Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

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#27 Winterfolge

Intro: Voll motiviert – der Musikpädagogik Podcast von Schott Music und Kristin Thielemann.

Kristin Thielemann: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von «Voll motiviert» eurem Musikpädagogik-Podcast – heute mit dem Schwerpunkt Klassenmusizieren. Für diese Sendung habe ich gleich drei Gäste eingeladen. Bei uns sind Sabrina Walter, Markus Radigk und Fridolin Zeisler. Wir sind also ein musikpädagogisches Quartett, genau wie in der Sommerfolge, die auch immer noch häufig geklickt und geteilt wird. Dafür vielen Dank an euch! Meine Gäste kommen mit ganz unterschiedlichen musikalischen Hintergründen: Markus Radigk, der Jüngste hier in der Runde, hat erst vor wenigen Jahren seine ersten Erfahrungen mit Bläserklassenmusizieren gemacht. Dann haben wir Fridolin Heisler Gitarrenklassenlehrer und auch Gitarrenlehrer, der außerdem Schulleiter einer Musikschule ist, die gerade zu einer Kulturschule umgebaut hat. Und last but not least Sabrina Walter, Schulleiterin und Lehrerin einer musikbetonten Grundschule. Ich freue mich riesig, dass ihr beim musikpädagogischen Quartett mit dabei seid. Danke und herzlich willkommen hier bei «Voll motiviert».

Fridolin Zeisler: Ja, sehr gerne. Wir freuen uns.

Sabrina Walter: Auch. Vielen Dank, dass wir hier sein können.

Markus Radigk: Hallo zusammen.

Kristin Thielemann: Klassenmusizieren, aktiv Musik machen, statt im Musikunterricht Notennamen, Formen oder Lebensdaten von Komponisten auswendig zu lernen. Schöne Grüße an dieser Stelle an den 12-jährigen Sohn eines Kollegen aus München, der gerade versucht, Zahlen und Fakten zu Johannes Brahms auswendig zu lernen, um an der Prüfung nächste Woche eine möglichst gute Note zu bekommen. Dann doch lieber im Schulmusikunterricht ein Instrument erlernen. Viel motivierender. Bandklasse, das wäre sicher etwas, wo die Augen dieses 12-jährigen «Noch-nicht-ganz-Brahms-Fans» leuchten würden. Und wenn man dann Musik von Brahms spielt, vielleicht die Takte aus der ersten Symphonie, die den Jingle zum «Hamburg Journal» bilden, diese mit dieser Bandklasse aufnimmt, dann bekommt das Leben dieses großen Komponisten gleich noch mal ganz neue Relevanz. Nun kann ich aber viele Musikschullehrkräfte, bei denen sich schon allein beim Gedanken ans Klassenmusizieren die Schweißperlen auf der Stirn zeigen. Liebe Sabrina, lieber Markus, lieber Fridolin. Bitte stellt euch doch gerade selbst einmal unseren Hörerinnen und Hörern vor und verratet uns: Was genau ist der große Vorteil am Klassenmusizieren? Und zu den Gründen für die Schweißperlen auf der Stirn kommen wir dann später auch noch.

Sabrina Walter: Hallo, mein Name ist Sabrina Walther. Ich lebe in Stuttgart und bin Schulleiterin der Lerchenrainschule. Wir bauen gerade ganz aktuell eine musikbetonte Grundschule auf. Ein Teil davon ist natürlich, dass die Kinder in der Klasse musizieren, aber sie erhalten bei uns auch den Einzelunterricht – direkt im Ganztag – mit betreuten Übezeiten.

Kristin Thielemann: Oh, wie schön! Musikbetonte Grundschule mit Schulmusikunterricht, Einzelunterricht in der Schule und betreuten Übezeiten. Das nenne ich mal Service, liebe Sabrina!

Sabrina Walter: Ja, wir auch.

Kristin Thielemann: Absolut kinderfreundlich, familienfreundlich bei euch an der Lerchenraingrundschule in Stuttgart. Einfach komplett am Puls der Zeit. Darüber musst du bitte gleich unbedingt noch was erzählen. Aber wir gehen erst mal weiter mit der Vorstellung der Gäste. Markus, magst du als nächster?

Markus Radigk: Ja, Hallo zusammen, mein Name ist Markus Radigk. Ich habe aktuell in diesem Jahr mein Masterstudium in Musikpädagogik beendet und unterrichte aber schon seit 2016, also mein ganzes Studium über, an öffentlichen Musikschulen. Ich bin auch als Zweigstellenleiter der Jugendmusikschule Württembergisches Allgäu in Isny tätig und zudem jetzt ganz neu als stellvertretender Schulleiter an der Kommunalen Musikschule in Oberstdorf. Von Beginn an als Klassenmusiklehrer und auch im Einzelunterricht.

Kristin Thielemann: Prima, danke! Und dann haben wir noch Fridolin. Herzliche Grüße in den Norden.

Fridolin Zeisler: Genau in der Mitte Mecklenburg-Vorpommerns – also fast in der Mitte – ist die Kulturschule. Das ist meine Schule. Da bin ich seit 2007 und seit circa 19 Jahren. Seit 19 Jahren unterrichte ich Klassen im Gitarrenunterricht und habe mir damals ein kleines Konzept angesehen von bekannten Gitarristinnen. Das ist mittlerweile so sehr ausgebaut, dass ich mein eigenes Werk geschrieben habe, womit da auch Videos verbunden sind, die die Kinder abrufen können und auch ein im Prinzip ein integriertes digitales Gesamtkonzept. Gerade in den letzten Jahren war das ja extrem wichtig, dass man gerade beim Klassenmusizieren auch in der Lage ist, auf solche Situationen zu reagieren. Und das Schöne an dem Konzept ist, dass sich das auch an der Berufsschule benutzen kann. Da unterrichte ich nämlich Sozialassistentinnen und Sozialassistentinnen und Erzieherinnen und Erzieher, die genau das gleiche Konzept in einer etwas anderen Aufmachung - sozusagen ohne die bunten Bildchen sehen. Aber es geht im Grunde genommen darum, dass die Kinder, dass die Erwachsenen lernen, miteinander Musik zu machen. Das ist nämlich eine Sache, die wunderschön ist, Spaß machen kann und auf den Musikschulunterricht dann letztlich vorbereiten soll.

Kristin Thielemann: Ich bin beeindruckt, Fridolin. Jetzt hatte ich nach den Vorteilen gefragt. Wollen wir wieder Ladies first? Sabrina. Klassenmusizieren versus herkömmlichem Schulmusikunterricht. Wo siehst du die Vorteile für das Klassenmusizieren?

