Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

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#36 Corina Nastoll: Effizient und mit Freude üben

Kristin Thielemann: Wie werden aus notorischen Nicht-Übern motivierte Schülerinnen und Schüler? Welche Einstellung brauchen wir Lehrkräfte, damit die Generation Z dauerhaft Freude am Üben findet? Was mache ich denn nur mit übermotivierten Tigermoms? Und welche Apps gibt es, die eine Hilfe beim Üben sind? Über all dies und vieles mehr spreche ich heute mit meiner Kollegin Corina Nastoll. Es ist ein langes, ein echt lebendiges und ein lustiges Gespräch geworden. Aber das Thema Üben ist ja auch riesig. Und da eine Expertin zu Gast zu haben, war schon ein echtes Privileg. Also viel Spaß mit der neuen Folge von «Voll motiviert» – eurem Musikpädagogik-Podcast.

Intro: «Voll motiviert» – der Musikpädagogik-Podcast von Schott Music, dem Verband deutscher Musikschulen und Kristin Thielemann.

Kristin Thielemann: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von «Voll motiviert» – eurem Musikpädagogik-Podcast. Nachdem in Folge 32 Uli Menke mit einer sehr coolen Übe-Methodik, dem Methoden-Navi, zu Gast war, freue ich mich heute auf ein Gespräch mit der Übeexpertin Corina Nastoll. Sie ist Querflötenlehrerin an der Musikschule Würzburg, Dozentin an den Musikhochschulen Würzburg und Nürnberg und Autorin des neuen üben & musizieren-Spezials «Üben geht klar! – Effizient und mit Freude üben», was gerade ganz druckfrisch auf meinem Schreibtisch liegt. Hallo, guten Morgen, liebe Corina, schön, dass du dir die Zeit nimmst!

Corina Nastoll: Hallo, liebe Kristin, vielen Dank, dass ich hier zu Gast sein darf. Ich bin eine fleißige Hörerin deines Podcasts und deswegen bin ich jetzt sehr gespannt auf unser Gespräch und auch mit ein bisschen Bauchkribbeln, auf einmal auf der anderen Seite zu zeigen und eben nicht Zuhörerin deines Podcasts zu sein, sondern hier zu Gast sein zu dürfen. Vielen Dank.

Kristin Thielemann: Ja, sehr gerne. Einsteigen wollte ich heute auch wieder mit einer Hörerfrage. Und zwar ist da ein Klavierlehrer, der mir via Social Media geschrieben hat. Klammer auf: Schreiben könnt ihr mir auch immer an podcast@schott-music.com. Klammer zu. Das ist mal die offizielle Adresse. Aber es zeigt mir, dass so eine «All-in-One-Lösung» wie bei Social Media einfach auch irgendwie zukunftsweisend ist, weil ihr die ja doch gerne nutzt. Ja, aber… düt, düt, düt. Wo war ich stehengeblieben? Die Zuschauerfrage. Der Klavierlehrer. Er schreibt: Liebe Kristin, ich habe einen Schüler, 13, recht talentiert, aber er übt überhaupt nicht. Ach ja? Tatsächlich? Ja, das soll es geben. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass dieser Schüler gerne zu mir in den Unterricht kommt. Was habe ich für Optionen? Liebe Corina, ich muss sagen, es ist noch echt früh am Morgen heute und ich muss erst mal in Schwung kommen. Deshalb diese Frage an dich: Was hat dieser Klavierlehrer mit dem nicht übenden 13-jJährigen für Optionen deiner Meinung nach?

Corina Nastoll: Ja, das ist eine spannende Frage und ich glaube, dass sich da viele wiederfinden in diesem Fallbeispiel. Meine erste Tendenz oder mein erster Gedanke geht eigentlich in die Richtung, sich dafür zu interessieren, warum dieser Schüler womöglich nicht übt. Denn gerade in dem Alter von 13 Jahren haben Schülerinnen und Schüler ja diverse Entwicklungsaufgaben zu meistern. Und auch wenn aus unserer Perspektive als Lehrkräfte der subjektive Stress zum Beispiel Schulaufgabenstress und dergleichen… Freizeitstress für uns aus unserer Perspektive als Lehrkräfte gar nicht so eine große Rolle spielt, ist es doch für den Schüler subjektiv empfunden ja ein Zeitmanagementfaktor, der dem ganzen Üben eventuell entgegensteht. Und was ich dann auch gerne mache, ist ganz offiziell mit Schülern zu verabreden: Okay, wenn du weißt, du hast jetzt die nächsten vier Wochen diese und diese und diese anderen To-dos in deinem Leben, dann kommst du einfach offiziell ungeübt in den Unterricht und wir nutzen die Zeit, die wir dann zusammen haben, um einfach gemeinsam zu musizieren und da eine gemeinsame schöne Zeit mit Musik zu verbringen. Im besten Fall, das so ein bisschen als Oase, als Energieauftank-Moment zu nutzen und dann, sobald eben dieser subjektive Stress wieder weniger wird, dem Ganzen auch wieder mehr Fahrtwind irgendwie zuzugestehen. Und die Beobachtung, die ich dann oft mache, ist die, dass die Energie in den Schülern schon wieder früher zurückkommt, als wir eigentlich verabredet haben, da sie offiziell ungeübt in den Unterricht kommen können. Dann passieren doch häufig überraschende Momente. Dass sie dann nach zwei Wochen anstatt nach vier Wochen doch wieder das eine oder andere ganz von sich heraus und selbstständig aufgegriffen haben und weitergearbeitet haben. Was natürlich einen viel größeren Wert hat, als wenn ich als Lehrkraft von oben quasi ziehe und will, dass irgendetwas passiert, wenn das eben jetzt gerade auch nicht die Energie des Schülers ist, eben in dem Moment nicht zulässt. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich im Musikunterricht mit dem Musizieren zu beschäftigen, ohne dass eine Vorbereitung des Schülers der Schülerin im Vorfeld stattgefunden haben muss. Man kann ja auch einen Unterricht mit der Rezeption von Musik, mit dem Hören von Musik gestalten. Da gibt es so unterschiedliche Möglichkeiten, habe ich auch einige in dem üben & musizieren-Spezial beschrieben. Da kann man viele Stunden auffangen, um auch mit der hörenden Beschäftigung mit Musik dann wieder neuen neue Energie zu tanken für die nächsten Übephasen, die dann doch wieder kommen werden.

Kristin Thielemann: Das finde ich jetzt ganz schön, dass du das sagst. Weil, eine mögliche Antwort wäre ja auch gewesen, so einen Schüler mit Übelisten und Übehelferchen oder so zu bombardieren oder ihn damit wohlmeinend unterstützen zu wollen. Und ich glaube, es darf aber auch immer Phasen geben, in dem Schüler-Schülerinnenleben, wo man einfach sagt: Okay, jetzt ist halt echt das Üben gerade einmal nicht das Thema. Aber wenn ich jetzt Druck machen würde, dann würde der Unterricht als so unangenehm empfunden werden, dass man dann aufhört. Und das ist, das kann ja auch nicht das Ziel sein. Ich meine, klar, wir haben immer so kleine Zwischenziele. Ich möchte mit dem Schüler hierhin oder der Schüler möchte vielleicht auch dieses oder jenes erreichen. Aber über allem, finde ich, steht ja immer noch unser eigenes Ziel, was wir haben sollten, was am Ende des Unterrichts steht. Und ich weiß ja nicht, wie es bei dir ist, bei mir… Bei mir steht immer an meiner Liste ganz, ganz am Ende, dass ich möchte, dass der Schüler, die Schülerin aus der Musikschule geht und das Musizieren und die Musik zum aktiven Bestandteil seines oder ihres Lebens gemacht hat. Manchmal ist man dann, wenn man so dicht dran ist, man ist dann plötzlich so betriebsblind und glaubt jetzt, ich muss den jetzt irgendwie zum Üben bringen. Also nein, vielleicht muss ich das jetzt auch einfach mal so mit dem Schüler oder der Schülerin durchstehen diese Phase.

