Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

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#31 Ulrich Menke: Das Methoden Navi

Teaser: Aber können wir das nicht schaffen, dass wir von diesen acht oder zehn Minuten auch ausgehen und nicht sagen Ja, das ist aber nicht genug geübt, das ist zu wenig Zeit, die du da investierst. Sondern dass wir ausgehen: Okay, der hat also acht Minuten oder fünf Minuten Zeit am Tag. Wie kann ich den so ins Spiel bringen, dass der nach fünf Minuten etwas sehr Konkretes trainiert hat?

Kristin Thielemann: Die Übemethodiken, um die es in dieser Folge geht, sind so besonders, weil bei ihnen auch immer die Kreativität der Übenden gefragt ist und das selbständige Einbringen mit den eigenen Einfällen und der eigenen Fantasie im Zentrum steht, anstatt die Schülerinnen und Schüler mit dem Abarbeiten eines vorgegebenen Plans zu beschäftigen. Was mich an den Methoden, die ich über meinen heutigen Gast Ulli Menke kennengelernt habe, noch fasziniert: Sie bewirken, dass durch dieses ganzheitliche Training Vorspielsituationen viel stressfreier gelingen können. Also hört jetzt rein und bekommt Lust auf über Methoden mit so knackigen Titeln wie «Filmmusik», «Happy End», «Von null auf 180» und «Loop».

Intro: Voll motiviert. Der Musikpädagogik-Podcast von Schott Music, dem Verband deutscher Musikschulen und Kristin Thielemann.

Kristin Thielemann: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von «Voll motiviert», eurem Musikpädagogik-Podcast. Ulrich Menke ist Geiger und Bratschist. Er arbeitet seit über 30 Jahren als Dozent an Schulen, Musikschulen und Hochschulen. Sein neues Buch heißt «Das Methoden-Navi» und ist für mich die Entdeckung in Sachen wirklich genialer Übemethodik. Und so freue ich mich, dass er heute hier ist und ich ihn über wirksame Übemethoden ausfragen kann. Methoden, die bewirken, dass unsere Schülerinnen und Schüler einfacher, besser und motivierter vorankommen. Und hier ist er. Ulrich, Uli Menke. Herzlich willkommen bei «Voll motiviert» und danke, lieber Uli, dass du dir die Zeit nimmst.

Ulrich Menke: Ja, danke, Kristin, für die Einladung. Vielen Dank.

Kristin Thielemann: Wenn man Schülerinnen und Schüler fragt, wie sie üben, dann hört man häufig folgende Antwort: Ja, einfach so oft durchspielen, bis es eben besser wird. Und mein Eindruck ist dann, dass Lernende, die solch einen unbequemen Weg nehmen, es nicht nur extrem hart und langweilig haben werden, sondern auch viel von ihrem Potenzial verschenken. Was würdest du denn so einem jungen Menschen, der bisher mit der Taktik «Immer wieder durchspielen» gearbeitet hat, als allererstes für eine Übemethode vorstellen, lieber Uli.

Ulrich Menke: Das Verb «üben» finde ich überhaupt schon nicht kindesgemäß. Das ist ja fast. Fast immer kommt das zweite Verb, nämlich müssen. Also: Das musst du mal noch mal besser üben. Und Üben ist eigentlich ein toller Begriff, aber wenn wir das zusammen immer wieder verwenden mit dem Musizieren, dann kann es passieren, dass wirklich das nur als ein Übeauftrag verstanden wird von Lehrern, Lehrerinnen, von Eltern und überhaupt nicht als eine Chance, als ein Raum verstanden wird, in dem sie sich selbst begegnen. Und von daher ist für mich der Versuch lohnenswert, von diesem Überbegriff mal so weit wie möglich herunterzukommen. Und so kam ich auf den Begriff des Trainierens. Das ist kein keine Wortklauberei, sondern ich habe immer wieder mit Genuss feststellen können, wie die Jungs vor allen Dingen so cool von ihrem Training sprachen. Und jetzt soll man sich mal quasi vorstellen, die würden sagen: Also ja, ich gehe jetzt heute zu meiner Fußballlehrerin und dann schaut die nach, ob ich gut geübt habe. Da würden die nie drauf kommen! Und stattdessen, dass sie eine Verabredung mit sich selbst haben. Das bedeutet natürlich, ich muss ihnen etwas mehr öffnen, als dass sie das Gefühl haben: Ja, wenn ich dann diese C-Dur Tonleiter gut kann, fehlerlos, dann habe ich gut geübt. Sondern die Frage ist, inwieweit hat man dann mit sich selbst wirklich arbeiten können, sodass ich nicht nur diese C-Dur-Tonleiter irgendwie verbessert habe, sondern auch meine gesamte Persönlichkeitsentwicklung in dem Punkt weiter vorangetrieben habe.

Kristin Thielemann: Ist ja bei Sport auch so. Beim Training. Da trainierst du vielleicht deinen Eckball oder so, aber gleichzeitig trainierst du natürlich auch deinen Körper und du interagierst mit anderen. Und das hat ja auch so viel mehr Komponenten.

Ulrich Menke: Genau diese Komponente, auch der der Abwechslung. Dass ich natürlich nicht nur als Fußballer den Elfmeter übe und trainiere, sondern meine Grundschnelligkeit und Beweglichkeit. Und natürlich dann der Bizeps, der so ganz nebenbei auch noch trainiert werden muss. Und die empfinden grundsätzlich das deswegen glaube ich als erfüllend, weil sie während des Trainings gar nicht über die Übezeit, wie es dann bei den Musikern heißt, nachdenken. Ich weiß noch, als ich studiert habe, Ende der 70er, Anfang 80er Jahren, da war das selbstverständlich, dass die Hochschulklässler damit angaben, ob sie eher ein- oder zweistellig Stunden am Tag geübt haben, also acht oder eben doch zehn Stunden. Und davon ist man ja zum Glück runter. Bei unseren Schülern und Schülerinnen geht es ja eher um acht oder zehn Minuten. Sehr häufig aber. Können wir das nicht schaffen, dass wir von diesen acht oder zehn Minuten auch ausgehen und nicht sagen: Ja, das ist aber nicht genug geübt, das ist zu wenig Zeit, die du da investierst. Sondern dass wir ausgehen: Okay, der hat also acht Minuten oder fünf Minuten Zeit am Tag. Wie kann ich den so ins Spiel bringen, dass der nach fünf Minuten etwas sehr Konkretes trainiert hat?