Sabrina Walter: Die Vorteile sind ganz klar, dass die Kinder alle ans Instrument kommen, dass sie tatsächlich etwas ausprobieren können. Ich denke, heutzutage ist immer noch üblich, dass im Musikunterricht in der Schule und auch in der Grundschule leider viel in Theorie stattfindet oder dass man gemeinsam singt. Aber dass die Kinder wirklich das Instrument in die Hand bekommen, das ist schon was Besonderes. Und wir sehen einfach, wie die Kinder sich in ihrer Persönlichkeit weiterentwickeln, wenn sie gemeinsam musizieren können. Und ich denke, das ist ein ganz großer Auftrag von uns.

Kristin Thielemann: Absolut. Aber ich finde es auch immer wunderschön, wenn in der Schule gesungen wird, denn das macht es für uns im Instrumentalunterricht deutlich leichter, wenn du nicht erst mal so die die Kinder und Volkslieder beibringen musst, sondern wenn da wirklich in der Schule was stattgefunden hat. Das merkst du einfach. Die Kinder, die in solche Klassen gehen, die haben riesengroße Vorteile bei uns. Aber nichtsdestotrotz, wenn man in der Schule dann auch noch ans Instrument herangeführt wird: bombastisch! Markus, was sind die Vorteile für dich?

Markus Radigk: Für mich aus Musikschulsicht oder vielleicht auch aus Vereinssicht gesehen… Die Musikvereine sind ja bei uns im Süden Deutschlands sehr stark vertreten. Es ist ein Vorteil, dass man Kinder fürs Musizieren gewinnen kann, die vielleicht sonst nie einen Zugang gefunden hätten. Man hat ja doch in der Musikschule oft Kinder aus eher, ich nenne es mal elitären Verhältnissen oder die irgendwelche Beziehungen zur Musik haben, weil schon der Vater spielt oder wer auch immer. Und mit dem Klassenmusizieren können wir ich nenne es mal ganz flapsig neue «Kundschaft» gewinnen.

Kristin Thielemann: Ja, absolut. Das ist auf jeden Fall ein Punkt. Und wie sieht es im Norden aus, Fridolin?

Fridolin Zeisler: Das, was Markus gerade angesprochen hat mit den benachteiligten Kindern, mit sozial schwächer gestellten Kindern, mit finanziell schwächer gestellten Kindern, ist es. Das ist ganz klar ein Vorteil, den auch ich sehe und wo ich die größten Chancen sehe. Mir ist vor allem aber wichtig, dass die Kinder in der Lage sind, arbeiten zu lernen und dann halt eben auch das Präsentieren zu lernen. Denn das ist eine Fähigkeit, die sie nicht nur im musikalischen Bereich, sondern auch im schulischen Bereich sehr, sehr gut anwenden können. Und wenn man dann später an das Leben denkt, was sie leben werden, dann ist Durchhaltevermögen so unglaublich wichtig und die Selbstpräsentationen ebenso wichtig, dass die Kinder einfach das in diesem einen Jahr lernen sollen. Mir ist nicht wichtig, dass die Musiker werden. Es geht nicht darum, dass sie Gitarristinnen oder Gitarristen werden bei mir, sondern es geht darum, dass sie Freude und Spaß am Musizieren entwickeln, dass sie in der Lage sind, auch schwere Zeiten durchzustehen. Mit unserer Hilfe im Alter von sieben, acht Jahren ist das halt unglaublich wichtig und trägt zur Persönlichkeitsbildung bei. Und dann, wenn Sie sich entscheiden, später ein musikalisches Angebot wahrzunehmen, ist es sehr schön. Aber es ist ein Nebeneffekt, den ich halt zusätzlich sozusagen als Benefit sehe. Die Hauptsache, die ich halt wirklich für die Kinder sehe, ist, dass sie in der Lage sind, ihr Selbstbewusstsein aufzubauen und in der Lage sind, zu arbeiten und zu präsentieren.

Kristin Thielemann: Spürt ihr denn als Grundschule wirklich positive Effekte auf die Schülerinnen und Schüler, wenn die im Klassenmusizieren unterwegs sind, Sabrina?

Sabrina Walter: Also ich glaube, sowohl im Musikunterricht oder auch wenn sie im Klassenmusizieren sind. Die Schulgemeinschaft schweißt das zusammen. Also bei uns wird einfach unheimlich viel gesungen, auch letztes Jahr in Coronazeiten mit viel Abstand mit Maske. Wir haben das einfach durchgezogen und die Kinder hört man dann im Flur die Lieder singen und man hat ständig diese Ohrwürmer, auch in den Ferien und auch bei uns Lehrern. Und ich glaube das Klassenmusizieren, so wie der Markus es gesagt hat, ist ein großer Vorteil, dass man an die bildungsfernen Familien rankommt. Da haben wir natürlich als Schulen viel leichteren Zugriff auf alle Kinder. Ja, also ich finde es einfach wahnsinnig bereichernd und auch für jeden Unterricht. Studien sagen ja auch, dass die Kinder nach dem Musizieren viel konzentrierter sind. Und ich denke, in der Summe werden wir das auch in Mathe und in Deutsch spüren.

Kristin Thielemann: Ist das für die Eltern auch ein Argument, die Kinder speziell an eure Schule zu schicken?

Sabrina Walter: Ja, also wir haben jetzt wirklich ein tolles Angebot für unsere Ganztageskinder, das wir jetzt schon im dritten Jahr führen: Es heißt «Musik für alle». Die Kinder haben in der zweiten Klasse im Klassenverband eine musikalische Grundausbildung und lernen die Instrumentengruppen kennen und dürfen in der dritten Klasse im Kleingruppenunterricht, also 3 bis 4 Schüler ein Instrument erlernen. Das ist alles von der Stadt finanziert und die Familien erhalten auch ein Leihinstrument. Oder vielmehr die Kinder erhalten das Leihinstrument für dieses Jahr. Und so kriegen wirklich alle unsere Ganztageskinder zwei Jahre intensive einen intensiven Musikunterricht noch mal zusätzlich zum Normalen. Jetzt ganz neu ist Folgendes: Da sind jetzt unsere Erstklässler gerade am Start und die haben auch diese musikalische Grundausbildung. Und nach dem ersten Halbjahr in Klasse 1 dürfen sie im Einzelunterricht ein Instrument lernen und dann musizieren sie natürlich auch in der Klasse zusammen. Also jetzt aktuell sind die zusammen, dass sie Solmisation haben, sie singen viel, sie haben ein Orff-Ensemble und das wird jetzt natürlich in den Folgejahren ausgebaut. Wir schon ganz gespannt, welche Instrumente jetzt dann tatsächlich gewählt werden und was für ein Orchester entstehen wird. Aber das dürfen aber natürlich die Kinder entscheiden.

Kristin Thielemann: Wie viele Lektionen Musikunterricht haben die denn die Woche bei euch?

Sabrina Walter: Also jetzt im ersten Halbjahr sind es zusätzlich zum Unterricht noch vier Stunden. Und jetzt kommt zum zweiten Halbjahr das Instrument dazu und dann noch eine tägliche betreute Übezeit.