Corina Nastoll: Ja, ja und Schülerinnen und Schüler entwickeln sich ja auch ganz unterschiedlich in unterschiedlichen Tempi und auch letztlich unterschiedlich weit. Und da finde ich es auch ganz wichtig, dass man den eigenen Anspruch, den man vielleicht auch aus seiner eigenen Lernbiografie auch als Schülerin selbst anders hatte als so mancher Schüler oder Schülerin, die man jetzt so «verpflegt» im Musikschulalltag, dass man da einfach den Blick dafür hat, wie unterschiedlich diese Lernwege eben sein können und den Mut auch hat, fremde oder unübliche eure Wege dann mit Schülerinnen und Schülern dann gemeinsam einzugehen.

Kristin Thielemann: Das ist nämlich der Punkt. Das hat ja auch der Wolfgang Lessing in Folge 31 so schön dargestellt mit der eigenen bildungsbiografischen Arbeit, dass wir uns selber eigentlich sehr stark in dem Schüler spiegeln und dann sagen: klar, bei uns, die wir Musiker, Musikerinnen geworden sind, bei uns lag der Fokus immer sehr auf der Leistung und uns fiel immer alles zu. Und deswegen ist es ja auch häufig so, dass wir weniger Verständnis haben, wenn jetzt mal jemand einfach nur aus Spaß spielt und ja vielleicht einfach nur eine gute Zeit, ein bisschen reinschnuppern will. Ich meine, wir haben ja alle Hobbies gemacht in unserer Kindheit, die irgendwie schön waren und mit denen wir dann aufgehört haben, aber trotzdem eine schöne Erinnerung daran zu haben, statt dass man da so irgendwie hin gedrückt wird in die Richtung. Das finde ich schon wichtig.

Corina Nastoll: Ja, ja. Genau. Und das Musikhören wiederum spielt ja im Leben von sehr, sehr, sehr vielen Menschen eine bedeutende Rolle.

Kristin Thielemann: Absolut.

Corina Nastoll: Und das finde ich dann auch wichtig, dass wir uns das bewusst machen als Lehrkräfte, dass wir ja wahrscheinlich die allerwenigsten unserer Schülerinnen und Schüler mal in Richtung einer professionellen beruflichen Musikausübung begleiten. Aber wie toll wär's, wenn wir einfach nahezu alle unsere Schülerinnen und Schüler zu leidenschaftlichen Konzertgängern und leidenschaftlichen Musikhörern/hörerinnen quasi ausbilden? Und das ist ja auch eine ganz wichtige Kompetenz, eine ganz spannende Sache, wirklich, sich hörend auch in so eine Musik hinein vertiefen zu können und die Qualität an dem Live-Musikerlebnis auch als so eine ganz besondere Lebensqualität irgendwie für sich mitzunehmen. Das ist schon ein großer Schatz, den man aus so einer Musikschulzeit dann eben auch holen kann und wiederum dazu beiträgt, dass unser kulturelles Erbe ja auch weitergeführt und auch weiterentwickelt wird.

Kristin Thielemann: Absolut. Sehe ich ganz genauso. Ich versuche dann im Unterricht immer, so eine Wohlfühlatmosphäre herzustellen, im Unterricht und praktisch im Unterricht zu simulieren, wie man zu Hause sich mit einem Instrument beschäftigen kann. Und ich nenne das auch ganz oft nicht üben, sondern für mich ist das eine Musizierzeit, wo man sich dann eine Aufgabe vornimmt, irgendein Ziel, was man hat. Und dass es einfach eine schöne Atmosphäre, auch zu Hause gibt, wenn man weiß, ich möchte jetzt dieses und jenes lernen und nicht dieses technische Üben. Weil, das ist dann ja auch ganz schnell an den Begriff Hausaufgaben gekoppelt, der aus der Schule auch oft so negativ konnotiert ist, dass die Schüler, wenn sie das Wort Hausaufgaben hören, schon die Krise kriegen. Und wenn ich dieses Wort Hausaufgaben dann permanent in Verbindung mit dem Wort Üben nehme, dann huh, da tue ich mir keinen Gefallen. Ich tue Schüler / Schülerinnen keinen Gefallen und der Musikwelt sowieso gleich mal dreimal nicht.

Corina Nastoll: Ja. Ganz spannend finde ich dann immer so Momente, wenn man so in einen gemeinsamen Musizierprozess geht und da by the way verschiedene Übetechniken quasi anwendet, ohne das zunächst beim Tun schon ins Bewusstsein zu rücken. Aber dann, wenn quasi so eine spieltechnische Hürde dann so geschafft ist, dann im Nachhinein noch mal zu überlegen: Okay, was haben wir denn jetzt eigentlich die letzten zehn Minuten gemacht? Wie sind wir jetzt vorgegangen? Wie ging das denn jetzt noch mal los? An welcher Stelle sind wir eigentlich gerade hängengeblieben? Wie sind wir dann rangegangen und so? Das dann im Nachhinein noch mal zu reflektieren, um damit den Boden zu ebnen, dass SchülerInnen das dann auch zu Hause dementsprechend anwenden können, wenn sie vielleicht an ähnlichen Hürden hängenbleiben.

Kristin Thielemann: Ja, das finde ich eine ganz gute Sache, denn ich glaube, wenn Unterricht immer so nach Unterricht und nach belehrend schmeckt, dann kommen wir einfach nicht echt rüber. Ich versuche mich immer als Musizierpartner zu sehen oder Musizierpartnerin und einfach schöne Situationen zu erstellen im Unterricht. Und wenn es dann mal Schwierigkeiten gibt, dann auch bei mir, dass ich sage: Oh wow, tricky Stelle, wie könnte ich denn da jetzt rangehen? Dass das ich dann quasi auch selber zeige, wie ich das üben würde. Und Schüler/Schülerin dann sich davon was abschauen kann oder? Dann kommt dann erst bei mir eine tricky Stelle, die ich mir ein bisschen anschaue. Schüler/Schülerin schaut mir zu und dann ist das Ganze mal umgekehrt und da sage ich: Ah, das ist ja könnte man mal mit dieser oder mit jener Methodik drangehen. Dass sie einfach ein breiteres Repertoire haben und das Unterricht nicht so ist: Ich blättere um und unser nächstes Problem ist die nächste Seite in der Instrumentalschule. Ich weiß nicht, ob das noch so zukunftsführender Unterricht ist, ob wir in zehn Jahren auch noch so unterrichten werden. Ich kann mir vorstellen, dass das einfach viel stärker nach Neigung sein wird.

Corina Nastoll: Absolut. Also ich finde es auch ganz schön, wie du das jetzt beschrieben hast mit so einer Partnerschaft, die man eigentlich eingeht. Unsere Arbeit ist eine Beziehungsstiftung und eine Beziehungspflege. Und es beginnt natürlich in der Beziehung zwischen mir als Lehrkraft und den Lernenden. Und wie du das gerade beschrieben hast, ist es ja eine Musiziersituation, eigentlich auf Augenhöhe und wo man sich so gegenseitig auch den Raum gibt und vor allem wir als Lehrkräfte den SchülerInnen auch den Raum geben, sich wirklich selbstverantwortlich und auch mit den eigenen Ideen einzubringen. Und dass daraus dann was entsteht. Das erfordert natürlich auf der Seite von mir als Lehrkraft den Mut dazu, mich dann auch auf Situationen einzulassen, wo ich vielleicht gerade noch nicht weiß, wohin wird es dann eigentlich gehen? Aber darin steckt ein ganz, ganz besonderer Schatz. Ich finde solche Momente total spannend.

