoren geworden sind.

Kristin Thielemann: Einfach toll!

Ulrich Mahlert: Bin ich auch sehr stolz irgendwie drauf und freu’ mich. Also es ist jetzt nicht mein Werk sondern…

Kristin Thielemann: Ach, jetzt komm aber!

Ulrich Mahlert: Sondern das ist einfach… Es hängt zusammen wie gesagt, mit dem Promotionsstudiengang und…

Kristin Thielemann: …und mit dir.

Ulrich Mahlert: Und auch damit, dass die Instrumentalpädagogik sich in diesen Jahren, Jahrzehnten enorm weiterentwickelt hat. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass 1984, als die Zeitschrift «über & musizieren» gegründet wurde, potenzielle Promovenden in diesem Fach vorhanden waren. Das gab es gar nicht. Also ich habe in Musikwissenschaft promoviert, zum Beispiel. Es gab damals überhaupt nicht die Möglichkeit, in diesem Fach zu promovieren. Das ist alles eine Folge, kann man sagen, der Konsolidierung dieser Disziplin und dieses großen Fachs. Allgemeine Instrumentaldidaktik, wie es an manchen Hochschulen heißt, oder einfach Instrumental- und Vokalpädagogik.

Kristin Thielemann: Ja, aber um bei dem Bild zu bleiben: Du hast eine Autobahn nicht nur eine Abfahrt gebaut, sondern du hast ein Autobahnkreuz gebaut an dieser Stelle. Und da haben jetzt Menschen diese neue Autobahn weitergebaut, für die du da ein Autobahnkreuz hingebaut hast. Und deswegen gibt es da jetzt so viele, die dieses Fach auch unterrichten und auch gut unterrichten. Und ja, dafür darfst du dir auf die Schulter klopfen. Das hast du… Das ist perfekt. Das ist dein Werk!

Ulrich Mahlert: Mit der Autobahn, das gefällt mir sehr gut, weil das eben auch zeigt, in wie viele verschiedene Richtungen diese Thematiken von Promotionen laufen können. Ich kann vielleicht noch eins sagen: Ich fand immer ganz, ganz inspirierend und wirklich produktiv in Berlin hier, dass ich dieses Doktorandenkolloquium, was ich hatte gemeinsam mit, jedenfalls in den ersten Jahren, gemeinsam mit meinem Kollegen Christoph Richter, der die Schulmusik hier leitete, gemacht habe. Und da kamen dann einfach diese Schulmusikpromovenden und die Instrumentalpädagogikpromovenden zusammen. Und das war einfach ein anregender Wechselprozess, der auch verhindert hat, dass das sich so Ghettos bilden und so «Lagermentalität» einstellt. Und das würde ich mir eigentlich wünschen. Ich würde mir wirklich wünschen, dass die beiden Bereiche Schulmusik und Instrumentalpädagogik nach einer Zeit, in der sich die Instrumentalpädagogik besonders sehr stark auf sich selbst besonnen hat und konsolidiert hat, dass die jetzt wieder mehr zusammenrücken würden. Und da wäre zum Beispiel ein gemeinsamer Promotionsstudiengang und gemeinsamer Kolloquia wären ein schöner, wichtiger Schritt in diese Richtung.

Kristin Thielemann: Würde sich ja auch anbieten, denn Musikschulen und allgemeinbildende Schulen wachsen ja jetzt auch immer stärker zusammen, auch im Zuge dieser Ganztagsbetreuung. Und es gibt ja viele tolle Projekte. Wir hatten zwei Damen hier, die das EMSA-Projekt vorgestellt haben und die Verantwortliche sind diesem EMSA-Prozess. Und das fand ich schon mal ganz toll. Und man erlebt es ja auch anderenorts, dass das immer mehr Musikschulen in Schulen reinwachsen, dass Musikschulen auch an, ja an professionelle Orchester oder auch Opernhäuser dran wachsen. Weiß ich nicht ,ob man da nicht vielleicht ganz toll was lostreten könnte, wenn man das auch mehr zusammenfasst Schulmusik und Musikpädagogik.