Kristin Thielemann: Habt ihr noch einen Platz für einen 10-jährigen?

Sabrina Walter: Da sind wir leider erst im Aufbau. Aber es spricht sich natürlich schon rum in Stuttgart. Jetzt war gerade Schulanmeldung und so wie die Zahlen aktuell aussehen, werden wir jetzt schon im zweiten Jahr in die Situation kommen, dass wir auswählen müssen. Das wird jetzt der nächste Schritt sein: Wie schaffen wir es auszuwählen, dass wirklich die Kinder und Familien kommen können, wo die Kinder das Interesse haben und egal aus welcher Herkunftsfamilie – das soll ja wirklich jetzt kein Ausschlusskriterium sein, weil vielleicht das Finanzielle nicht so möglich ist. Also da sind auch wirklich die Bedingungen gut gestellt, dass das bezuschusst werden kann. Also bis zu 90 % kann da übernommen werden und auch die letzten 10 % gibt es noch im Geldtopf, dass da kein Kind wegbleiben muss, weil es nicht möglich ist. Aber da jetzt auch die Kinder zu finden, die wirklich einfach auch Spaß und Lust haben, das wird jetzt noch mal herausfordernd. Aber wir freuen uns darauf!

Kristin Thielemann: Ich bin ganz beeindruckt und wollte auch gerade schon nach der Finanzierung fragen. Wie verkauft man das denn der Stadt, dass sie finanziell so viel übernimmt von einer musikalischen Grundschule?

Sabrina Walter: Ja, wir haben einfach eine sehr aktive Stuttgarter Musikschule, die das seit Jahren verfolgt und dann natürlich die Politik auf die Seite bekommen hat. Und wir haben die Stadt Stuttgart, die das vorantreibt. Dort sehen sie, dass der Fachkräftemangel auch im musikalischen Bereich vorhanden ist und dass auch die Musikhochschulen die Schüler brauchen. Das muss einfach von unten aufgebaut werden. Wir haben in Stuttgart ein Musik-Gymnasium und letztendlich erhofft man sich schon, dass das eine oder andere Kind dann auch bei uns aus der Grundschule gehen wird und einfach so eine gute Ausbildung hat, dass es dann auch den Übergang ans Musik-Gymnasium schaffen kann. Aber sicherlich ist das nicht der Schwerpunkt. Also es geht wirklich darum, dass die Kinder eine gute musikalische Grundausbildung erhalten und ins Musizieren kommen.

Kristin Thielemann: Fridolin, darf ich fragen, wie ist das bei euch im Norden? Wie seid ihr an die Kooperationen drangekommen?

Fridolin Zeisler: Über persönliche Kontakte. Das ist das Wichtigste und das ist auch ganz wichtig, dass man tatsächlich mit den Schulleiterinnen und Schulleitern in Kontakt bleibt und sich dann auch regelmäßig anmeldet und sich abmeldet. Das ist das eine. Wir haben es leider nicht ganz so schön, wie es in Stuttgart gerade präsentiert wurde. Wir haben dafür den Teilnehmerbeitrag so gering gehalten, dass das Bildungs- und Teilhabepaket komplett einspringen würde. Also in dem Moment, wo jemand sich das nicht leisten kann, da gibt es dann die Möglichkeit, es über das Bildungs- und Teilhabepaket abzulösen bzw. über eine soziale Ermäßigung an unserer Musikschule. Und ja, also das klingt total paradiesisch, was Sabrina gerade erzählt. Das ist total toll und ich hoffe, dass dieses Modellprojekt in Stuttgart Schule macht. Gerade weil wir hier in Mecklenburg-Vorpommern auch merken, dass Musiklehrer an allgemeinbildenden Schulen wirklich eine Rarität sind und händeringend von der Straße geklaubt werden. Wir werden regelmäßig angesprochen, ob wir nicht an Grundschulen unterrichten möchten. Wir helfen auch für Lehrerinnen und Lehrer als Fortbildner aus. Aber es ist natürlich so, dass Musikschullehrkräfte ein anderes Themengebiet haben. Aber auf diese Art und Weise kann man richtig gut miteinander arbeiten und vor allem zum Wohle der Region etwas gestalten. Und das hat Sabrina ja auch sehr schön eingebracht, dass eben das Schulklima dadurch gestärkt wird. Denn in gemeinsamen Konzerten kann so etwas dann präsentiert werden. Die Kinder, die es vielleicht auch etwas schwerer haben im Klassenverband, die werden dann gestärkt, stärken ihr eigenes Selbstvertrauen, wenn sie ihr Können präsentieren. Es ist so unglaublich, wie schön es ist, wenn sich die Kinder freuen, nachdem sie aufgetreten sind und das absolviert haben, was sie da präsentiert haben, was sie gearbeitet haben, was sie mit viel Liebe und Mühe sozusagen in ihre Finger, in ihre Stimmen hineingebracht haben.

Kristin Thielemann: Stichwort Fachkräftemangel. Lieber Markus, als wir kürzlich bei einer Pizza in Leutkirch zusammensaßen, hast du mir erzählt, dass es dein unbedingter Wunsch war, Musikpädagogik zu studieren. Aber das ist überhaupt nicht einfach war, einen Studienplatz zu finden, wo du wirklich all das lernen kannst, was du dir vorgenommen hast. Wie sieht es denn an der «Front» aus, wenn ich das mal so bezeichnen darf? Was sollte deiner Meinung nach eine Hochschule heute bieten, die ihre Studierenden auf den Alltag an einer Musikschule oder auch als freiberufliche Musiklehrkraft vorbereiten möchte?

Markus Radidk: Was das angeht, hatte ich in meinem Studium relativ viel Glück. Wir hatten schon im Bachelorstudium, ich war am Vorarlberger Landeskonservatorium in Kooperation mit dem Mozarteum Salzburg. Dort gab es unterschiedliche Kurse zur Didaktik des Klassenmusizierens, Didaktik des Gruppenunterrichts usw. Ich glaube, wir müssen nicht näher auf die Inhalte dieser Veranstaltungen eingehen. Da gibt es bestimmt noch viel Entwicklungspotenzial. Es gibt mittlerweile diesbezüglich schon viele Bemühungen der Hochschulen. Ich denke aber, dass es wichtig für junge Lehrkräfte ist, die neu starten, eine gewisse Offenheit und Lockerheit mitbringen. Man lernt doch noch viel an der Hochschule. Ich habe dort auch sehr viel gelernt und man kommt dann sehr motiviert zur Arbeit und weiß, was man alles machen kann und sollte. Dann stellt man aber fest: Okay, einige Dinge funktionieren dann gar nicht so, weil man vielleicht – aus welchen Umständen auch immer – erst zehn Minuten zu spät anfangen kann. Oder die einen Schüler müssen schon früher auf den Bus usw. Das sind so Kleinigkeiten. Und dann ist natürlich der ganze Plan, den man sich erarbeitet hat, schon wieder irgendwie über den Haufen geworfen. Und ich denke die Planung und natürlich die Vorbereitung auf den Unterricht ist essenziell. Das lernt man im Studium, denke ich. Aber damit umgehen zu können, dass die Dinge dann doch anders laufen, das ist eine sehr große Herausforderung für junge Lehrkräfte.