Kristin Thielemann: Und dass er vielleicht auch vergessen hat, dass die fünf Minuten schon um sind.

Ulrich Menke: Er wird wahrscheinlich nach fünf Minuten überrascht feststellen, dass er eigentlich noch etwas Zeit bräuchte, um das Ziel, was er sich gesetzt hat, weil er es sehr genau über das Ziel nachgedacht hat, dass diese fünf Minuten vorbei sind. Und dann kann man ja Verträge machen und sagen: Okay, jede Woche eine Minute länger und dann bist du am Ende des Halbjahres bei einer halben Stunde. Aber eben nicht, weil er so lange üben muss, sondern dann sollte ein Prozess in Gang gesetzt werden, der diese Trainingszeit eigentlich nicht in den Vordergrund, sondern in den Hintergrund rückt.

Kristin Thielemann: Und das sowieso ein bisschen komisch, das Üben an Minuten festzumachen, denn man übt ja, um irgendetwas zu können und nicht um die Uhr glücklich zu machen. Und deswegen, wenn dann Eltern kommen und sagen ja, wie viel Minuten muss mein Kind dann üben? Das ist dann dieses «muss üben» schon mal drin und dann noch wie viele Minuten. Da kann man einfach sagen: okay, es gibt eine Aufgabe und ihr Kind macht es so, wie es Freude hat und im Zweifel, bis es das kann. Dann wird nämlich die Schnelligkeit belohnt und die Umsetzungskompetenz wird belohnt. Und deswegen... Ich bin so wirklich weg von diesem Ohr. Also am Anfang übt Ihr Kind bitte mal zehn Minuten. Wenn Ihr Kind mal keinen Spaß hat, daran zu üben, dann schlagen Sie doch einfach mal vor, dass es ein kleines Hauskonzert geben könnte.

Ulrich Menke: Ja, genau. Ein Ziel setzen. Das ist bei den Sportlern oft das Spiel am Wochenende und vielleicht bei uns Musikern zu selten der Auftritt, der einmal jährlich in Musikschulen oft nur realisiert wird, dann bekommt das dadurch auch so eine unglaubliche Bedeutung. Und übrigens eine Riesenangst. Ich habe das bei den Schülern immer wieder festgestellt, dass das ein Hauptgrund oft ist, mit einem Instrument aufzuhören, weil sie sagen: Diesen Stress tu ich mir nicht an.

Kristin Thielemann: Das ist witzig, das Gespräch mit Wolfgang Lessing aus Folge 30 kannst du jetzt noch nicht kennen, denn das geht erst nächste Woche online. Aber genau das hat er auch gesagt: Vorspiele sind die Hauptgründe, wenn Schülerinnen und Schüler aufhören, ihr Instrument zu spielen. Und ich finde Vorspiele, die jetzt nicht so eine Standard-Tippeltappeltour sind, also der am wenigsten weit Fortgeschrittene fängt an und am Schluss ist dann irgendwie so die Krönung. Also Vorspiele, die anders sind, die ein Thema bedienen, wo die Klasse gemeinsam sich ein Ziel setzt und sagt: Okay, wir wollen vielleicht diesen Komponisten oder diese Epoche oder dieses Land beleuchten und dazu tragen wir alle bei mit unseren Musikstücken. So, und dann machen wir das Konzert als kleines Kunstwerk für unser Publikum und nicht als Leistungsshow von uns. Ich finde, da liegt so viel mehr Potenzial drin.

Ulrich Menke: Ja! Und wenn man den Auftritt als eine Grundvoraussetzung seines Auftretens, ihres Auftretens in ihrem Leben, in der Schule, vor Freunden, in der Peergroup, in irgendwelchen Powerpoint-Präsentationen, dass das alles gleichzeitig geschult werden kann, im Training, in der Musik. Darum plädiere ich dafür, diesen Auftritt in jede Stunde reinzuholen. Also welchen Lachanfall gäbe es denn in der Fußballkabine, wenn ein Fußballer sagen würde ich habe Angst vor diesen Fußballspielen am Wochenende.

Kristin Thielemann: Das geht ja allerdings.

Ulrich Menke: Da hat er ja immerhin schon diese wöchentlichen Auftrittsmöglichkeiten. Aber wenn wir das wirklich so auf dieses ein Mal im Advent oder wann auch immer wir das spielen, dann kann sich kein Vertrauen bilden, dass ich eine Auftrittsroutine entwickele.

Kristin Thielemann: Beim Fußball ist es ja genauso: Wenn die Spieler am Wochenende nicht aufgestellt werden, oder die kleinen Spielerinnen, dann sind die ja sogar traurig.

Ulrich Menke: Ja, und die würden natürlich nicht im Fußballverein bleiben, wenn es ein Spiel vor Weihnachten gäbe, im Jahr und der Rest des Jahres wäre Training. Und darum plädiere ich… und das fand ich so interessant: Wie bringe ich die Coolness auch dieser Zielstrebigkeit, von Training, von sportlichem Training, dass die nicht darüber nachdenken, wie lang habe ich jetzt schon trainiert und was machen wir jetzt für eine Übung? Wie kann ich das hereinbringen?