Kristin Thielemann: Aber ist nur laut gedacht. Vielleicht kriegen wir jetzt ja auch ganz viel in Anführungszeichen Fanpost für diesen Gedanken.

Ulrich Mahlert: Du hast gerade wunderbar beschrieben, wie diese beiden Praxisfelder, also Schulmusik und Instrumentalpädagogik, gerade in der Praxis eben auch in der Berufspraxis zusammengehören. Stichwort Musikvermittlung, Stichwort Kooperationen von Musikschulen und allgemeinbildenden Schulen usw. Und dann kommt natürlich noch dazu, dass mittlerweile sehr viele Absolventen von instrumentalpädagogischen Studiengängen, weil einfach die Berufssituation an den Musikschulen zum Teil ja wirklich nicht sehr rosig ist, als Quereinsteiger an die allgemeinbildenden Schulen gehen. Das heißt, auch das muss man bedenken, also die der Berufsbezug der Instrumentalpädagogikabsolventen zum späteren Berufsfeld Schulmusik, zum möglichen späteren Berufsfeld Schulmusik, den sollte man auch in Rechnung stellen. Das alles spricht dafür, dass einfach die beiden Studiengänge in der Praxis noch viel enger zusammengehen und sich noch viel mehr gegenseitig stützen.

Kristin Thielemann: Gebe ich dir vollkommen recht. Ich glaube nur, dass wir haben ja einen irren Fachkräftemangel. Es sind ja so viele Stellen frei. Und wenn du auch mit Musikschulleitenden sprichst, die sind ja teilweise dabei, anderen Schulen ihre Lehrkräfte abzuwerben, um ihre Stellen besetzen zu können. Das ist ja praktisch Jobgarantie im Augenblick, wenn du Musikpädagogik studierst. Und das ist natürlich toll, weil unsere Autobahn ist frisch geteert.

Ulrich Mahlert: Kann man so sagen. Wogegen die Absolventen künstlerischer Studiengänge ja, zum allergrößten Teil, und du weißt das als Trompeterin besser als ich selbst, zum allergrößten Teil das Berufsziel, was ihnen vom Studienideal vorgestellt wird, nämlich ins Orchester zu kommen, ja fast nicht erreichen. Also das ist ein geringer Prozentsatz der Absolventen, die tatsächlich eine Orchesterstelle bekommen. Und insofern müsste man sich auch überlegen, ob dieses Studium der reinen künstlerischen Ausbildung nicht irgendwie an der Wirklichkeit vorbeigeht. Denn der Output derer, die dann wirklich eine Orchesterstelle bekommen, der ist so gering, dass man eigentlich nicht mit Fug und Recht das ganze Studium auf dieses Berufsbild abstellen kann. Also da würde jetzt heute unbedingt mehr Musikvermittlung dazu gehören. Es würde unbedingt auch eine zumindest ansatzweise musikpädagogische Ausbildung dazugehören. Viele Hochschulen machen das auch schon, aber ich denke, da könnte wirklich noch mehr gemacht werden. Und dieses alleinige Setzen auf ganz in Anführungszeichen ganz hohe künstlerische Fähigkeiten, üben, üben, üben, finde ich einfach eine wirklichkeitsblinde und eigentlich fahrlässige Art der Ausbildung.