Kristin Thielemann: Wie ist es denn mit der Herausforderung der unruhigen Klassen? Wenn man vor einer Klasse steht, kann es ja schon mal ein bisschen unruhiger sein. Wenn die «nur» eine Gitarre in der Hand haben, kann ich mir vorstellen, dass der Geräuschpegel noch okay ist. Bei Blechblasinstrumenten, das kann ich euch aus eigener Erfahrung sagen, ist es schnell nicht mehr okay. Lernt ihr im Studium da auch Konzepte, wie man solche Klassen beruhigt?

Markus Radigk: Wir haben im Studium diesbezüglich wenig gelernt, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich habe es einfach durchs Tun gelernt. Vielleicht eine recht lustige aktuelle Geschichte. Einen Schüler, der eher vielleicht ein bisschen schwieriger ist, Fünftklässler in einer Mittelschule, hat letzte Woche zu mir gesagt: «Sie sind irgendwie der coolste Lehrer. Sie sind irgendwie total nett, aber doch immer streng.» Und ich denke, das ist vielleicht was, was sich junge Kollegen auch vornehmen müssen. Viele Musiklehrer wollen irgendwie cool, locker und und lässig sein. Das ist zum einen ganz wichtig, aber ich glaube, die Schülerinnen und Schüler wollen auch, dass sie gewisse Regeln bekommen und sich daran halten müssen. So kommt es auch immer wieder mal vor, dass ich sage: «Okay, Schüler XY, bitte jetzt das Instrument abgeben und du darfst wieder mitspielen, wenn du wieder mitspielen möchtest.» Und dann frage ich ab und zu mal: «Und? Möchtest wieder mitspielen.?» Ich bekomme immer die Antwort: «Ja!» Und dann funktioniert das auch immer wieder. Ich habe außerdem den Vorteil, in allen Kooperationsprojekten, wo ich bisher war, war es immer so, dass parallel normaler Musikunterricht stattfindet. Die Notlösung ist einfach zu sagen: Instrument abgeben und dann in die Klasse in den «normalen» Musikunterricht. Ich habe diese Maßnahme zwar noch nicht oft gebraucht, aber das ist sozusagen die letzte Instanz.

Sabrina Walter: Markus, das sind auch die Punkte bei uns. Die Pädagogik lernt man ja letztlich tatsächlich aus dem Tun und da sehen wir auch, dass es ganz wichtig ist, dass auch die Musikschullehrkräfte ihre Regeln und Rituale haben. Kinder lieben es ja, wenn sie wissen, ob ein Lehrer transparent und konsequent ist. Und dann funktioniert es auch. Ich glaube, das ist schon so ein Knackpunkt: Die sehr gute Kooperation zwischen Schule und Musikschule. Und dass einfach das Lehrpersonal sich gut abspricht, dass man die Regeln im Schulgebäude oder in der Schule kennt und auch eine konsequent aufzeigen kann. Also gerade so wie bei dir, Markus, dass du ein Kind wegschicken kannst. Und so haben wir es jetzt auch geplant. Wir merken, dass es gut ist, wenn parallel ein Angebot ist, das einfach unsere externen Gäste (und sie sind ja einfach nicht so häufig bei uns) auch eine Möglichkeit haben, ja das Ganze zu beruhigen. Dazu gehört auch mal ein Kind in eine andere Klasse zu schicken. Das A und O ist da der gute Austausch.

Fridolin Zeisler: Es gibt immer den Auffälligen oder die Auffällige. Und selbst wenn die Person weg ist, gibt es eine neue, auffällige Person. Das heißt, man hat immer mit interessanten und spannenden Phänomenen zu tun. Und ich glaube, was sehr, sehr wichtig ist, ist die Ruhe zu bewahren. Das zweite ist, die Regeln, die jetzt gerade schon besprochen wurden, von Anfang an einzuführen und auch durchzuziehen. Denn wenn es erst mal versaut ist, dann ist es ganz schwer, es nur wieder in die Bahn zu kriegen. Und was ich auch unbedingt empfehlen kann: Lasst euch einfach mal von den allgemeinbildenden Lehrkräften zeigen, wie der Unterricht funktioniert. Hospitiert dort! Und in diesem Moment, da weiß man, wie der Hase läuft. Dann weiß man auch, welche Regeln eingehalten werden müssen und wie man auch schwierigere Kinder tatsächlich wieder zur Räson rufen kann. Denn die Konzepte sind ja da, man muss es selber nur machen! Und als jemand, der fast ausschließlich Einzelunterricht gibt, wie es einige tun, ist es natürlich eine Herausforderung, dann auch vor einer Klasse mit zehn, 20 oder 25 Kindern zu stehen. Das ist immer toll, das macht immer Spaß. Aber es ist auf jeden Fall ein Verlassen der Komfortzone. Das auf jeden Fall. Und was wir auch unbedingt machen sollten, ist den Kontakt zu den Eltern suchen. Das kennen die allgemeinbildenden Schulen ja auch regelmäßig. Immer vor den Kursen mache ich ein Telefonat, halbe Stunde, Dreiviertelstunde mit jedem einzelnen Elternteil, um wirklich sicher zu gehen, dass das klar ist, was ich erreichen möchte in diesem Jahr, was ich erwarte von den Eltern. Und das ist ganz, ganz viel, weil die ja ihre Kinder ja unterstützen müssen. Die müssen bei mir zum Beispiel einen «Übeclub» machen, wo sie fünfmal in der Woche mindestens zehn Minuten Gitarre spielen. Es geht jetzt nicht ums Üben, sondern ums Spielen. Und das müssen die Eltern unterstützen, weil die Kinder das in der zweiten, dritten, vierten Klasse nicht alleine können. Erst recht, wenn sie in der Diagnose Förderklasse sind. So was gibt es hier in Mecklenburg-Vorpommern. Ich weiß gar nicht, ob es das in anderen Bundesländern auch gibt, aber das sind halt diejenigen Kinder, die es ein bisschen schwerer haben und integriert werden sollen. Da müssen die Eltern mithelfen! Und da bin ich auch im direkten Kontakt mit den Eltern, wenn irgendetwas schiefgeht.