Kristin Thielemann: Das Ziel ist so klar Ich möchte gegen die gegnerische Mannschaft gewinnen. Und ich möchte, dass meine Mannschaft eine unheimlich gute Figur auf dem Platz abgibt. Und was brauche ich dafür? Und ich finde, allein in diesem Setting können wir uns so viel für einen gelungenen Musikunterricht abgucken. Aber wir machen es nicht. Wir blättern die nächste Seite der Instrumentalschule auf und wir sagen: Oh, da gibt es aber eine Herausforderung! Das ist aber ein ganz großes Problem! Ich bringe dir jetzt mal bei, wie das geht, und dann übst du das schön zu Hause. Ich meine, es ist klar, dass junge Menschen das heute irgendwie als befremdlich empfinden.

Ulrich Menke: Sich auch nur von anderen sagen zu lassen, was angeblich lohnenswert sei. Das ist ja, das war früher natürlich ein bestimmter Stückekanon, der auch seine Gründe in technischen Aufbau von Möglichkeiten hatte. Aber heute fragt man ja auch Schüler deutlich öfter: Was wollt ihr eigentlich spielen? Und diese Identifikation mit einem Stück, dass ich das als meine Erzählung über die Rampe bringe. Nicht, dass ich den Mozart so gut spiele, dass mein Lehrer nichts mehr sagt, Das wäre, dass er zufrieden ist. Also diese alleinige Orientierung auf den Lehrer oder gestrenge Eltern oder wie auch immer, dass man das also abliefern muss, denn das ist auch sicherlich nicht der Hauptgedanke von Sportlern, während sie auf der Bahn laufen, dass sie überlegen, Was denkt jetzt der Zuschauer über meinen Lauf?

Kristin Thielemann: Nein, ganz sicher nicht.

Ulrich Menke: Hat er ja schon, Dann hat er ja verloren. Und ich glaube, das ist aber 80 % der Aufmerksamkeit während eines Vorspiels, zumal wenn das nur alle Jubeljahre mal vorkommt, dass man dann nur darauf aus ist, durchzukommen, nicht rauszukommen. Auch die ganzen Vokabeln, die sind ja verräterisch!

Kristin Thielemann: Das ist übel, oder? Oh, ich merke schon, es wird hier gerade ganz dunkles Gespräch, aber ein Gespräch, was unglaublich wichtig ist.

Ulrich Menke: Ja, genau diese, diese Begriffe, die wir gefunden haben im Umfeld von Unterricht, von Beschäftigung mit Musik, die finde ich richtig verräterisch.

Kristin Thielemann: Ja, schon allein das Wort «unterrichten». Ja, jemanden zu richten, der unter dir steht. Es ist überhaupt nicht meine Auffassung meines Berufsbilds. Ich habe keinen besseren Begriff. Aber dieses Wort «unterrichten», das ist nicht das, was ich mache in meinem Beruf.

Ulrich Menke: Ja, ich finde Training – das ist natürlich das Wort Erziehung im Deutschen. Wer zieht und was zieht? Wenn nur der Lehrer und die Lehrerin ziehen, ist das, wäre es mir zu wenig.

Kristin Thielemann: Es kostet vor allem Wahnsinnskraft. Ich möchte Kraft. Ich möchte hier eigentlich meinen Schüler begleiten, dass der von selber dahinläuft und deswegen finde ich das immer so wichtig zu fragen am Anfang: Ja, warum möchtest du denn überhaupt Trompete spielen? Warum hast du dich hier angemeldet? Kennst du irgendwas, was dich fasziniert? Und dann kommen die aber sehr, sehr schnell auf den Punkt und sagen: «Ah, mein Freund hier…» oder «Ich habe diesen Videoclip gesehen da…». Und dann weiß ich: Aha, das ist jetzt mal die eigentliche Idee dahinter, das behalte ich im Kopf. Ich versuche natürlich, dass meinen Schüler dann ein bisschen «ganzheitlicher» ausgebildet ist und nicht irgendwie am Ende nur spielen kann wie sein TikTok-Video. Aber wenn ich das diesen Grundgedanken kenne, finde ich, dann hilft mir das sehr am Anfang bei der Zielsetzung.

Ulrich Menke: Stellen wir uns auch wieder den Fußballer vor. Die kennen alle die Nummer sieben. Du brauchst nur einen Fussballer zu fragen: Wer ist Nummer sieben? Ja, es ist blöde Frage, ne? Ronaldo! Und stellen wir das vor bei einem Trompeter oder bei einem Geiger? Und wenn da jemand als Geiger kommt und sagt: «Ich habe den Vengerov gehört oder die Hilary Hahn und das hat mich so fasziniert, dann weiß man eigentlich, die hat man schon in der Tasche fast für das Experiment, daran zu arbeiten. Weil sie diese Vorbilder, die wir nutzen, um dieses Ziel, wohin man zieht, wenn man das bewusster immer wieder neu in den Fokus rückt, auch für die Schülerinnen, wenn sie kommen, dass das ganz klar ist: Warum bist du eigentlich heute hier? Ich würde das auch viel öfter von verschiedenen Seiten beleuchten, damit diese «Regieanweisung» für einen Unterricht so unterschiedlich wie möglich ausfällt, dass sie im Grunde nicht vorhersehbar ist, Überraschungen birgt. Das ist ein Unterricht, auf den man sich eventuell freut. Und darum würde ich das Wort unterrichten auch mit trainieren tatsächlich… am liebsten würde ich diese beiden Begriffe austauschen.

Kristin Thielemann: Ja, ich meine, der Begriff «üben» ist ja auch eigentlich so. Also den Begriff üben durch das Wort Training oder Spielen zu ersetzen, liegt ja eigentlich auch nahe, weil Üben meint ja im Grunde, das beschreibst ja auch so schön in deinem Methoden-Navi was ganz anderes. Denn das meint ja eigentlich den Acker bestellen, immer wieder den Acker so aufzubereiten, dass das schön läuft. Und das ist ja jetzt auch. Ja, ich meine, es ist ja eine nette Tätigkeit in der Natur, da irgendwie Farming zu betreiben, aber es liegt ja Menschen so fern, Fließbandarbeit zu machen. Und je weiter wir in die Zukunft blicken, desto mehr muss man ja sagen, selber nachzudenken und auch Inhalte selber zu gestalten, viel kreativer mit was umzugehen, als einfach der Ausführende zu sein. Ich glaube, das wird beim Lernen einfach die Zukunft sein und alles andere wird, wird immer, wird immer schwer bleiben, wird immer nach üben müssen klingen.