Kristin Thielemann: Ja, es ist fahrlässig und es ist auch verantwortungslos den jungen Menschen gegenüber, die ja immer für eine hohe Leistung auf dem Instrument gelobt werden. Die belohnt werden bei Wettbewerben, wenn sie eine tolle Leistung bringen, die dann Aufnahmeprüfungen machen an der Hochschule und wenn sie zu den Leistungsträgern gehören, wird ihnen empfohlen: «Ja, machst du Orchestermusik!» Ja und dann, ja, prügelst du dich um die paar Stellen, die da sind. Und wenn es dir so geht wie mir, kriegst du dann auch irgendwann eine feste Stelle. Aber das ist auch gar nicht unbedingt ein Leben lang Spaß macht, im Orchester zu sitzen… ich meine, es kommt sicherlich auch immer aufs Orchester an, du kannst da Glück, kannst ein bisschen weniger Glück haben, aber immer Dinge noch mal und noch mal zu tun, und lass die Oper so schön sein, wie sie will oder die Sinfonie, aber wenn du sie dann einfach am Fließband spielst und dann ist die Stimmung nicht so doll und du kannst dich nicht wegsetzen. Du sitzt neben jemandem, wo du dich nicht so wohl fühlst. Also ich habe es schon.. nicht immer, aber ich habe es häufig erlebt auch, dass ich mit Kollegen aus meinen ehemaligen Orchestern spreche: «Ach Mensch, toll. Und was spielt ihr denn?» «Ich kann's nicht mehr hören. Ich kann es nicht mehr hören.» Oder: «Was spielt ihr heute Abend?» «Ach, ich weiß gar nicht. Aber es ist zum Glück kurz!» Ach Gott, was ist das denn für eine Motivation? Und wenn ich dann aber mit Menschen spreche, die unterrichten, dann merke ich das erstmal, wenn sie ihren Job an der Musikschule kriegen, dass sie mit der Motivation relativ weit unten sind, weil sie denken: Ah, ich habe es nicht geschafft, ich muss ja jetzt quasi an die Musikschule! Und das dann im Laufe des Berufslebens die Motivation aber deutlich ansteigt, weil sie erst mal merken, was sie für viel Potenzial haben auch mit ihrer Tätigkeit. Und mir schwebt ja eher so eine, so eine Kombination vor zwischen Job im Orchester und Musikschule. Das finde ich jetzt viel, viel idealer, dass man sich da auch viel, viel kreativer ausleben kann.

Ulrich Mahlert: Es gibt auch Umfragen dazu. Also, ich kann das jetzt nicht ganz genau sagen, aber ich weiß, dass man Orchestermusiker gefragt hat, was ihre Berufsideal wäre und da kommt eine Mischtätigkeit raus.

Kristin Thielemann: Oh, spannend.

Ulrich Mahlert: Die meisten Orchestermusiker selbst wollen das gar nicht, dass sie wirklich ausschließlich im Orchester tätig sind. Und ich denke, das ist auch wieder ein Ansatz für ein anderes Studium. Ein Studium müsste eigentlich so ausgerichtet sein, dass man mit dieser Ausbildung wirklich auch gut pädagogisch tätig sein kann. Und beides geht gut zusammen, denke ich mal.

Kristin Thielemann: Auf jeden Fall!

Ulrich Mahlert: Und ich hoffe, dass in den nächsten Jahren da einfach noch mal neue Bewegung reinkommt.

Kristin Thielemann: Ja, und ich meine Hand aufs Herz, das ist ja… Musikpädagogik ist ja jetzt auch inhaltlich kein Hexenwerk. Das wäre ja was, was man noch schön ergänzend dazu lernen könnte. Ich meine, gut, wenn man Trompete studiert, dann übt man natürlich auf die Stundenzahl gerechnet wahrscheinlich deutlich weniger als vielleicht jemand, der Geige als Hauptfach hat oder Klavier. Aber also ja, was ich alles so im Studium noch nebenher machen konnte, kann ich mir vorstellen, dass das der eine oder andere auch schaffen würde.