Kristin Thielemann: Das ist dann aber auch administrativ recht aufwendig…

Fridolin Zeisler: Aber es lohnt sich. Die Frage ist ja immer: Löscht man ein Feuer, wenn es brennt, oder versucht man von vornherein zu vermeiden, dass es überhaupt brennen kann? Und dann ist mir das andere deutlich lieber, weil mein Schuljahr mir viel mehr Spaß macht, wenn ich weiß, ich kann mich darauf verlassen, dass die Eltern mitlaufen.

Kristin Thielemann: Punkt für dich, Fridolin. Markus, du wolltest noch was sagen?

Markus Radigk: Ja, es ist zum einen noch zu deiner Frage vorhin Was sind denn die Vorteile des Klassenmusizierens und es hat auch etwas mit dem Disziplinthema zu tun? Ich versuche immer eine gute und gesunde Feedbackkultur zu entwickeln, auch schon bei bei den ganz Kleinen in der dritten Klassenstufe. Das sind so meine Jüngsten, die ich im Bläserklassenunterricht habe. Wir spielen natürlich viel zusammen und sie bekommen im Sinne des Frontalunterrichts sehr Feedback von mir. Aber ich lass jede Stunde, jeden einzelnen irgendetwas vorspielen und wenn es nur einen Ton aushalten, das F treffen oder so etwas ist. Die anderen müssen dann ein Feedback geben. Das ist eine Herausforderung in den ersten Wochen des Schuljahrs. Aber ich habe da sehr positive Effekte erlebt, auch schon auch bei Schülern. Diejenigen, die ich jetzt schon länger begleite, die schon vor zwei oder drei Jahren in der Klasse waren, die haben das ganz gut drauf.

Kristin Thielemann: Wie ist es denn eigentlich, wenn die Bläserklasse beendet ist? Wie hältst du die Schüler dann bei der Stange? Gehen die dann direkt in irgendeine Jugendmusik, in einen Musikverein oder kommen die in den Einzelunterricht? Wie geht das bei euch weiter nach der Bläserklasse?

Markus Radigk: Das ist ein ganz schwieriges Thema. Es läuft an jeder Einrichtung anders. Und ich glaube, es ist auch ein ganz entscheidender Punkt, ob so eine Kooperation auf Dauer funktioniert oder nicht. Um kurz zu erzählen, wie es in Isny läuft. Die dritte Klasse in der Grundschule läuft so: Sie haben den Klassenunterricht, also alle Instrumente, alle Schülerinnen und Schüler, die ein Instrument lernen, haben zweimal bei der Musiklehrerin den Klassenunterricht, sprich die Orchesterstunde. Und einmal in der Woche kommen Lehrkräfte von der Musikschule und machen den Gruppenunterricht der einzelnen Instrumente. Im Folgejahr, in der vierten Klassenstufe müssen sie sich an der Musikschule anmelden, für Einzelunterricht oder auch im Paarunterricht, aber nicht mehr in der Gruppe, in der Gruppengröße wie zuvor, aber die Orchesterstunde bleibt. Also die Musiklehrkraft von der Schule hat auch in der vierten Klasse die Stunde. Was nicht funktioniert hat, ist, dass man die Gruppen zusammenlegt. Sprich die Drittklässler spielen mit den Viertklässlern zusammen. Es ist zwar gut, wenn sich Vorbilder entwickeln, aber ich denke aber eher, dass man das durch Konzerte machen muss. Wenn Schüler schon ein Jahr gelernt haben und die anderen neu anfangen, ist es sehr schwierig. Und so haben wir es jetzt gelöst. Und oft sind die dann schon so weit, dass in der fünften, meistens dann in der sechsten Klasse schon in das Vor-Orchester einsteigen können, dann in die Jugendkapelle und so ist der Übergang dann ganz gut organisiert. Ich kenne aber auch Schulen und Erlebtes, wo dort noch Entwicklungspotenzial besteht diesbezüglich.

Kristin Thielemann: So ähnlich war das auch an einer Musikschule gelöst, an der ich angestellt war. Die Schülerinnen und Schüler, die dann weitermachen wollten, mussten sich nach dem Jahr in der Bläserklasse an der Musikschule anmelden bzw. die Eltern mussten das und konnten dann im Einzel- oder Kleingruppenunterricht weitermachen. Ich habe dann so eine kleine Zweiergruppe zugeteilt bekommen, zwei Trompetenschüler. Aber was mir niemand gesagt hatte: Der eine hatte in der Bläserklasse ein Jahr lang Trompete gespielt und der andere ein Jahr Saxofon. Ja, ein bisschen frustrierend für den kleinen Trompeter war dann doch, dass der Saxofonschüler nach wenigen Wochen genauso gut Trompete spielen konnte wie er selbst. Nach einem Jahr Lernen in der Bläserklasse! Da habe ich mir natürlich die Frage gestellt Wie groß ist denn eigentlich der Benefit aufs instrumentale Lernen in diesem Klassenmusizierkonzept, wenn so was passieren kann? Jetzt kommen wir nämlich gerade so langsam zu den Nachteilen. Gibt es eigentlich auch Nachteile vom klassischen Musizieren?

Fridolin Zeisler: Na klar, eine ganze Menge sogar! Man kann niemals damit rechnen, dass Stunden ausfallen, denn die Stunden finden immer statt. Irgendjemand ist immer da. Und in den seltensten Fällen hat man irgendwann mal den Grund, dass irgendwas nicht klappt. Bei Einzelschülern ist das ganz anders. Jetzt kommt es aber - also das ist die eine Kehrseite. Man muss ja immer an Nachteile, sind ja gleichzeitig auch Vorteile. Es ist eine Kontinuität da, die einfach wirklich total gut ist für alle. Und man kann auch immer alle mitnehmen. Das ist halt auch total schön. Und wenn man dann halt überlegt, selbst wenn jemand mal nicht da ist, kann die Person dann ja ohne Probleme sich entweder über die anderen informieren und weiterkommen oder eben zum Beispiel über das Lernportal, was wir haben da halt die Hausaufgaben digital abfordern und auch mit den Lehrerinnen und Lehrern in Kontakt treten. Natürlich ist es auch ein Nachteil, dass man manchmal nicht alle Wünsche bedienen kann am Ende des Kurses, also dass zum Beispiel bei 60 %, 70 % der Kinder, was bei uns wirklich nennenswert ist, dann Gitarre lernen wollen. Aber da kommt auch wieder der Vorteil zum Tragen, denn wir überlegen immer vorher: Wo haben wir denn überhaupt Kapazitäten in der Musikschule und versuchen das dann auch ein kleines bisschen zu leiten. Und manchmal erkennt man jemanden: Das ist definitiv ein Bläser! Oder da kann man sagen, das ist ein Tastenvirtuose, aber mit der Gitarre wird derjenige vielleicht nicht so sehr glücklich. Und manchmal ist auch die Empfehlung gut - und das ist auch wieder ein Vorteil zu sagen: «Weißt du was, spiel doch lieber Fußball! Ich glaube, das ist deine Qualifikation, da wirst du glücklich mit!» Und wenn man dann halt in dem Jahr geschafft hat, dass die Kinder in der Lage sind, zu arbeiten und zu präsentieren, ist das Ziel erreicht. Und mir ist es dann auch persönlich überhaupt nicht wichtig, dass sie im Einzel oder im Kleingruppenunterricht, der dann vielleicht anschließen würde, nicht an das anknüpfen. Denn wir haben vorher gelernt zu singen. Wir haben vorher alle gelernt, uns akkordisch zu begleiten und dann kommt die Melodie und deswegen ist es ein ganz anderes Thema. Das ist auch Melodieinstrument natürlich schwieriger, aber bei uns Gitarristen ist es natürlich eine tolle Sache, die man dann einfach anschließen kann. Und irgendwann, wenn die Schülerinnen und Schüler dann ganz groß und erwachsen sind oder richtig gut spielen können und vier Jahre dabeigeblieben sind, dann kann man die Melodie und die Begleitung bei der Gitarre zusammenführen und das ist dann das größte Aha-Erlebnis. Und da gibt es eine ganze Menge Kinder, die jetzt erwachsen sind und die zwölfte Klasse beendet haben und immer noch, obwohl sie längst ein anderes Instrument einer Musikschule spielen, sagen der Mensch in der zweiten Klasse war ich doch bei Ihnen, Herr Zeisler, oder?