Ulrich Menke: Ja, also ich verstehe auch nicht ganz, wie wir jetzt nach der Coronazeit herangehen an: Was muss in Schule passieren? Da war viel von Digitalisierung die Rede und Corona würde offensichtlich machen, welche Schwachpunkte da sind. Ich würde da Schulen und Musikschulen am gleichen Punkt, an einem sehr ähnlichen Punkt sehen und fragen mich aber wie antworten wir denn konkret jetzt, was Musik angeht, in den Musikschulen auf die Veränderungen, die durch die Coronazeit angestoßen worden sind? Die reine Digitalisierung, das Hinstellen von Geräten in Schulen bringt ja schon mal gar nichts, sondern es müsste eigentlich ein Strategiewechsel her. Und welchen Strategiewechsel können wir im Musikunterricht anbieten? Und den Versuch unternehme ich im Methoden-Navi, dass sich also nicht nur sage: Ich habe hier ein paar Tipps, viele Methoden, kennst aber ein paar neue. Das wäre mir nicht wert gewesen, um irgendwelchen zehn Methoden drei weitere hinzuzufügen, sondern das Entscheidende ist, dass ich wirklich einen neuen Blick drauf werfen möchte, sowohl auf den Schüler und die Schülerin als auch auf die Trainingsgeräte. Ich würde mal die Methoden als Trainingsgeräte bezeichnen.

Kristin Thielemann: Ja, dann mal Butter bei die Fische, Uli. Viele Hörerinnen und Hörer werden das Methoden-Navi zu diesem Zeitpunkt ja wahrscheinlich noch nicht gelesen haben, weil es wirklich noch ganz, ganz druckfrisch ist. Vielleicht magst du an dieser Stelle einmal einzelne über Methoden vorstellen und ich habe mir gedacht, ich werfe dir jetzt einfach mal Elemente aus deinem Methoden-Navi vor, die mich beim Lesen fasziniert haben und ich würde dich bitten, diese Methodik in einigen wenigen Sätzen zu beschreiben. Also zuerst mein Favorit, die Methode «Filmmusik».

Ulrich Menke: Ja, die Idee führt oft dazu, dass bestimmte Leute ganz schnell ins Spiel kommen und sagen: Oh ja, da stelle ich mir folgendes vor! Und andere rennen davon, weil sie. Sie wollen Noten realisieren und können sich dazu nichts vorstellen. Und darum teile ich diese Methode auf. Das ist sicherlich ein Ziel, dass wir szenische Bilder entwerfen zu unserer Musik. Und das lenkt ja auch wunderbar ab von der Frage, ob ich da jetzt Fehler einbaue oder nicht, sondern dass ich davorsetze, den sogenannten Charakterwechsel, also dass ich sage: Okay, ich spiele das mal in einer bestimmten Ausdrucksweise oder ich lass dich mal raten, was soll das jetzt für ein Stück sein, also das Stück, was wir gerade trainiert haben - das kann auch eine Etüde sein. Und diese Etüde wird dann, ich spiele das jetzt mal ängstlich und jetzt mache ich das Gegenteil davon, weil wir mit Gegensätzen gut ein Gefühl dafür entwickeln kann: Welches Parameter muss ich verändern, damit dieser Eindruck, dieser Charakter quasi entsteht? Und aus mehreren Charakterwechseln kann ich dann eine Geschichte bauen und trainiere bei diesem Kind peu a peu, dass ich nicht nur einen Gegensatz, sondern auch Übergänge, Changierendes, Entwickelndes in die Musik hereinbringen kann. Das wäre Filmmusik.

Kristin Thielemann: Stichwort «Auswärtsspiel». Was muss ich mir unter der Methode Auswärtsspiel vorstellen, lieber Uli.

Ulrich Menke: Beim Auswärtsspiel bin ich ebenfalls vom Sportlichen ausgegangen, dass ich also die gegnerische Mannschaft treffe, auf demselben Rasenplatz grüße. Aber die gegnerische Mannschaft hat das heimische Publikum bei sich, das heißt unter erschwerten Bedingungen. Das Prinzip der Erschwerung ist wichtig. Dass ich also Dinge hinzunehme, die diese Passage schwieriger machen, wie in einem schweren Auswärtsspiel. Und wenn ich dann wieder nach Hause komme und das Heimspiel habe, sprich die Passage haargenau so, wie ich sie kenne, wie sie da steht, dann werde ich merken, die Erschwerungsmethode hat mir das erleichtert. Das Auswärtsspiel kriegt quasi die Revanche im Heimspiel.

Kristin Thielemann: Methode «Von null auf 180». Was soll das sein?

Ulrich Menke: Dass man auf 180 ist, habe ich genommen als Bild, dass jeder weiß: Okay, ich versuche ein Tempo nach oben zu bringen. (Eckart) Altenmüller warnt davor nur, immer wieder schneller zu trainieren, weil er sagt, es gibt bestimmte Stellen, die benötigen den Schwung. Das ist in anderen Methoden. Dann aber, beim «Hochüben», nehme ich mir am Anfang durch das halbe Tempo als Starttempo habe ich alle Zeit der Welt in dieser Passage alle meine fünf Sinne nacheinander in diese Stelle hereinzulassen. Und dann wird das über zum Beispiel so eine App wie Soundcorset wird das peu a peu automatisch schneller das Tempo. Ich muss also nicht das Metronom verstellen und dann komme ich immer stärker in das Originaltempo, vielleicht sogar drüber - das wäre dann die Erschwerungsmethode - und weiß dann genau an dem Punkt ich komme bei Viertel gleich 98 fliege ich raus. Und dann schicke ich das wieder durch eine andere Methode und weiß an der Passage, da scheitert es noch tempotechnisch und da gehe ich mit anderen Methoden ran.