Ulrich Mahlert: Mir hat ein renommierter Professor an der UdK, den ich sehr schätze, Philharmoniker ehemals gesagt: «Herr Mahlert, die Studenten haben keine Zeit, noch Musikpädagogik zu machen. Die müssen üben, üben, üben!» Ich weiß nicht, damit sie einen bestimmten hohen Ton bekommen müssen, so und so viele Stunden am Tag, nach seiner Aussage geübt werden, sonst läuft das einfach nicht. Und naja, das ist halt das, was in einigen Köpfen noch so drinsteckt: Wenn unsere Absolventen wirklich eine Chance auf eine Orchesterstelle haben müssen, dann müssen sie alles auf die Karte der künstlerischen Ausbildung setzen und sonst ist es von vornherein keine Aussicht da, dass es klappen wird. Und ich glaube das nicht, dass es so ist. Sondern ich glaube, dass ein breiter aufgestelltes Studium mit einer, Stichwort üben jetzt wieder, mit einer stärkeren Betonung von Selbstreflexivität, Selbstbestimmtheit, Metakognition des Übens was mache ich da eigentlich? Wie kann ich die Zeit gut nützen, dass das also ein Studium, was in diese Richtung gehen würde und weg von dieser quantitativen Höchststundenzahl von Üben jeden Tag wegkommt, dass das ein viel produktiveres Studium sein würde und am Ende wahrscheinlich damit auch die künstlerischen Leistungen viel höher sein würden.

Kristin Thielemann: Und letztlich muss man das ja auch mal so sehen: Durch die ganzen, durch die ganzen Medien, die wir haben, durch Social Media, durch YouTube, durch die Möglichkeit, auch Lernprozesse aufzunehmen, unseren Schülerinnen und Schülern zu zeigen… Sie kommen viel schneller ins Reflektieren und die Leistung, die du heute hörst bei «Jugend musiziert» die, die ist wirklich verglichen mit dem, was vor einigen Jahren war es ist das ist das ist irre, was jetzt selbst sehr sehr junge Kinder schon spielen. Von dem her auch die Leistung der Studierenden ist ja auch teilweise viel, viel höher als das, was wir jetzt vor 20, vor 30 Jahren kannten. Einfach dadurch, dass wir so viel mehr Vorbilder haben, dass wir so viel mehr wissen, wo es hingehen muss und ja, dass wir uns selber auch permanent auch selbst im Üben unterstützen können mit diesen digitalen Features. Und von dem her, also ich weiß nicht, ob man da wirklich noch so, so, so viele Stunden braucht und absolut keine Zeit findet für die Musikpädagogik, oder ob man diese Zeit nicht finden will.

Ulrich Mahlert: Ja, das glaube ich auch. Die ganz großen Künstler üben ja gar nicht so viel. Also wenn man sich mal so mit dem Üben von herausragenden Künstlern beschäftigt. Das sind größenteils Menschen, die nicht so viel üben, sondern die viel lesen und die sich Gedanken machen über Musik usw. Das geht schon bei Chopin los und anderen. Chopin hat seinen Schülern verboten, mehr als drei Stunden am Tag zu üben. Das kam überhaupt nicht in Betracht, irgendwie. Und da kenne ich eine ganze Menge anderer Leute auch die, also an großen Künstlern auch, die sagen, es geht überhaupt nicht um das Quantum der Überstunden, sondern es geht darum, dass man, dass man das richtig macht. Wer hat das noch mal gesagt? Liszt, glaube ich: Nicht das Üben der Technik, sondern die Technik des Übens ist das Entscheidende.

Kristin Thielemann: Wie schön.

Ulrich Mahlert: So. Also Metakognition und das… Selbstreflexion und das Planen des Übens ist schon ganz stark betont. Und wenn man in diese Richtung geht, dann glaube ich, ist man auf einem guten Weg und kann dann noch viele andere Dinge nebenher machen.

Kristin Thielemann: Ja, gebe ich dir vollkommen recht und das ist ja auch ein wahnsinnig schönes Zitat.

Ulrich Mahlert: Finde ich auch. Das habe ich übrigens in meinem ersten Semester in Berlin den Studenten als ein Klausurthema gestellt. Damals mussten die einen nur schreiben und ich habe die diesen Satz interpretieren lassen. Das waren… kamen sehr schöne Ergebnisse raus. Das ist.

Kristin Thielemann: Bestimmt spannend.

Ulrich Mahlert: Das kannst du auch weglassen.

Kristin Thielemann: Nein, vielleicht wäre das ja was, das jeder für sich selber, der das hier jetzt hört oder die das jetzt hier hört, da auch mal was drüber schreiben möchte.