Kristin Thielemann: Kleine Side-Notiz übrigens: Wer hier im Podcast gerade den Streicherklassenpädagogen oder die Streicherklassenpädagogin vermisst, der kann sich mal Folge 11 von «Voll motiviert» anhören. Da war nämlich Birgit und Peter Boch zu Gast. Und das ist eine meiner ganz, ganz besonderen Lieblingsfolgen. Und die wird auch immer noch sehr, sehr häufig geklickt und gehört und kommentiert. Da geht es um Streicherklassenpädagogik.

Sabrina Walter: So wie Fridolin sagt Es gibt immer Vor- und Nachteile und also ich sehe es einfach als Schülerin so, dass ich den Kindern einfach einen breiten Zugang ermöglichen möchte und da gehört Musik dazu. Und letztendlich geht es uns ja auch nicht darum, dass alle Kinder dann große Musiker werden sollen, aber die Erfahrung machen. Letztendlich brauchen die einfach eins, zwei, drei oder vier Schuljahre vielleicht, um das für sich auch abrufen zu können: Ist das was für mich oder nicht? Da sollten die Kinder die Möglichkeit erhalten, auch wieder aus dem Ganzen rauszukommen. Und das ist eigentlich auch das Schöne bei uns im Ganztag: Sie können das einfach mal ein halbes Jahr ausprobieren und ein Jahr, wenn ein Kind daran Spaß hat, bleibt es dabei. Und wenn es nach einem Jahr einfach sagt, es ist nichts, dann greift es aber vielleicht später im Jugendalter oder im Erwachsenenalter doch auch mal wieder darauf zurück. Von dem her sehe ich da mehr Vorteile und die Nachteile im Unterricht. Die sind sicherlich immer da, wenn man eine große Kindergruppe beieinander hat. Aber das hat man ja vorhin schon angesprochen. Entsprechende Regel und Rituale helfen einem da und man kann dann Gruppen doch auch gut finde.

Kristin Thielemann: Ich will mal ein bisschen provokativ sein. Wie ist das denn: Rauben wir nicht eigentlich den Musikschulen die Schüler für den Einzelunterricht, wenn wir so sehr auf Klassenmusizieren setzen? Und hat Einzelunterricht nicht auch vielleicht viel mehr Vorteile als Klassenunterricht? Weil die Erfahrung, einmal eine Lehrkraft ganz für sich alleine zu haben, die macht man ja eigentlich selten in der Schule. Die macht man aber schnell in der Musikschule, weil da hat man nun mal eben Einzelunterricht. Ich mache oft die Erfahrung, dass die Schüler das sehr genießen, dass sie Einzelunterricht haben. Du kannst im Einzelunterricht ja auch viel mehr auf die Wünsche und Bedürfnisse des Einzelnen eingehen. Also hat Klassenmusizieren da noch Nachteile, die wir jetzt noch gar nicht so genannt haben?

Markus Radigk Ja, ich denke, es ist immer, wenn man nach Vor- oder Nachteilen sucht, die Frage, was man denn bezwecken will. Wie Sabrina schon gesagt hat, es geht ja nicht darum, dass alle große Musiker werden und das sollte jeder Lehrkraft bewusst sein, die im Klassenmusizieren unterrichtet. Und man hat den Anspruch natürlich: «Okay, ich sehe jetzt dieses Problem bei diesem Schüler und jenes Problem bei einem Schüler.» Aber man hat nicht die Zeit darauf einzugehen und das kann einen irgendwie unruhig machen. Ich glaube, es ist mit einem Grund, wie du eingeleitet hast, was viele Lehrkräften die Schweißperlen auf die Stirn treibt im Unterricht. Man sieht Dinge, um die man sich nicht direkt kümmern kann, was im Einzelunterricht natürlich möglich ist. So entwickeln sich natürlich auch Differenzen im Unterricht, dass auch Schüler weiter sind als andere. Und mit diesen Problemen muss man einfach immer versuchen umzugehen.

Kristin Thielemann: Das ist das, das sind wir «Einzelunterricht-Junkies» oft nicht so ganz gewohnt.

Markus Radigk: Ich denke, man muss halt irgendwie immer so ein paar Zusatzaufgaben in petto haben, um sagen zu können: «Hey ihr zwei, ihr könnt es schon richtig gut, ihr übt jetzt mal das und ich guck mal bei den zwei auf das und das.» Also da muss man eine gewisse kreative Improvisationsfähigkeit mitbringen.