Kristin Thielemann: Methode. «Akzente setzen». Was ist das?

Ulrich Menke: Das ist auch eine Erschwerungsmethode. Das heißt, ich nehme unter verschiedenen wechselnden Aspekten bestimmte Töne heraus durch Betonung. Die kann ich auch verlängern. Aber bei «Akzente setzen» geht es darum, dass ich an sich unbetonte Note herausnehme. Das könnten zum Beispiel in einer bestimmten Passage immer nur der erste Finger sein. Dass ich gucke, wo ist der erste Finger eigentlich dran? Und dann wird ein ganz anderes Bewusstsein über diese Stelle. Und sehr überraschend stelle ich plötzlich fest, dass der dritte Finger überhaupt nicht im Spiel ist, dass der die gesamte Passage frei hat und. Und dadurch habe ich wieder eine andere Position zu dieser Passage, als wenn ich sie einfach immer wieder nur notentechnisch abgelesen und realisiert hätte.

Kristin Thielemann: Jetzt noch die Frage nach meiner ganz besonderen Leib- und Magenmethode «Loop». All diejenigen Hörerinnen und Hörer, die schon länger dabei sind, wissen das bestimmt, dass ich auf das Üben mit Loop-Apps stehe, was ich ja auch sehr detailliert in meinem «üben & musizieren spezial» «Digital jetzt!» beschrieben habe. Aber es geht natürlich auch ohne Loopmaschine und ohne Loop-App. Und du, lieber Uli, hast die passende Methodik dazu. Erkläre sie mir doch bitte einmal vor aller Ohren, diese Technik.

Ulrich Menke: Den Loop, Looping Methode. Das Leben an sich kennen die jungen Menschen aus der Pop- und Rockmusik und ist ihnen total vertraut. Dass eine musikalische Phrase sich immer unverändert wiederholt. Wir kennen es aus afrikanischen und südamerikanischen Kulturräumen, dass also dort viel stärker die Wiederholung eine Rolle spielt. Wir empfinden oft beim traditionellen Üben die Wiederholung als lästig, zeitaufwendig, eben redundant. Wenn ich das «Coole» an der Wiederholung in den Mittelpunkt stelle, dann kann es gelingen, dass er vollkommen zeitvergessen mit diesem Loop spielt. Das heißt nicht, das ist so ein anderer Begriff, der vollkommen verbraucht und leer ist in der Musik: «Macht diese Stelle nochmal!» Die Stelle! Im Grunde ist wahrscheinlich im Unterbewusstsein das Wissen darum, dass es wirklich ein Punkt ist, an dem etwas eine Passage scheitert. Diesen Punkt herauszufinden, herausbekommen, auch wieder wörtlich verstanden, dass Sie zu sogenannten «Loopfindern» werden. Das heißt, da ist irgendeine Passage, die gefällt aus irgendeinem Grunde nicht. Das ist entweder funktioniert es vom Tempo, von der Intonation, vom Rhythmus nicht oder, oder. Und dann ist die Aufgabe: Wie kann ich jetzt den Punkt finden quasi, an dem das scheitert, an dem das entscheidend falsch weiterläuft. Und das bedeutet, dass ich aus einer großen Passage über vielleicht drei, vier Takte bekomme ich heraus: Es ist im Grunde der zweite Takt daraus eigentlich ja… Und dann guckt man, verkürzt das immer stärker. Und je kürzer wir jetzt diesen Loop haben, umso schneller lässt er sich natürlich in kurzer Zeit wiederholen. Ich kann mich dadurch viel stärker auf ein Parameter konzentrieren. Das kann ein Tonschritt sein. Das nenne ich «Tonschaukel», dass man da quasi hin und her schaukelt zwischen zwei Tönen. Und dann kann ich die verschiedenen Sinne einsetzen und sagen: Beim ersten Mal gucke ich hier auch hin, wie sieht das in den Noten aus? Beim zweiten Mal gucke ich auch, was mache ich denn da mit der Hand oder mit den Fingern? Und jetzt gehe ich nach innen: Ich schließe die Augen und höre jetzt nur herein. Ich kann riechen, wie dieser Ton riecht, welche Farbe hat er für mich? Und dann kann ich ihn wieder heraussenden und habe ihn dabei dauernd wiederholt, weil ich ihn ja «inwendig» habe. Auch so ein total blöder Begriff «auswendig».

Kristin Thielemann: Auswendig! By heart ist viel schöner.

Ulrich Menke: Weiter weg als «auswendig» kann man es gar nicht ausdrücken. Und viel schöner eben dieses «par coeur» oder «by heart». In anderen Sprachen sagt man: Ich habe es nach innen genommen, hin und her gewendet, wie so ein Teig geknetet und dann hat er die gesamte Zeit damit gespielt. Also mit der Stelle spielen ist dann was anderes als: «Spiel die Stelle nochmal!». Und ich habe als Schüler, so jedenfalls war das einer der häufigsten Sätze: «Ja, stopp, das macht das noch mal!» Und wenn es ein guter Lehrer war: «Pass mal auf: Die Intonation!» Du wurde also noch ein Tipp, ein Hinweis gegeben. Wenn das wenigstens als Ratespiel konstruiert gewesen wäre, dann hätte man ja vielleicht als Kind auch Spaß dran gehabt.