Ulrich Mahlert: Ja

Kristin Thielemann: Aber ich glaube einfach, ich meine, es sind ja schon so Kleinigkeiten, die der Öffentlichkeit suggerieren oder den Studierenden oder den Absolventinnen und Absolventen, welche Wertigkeit die Musikpädagogik hat. Wenn man dann auf den Webseiten und Social-Media-Kanälen von den Hochschulen schaut, dann werden herausragende künstlerische Leistungen gewürdigt und gefeiert. Und ich sehe das absolut ein. Ich gebe da auch mein Like. Ich freue mich auch für jeden, der eine Stelle bekommt und der das alles schön macht. Aber man sieht ja höchst selten, wenn Absolvierende einen schönen Arbeitsplatz an einer Musikschule bekommen, wohingegen die Berufung an eine Hochschule wieder gefeiert wird. Und so stellt sich natürlich bei den Studierenden und der Außenwelt auch schnell mal der Eindruck ein, der Arbeitsplatz an einer Musikschule wäre so eine Art in Anführungszeichen «Resterampe».

Ulrich Mahlert: Ja.

Kristin Thielemann: Und jetzt muss ich eine kleine Sidenotiz anfügen, denn der Begriff «Resterampe» ist nicht von mir. Ich habe das nur in der letzten «üben & musizieren» in einem sehr knackigen und wirklich hervorragenden Beitrag von Thomas Rietschel gelesen. «Resterampe» finde ich natürlich krass formuliert, sehr schwarz-weiß, plakativ, aber ich glaube, dass dieses Kontrastieren auch dabei hilft zu verstehen, dass wir mit dieser Art, wie künstlerisch-pädagogische Studiengänge manchmal auch in der Öffentlichkeit wirken, dass wir ganz, ganz dringend davon weg müssen, diese künstlerisch pädagogischen so als Resterampe zu verkaufen. Ist natürlich nicht an allen Hochschulen so, aber es ändert sich gerade, ist meine Wahrnehmung. Aber ja, kann ja jeder mal, der Social-Media-Kanäle hat, dieses Experiment für sich selbst machen und mal diese Kanäle von Hochschulen anschauen und sich fragen: Was steht denn hier eigentlich im Zentrum der öffentlichen Darstellung? Kommt schon bei manchen Hochschulen wirklich dieses Schwarzweiß-Bild heraus.

Ulrich Mahlert: Also wir haben jetzt zum Beispiel in Berlin immer den Usus, dass die Fakultätsratsprotokolle ausgehängt werden und da ist dann immer so eine Leistungsbilanz. Dann steht dann immer, welche Absolventen aus welchen Klassen eine Orchesterstelle bekommen haben. Und da habe ich einmal gesehen, dass aus einer Klasse, ich sage jetzt mal nicht den Instrumentalisten, aus einer wirklich sehr renommierten Klasse ein Student erwähnt war, der hatte eine Stelle als Lehrer an einem Internat bekommen. Und da habe ich gesagt: «Holla! das ist wirklich eine interessante Sache.» Man sieht daran, dass der Lehrer dieses Studenten, es ein Lehrer, sehr stolz darauf war, dass dieser Student eine Stelle an einem Internat bekommen hatte. So ist es mittlerweile auch manchmal und ich gebe dir aber völlig recht, dass in der Regel dominieren natürlich die die errungenen Stellen in Orchestern und an Hochschulen. Ich denke immer wieder auch, es hängt sehr stark ab davon, wie der Studiengang Musikpädagogik, also der künstlerisch-pädagogische Studiengang sich an der Hochschule darstellt, ob er eine gute Leitung hat, ob er seine Pfunde wirklich einbringt, ob er das für das Bewusstsein tätig ist, dass dort wirklich große Leistungen erbracht werden. Und wenn das so ist, glaube ich, wird man viele Kollegen finden, die das toll finden, wenn jetzt Absolventen eine gute Musikschulstelle bekommen haben oder sonst irgendwo in einer Vermittlungstätigkeit gelandet sind, die die einfach einen wichtigen Beitrag zum Musikleben leistet. Also ich würde sagen, das hängt immer auch sehr stark von den Leuten selbst ab. Also wenn, wenn die Studiengänge nicht gut geleitet sind und eine zu schwache Außendarstellung da ist und die Kontakte zu den anderen Lehrenden nicht so eng sind, ja dann darf man sich nicht so sehr wundern, dass irgendwie diese musikpädagogischen Studiengänge weiterhin ein bisschen abseits bleiben.