Kristin Thielemann: Und das erfordert natürlich auch das Vertrauen in den Schüler, in die Schülerin, dass ein Fortschritt passiert. Jetzt gibt es ja… ich habe aktuell so einen Fall, ich muss aus dem Nähkästchen plaudern, aber so, dass sich Schüler/Schülerin nicht wiedererkennt. Ich habe aktuell einen Schüler mit «Tigermom». Also die Mutter kam zum Trompetenunterricht und hat gesagt Ja, sie kennt das aus dem Klavierunterricht: Russische Klavierschule. Gibt es das nicht auch für Trompete? Wo ich gesagt habe: Okay, also ich weiß Bescheid, wo die Dame hin will mit ihrem Kind, denn es soll Leistung hinten rauskommen. Nun sieht das Kind es aber völlig anders. Das Kind kommt in den Unterricht, weil es gerne Musik machen möchte und die Mutter will aber eine hohe Leistung sehen. Und jetzt bin ich natürlich so ein bisschen in der Zwickmühle. Aber ich kann natürlich auch Hochleistung produzieren, also auf schnellem Weg. Hast du dafür Tipps? Nein, nicht für Tigermoms, aber um Hochleistung zu provozieren, bei Schülern oder Hochleistung herzustellen?

Corina Nastoll: Also, wenn ich dich richtig verstehe, ist die Frage, wie ich Lernende unterstütze, ihre individuelle Höchstleistung zu erbringen.

Kristin Thielemann: Genau. Und das Ganze möglichst schnell. Möglichst gestern.

Corina Nastoll: Ja, also das steht und fällt natürlich mit der Motivation. Da bist du auch viel mehr Spezialistin noch mit dem Stichwort Motivation. Also ganz entscheidend ist die Auswahl des Lerninhalts. Ist dieser Lerninhalt für den Schüler, die Schülerin subjektiv empfunden, relevant und interessant? Und auch wenn das ein Lerninhalt ist, der vielleicht nicht gleich den großen Spaßfaktor mit sich bringt wie eine Technikübung, eine Tonleiterübung, Klangübung, die aber trotzdem irgendwie auf dem Weg dahin mitgenommen werden muss, dann muss ich als Lehrkraft kommunizieren, wozu mir das jetzt was nutzt. Warum diese Übung trotzdem wichtig ist zu tun, auch wenn sie nicht den Spaßfaktor bringt. Aber wenn ich dieses mitnehme, dann kommt der Spaßfaktor an anderer Stelle eben umso höher. Also ich denke, diese Auswahl der Lerninhalte ist eine ganz entscheidende Sache. Und da rein spielt aber auch: Inwiefern hat die lernende Person ein Mitspracherecht in dieser Auswahl der Lerninhalte? Wenn das dann schon mal klar ist, beziehungsweise da spielt ja auch noch die übergeordnete Frage rein: Wo will ich eigentlich hin? In welchem Bereich will ich diese Höchstleistung erreichen? Also die Frage nach den Zielen. Aber wenn ich weiß, wo ich hin will und welchen Lerninhalt ich angehen möchte, dann stellt sich ja die Frage: Wie gehe ich das an? Auf welchem Weg erreiche ich dieses Ziel? Und dann kratzen wir das Feld der Übestrategien, das Feld des Zeitmanagements, wo man, denke ich, auch wieder ganz individuelle Lösungen finden muss, wo man keine Patentrezepte ausstellen kann, die dann für alle SchülerInnen Gültigkeit haben. Das ist so eine, ja eine Kernaufgabe von uns als Lehrkräften, aber auch was ganz Tolles finde ich, dass wir ja häufig so eine Eins-zu-eins-Betreuung anbieten dürfen beziehungsweise in kleinen Gruppen der Unterricht stattfindet, in kleinen Lerneinheiten und wir deswegen auch umso mehr auf subjektive, individuelle Gegebenheiten eingehen können und darauf reagieren können und ganz individuelle Lösungskonzepte mit den Schülerinnen gemeinsam dann entwickeln können.

Kristin Thielemann: Meine Tigermom!

Corina Nastoll: Ja.

Kristin Thielemann: Ich hab die im Supermarkt getroffen in den Ferien. Weißt du, was sie gesagt hat? Hat sie gesagt: Ja. Sie hätte ihre Kinder wirklich verprügeln können. Die haben in den Ferien überhaupt nicht geübt.

Corina Nastoll: Wahnsinn.

Kristin Thielemann: Oh, ich gedacht habe, die hat doch von mir nichts auf. Die hatten zwar Material, was sie hätten spielen können, aber sorry… es waren fast 40 Grad. Lass doch mal fünfe gerade sein!

Corina Nastoll: Ja, ja! Oder? Was ich auch immer wieder hab, sind dann Eltern von Kindern im Grundschulalter, die dann sagen: Na ja, also ich weiß nicht, ob eine Weitermeldung zum nächsten Schuljahr, ob das wirklich Sinn macht, weil, ach, die Elisa, die übt halt nie von sich aus. Ich muss halt immer erinnern. Aber, ich meine, in der Lebensrealität von einem 7-jährigen Kind sind halt so viele andere Sachen ständig spannend und die üben dann nicht, weil sie keinen Bock haben, sondern weil einfach grad andere Sachen in dem Moment in ihren Köpfen sind. Und das ist so normal, dass man erinnern muss.

Kristin Thielemann: Also das ist, das ist auch Kommunikation mit den Eltern, dass du auch sagen musst: Hey, dein Kind ist furchtbar normal, dass es jetzt auch mal keine Lust hat und das darfs auch mal sein. Und ich begleite dein Kind trotzdem und läuft bei mir und läuft bei dir und vor allem läuft bei deinem Kind. Nimm es doch einfach so an, wie es ist. Es ist ein Geschenk und es wird alles gut werden. Aber dran bleiben musst du! Ja, und zwar länger. Und dich nicht wegen wegen irgendwie ein paar Wochen, wo nicht geübt wurde. Musst dir keine Gedanken machen. Wie machst du denn das? Schreibst du denn so Übepläne oder Hausaufgaben oder Impulse aus dem Unterricht? Schreibst du die auf oder kommunizierst du die digital? Oder notieren die Schülerinnen und Schüler sich die?

Corina Nastoll: Also eine schriftliche Festhaltung der Lernaufgaben oder auch Lernziele finde ich total wichtig, weil es einfach mehr Nachhaltigkeit produziert. Nach meiner Erfahrung. Die Wege sind unterschiedlich. Ich muss gestehen, ich bin digital bei Weitem nicht so fit wie du. Da habe ich doch vieles lernen können aus deinen Impulsen. Ich benutze zeitweise wie so eine Art Übeprotokolle über Tagebücher. Da findet man auch ein paar Beispiel-Arbeitsblätter in dem üben & musizieren-Spezial.

Kristin Thielemann: Ja, habe ich schon gesehen. Sehr, sehr schön. Darf man sich die eigentlich rauskopieren und die dann im Unterricht einmal testen?

Corina Nastoll: Unbedingt. Das würde mich sehr freuen. Ich habe mich bemüht, die Arbeitsblätter so zu gestalten, dass sie nicht zu querflötenspezifisch sind. Wobei sie ja natürlich aus meinem Querflötenunterricht heraus gestaltet sind. Wo das inhaltlich nicht ganz so möglich war, sollen die Beispiele als Anregung dienen, das dann auf das eigene Fach auch übertragen zu können. Was mir aber wichtig ist bei diesen Übe-Tagebüchern, Übe-Protokollen ist, dass man wirklich SchülerInnen kommuniziert, dass es nicht dazu dient, dass ich als Lehrkraft nachher so eine Kontrolle ausübe. Also das es gar nichts nutzt, da jetzt Fantasiezeiten reinzuschreiben und Fantasieziele und To-dos, die man angeblich erledigt hat. Denn diese schriftliche Festhaltung von Übeprozessen soll die Grundlage sein für eine gemeinsame Reflexion im Unterricht und dass eigentlich SchülerInnen selbstständig auf die weiteren Wege kommen, die sich dann daran anschließen. Was ich auch eine schöne Möglichkeit ist, sich zum Beispiel so Sprachmemos selber einzusprechen nach jeder Übesession, was man eigentlich so getan hat und wo man jetzt gerade steht und was man vielleicht grad spontan für eine Idee hat, was man in der nächsten Übungsession angeht. Und auch wenn die vielleicht, wie ja häufig der Fall ist, nicht gleich am nächsten Tag stattfindet, sondern erst am dritten Tag danach, dann hat man doch irgendwie einen guten Reminder, wo man wieder anknüpfen kann.