Kristin Thielemann: Ich sag meistens: «Die Stelle, die am meisten Potenzial hat… Also wenn du jetzt eine Stelle markieren solltest, bei der du dich am meisten verbessern könntest, welche wäre das?» Und dann kommen die ja meistens von selber drauf. Ja, das ist die Stelle, die würde ich am liebsten überspringen. Oder wenn man fragt: «Welche Stelle würdest du denn am liebsten überspringen, wenn du es jetzt sofort vorspielen würdest?» Und dann weißt du eigentlich: Okay, das ist die Stelle. Jetzt spielen wir die mal im Kreis und wir drehen jetzt mal das Tempo komplett runter. Und jetzt habe ich ja in deinem Methoden-Navi dieses «Happy Ending» oder «Happy End» heißt das, glaube ich, das habe ich für mich entdeckt. Und jetzt habe ich nächsten Sonntag ein Konzert. Ich spiele ein Trompetenkonzert. Das habe ich geübt und ich wusste: Ja, ich brauche mal einen guten Tag, um mit dieser Stelle - das ist einfach so ein bisschen knifflige Griffverbindung und es ist intoniert auch schlecht, weil du kannst auf der Piccolo nicht so schnell den Trigger nehmen an dieser Stelle. Also kurz: Das ist nicht so ganz meine Lieblingsstelle, aber ich pfuddele mich da immer so durch. Also hab ich gesagt: Okay, die machst du jetzt im «Loop» und die machst du mit «Happy Ending» genauso, wie du das gelesen hast im Methoden-Navi. Und siehe da, ich fühle mich schon bedeutend wohler bei dem Gedanken, dass dieser Takt am nächsten Sonntag kommen wird.

Ulrich Menke: Ja, dieses Spielerische lässt ja vergessen, dass ist ja ein Grundidee des Spiels. Es lässt wergessen, dass es um sehr ernste und sehr reelle Herausforderungen geht, wenn ich beim «Happy End» mir klar mache: Ich habe diesen Ton in mir, den kann ich, den bereite ich durch ein Crescendo durch einen Ritardando.

Kristin Thielemann: Aber, lieber Uli, wir sollten vielleicht noch mal erklären, was dieses Happy End ist. Für alle, die den Methoden habe ich jetzt noch nicht gelesen haben.

Ulrich Menke: Genau! Die Methoden greifen an verschiedenen Punkten eines einer Stückeentwicklung an, es gibt «Slow Motion» steht ganz klar am Anfang nach dem Warm-Up, dass man die Sache im halben Tempo macht. Aber irgendwann bleiben früher ausgedrückt «Stellen» übrig. «Angststellen» sagt man ja auch. Und dann, wenn dieses Denken bereits ganz gut basiert da ist, dass es ein um eine Eingrenzung geht, der Problematik, dass ich sage: Kannst du das vielleicht noch einen Ton kürzer machen, um der Sache näher zu kommen und dann kommt man manchmal bei Spitzentönen, bei großen Lagenwechseln im Klavier oder auf der Geige. Kommen wir an einen Punkt, wo ich sag: Das ist der Ton! Und dann ist es ja die Stelle, die, wie man es früher gesagt hat. Und wenn ich dazu eine positive, eine spielerische, eine warme Emotion zu diesem Ton aufbauen kann, dann werde ich in dem Konzert an dieser Stelle vorbeikommen und weiß, ich habe mit der gespielt wie auf einem Spielplatz.

Ulrich Menke: Und ich habe mich da zum Beispiel, diese Methoden sind natürlich herausgekommen, nicht nur aus 35, 40 Jahren des Unterrichtens, sondern auch im Austausch mit Studenten. Und da habe ich mich zum Beispiel von einer Studentin wirklich überraschen lassen. Da ging es um eine andere Methode, die heißt «Koffer packen» kann man sich vorstellt, ersten Ton, dann den zweiten, den Ton dazu usw.

Kristin Thielemann: Ich mache ja mal ganz gerne «Koffer wieder auspacken», das Stück mal von hinten zusammensetzen.

Ulrich Menke: Das ist die Gegenmethode, die heißt das dann «Rückspiel». Also ich habe möglichst Begriffe genommen, die auch sportlich leicht für die Schüler zuordenbar sind und wo Assoziationen entstehen. Und dann kamen sie aber auf die Idee, sagt: Ja, ich lass manche Schüler, und zwar junge Schülerinnen, gerne die Stelle wirklich rückwärts spielen. Das heißt also nicht nur letzten Ton, dann vorletzten und letzten, sondern ich gehe quasi gegen die Leserichtung.

Kristin Thielemann: Das mache ich auch, vor allem, wenn ich Blattpielen trainieren will. Weil wenn ich ein Stück habe, was der Schüler schon kann, dann weiß ich: Gut, der Ambitus ist bekannt. Dann sage ich: Okay, spiele mal dein Stück einmal von hinten durch – erst einmal mal ohne Rhythmus, erstmal nur die Töne. Dann trainieren wir einfach nur Ton spielen und anschließend - das ist natürlich bedeutend schwerer, weil es dann so, so unsinnig abgedruckt ist - also stell dir ein Takt vor: Viertelnote, halbe Note, Viertelnote und du spielst den rückwärts. Dann hast du natürlich nach deiner ersten Note, diese dieser Viertelnote, hast natürlich irgendwie optisch sehr sehr viel Platz, bevor dann die nächste Halbe kommt. Also das ist dann schon more tricky. Und das absolut Witzigste ist ja, wenn du das Ganze dann aufnimmst auf Video und dann mit so einer «Reverse-Film-App» ablaufen lässt. Also dass der Film rückwärts läuft. Dann kann der Schüler selber kontrollieren: Ist das jetzt eigentlich das Stück was ich gespielt? Das ist unglaublich witzig, das machen die so gerne.