Kristin Thielemann: Und ich finde, es geht ja im Studium auch letztlich darum, dass die jungen Menschen, die an so einer Hochschule studieren, dass die am Ende auch Aussicht auf einen Beruf haben, der ihnen ein Leben ermöglicht. Der in Einzahlen in irgendeine Form von Rentensystem ermöglicht, ja der es ermöglicht, eine Familie zu ernähren, sich Wünsche zu erfüllen, die man hat, vielleicht materielle Wünsche. So dass auf jeden Fall hinterher, wie man in sagt man so schön, in Lohn und Brot steht. Und ob das jetzt eine Musikschule ist oder ein Orchester oder eine Mischform oder Musikvermittlung. Ich meine, wichtig ist einfach: Junge Menschen haben einen Job am Ende.

Ulrich Mahlert: Auf jeden Fall.

Kristin Thielemann: Aber ich könnte mir vorstellen, dass eine höhere Wertschätzung eines Berufs auch mit höherer Bezahlung einhergeht. Und da ist natürlich jetzt gerade so wirklich einiges im Umbruch an Musikschulen. Stichwort Fachkräftemangel. Weg von Honorarbeschäftigung, hin zu Festanstellungen. Und ja, danach sieht es ja gerade in vielen Bundesländern aus. Und gerade Fächer wie EMP haben ja in vielen Regionen in Deutschland einfach eine Jobgarantie. Und toll finde ich auch Wettbewerbe, wo gelungene musikpädagogische Projekte prämiert werden. Wo siehst du denn noch Möglichkeiten, um die Wertschätzung der Musikpädagogik zu erhöhen?

Ulrich Mahlert: Na ja, ich meine, es gibt den Wettbewerb «Musikpädagogik» von den deutschen Hochschulen und dem VdM getragen. Und der findet meines Wissens alle zwei Jahre statt und ich war auch ein paar Mal in der Jury dabei. Und da kommen natürlich eine ganz ganze Menge an hochinteressanten Projekten, die an Hochschulen entwickelt worden sind, kommen da zusammen und da staunt man wirklich, was da alles an tollen Ideen geboren wird. Und ich denke mal, dass dieser Wettbewerb ein sehr guter Schritt ist. Gerade auch deswegen, weil er von wie gesagt, von beiden Seiten, von beiden Bereichen, nämlich der Ausbildung und der Berufspraxis, eben Hochschulen und VdM getragen wird.

Kristin Thielemann: Aber ich könnte mir vorstellen, dass man gerade mit so Wettbewerben auch noch viel früher ansetzen könnte, weil das ganze Gute, was jetzt «Jugend musiziert» vollbracht hat für die Orchestermusik auch, das könnte man doch auch versuchen für die Musikpädagogik zu vollbringen, indem man auch viel Jüngere noch anspricht. Und jetzt ist es doch bei Formaten wie «Jugend musiziert», da steht ja immer die hohe künstlerische Leistung im Fokus. Wenn man da jetzt eine Sparte anfügen könnte, wo es um Musikvermittlung geht, das könnte ich mir gut vorstellen. Und der Wettbewerb, der war ja wirklich einmalig, oder ist wirklich einmalig und hat schon super, super viel Gutes bewirkt für die Orchestermusik. Aber jetzt benötigen wir einfach ganz, ganz dringend musikpädagogische Fachkräfte. Menschen, die Musik vermitteln möchten und die unterrichten möchten. Und vielleicht wäre es doch mal einen Versuch wert, hier so eine gesonderte Sparte einzufügen, wo es eben diesen Wettbewerb für Musikvermittlungsprojekte gibt wäre.