Kristin Thielemann: Perfekt. Ja, aber man wird ja immer mal gefragt. Eine App zum Üben, zum Üben kontrollieren. Weil, es gibt ja viele, die immer meinen, sie müssten das alles kontrollieren. Ich finde es gut, dass man das wertschätzt, was Kinder und Jugendliche zu Hause gemacht haben, was auch Erwachsene, die im Unterricht sind, vielleicht zu Hause geübt haben. Von daher finde ich es schon gut, wenn man das in irgendeiner Form notiert. Aber was du gesagt hast, das fand ich ganz toll, dass der Punkt dieses kontrollierenden Lehrers, der kontrollierenden Lehrerin, dass das eigentlich eher kontraproduktiv ist, sondern es geht ja darum, jemandem zu helfen und nicht jemanden zu kontrollieren. Das ist ja eine ganz andere Wahrnehmung, auch der der eigenen Rolle als Lehrkraft. Denn wenn ich immer alles kontrollieren muss, dann sehe ich mich ja hierarchisch über Schüler/Schülerin Und ich möchte aber viel mehr auf Augenhöhe kommen, damit sich die Lernenden auch trauen, viel mehr von sich zu geben. Weil jemand, der hierarchisch über dir steht, dem sagst du nicht so gerne oder vielleicht auch nicht so schnell, ich möchte jetzt hier und da hin und das ist vielleicht nicht das, was ich mir vorstelle. Aber Hand aufs Herz, ich meine, Kinder und Jugendliche werden nicht mehr so erzogen, dass man sie wirklich so mit Disziplin… und ich bin hier Chef und du hast das zu tun. Das kennen die vielfach heute gar nicht mehr. Ich finde, das merkt man den Schülerinnen und Schülern extrem an, in welcher, in welchem Stil die Eltern auch zu Hause erziehen und das dann auch zu erkennen. Und ich nehme das dann auch am Anfang auf, wenn ich spüre, dass das Kinder sind, die so ein bisschen hierarchisch oder streng auch erzogen werden, von den Eltern sehr eng geführt werden, dann mache ich das im Unterricht auch so ein bisschen und versuche das aber dann mehr und mehr aufzubrechen, dass wir irgendwann auf Augenhöhe kommen und im Konsens dann auch Ziele definieren, Übeschritte, die nächsten Schritte definieren.

Corina Nastoll: Ja, das, also da gebe ich dir total recht. Kinder werden heutzutage einfach auch anders erzogen. Und was ja auch so ein ganz toller Aspekt am Musizieren ist, ist ja dieser eigene persönliche Ausdruck und den kann ich ja nicht als Lehrkraft hineinprogrammieren in eine Schülerin oder einen Schüler. Und da ist es immer spannend, finde ich, wenn die mit ihrer eigenen Lieblingsmusik kommen, wieder auf einmal das Musizieren in eine andere, in eine ganz andere Schwingung geht im Vergleich zu einer «fremdbestimmt hingelegten Musik», die sie, die sie da spielen. Das hat so oft eine ganz andere Lebendigkeit, ein ganz anderes Musizieren. Ich habe da im März ein tolles Schülerkonzert-Projekt mit meiner Querflötenklasse gemacht. Das Konzert hatte den Titel «Der Soundtrack deines Lebens» und du kannst dir bestimmt denken, was quasi der konzeptionelle Hintergedanke war. Die haben sich also alle Musikstücke ausgesucht, die entweder was mit ihrer eigenen Biografie, mit ihrer eigenen Persönlichkeit zu tun hat, oder Musik, die etwas mit einer ihr nahestehenden Person aus dem sozialen Umfeld zu tun hat, also deren Soundtrack, deren Leben quasi musiziert. Und das war wirklich ein ganz toller Konzertmoment. Und die waren auch gegenseitig dann so interessiert und neugierig, wer sich was ausgesucht hat und was hinter welchem Musikstück auch für eine Geschichte steckt.

Kristin Thielemann: Und lass mich raten, die haben zu Hause geübt wie Teufel und hatten hinterher 1000 Stücke von den anderen, die sie dann auch spielen wollten, oder?

Corina Nastoll: Selbstverständlich.

Kristin Thielemann: Das ist ja cool mit diesem Soundtrackkonzert. Da schließt du dich ja nahtlos an Folge 35 an, wo wir im Musikpädagogischen Quartett über Schülerkonzerte, nein, Schülerkonzerte darf man ja auch nicht mehr sagen, Musizierstunden oder Konzerte mit Schülerinnen und Schülern, Musikschulkonzerte gesprochen haben. Ach Mann, ist das mühsam. Ich meine, ich finde schon, dass es wichtig ist, diese Genderei. Aber ein Schülerkonzert könnte für mich gerne ein Schülerkonzert bleiben, weil es so schön griffig ist, der Titel. Aber das darf nicht. Okay. Ja, also «Soundtrack meines Lebens» finde ich eine ganz, ganz zauberhafte Idee. Ich habe noch, weil ich jetzt gerade so ein bisschen drin bin und Fortbildungen auch gegeben habe zum Thema Digitalität und mal überlegt habe, ob ich mal jetzt wieder eine Fortbildung gebe, nur Apps, also wirklich Apps pur, dachte ich, liefere jetzt vielleicht noch mal ein, zwei, drei Übe-Apps, die ich ganz witzig finde, wenn man das Üben dokumentieren will. «Trivs», ich weiß nicht ob du «Trivs» kennst? Das ist relativ neu, Schweizer Produkt. Ich habe es nur gehört. Ich habe es nicht wirklich viel ausprobiert. «Trivs». Und du bist ja auch ab und zu in Luzern an der Hochschule, irgendwo da in der Region ist «Trivs» entstanden, aber ich habe es wirklich echt noch nicht probiert und ja, vielleicht ist es ja mal was für den einen oder anderen aus der Hörerschaft oder für dich – vielleicht magst du mal probieren. Und dann hat mir neulich die Tochter von einer Freundin empfohlen, und zwar die App «Andante». Da habe ich gedacht: Was mag denn das sein? Sie spielt im Bundesjugendorchester und da üben irgendwie ganz viele auf jeden Fall aus dem Bundesjugendorchester mit dieser App. Und die habe ich auch. Ich habe es doch tatsächlich eine Woche durchgehalten, mir Übeziele zu definieren und auch bei «Andante» immer auf Go zu drücken, wenn ich losgelegt habe beim Üben. Und dann habe ich eine App, die ich ganz witzig finde. Die eigentlich was für etwas völlig anderes ist. Und zwar ist das ein Tool, wo du dich irgendwie im Haushalt organisieren kannst, mit deiner Familie und verschiedene Rollen und Aufgaben und so zuweisen kannst. Das ist «Remember the Milk». Also so ein Einkaufs-To-do. Und… keine Ahnung… bitte saug’ hier Staub und bitte putz’ da mal oder so, aber da kannst du natürlich auch als nächsten Schritt dann einfüllen: Wie wäre es mit dieser Etüde? Oder mit jenem kleinen Konzertstück? Oder mit der nächsten Seite in deiner Instrumentalschule? Ich finde ja, Apps haben bei Kleineren im Unterricht keinen Platz. Aber gerade Jugendliche finden das mal ein schönes Gadget, oder? Ich könnte mir auch vorstellen, dass Erwachsene das toll finden. Aber mir schwebt ja immer noch so ein Tool vor, wo du dann auch so direkt die Möglichkeit hast, deinem Lehrer, deiner Lehrerin direkt etwas zu schicken von dem, was du aufgenommen hast und das du dann auch irgendwann auf dem gleichen Kanal ein Feedback erhalten kannst.