Ulrich Menke: Ich kann mich noch gut erinnern das ich versuchte diese Studentin zu korrigieren und zu sagen: Ja, das liegt aber ein mögliches Problem darin, wir wollen ja keine Fehler einüben. Und diese Reihenfolge, wie Sie sie jetzt vorschlagen, nämlich von hinten nach vorne zu spielen, die kommt ja so nicht vor und dann könnte es ja falsch gespeichert sein. Und dann wies sie mich eine wunderbare Parallele hin, dass nämlich Kinder in einer bestimmten Phase es unglaublich gerne haben, dass sie rückwärts sprechen, also dass sie einfach so eine Geheimsprache entwickeln. Und dadurch, dann wird mir plötzlich klar: Ja, wir entschärfen diese Dramatik dieser Stelle dadurch, dass wir mit ihr spielen, und zwar gar nicht so zielorientiert, wie man das glaubt in 45 Minuten ja nun hinbekommen zu müssen. Sondern sogenannte Umwege zu gehen, auf denen wir diese Passage von ganz unterschiedlichen Seiten, also Methoden, Routen quasi anvisiert haben. Und das bedeutet dann, dass wir diese Stelle vollkommen anders gesettelt haben in diesem Kind. Es weiß dann nicht nur, es ist eine schwere Stelle, sondern wir haben mit der totalen Quatsch gemacht, mit der Stelle. Wir haben die zum Beispiel einfach rückwärts gespielt. Klang ganz komisch und dadurch wird sie natürlich werden die Kinder auch abgelenkt von der alleinigen Frage: Komme ich über diese Stelle hinaus? Schaffe ich die?

Kristin Thielemann: Mein Lehrer hat ja immer so eine ganz witzige Sache mit mir gemacht und zwar wenn es eine Stelle gab, wo ich dann irgendwie einen «Kiekser» gespielt habe, dann hat er gesagt: Okay, wir nehmen diese, diese kurze Phrase, die nehmen wir jetzt mal raus und du spielt sie noch mal und spielst sie mit dem Kiekser, den du eben drin hattest. Okay, das wird ja schon mal bedeutend schwerer. Und dann habe ich gespielt. Da ich versuchte, diesen Kiekser zu treffen und schon kam natürlich gleich noch einer hinzu. Okay, sagen wir das jetzt nochmal: Jetzt spielst du den ersten Kiekser und den zweiten Kiekser. Und dann habe ich mich natürlich auch noch vergriffen und es wurden immer mehr Herausforderungen, die ich dann nachspielen sollte. Und am Ende hat er gesagt: Weißt du was, jetzt mach es mal ganz einfach. Jetzt spielst du diese Phrase nur einfach mal so, wie sie dasteht. Wir haben beide so gelacht und es war es war plötzlich so herrlich einfach.

Ulrich Menke: Ja, dieser Fehlerumgang, das haben wir ja gerade im mitteleuropäischen Bereich, wo wir sehr viel notierte, fertige Literatur nachspielen. Jetzt stelle man sich mal vor, man kann bei der Appassionata raus, bei der Sonate und würde sagen: «Ach, ich mach das ab jetzt so!» Ja genau, wir würden lachen. Aber im Rap ist das eine ganz klare Kultur. Die sind aus auf sogenannte Fehler, machen einen Move, machen den falsch, sagen: Das ist aber auch cool. Jetzt nehmen wir an, Igor Levit würde sagen: «Oh, das ist aber auch cool, die Septime statt der Oktave!» Da würden alle Kritiker sagen: «Nee, so geht es nicht!» Aber wenn wir das mit hereinnehmen und sagen: Okay, du sagst, wir haben gerade Fehler gemacht, und in Wirklichkeit ist es ja vielleicht eine Idee das weiterzuentwickeln, dass wir zum Beispiel, wenn du sagst Kiekser, kann es vielleicht sein, dass helle Klangfarben in diese Passage reingehören, oder man will also dann auch herausbekommen, was war denn die Ursache dafür, dass es dazu kam? Wenn ich das herausfinde, dann habe ich den Fehler in der Hand und nicht der Fehler mich.

Kristin Thielemann: Es war ja so witzig in dieser Folge über Flow, da hat die Ulla Weber hat das gesagt in der Folge über Flow, die wir hatten im letzten Jahr und zwar hat sie gesagt: Unfälle zu Unfällen machen. Und ich dachte: Yes, genau das trifft's doch!

Ulrich Menke: Genau. Wenn wir also nicht mehr die Angst haben, eine Norm erfüllen zu müssen, sondern wenn mir etwas passiert. Und das ist übrigens ein klassischer Ansatz der Achtsamkeitslehre nämlich passiert: Es geht an mir vorbei. Das ist wie so eine Wolke, die an mir vorbeizieht. Wenn ich das also im Unterricht mit meinen Schülern trainieren möchte, dann kann ich ja natürlich nicht eine Stunde vor dem Auftritt am Wochenende oder bei «Jugend musiziert» sagen: «Ach übrigens, wenn was passiert, spiel einfach weiter». Das funktioniert nicht.

Kristin Thielemann: Ja, aber man muss sich doch schon so ein bisschen wieder reinmauscheln können. Das hat mir eine Freundin erzählt: Ihre Tochter spielt Geige. Und es war Bundeswettbewerb für Geige. Ich sage jetzt nicht, wer es ist, aber ich meine… also das Mädel steht da auf der Bühne und sie hatte ein wirklich ziemlich tricky zeitgenössisches Werk für Geige solo. Und sie hat gespielt und gespielt. Und die Freundin hat gesagt: «Oh, sie ist knallhart rausgeflogen! Es war überhaupt nichts mehr von dem, wie es sein sollte. Aber sie hat sich auf der Bühne, sie hat gespielt und gespielt und gespielt, bis sie irgendwann wieder drin war und hat das Ding über die Bühne gebracht und hat 25 Punkte gemacht.» Das hat keiner gemerkt, weil sie es so gut verkauft hat. Und ich habe mich so gefreut für sie, weil ich dachte: Yes, sie hat eine total wichtige Fähigkeit, nämlich sie ist wieder reingekommen. Nicht bei einem Fehler, sofort aufhören und sagen: «Oh, das war aber wohl falsch! Da müssen wir jetzt ja mal ran.» Sondern zu sagen: Okay, das ist vielleicht ein kleines Hindernis. Aber auf einer Autobahn, wenn es da irgendwie Bodenwellen gibt, oder da gibt es eine Baustelle, dann versuche ich doch auch das zu umfahren und wieder reinzukommen, sodass ich wirklich richtig schön weiterfahren kann. Ich fahre doch nicht in dieses Schlagloch rein und sage: «Oh, da war ein Schlagloch, jetzt muss ich mal anhalten.» Sondern ich gucke, dass ich gut weiterkomme. Und das kann es doch eigentlich auch nur sein bei der Musik.