Ulrich Mahlert: Dann wäre ein totales Umdenken. Also die Vorstellung, dass jetzt Kinder und Jugendliche ihre Stücke kommentieren und sich Gedanken darüber machen, wie sie die wo vermitteln können. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob man sie vielleicht damit überfordert, aber da fängt im Grunde ja auch schon wieder die Frage der Ausbildung und des Übens an. Also was passiert im Üben? Ist es nur eine mechanische Tätigkeit, die zu bestimmten Ergebnissen führen soll? Oder ist Üben eine breite Beschäftigung mit Musik, in der auch die Fragen eine Rolle spielen, was gibt es da für Hintergründe, wie kann ich das jemandem erklären, wie kann ich jemanden in die Musik einführen, eine Rolle spielen. Und ich denke mal, wenn ein guter Musikunterricht diese Breite hätte, dann wäre das gar nicht so weit entfernt von dem, was du gerade beschrieben hast, nämlich der Aufgabe, in Wettbewerben auch Musikvermittlung zu betreiben, die eigenen Stücke möglicherweise zu vermitteln.

Kristin Thielemann: Sowas habe ich auch gerade gedacht. Ob man nicht sagt: Komponiere dein eigenes Stück und dreh ein Tutorial, wie man das anderen Menschen beibringen könnte. Das soll jetzt… könnte ein Tutorial sein, was auf irgendeiner Videoplattform läuft. Aber ich glaube, jeder, der mal ein Videotutorial gedreht hat, der weiß einfach, was das für ein Schatz ist, wenn du einmal durch diesen Prozess gegangen bist, das einmal komprimiert auf weiß ich nicht drei Minuten zu erklären und dann das aber wieder live im Unterricht Eins-zu-eins-Präsenz oder eins zu Gruppe erklären möchtest. Und ich glaube, darin liegt ganz viel Potenzial, wenn man ab und zu mal ein Videotutorial dreht. Und selbst wenn man das gar nicht irgendwie irgendwo online stellt. Aber dass man das vielleicht als Aufgabe macht, weil sonst finde ich das auch schwierig, so Musikvermittlung irgendwie zu bewerten.

Ulrich Mahlert: Ja ich meine, du bist natürlich als Lehrerin viel näher dran als ich. Du gehst sehr viel mit Medien um. Du gibst deinen Unterricht, in dem die Medien toll genutzt werden und wahrscheinlich sind die Schüler auch sehr weit. Also manchmal sind sie ja sogar weiter als die Lehrkräfte und die können mit den Geräten gut umgehen. Und von daher finde ich das eine brilliante Idee, dass man darauf mal eingeht und einfach die Medienkompetenz der Schüler, die in der Regel ja wirklich vorhanden ist, in einem ziemlich hohen Maße vorhanden ist, dass man die so in ihn einbringt und damit verbindet eine bestimmte Aufgabe für Wettbewerbe auch. Könnte ich mir schon vorstellen. Schön ist natürlich auch, wenn so das Sprechen geübt wird. Also wenn das Verbalisieren von Musik auch eine Rolle spielt. Und vielleicht können das nicht alle Schüler gleichermaßen. Aber es gibt sicher Kinder und Jugendliche, die irgendwie einen Ton haben, also eine bestimmte Ausdrucksweise haben, um ihre eigene Berührtheit von Musik auszudrücken und sowas irgendwie, das heißt, das ist irgendwie etwas wegkommt von diesem reinen, produktorientierten Vorführen von musikalischen Leistungen und mehr hingeht zu einer breiteren Beschäftigung und eben Vermittlung von Musik. Das ist irgendwie in diese Richtung einer Öffnung zur Musikvermittlung im weitesten Sinne jetzt gehen könnte. Das finde ich eine gute Idee.