Corina Nastoll: Aber was du jetzt gerade erzählt hast, quasi so eine App auch zweckzuentfremden, das finde ich eine total klasse Idee. Weil, wenn man diese App im Familienkontext als Einkaufsliste sozusagen führen kann, dann kann ich die ja genauso auch im Gruppenunterricht mit mehreren Schülern führen. Also die Idee kam mir jetzt so, während ich dir zugehört habe, dass da eigentlich ein ganz schöner Austausch und so eine Binnendynamik vielleicht auch zwischen den SchülerInnen stattfinden kann in einer Übewoche, oder?

Kristin Thielemann: Das ist natürlich auch witzig. Das habe ich überhaupt noch nie überlegt, sowas im Gruppenunterricht zu verwenden. Aber ich habe auch ehrlich gesagt jetzt so richtig klassische Gruppen, die sich so für 45 Minuten Gruppenunterricht angemeldet haben, habe ich auch aktuell nicht. Ich habe immer diese Gruppensituation im Unterricht, wo einer länger bleibt, der Nächste früher kommt und so… ich habe ohnehin gerade nicht mehr so ganz, ganz viele Schüler, weil ich das nicht mehr schaffe, so in dem Umfang wie früher. Ich spiele auch wieder viel mehr Konzerte und habe viel mehr Fortbildungen und Schreibkram und da ist einfach nur noch Zeit für anderthalb Tage Unterricht. Aber ja, aber das möchte ich nie missen, weil das ist… Ich liebe es einfach zu unterrichten. Es geht dir ja genauso. Du bist ja auch an Hochschulen unterwegs, aber hast immer noch dein gutes Pensum beim Unterrichten.

Corina Nastoll: Ja, mir ist das auch ganz wichtig, weil ich so sehr davon profitiere, die Alltagsbeobachtungen in der Musikschule zu machen und das füttert dann auch wieder die Tätigkeit an der Hochschule. Also wenn, ähm, ja, ich habe das Gefühl, dass das sehr auch eine gegenseitige Befruchtung ist. Weil ich natürlich auch im Kontext der Hochschularbeit ganz anders reflektierend über Instrumentalunterricht nachdenken muss, die ganze Zeit. Und auch das dann wieder zurückfließt in die Musikschularbeit. Wenn ich meinen Studierenden erzähle, wie man sinnvollerweise Hausaufgaben stellt im Unterricht oder mit deren in Anführungszeichen «Kontrolle» im Unterricht dann umgeht, muss ich mich ja selber fragen, wie ich das eigentlich tue in meiner Praxis. Und dann erinnere ich mich ganz automatisch selber auch wieder an ganz gute Gedanken von so manchen InstrumentalpädagogInnen, die ich doch auch wieder mal in meinen Unterricht integrieren könnte. Also es ist wirklich so eine Win-Win-Situation, finde ich, Sowohl die Arbeit mit Studierenden zu haben als auch die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern.

Kristin Thielemann: Absolut. Und dann immer noch so auf den Fortbildungen, die du ja auch gibst, den Austausch zu haben zu Kolleginnen und Kollegen. Klar, könnte ich auch in meinem eigenen Kollegium haben, aber die kenne ich. Wir hatten ja gestern Abend Semesterangrillen. Ich kenne die alle seit Jahren und wir haben immer gute Gespräche. Aber ich kenne die Techniken, die sie verwenden im Unterricht, die kenne ich mittlerweile so ganz gut. Aber jetzt hatte ich gerade eine Woche, die erste Woche des Jahres richtig intensive Fortbildung und da kam auch kamen auch mir dann wieder viele Ideen. Aber wenn man das dann zulässt, auch im Gespräch.

Corina Nastoll: Vor allem auch, weil ja unsere Musikschullandschaft so heterogen ist. Das finde ich immer so spannend, wie unterschiedlich Musikschulhäuser strukturiert sind, also rein schon, wie unterschiedlich die räumlich ausgestattet sind, bis hin zu wie auch so eine Unterrichtsorganisation an jedem Haus ganz anders sein kann. Und wie sich die Arbeit in einem kleinen Lehrerkollegium mit vielleicht 20 KollegInnen anfühlt. Im Vergleich zu einer sehr großen Musikschule in einer großen Stadt mit vielleicht 80 KollegInnen und sich verschiedenen Außenstellen. Also der Berufsalltag kann das so unterschiedlich sein. Und das finde ich auch immer sehr befruchtend, dann genau im Kontext von Fortbildungen da einfach auch Einblick zu bekommen, wie es an anderen Häusern läuft. Und auch wenn ich selbst an Fortbildungen teilnehme, es sind ja häufig die Gespräche, die sich in den Pausen ergeben, mindestens genauso motivierend als der Input, der dann während der Fortbildung kommt. Auch vor dem Hintergrund, dass wir in unserem Alltag strukturell bedingt ja eher wenig Möglichkeiten haben, uns auszutauschen im Kollegium, weil wir keine gemeinsamen Pausen haben. Und so.

Kristin Thielemann: Ist der Punkt.

Corina Nastoll: Genau, dass man da irgendwie doch ein bisschen so ein Einzelkämpfer-Dasein oft führt im Musikschulalltag.

Kristin Thielemann: Ich habe einen Bekannten, der leitet eine Musikschule relativ weit im Norden. Der war auch schon mal zu Gast hier im Podcast. Ich weiß nicht, ob ich seinen Namen jetzt nennen darf, aber der hat mir kürzlich erzählt, dass er immer für sein Team, was nicht so wahnsinnig groß ist, dass er für die immer dienstags Spaghetti kocht und dass sie dann in der Musikschule zusammen essen. Es ist wirklich ein kleines Team, was dann da in den Musikschulräumlichkeiten sitzt. Das ist aber so eine zauberhafte Idee. Und sollte ich eines Tages da in der Ecke sein und es diesen Spaghetti-Dienstag noch geben, dann werde ich auf jeden Fall vorbeifahren. Ich glaube auch dieser Austausch kann eine wahnsinnig gute Basis bieten, neue Impulse zu bekommen.

Corina Nastoll: Unbedingt. Und ich denke auch, wenn jetzt in manchem der Gedanke hochkommt: Na ja, jetzt muss ich dann auch noch am Abend zum Spaghetti essen, in der Musikschule bleiben oder so. Also das so auf dem Zeitkonto irgendwie ins Minus geht, als ersten Gedanken, so ist es doch letztlich glaube ich ein Zeitplus, weil eben diese Inspiration stattfinden kann und womöglich mir meine Klarinettenkollegin von einem Schülerkonzert erzählt mit dem Titel XY. Und ich denke: Mensch, das ist ja eine tolle Idee! Sie hat es mit ihrer Klarinettenklasse gemacht, dann kann ich das doch mit meiner Querflötenklasse vielleicht einfach mal übernehmen und auch ausprobieren. Das heißt, eigentlich spare ich mir ja die Arbeit. Also wir könnten uns gegenseitig die Arbeit eigentlich erleichtern. Wenn wir uns mit mehr Ideen gegenseitig befüllen.

Kristin Thielemann: Und irgendwas essen gehen musst du ja sowieso. Oder irgendwas essen. Es muss ja nicht unbedingt essen gehen sein. Aber wir, die wir viel unterwegs sind beruflich, müssen natürlich notgedrungen irgendwo essen gehen.

Corina Nastoll: Ja, mal sehen, ob da jetzt die große Spaghettiwelle in der Musikschullandschaft ansteht.

Kristin Thielemann: Fiel mir vorhin noch ein, als wir drüber gesprochen hatten, dass wir das Unterrichten eigentlich beide nicht missen möchten, um auch so wirklich dran zu sein an unserem «Publikum». Ich meine Generation Z und Generation Y, also die, die wir jetzt so im Unterricht haben und auch Beyond. Also es ist, man muss die einfach, man muss die auch gespürt haben, das kann dir keiner erzählen, die Generation tickt so und so. Ich finde es ganz wichtig, dass du diese jungen Menschen auch wirklich live erlebst mit dem, wie sie sind, mit den Stücken, die sie wollen. Ich meine, allein diese Lieblingsstücke, die haben früher ja doch irgendwie ja doch immer eine lange Zeit gehabt, wo sie attraktiv waren und wo ganze Generationen diese oder jene Stücke spielen wollten. Und jetzt finde ich schon allein diese Lieblingsstücke, die sind viel kurzlebiger geworden. Und wenn ich jetzt irgendwas vorschlage, was vor drei oder vier Jahren attraktiv war, dann sagen die die Kinder heute im Unterricht: Was!? Äh! Ist total out, will ich überhaupt nicht spielen! Dadurch, dass die auch so viel Musik «konsumieren» und dass die Welt so schnelllebig geworden ist. Also wenn ich immer sehe, wie die Kids da irgendwie ihre TikTok-Reals swipen, da kommen ja so viele Inhalte, die sie auch aufnehmen und die was mit ihnen machen. Das kann man ja nicht weglügen, wenn du zwei drei Stunden pro Tag auf TikTok bist, dass es nichts mit dir macht.