Ulrich Menke: Das aber müsste schon vorher im Unterricht natürlich eigentlich in jeder Unterrichtsstunde Thema sein, wie ich also reagiere. Welche Strategie habe ich zur Verfügung, wenn ich, wenn irgendetwas passiert, wenn ich an irgendetwas vorbeikomme.

Kristin Thielemann: Und das Böseste, was du machen kannst, als Lehrer ist zu sagen: Da war ein Fehler, Stopp!

Ulrich Menke: Genau!

Kristin Thielemann: Sondern immer zu sagen: Sieh zu, dass wir diesen Abschnitt jetzt zu Ende bringen und dann ziehen wir mal Bilanz und dann gucken wir mal, wo wir rangehen. Und vor allem nicht: Dann guck ich, wo du rangehst, sondern du guckst, wo du rangehst. Und ich bin diejenige, die vielleicht noch ein paar Methoden in petto hat oder ein paar schöne Geschichten zu dem Stück.

Ulrich Menke: Das Fatale ist, dass wir Menschen von Natur aus stoppen unsere Bewegung, wenn ein Fehler erkannt wird.

Kristin Thielemann: Oh, meinst du, dass es wirklich von Natur aus so in uns drin, einfach bei jedem Fehler sofort zu stoppen? Ich habe ja immer gehofft, dass es anders ist. Mein Eindruck ist, dass die Schule uns da sehr stark mit ihrem in Anführungszeichen vielleicht «omnipräsenten Rotstift» wohlmeinend das so antrainiert hat, Fehler zu sehen, um sie dann zu beheben und dann in Anführungszeichen «fehlerfrei» zu werden. Defizitorientiertes Lernen. Und im Musikunterricht haben dann diese Lernerfahrungen aus der Schule aber dann zur Folge, dass wir Angst vor Fehlern bekommen, statt erst mal zu sehen, was schon alles da ist und dann selbstständig oder mit einem kleinen Schubs der Lehrkraft festzustellen, wo Verbesserungspotenzial liegt, dann aus eigener Kraft, mit Hilfe von Peers und/oder Lehrkraft die nächsten Schritte zu gehen.

Ulrich Menke: Ja, es gibt natürlich dann eher die Strategien, die sich daraus ergeben, dass ich zum Beispiel, wenn ich mich verhaspele, dass ich dann umso schneller weiterspreche, um das zu kaschieren. Aber von unserer Natur aus, haben wir ja nur Flucht, Angriff und Erstarrung. Und bei einem Fehler kommt es zur Erstarrung. Zunächst einmal, um dann zu entscheiden: Bleibe ich jetzt hier oder rase ich nach vorne oder nach hinten? Und das zu trainieren mit den Kindern: Wie kann ich reagieren, wenn etwas passiert? Und dann gibt es die Strategie zum Beispiel, dass wir das erst mal verstärken, was gerade passiert ist. Also zum Beispiel, wenn jemand mit dem Bogen zittert: «Ja, dann zittert mir doch mal diese Stelle vor!» Genau was du gerade mit dem Kiekser erzählt hast. Dadurch ist es einmal der spielerische Umgang und zum Zweiten gelingt es plötzlich nicht. Du kannst nicht auf Anhieb plötzlich, oder merkst zumindest; Aha, da muss ich ja das hier anspannen, den Bizeps, damit es überhaupt dazu kommt.

Kristin Thielemann: Zum Abschluss noch eine letzte Frage, lieber Uli, warum ist es dir so wichtig, dass wir Lehrkräfte, aber auch unsere Schülerinnen und Schüler so eine breite Palette an verschiedenen Übemethodiken zur Verfügung haben? Wir könnten doch auch sagen, zwei oder drei zu kennen würde doch vielleicht schon reichen, oder nicht?

Ulrich Menke: Das bedeutet, dass wir für mich, dass ich versuchen möchte, als Lehrer, dem Kind, dem Jugendlichen, dem Menschen, der Musik machen möchte, die Schlüssel selbst in die Hand zu geben. An den Schlüsselbund quasi, die Verantwortung über den Schlüsselbund weiterzugeben. Das nicht mehr der Schlüsseldienst des Lehrers allein dafür verantwortlich ist, dass der eine gute Idee hat für meine Passage. Darum plädiere ich sehr für Rollenwechsel, gerade in dem Anfangsstadium des Methoden-Navis. Dass also nicht der Schüler und die Schülerinnen auftauchen und sagen so: Ja, jetzt mal hier Mozart, spiel mal, was hast du denn diese Woche erarbeitet? Das wäre ja immerhin schon eine Frage, die zumindest scheinbar eine Offenheit ermöglicht, sondern dass man fragt: Mit welchem Trainingsgerät hast du gearbeitet? Also nicht Mozart als Trainingsgerät, sondern eben Ich habe «Happy End» mal an verschiedenen Passagen ausprobiert. Oder ich habe das «Looping» an folgender Stelle ausprobiert. Oder das «Mischpult».

Kristin Thielemann: Lieber Uli, das sind ganz viele tolle Tipps, die ich jetzt mit in die nächsten Unterrichtswochen nehme. Ich danke Dir ganz herzlich für diese Inspiration und das spannende Gespräch und Euch, ihr Lieben, voll motiviert Hörerinnen und Hörer, danke euch fürs Zuhören. Wenn es euch gefallen hat, freuen wir vom «Voll motiviert»-Podcastteam uns, wenn ihr diese Folge teilt, damit auch andere von Uli Menkes Tipps profitieren.