Fridolin Zeisler: Also ich glaube, dass der Klassenunterricht und der Einzel- oder Kleingruppenunterricht an den Musikschulen selbst eine perfekte Symbiose darstellen. Denn der Klassenunterricht selbst setzt ja häufig in dem Grundschulalter an. Und wenn man überlegt, dass wir damit meistens Schülerinnen und Schüler erreichen, die noch nicht im Einzelunterricht sind, weil sie zum Beispiel schon im Alter von fünf oder sechs angefangen haben, Geige oder Klavier zu lernen, ist es so, dass wir damit wirklich Schichten erreichen, die wir sonst nie erreichen würden. Und wir bieten ihnen eine Option: Wir zeigen Ihnen, dass es möglich und es ist nicht zu spät, wenn man sagt, in der dritten oder vierten Klasse kommt man dann an die reguläre Musikschule und hat dort einen Unterricht, der vielleicht sehr viel zielführender ist, da die Kinder schon gelernt haben, aufeinander zu hören, dass gewisse Qualifikationen ausgebildet wurden, die sie unbedingt brauchen. Die Ensemblefähigkeit, die Kommunikationsfähigkeit, die ja so wichtig ist. Und letztlich wäre das Argument dann ja auch zu sagen: «Wozu braucht man denn den Ensembleunterricht, wenn man einen Einzelunterricht hat?» Und ich glaube, diese Diskussion macht niemand auf, weil alle sagen: Natürlich ist der Ensembleunterricht unglaublich wichtig. Das gemeinsame Musizieren ist eigentlich die höhere Stufe des Einzel-Musizierens und das zu erreichen ist eigentlich ein tolles Ziel des Klassenmusizierens. Und wenn man dann überlegt, die Nachhaltigkeit: Es gab Zeiten, wo fast ich, ich würde mal sagen, die Hälfte der Schüler an unserer Musikschule an Neuaufnahmen aus meinem Klassenunterricht kamen, aus den vier oder fünf Klassen, die wir teilweise unterrichten. Und natürlich können es nicht alles Gitarristen werden, das ist ganz klar. Aber es ist halt so, dass da einfach wirklich ein unglaublicher, sozusagen «Nachschub» an Schülerinnen und Schülern kommt, die vor allem wissen, wie das Ganze funktioniert. Die wissen, dass sie üben müssen, um einen Erfolg zu haben, die sich schon mal auf der Bühne präsentiert haben und jetzt nicht unbedingt die großen Künstlerinnen und Künstler geworden sind, aber halt einfach wissen, der Zeisler, der tickt so und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sind die anderen Musikschulpädagogen ähnlich aufgestellt. So funktioniert das viel leichter, weil die Grenzen, die man vorher schon eingezogen hat, die die Bedingungen, unter denen man arbeitet, mit denen man Erfolg hat, die sind einfach schon klar. Sabrina hat es vorhin schon gesagt: Ein halbes Jahr, ein Jahr dabeibleiben ist auch eine Sache, die wichtig ist. Aber es ist eben auch wichtig, dass man eine Durchlässigkeit schafft. Aber eben genau auch das ist eine Qualifikation, dass Sie wissen, wenn Sie sich auf den Unterricht einlassen, sind Sie das ja nach einer kurzen Probezeit komplett dabei. Und es ist mitgehangen, mitgefangen. Und sie lernen halt auch, die schwierigen Phasen durchzustehen und eben nicht abzuhauen, wenn es mal kompliziert wird, ist so wichtig für Menschen unserer Gesellschaft, weil man sich später im Beruf ja auch nicht einfach sagen kann: «Ach, du weißt was, das mit dem Geld ist mir nicht so wichtig und du als Chef gefällst mir überhaupt nicht. Deswegen gehe ich jetzt hier einfach.» Ganz schnell muss man dann umziehen. Das wäre ungünstig. Und das sind Sachen, die man halt eben fürs Leben mitnehmen kann und wo die Kinder, glaube ich, unglaublich von profitieren.

Kristin Thielemann: Stichwort betreutes Üben. Sabrina, das hattest du ja vorhin genannt an eurer Schule. Wie sieht das denn aus? Habt ihr da ein ganzes Haus voller kleiner Übezellen und ein Lehrer, der von Zelle zu Zelle huscht?

Sabrina Walter: Ja, so stelle ich mir es gerade vor. Also wir sind ja noch nicht dabei. Das startet ja jetzt erst im Februar. Der große Vorteil aktuell ist bei uns, dass wir mal eine Grund- und Werkrealschule waren und wir einfach ganz viele freie Räume haben, so dass wir tatsächlich diese 15 Kinder einfach aufteilen können. Perspektivisch wird es so sein, dass wir diese Übezellen haben werden und irgendwann wird hoffentlich auch ein Umbau kommen. Wie es dann tatsächlich abläuft, wenn unsere 15 Erstklässler eventuell an 15 verschiedenen Instrumenten stehen und dann die Übebetreuung und eine pädagogische Fachkraft die Kinder da unterstützt, da werden wir jetzt im Frühjahr die Erfahrung machen und da berichte ich gerne an anderer Stelle noch mal. Da sind wir jetzt aber doch tatsächlich in der Theorie auch glaube ich, da muss man so die Zielsetzung im Auge haben. Der Fokus wird am Anfang darauf sein, dass die Kinder einfach täglich ans Instrument kommen. Spielen werden die wahrscheinlich relativ wenig erst, aber auch das muss man einfach einüben. Und da müssen wir uns die Zeit nehmen, die Kinder heranzuführen an die Selbstständigkeit, dass wir die Zeit dann irgendwann wirklich gut und effektiv nutzen können. Aber das ist jetzt alles noch in der Theorie. In der Praxis haben wir es tatsächlich noch nicht ausprobiert.

Kristin Thielemann: Wir hatten ja damals an der weiterführenden Schule eine ganz innovative Mathelehrerin, die auch ganz gut Saxofon spielen konnte und die wusste, dass es gut ist, wenn man regelmäßig übt. Und die hat gesagt: Wir haben hier noch so ein paar kleine Räume, mit denen keiner wusste, was sie damit machen sollten. Sie waren zu klein, um Klassenunterricht zu machen. Da hat sie gesagt: «Ich bin jetzt hier für Musik zuständig, ich fühle mich berufen.» Und sie hat diese, ich meine, es waren vier oder fünf Räume als Übezimmer eingerichtet. Da waren dann Klaviere drin, E Pianos, ein Schlagzeug, E-Gitarren und ein E-Bass. Die Räume waren in den Pausen einfach offen. Wir konnten dort einfach reingehen. Und natürlich haben wir das erst mal so wie einen Aufenthaltsraum genutzt, aber dann irgendwann auch… ja, also ich habe da zum Beispiel Schlagzeug und E-Bass spielen gelernt. Ja, Fridolin, ich habe dann in einer Heavy-Metal-Band gespielt.

Fridolin Zeisler: Die würde ich gerne mal sehen.

Kristin Thielemann: Diese Band gibt es ja schon lange nicht mehr. Aber es ist das erste Mal, dass das öffentlich zugebe. Es hat so viel Gutes bewirkt, einfach so diese Möglichkeit zu haben, dort hinzugehen und frei üben zu können. Einfach mal zu gucken, was passiert. Ganz ohne Ziel. Das fand ich wirklich einen Schatz. Wir hatten natürlich keine Überbetreuung. Es gab auch damals keine iPads oder Tablets, wo irgendeine Anleitung oder ein Tutorial drauf war, sondern man hat sich das halt irgendwie selber beigebracht. Und wenn man Probleme hatte, dann ist man zu dieser begabten Mathelehrerin mit Saxofonkenntnisse gegangen und hat sie gefragt. Die hat dann in ihre Anleitung geguckt, wo denn da eben die Töne liegen auf diesem E-Bass. So war das damals eben. Aber trotzdem, ein bisschen auf dem Schlagzeug und E-Bass spielen – läuft bei mir auch heute noch.