Corina Nastoll: Absolut. Und andererseits finde ich es auch spannend, auf welche Ideen oder welche älteren Songs SchülerInnen manchmal ausgraben. Ich hatte da vor zwei Jahren mal die Situation hat, da hat eine 15-jährige Schülerin so ein kleines Konzert für ihre beste Freundin organisieren wollen und deren Lieblingssong wiederum, also ebenfalls 15 Jahre altes Mädchen, war tatsächlich «Wind of Change».

Intro: Och Gott, es war meiner auch, als ich 15 war!

Corina Nastoll: Ich hätte nie im Leben von mir selbst aus gedacht: Ach ja, das ist ‘ne coole Idee. Ich bring doch der Marie mal «Wind of Change» mit in den Unterricht.

Kristin Thielemann: Eine elende Kitschnummer. Aber bitte. Stimmt. Weil ich… auf die Idee wäre jetzt auch nicht gekommen.

Corina Nastoll: Ja, aber solche Sachen passieren dann, wenn wie du vorhin schon gesagt hast, wir SchülerInnen diesen Raum eben auch aufmachen und sie da wirklich auch das Gefühl haben, sie sind da gehört und gesehen mit all ihren Interessen und Ideen.

Kristin Thielemann: Was ich aber ganz spannend finde, wenn es so Popsongs gibt, die auf wirklich was Klassischem basieren, aus irgendeinem einem Stücke aus der Klassischen Musik und das dann aber auch mal gegenzuchecken, zu reflektieren ah, da ist was. Und dann mal den Abstecher zu nehmen, vielleicht in die Barockmusik und zu sagen: Hey, und was haben die denn damals damit gemacht und was könnten wir heute machen? Wie können wir auch klassische Musik so umformen, dass sie auch vielleicht deine Freunde aus der Schule inspiriert? Ich glaube sowieso, dass dieses entdecken und selber was erschaffen können im Unterricht – das wird immer wichtiger werden. Viel wichtiger, als dass du irgendwas Vorgegebenes abarbeitest. Was, was dir Lehrer/Lehrerin so sagt?

Corina Nastoll: Ja, absolut. Und auch da wieder dann die Erfahrung zu machen, dass ich mit meinem eigenen… auch wieder andere Menschen berühren kann oder beeindrucken kann. Das ist auch so eine, so eine tolle Sache, die da mitschwingt. Ich hatte einmal eine Schülerin, die für ihre Oma ein Geburtstagsständchen vorbereitet hat und die war Fan von einer bestimmten Netflix Serie.

Kristin Thielemann: Die Oma?

Corina Nastoll: Die Oma! Und dann wollte sie unbedingt Musik aus dieser Serie spielen. Dann hab ich mir das angehört bei YouTube und dachte dann: Mmh, das ist jetzt eigentlich eher so ein Klangteppich. Da ist jetzt kaum eine Melodielinie drin, die sich gut auf die Querflöte übertragen lässt, oder so. Und das hat uns dann letztlich zu der Idee geführt, okay, wir nehmen quasi diesen Soundteppich und die Schülerin improvisiert darauf selbst eine Melodie. Die hat vorher noch nie improvisiert. Es war dann so unsere neue Entdeckung und da hat sie sich dann so toll drauf eingelassen, dass sie gesagt hat okay, also bei dem Geburtstagsständchen muss ich das eigentlich zweimal machen. Ich mache das einmal am Anfang, dann spiele ich ein paar Geburtstagslieder und dann mache ich das noch mal am Ende, damit die Oma dann auch wirklich merkt, dass ich mir das in dem Moment wirklich selber ausdenke. Dass ich quasi nicht vorher mir was eine Melodie zurechtgelegt habe, die ich dann auswendig gelernt habe, sondern dass es wirklich immer in diesem Moment neu entsteht. Und das war dann eine total schöne Erfahrung auch für die Schülerin, wie die Oma dann auch natürlich total begeistert war und auch noch, weil es so individuell auf sie zugeschnitten war, dass das ja… Das ist einfach schön, wenn man das dann spürt, was man selbst kann, was man selbst schon erreicht hat und was man so ausdrucksstark dann auch wiedergeben kann auf dem Instrument, dass das auch wiederum so eine Resonanz findet in den ZuhörerInnen.

Kristin Thielemann: Und das ist wirklich der Schlüssel auch zur Motivation dieser jungen Menschen, dass das, was du machst, dass es eine Relevanz nicht nur für dich hat, sondern auch für andere Menschen. Das ist etwas, was viele ganz, ganz stark motiviert und auch zum Üben bringt.

Corina Nastoll: Ja, genau, sicher.

Kristin Thielemann: Ich habe jetzt kürzlich Schüler «geerbt» von einem Kollegen, der alle Schüler abgegeben hat und mir so vier kleine Schätzchen vorbeigeschickt hat. Und die waren alle auf digitale Hausaufgaben getrimmt. Das heißt, er hat wie viele andere auch natürlich gesehen, dass es ein bisschen anspruchsvoll ist, wenn du nur einmal pro Woche eine halbe oder Dreiviertelstunde Unterricht hast. Und deswegen hat er gesagt okay, er möchte zwischendrin einmal die Aufgaben hören. Und es gibt immer eine spezielle Aufgabe, die digital gelöst werden soll und ihm dann zugeschickt werden muss. Und natürlich kostet ihn das bisschen Zeit. Ich habe ihn jetzt noch nicht gefragt, wie er das, ob er das irgendwie abgerechnet hat, dass er sagt, es läuft das ganze Semester und dafür findet dann eine Lektion oder so nicht statt. Das wird irgendwie kompensiert. Bin ich noch nicht ganz sicher, aber ich hab gedacht, ich lass mich jetzt erst mal drauf ein, weil die das gewöhnt sind und gut in die Richtung laufen, mache ich das mal so weiter. Und überhaupt Dinge zu finden, die sich dann auch eignen für so eine kurze digitale Hausaufgabe, die dir dann zugeschickt wird als Video oder so und das dann noch auf eine schöne Art zu Feedback machen. Und jetzt habe ich gesagt, schickt mir die digitalen Hausaufgaben und die schönste davon wird mein Klingelton der Woche. Ich generiere mir das als Handy-Klingelton dann.

Corina Nastoll: Das ist ja auch eine schöne Belohnung, die dann so am Ende ausgeschrieben ist von dir.

Kristin Thielemann: Ja und weißt du, ganz großer Mist: Wieder Unterrichtsdonnerstag. Alle kamen in Unterricht und alle wollten, dass mein Handy einmal klingelt und alle wollten mich dann anrufen. Das hat natürlich wahnsinnig viel Zeit gekostet. Mist.

Corina Nastoll: Ja, aber ich finde es auch eine schöne Möglichkeit, sich da zwischen den Unterrichtsstunden was zuschicken zu lassen oder da den Kontakt auch herzustellen. Ich muss sagen, ich «verpflege» in einer Woche um die 50 Querflötenschülerinnen und -schüler. Wenn ich das jetzt mit der Gießkanne ausschüttend über alle meine Schüler anbieten würde, dann bräuchte ich eine Woche, die doppelt so lange ist.

Kristin Thielemann: Das geht absolut nicht.

Corina Nastoll: Aber ich glaube, so groß muss man solche Ideen ja auch gar nicht denken. Also man muss das ja nicht zwingend mit der kompletten Instrumentalklasse durchziehen, sondern dann gibts bestimmt Schülerinnen und Schüler, die sind gerade ganz gut im Fahrwasser, die brauchen diese Zwischenimpulse nicht und andere, denen tut es vielleicht ganz gut, wenn sie das mal über drei vier Wochen so haben. Und dass man da so ein bisschen flexibel fluktuierend in der Klasse quasi mit so einer Methode arbeitet, macht sicherlich auch Sinn, eben um das eigene Zeitkontingent auch gut im Blick zu behalten. Oder auch so einen Deal einzugehen, was du jetzt gerade beschrieben hast, dass dann dafür vielleicht eine Unterrichtsstunde vor den Ferien oder so dann auch ausfällt in Anführungszeichen, oder gegengerechnet wird. Das ist doch vielleicht auch eine ganz gute Möglichkeit.

Kristin Thielemann: Ja, das finde ich auch, dass wir das viel flexibler handhaben sollten. Und ich meine, ich weiß, es ist schwierig, wenn in manchen Kommunen oder in manchen Musikschulen, da ist es ja wirklich, du hast diesen Unterricht 30… und den musst du so machen und da muss deine Häkchen dahinter und andere geben dir da aber viel mehr Freiräume. Und ich glaube aber, in Zeiten, wo wirklich jeder Fußballverein und jeder Handballverein, jeder Reitstall, weiß ich nicht was Club zweimal die Woche die die Kinder zum Training auch bestellt. Und wir Musiker und Musikerinnen versuchen mit 30 Minuten irgendwie einen Blumentopf zu gewinnen und unseren Schülerinnen und Schülern so was Anspruchsvolles auch wie das wie das Musizieren beizubringen… ich meine, so werden wir nichts! Und deswegen versuche ich immer ,Möglichkeiten zu finden, dass man so mit diesem Zwischenfeedback durch digitale Hausaufgaben, die mal geschickt werden müssen… Das finde ich schon mal eine gute Sache. Und da gibt es ja jetzt auch schon coole Plattformen, die entstehen, wo viele Musikschulen auch Apps von haben. So zum Beispiel darf man das jetzt hier sagen, zum Beispiel iMikel oder so, die sich ja auch wirklich viel Mühe geben, dass man sowas auch dann in die Musikschul-App direkt integrieren kann und dass man ein Kommunikationstool hat, mit den Schülerinnen und Schülern, was DSGVO-konform ist und was auch noch weitere Vorteile bietet. So eine All-in-one-Lösung. Dass ich mein privates Handy auch wirklich mal auslassen kann, dass es auch wirklich mal privat ist.

Corina Nastoll: Das kratzt jetzt auch so an dem Thema, wie man so auch als Lehrkraft, so sein Selbstmanagement eigentlich angeht. Also wann man erreichbar ist für Eltern und SchülerInnen. Und ich habe da also mittlerweile auch lernen müssen, dass es auch okay ist, wenn man eben nicht gleich auf jede Nachricht reagiert und dass man das wirklich auch selber in der Hand hat als Instrumentallehrkraft, wann man zu welchem Umfang zur Verfügung steht, da ist. Da ist man schon gefordert, das auch gut zu managen, dass das, ja, das eigene Energielevel einfach gesund bleibt.

Kristin Thielemann: Es ist ja auch Selbstschutz und es ist ja letztlich, die Schülerinnen und Schüler haben ja auch mehr davon, wenn sie eine gesunde, ausgeruhte Lehrerin haben, statt jemanden, der irgendwie um 23:30 noch eine WhatsApp oder eine SMS von irgendwelchen Müttern und Vätern beantwortet, denen jetzt gerade noch irgendwas Wichtiges einfällt.

Corina Nastoll: Unbedingt. Und andererseits ist es ja auch verständlich aus Perspektive der Eltern, dass die womöglich abends um 21:30 tatsächlich dann erst mal die Ruhe finden, der Instrumentallehrkraft noch eine E-Mail zu schicken mit irgendeiner bestimmten Info, weil die eben auch ihren kompletten Berufsalltag und Familienalltag erst mal zu wuppen haben. Also ist es total verständlich, dass dann auch zu, sagen wir mal, «unmenschlichen Uhrzeiten» dann eben diverse Nachrichten bei uns aufploppen. Aber trotzdem sind wir ja immer noch Herr der Lage. Wann wir darauf dann wieder reagieren?

Kristin Thielemann: Stimmt. Aber ich finde es auch schwer, wenn Nachrichten kommen, die nicht zu lesen und nicht so nicht drauf zu reagieren. Und jetzt habe ich mir eine eSIM gekauft. Praktisch! Die Nummer, die ich sonst immer hatte, ist jetzt meine wie meine «geschäftliche» Nummer. Da erreicht mich jeder von 8 bis 20 Uhr. Das sind wie meine Geschäftszeiten, die ich mir gegeben habe und danach mache ich nur noch meine eSIM an und die andere ist völlig stummgelegt, bis ich sie halt wieder anschalte. Und ja, ich musste jetzt mal gucken, wie sich das so anlässt. Die Privatnummer haben dann wirklich nur die Freunde und das ist. Dann habe ich nicht zwei Geräte, die ich immer mitschleppen muss, sondern ich habe das wirklich in einem Gerät. Und die Frage ist halt gerade, welche SIM mich dann anstellen, welche SIM dann klingelt.

Corina Nastoll: Das ist eine super Idee. Also ich habe nur ein Handy, was ich beruflich und privat, also die gleiche Nummer benutze und das ist denke ich eine ganz gute Lösung, die du da gerade beschrieben hast. Guck mal, ob ich das auch integriere in mein Handy.

Kristin Thielemann: Also das war jetzt nicht so verrückt anspruchsvoll, da eine eSIM zu erwerben und zu integrieren, das geht ja heute schon ganz gut. Weißt du, was mich an deinem üben & musizieren-Spezial so fasziniert hat, dass da so viele coole kleine Stichworte drin waren, zum Beispiel Kinesiologie. Das ist ja was, was immer mal wieder fiel, dieses Stichwort. Und jetzt sind ja die meisten von uns Lehrkräften, also die meisten von uns, die sind ja nicht in Sachen Kinesiologie ausgebildet. Trotzdem gibt es da ganz einfache Körperübungen, die du beschreibst und die leicht Blockaden oder auch Konzentrationsprobleme lösen und die wir leicht auch in unseren Unterricht einfließen lassen könnten. Wenn die Schülerinnen und Schüler dann erst mal so einen Benefit von so einer Übung für sich entdeckt haben, dann finde ich das auch eine ganz schöne Möglichkeit für sie, das auch daheim mit ins Training, mit dem Instrument mit einzubauen. Und hast du vielleicht so einen Tipp, was sich im Podcast eignen würde in Sachen Körperübungen, was die Hörerinnen und Hörer so rein vom Hören her leicht aufnehmen könnten und dann zu Hause mal umsetzen könnten.

Corina Nastoll: Da fällt mir jetzt zuallererst vielleicht die Gymnastik für die Augen ein, die ich ganz gut beschreiben kann. Und zwar geht es im Grunde darum, dass man mit den Augen eine liegende Acht malt, mit der Augenbewegung. Und dadurch quasi mit einem ruhig fließenden Atem in der Verbindung wieder neue Energie tanken kann. So, das ist die eine Sache. Und die andere Sache in der Augengymnastik wäre noch, dass man so den Fokus switcht. Also dass man den Arm vor sich ausstreckt mit Daumen hoch und dann im Wechsel quasi den Blick auf den Daumen legt und den Daumen scharf stellt und dann wieder den Blick in die Ferne gibt und den Daumen verschwimmen lässt, so dass man den Fokuswechsel quasi übt mit den Augen. Und das finde ich deswegen auch ganz schön, weil wir ja vor allem im klassischen Instrumentalunterricht viel mit Notentext arbeiten und viel über die Augen geht, dass man da irgendwie ja die den visuellen Sinn mal wieder so ein bisschen durchschüttelt, um dann vielleicht sich der nächsten Aufgabe zuzuwenden. Und generell ist es schön, im Unterricht einfach zwischendurch mal das Instrument wegzulegen, was mit dem Körper zu tun, die Aufmerksamkeit wieder so auf sich in sich hineinzulenken. Das hilft manchmal so viel, wenn man das eine Minute, zwei Minuten tut und dann wieder frische Energie hat für die nächste Aufgabe, anstelle sich an etwas festzubeißen und dann ja sich eher zu verspannen als zu entspannen.

Kristin Thielemann: Das ist das. Ich mache auch ganz gerne so Bewegungsspiele in Sachen Musiktheorie. Jetzt habe ich kürzlich die App «Fitissimo» besprochen und da waren auch so ganz viele Körperübungen drin, die ich ganz gut fand und die ich dann auch gleich mal im Unterricht ausprobiert habe und die die Schüler so charmant fanden, dass sie dann nach einer Woche wiederkamen und meinten: Ja, machen wir heute wieder das fliegende Pferd? Nein, das fliegende Pferd gab es nicht, aber es waren auch schöne Namen und man konnte sich das leicht merken. Und die Schülerinnen und Schüler fanden das ganz, ganz toll. Apropos schöne Namen, bei dir habe ich gesehen: Denkmütze. Liebe Corina, was ist eine Denkmütze?

Corina Nastoll: Genau das ist auch eine Übung aus der Kinesiologie. Und zwar geht es im Grunde darum, die die Ohren an den Außenseiten zu massieren und somit den auditiven Sinnen quasi wachzurütteln. Man massiert mit Daumen und Zeigefinger gleichzeitig beide Ohren vom Ohrläppchen nach oben und wieder nach unten. Die Außenseite der Ohren eine Zeit lang auch da, mit einem ruhigen Atem, vielleicht auch mit geschlossenen Augen. Und das kann eine schöne Vorübung sein, um sich anschließend vielleicht auch ein Musikstück gemeinsam anzuhören.

Kristin Thielemann: Der Ohrenspitzer, die Denkmütze sehr schön. Genau. Ich glaube, ich habe den gleichen Punkt als Akupressurpunkt vorgeschlagen in meinem üben & musizieren-Spezial «Ganz schön wild!». Zum Beruhigen auch. Diese ganzen Akupressurpunkte habe ich von einem Professor für Akupunktur habe ich die gegenchecken lassen, ob das wirklich alles so ist, wie ich mir das überlegt habe. Und die werden die werden wirklich geliebt, diese Punkte. Wie steht's denn eigentlich mit dem eigenen Üben? Ich finde, es hat Wahnsinnspotential, wenn man den Schülern zeigt, dass man selber auch übt und dass man nicht nur diejenige ist, die dann sagt: Hey, du musst aber mal! Weil ich hatte mal so ein Aha-Erlebnis. Und zwar: Ich war damals noch an der Lübecker Musikschule, kurz nach meinem Studium und da kam so ein kecker 8-jähriger in den Unterricht. Und während der Stunde haben wir natürlich schon immer so ein bisschen darüber geredet, wie man das daheim trainieren kann. Was gerade in seiner Trompetenschule das Thema ist und was ja wie er das spielen kann, wie er das trainieren kann, was er für sein Kinderorchester können will. Und ich habe dann ganz klassisch, wie ich das selbst kannte und auch, wie uns das von der Hochschule nahegelegt wurde, das in seinen Hausaufgabenheftchen geschrieben und gesagt: Hier, das musst du üben und das kannst du abhaken. Und wenn du das erledigt hast und dann guckt mich dieses kleine Kerlchen an und sagt: «Weißt du, Krissi, also Erwachsene sollen Vorbilder für uns Kinder sein und wir machen euch nämlich alles nach! Und wo ist denn überhaupt deine Übeliste, die du abhakst und die du mir zeigst? Und wo ist denn dein Üben?» Und ich meine, das ist doch eigentlich echt eine kluge Sache gewesen, denn wie ist das eigentlich? Ich meine, zeige ich meinen Schülerinnen und Schülern, wie ich übe, wie ich arbeite, was für mich gerade das Thema ist, wie ich selbst herangehe? Oder bin ich vielleicht der untrainierte, schon leicht aus der Form geratene Fastfood-Junkie, der anderen als Personalcoach erzählen will, wie wichtig Bewegung und gesunde Ernährung sind? Ich meine es ja genauso… Es ist ja genauso verrückt. Wenn ich will, dass jemand was tut, dann sollte ich das selber vormachen.

Corina Nastoll: Ja, absolut. Mir fällt da eine Situation ein, die mir häufig in meinem Unterricht begegnet. Denn ich, sofern mir ein Klavier in meinem Unterrichtsraum zur Verfügung steht, begleite ich natürlich Schülerinnen und Schüler auch gerne am Klavier. Aber meine Klavierfähigkeiten sind… hmmm…

Kristin Thielemann: Kommt mir irgendwie bekannt vor.

Corina Nastoll: Also da erleben meine Schülerinnen und Schüler schon oft live im Laufe von mehreren Wochen, die wir ein Stück erarbeiten, wie parallel ihre Spielfähigkeit an dem Stück und meine Begleitfähigkeit an dem Stück quasi zunehmen. Und ich es auch wichtig, dass wir da offen mit unseren eigenen To-dos und unseren eigenen Schwierigkeiten auch umgehen und da im besten Falle Vorbild sind. Absolut.

Kristin Thielemann: Absolut. Ich mache es meistens so, wenn ich im Unterricht dann am Klavier sitzend an so einer Stelle vorbeikommen, die schwer ist, dass ich sage: Okay, ich schreibe mir das jetzt auf einen Post-It und dann pinne ich mir das an meinen Kanban-Board. Ich habe nämlich an der Tür habe ich so ein Kanban-Board so mit den Punkten «To do», «Doing» und «Done» und wo ich dann immer diese kleinen Post-its dann auch ablege und wo die dann in der Woche drauf sehen ah, jetzt ist es von «To do» von der To-do-Liste auf «Doing» gehüpft. Zu signalisieren: Ich bin gerade im Tun und irgendwann, also spätestens zum Konzert, werde ich das ja wohl hoffentlich hinbringen. Und ich sage dann aber auch oft ganz Dinge wie… Also ich habe mir abends einfach immer jetzt eine Musizierzeit reserviert, weil ich weiß, dass mir das wahnsinnig gut tut. Auch für mich, für mein eigenes Üben, für mein Instrument, dass es eine Verabredung mit mir selbst, dass ich da in meinem Übezimmer bin, anderthalb Stunden, manchmal zwei da den Abend verbringe und dann da übe und lese und trainiere und dann Apps ausprobieren, Körperübungen. Diese Kennst du die Wim-Hoff-App?

Corina Nastoll: Nee, die App kenn ich nicht.

Kristin Thielemann: Musst ma runterladen, hat mir der Jeroen Berwaerts empfohlen, der Trompeter. Und der trainiert da immer mal mit und ich habe ihn gesehen, wie er damit trainiert und dachte: Wow, will ich auch probieren! Und das habe ich jetzt auch ausprobiert. Diese Wim-Hoff-Methode ist ja sowieso super. Und jetzt habe ich mir auch diese App runtergeladen und damit angefangen zu trainieren. Mal gucken, was ich daraus in den Unterricht mitnehmen kann. Aber was ich auch mit in den Unterricht nehmen will, sind die Impulse aus deinem Spezial und glücklicherweise habe ich es erst zur Hälfte gelesen. Was heißt, ich habe – ein ganz großes Glück -– ich habe noch ganz viele Impulse vor mir, die ich lesen darf. Und ich habe jetzt ein ganz schönes Gespräch gehabt mit dir, wo ich auch ganz viel an Ideen mitgenommen habe.

Corina Nastoll: Ja, vielen Dank für das Gespräch. Es war mir eine große Freude mit dir. Danke, dass ich da sein durfte!