Fridolin Zeisler: Du hattest gerade eben gesagt, gemeinsam musizieren oder auf Metalbands vorbereiten. Das ist total spannend. Und vielleicht ist da auch die Möglichkeit, stille Instrumente zu nutzen, eine tolle Sache, um auch gemeinsames Spielen zu ermöglichen. Man muss ja nicht unbedingt in der eigenen Zelle, das klingt ja auch ein bisschen wie Gefängnis sein, sondern es ist ja gerade dieses Gemeinsam-Dinge-Tun, dieses nicht alleine eingesperrt sein in seinem Übezimmer, das ist tatsächlich für ganz viele Kinder und Jugendliche ganz, ganz wichtig, dass sie halt einfach miteinander Musik machen können. Und in dem Moment, wo man sein Musikinstrument über einen Kopfhörer hört (Andreas Dörne hatte das auch sehr schön in seiner Musikschulutopie besprochen), dass man sich miteinander zusammenschalten kann und eventuell sogar miteinander Musik machen kann, aber eben nicht ganz alleine in seinem Raum ist, sondern an vielen verschiedenen Stellen dann elektrische Instrumente stehen. Das geht ja inzwischen auch mit Blasinstrumenten sehr gut, die man dann eben über Kopfhörer genießen kann, das hören kann, was man tut. Das ist dann vielleicht für Grundschulen eine ganz, ganz tolle Möglichkeit, um da Überäume zu schaffen, ohne tatsächlich jedem eine eigene Klinke geben zu müssen.

Fridolin Zeisler: Kristin Thielemann; Stichwort Andreas Dörne. Den hören wir in Folge 12. Der war nämlich auch schon hier. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass man zum Beispiel diese ausgedienten Container, die mal eine Zeit lang auf jedem Schulhof rumgestanden haben, weil die Klassen zu groß waren und man die Klassen teilen musste, zusätzliche Räume brauchte, dass man diese Container als Übezellen verwenden könnte. Man muss es ja vielleicht auch nicht unbedingt Übezelle nennen, sondern als Wort würde ja auch Überraum taugen.

Fridolin Zeisler: Und wenn die dann ein Fenster bekommen, diese Container und auf den Schulhof hinausblicken, dann ist es bestimmt total schön.

Kristin Thielemann: Dann haben wir nämlich den Effekt, den Mario Müller, das war mein Gast in Folge 25, beschrieben hat. Er hat an seiner Schule «Marios Musikschule» in Bonn ganz bewusst so ein Schaufenster, was zur Straße rausgeht und in dem die Musikinstrumente ausgestellt sind, damit die Menschen, die vorbeilaufen sehen: «Ah, das gibt es ja hier alles zu lernen. Das wär doch auch mal schön für mich.» Damit sich die Kinder die Nase am Schaufenster plattdrücken. Und ich kann mir vorstellen, wenn du jetzt auf dem Schulhof so einen Container hast, wo man von außen reinschauen kann und dann sieht: Da drin wird musiziert, da sitzen zwei oder drei Kinder und die haben Spaß mit ihren Instrumenten, dann hat das einen riesengroßen Sogeffekt auf viele andere, die dort auf dem Schulhof unterwegs sind. Dann entsteht nämlich dieses «Ich will auch!»

Fridolin Zeisler: Ja, ich erinnere mich an eine Musikpädagogin, die ein Klavier auf einen Schulhof gestellt hat.

Kristin Thielemann: lacht

Fridolin Zeisler: Darf ich das nicht sagen?

Kristin Thielemann: Doch, darfst du sagen. Kann man ja auch nachgucken. Steht ja auch dick in der Zeitung. Ja, mir ist mal ein Klavier zugelaufen und es musste irgendwie weg. Und dann habe ich gedacht: «Wie könnte man das schön abwracken?» Und dann haben wir das als Spielzeug auf einen Schulhof gestellt. Ich kann mal gucken, dass wir das in den Shownotes verlinken. Da hat hier die Thurgauer Zeitung, hat einen Beitrag darüber gebracht. Ja, die hat einen Beitrag gebracht und «üben & musizieren» auch. Genau! «Das Klavier auf dem Pausenplatz!» Das findet ihr dann in den Shownotes. So, jetzt mach ich was, was ich noch nie gemacht habe. Nun gibt es ein kleines Experiment, etwas, was wirklich so hier im Podcast bei «voll motiviert» noch nie gelaufen ist, nämlich ein kleines Spiel. Ich habe gedacht, wenn wir schon zu viert sind, dann darf das doch ruhig mal ein bisschen spielerisch werden. Es gibt jetzt für euch einige Satzanfänge und ich würde euch bitten, jeweils einen von euch, diesen Satz fortzuführen. Also so was wie «Urlaub ist für mich…» Aber natürlich mit dem Schwerpunkt Klassenmusizieren. Erster Satz: «Wenn mal eine Klasse so richtig unruhig ist, dann…»

Sabrina Walter: Immer flexibel bleiben und vom Plan abweichen, dass es am Ende doch am Ende doch allen gut geht.

Kristin Thielemann: Nächster Satz: «Es gibt Musikstücke, die jedes Kind in der Schule kennen gelernt haben sollte, und zwar…»

Fridolin Zeisler: Alle Kinderlieder.

Kristin Thielemann: Alle Kinderlieder. Ich finde, das schließt auch heute mit ein, dass man schaut, was die Kinder und Volkslieder von denjenigen mit Migrationshintergrund sind. Das finde ich auch ganz wichtig und das finde ich auch für uns als Musiklehrer immer einen tollen Schatz, dass man mal neue Lieder aus anderen Kulturkreisen kennenlernt und das integriert. Wobei man da natürlich auch aufpassen muss: Was heißt denn das eigentlich da, was wir singen? Und ist das vielleicht auch jetzt gerade nicht mehr so ganz zeitgemäß? Aber ja gut.

Fridolin Zeisler: Aber es trägt auch zur Integration bei. Wir haben zum Beispiel ukrainische Geflüchtete bei uns. Die Kommunikation ist da echt schwer. Aber als wir letztens «O Tannenbaum» gesungen haben, haben die das ohne darüber nachzudenken auf Ukrainisch mitgesungen. Das war so schön und die anderen haben sich so sehr daran erfreut, dass da auch gleich wieder eine Kommunikationsebene zwischen den Schülerinnen und Schülern entstanden ist.

Markus Radigk: Ich stelle auch fest Schüler fühlen sich total wertgeschätzt, wenn man auf die Dinge eingeht. Ich habe jetzt, passend zum Advent für eine Bläserklasse «Wir sagen euch an den lieben Advent» arrangiert. Für eine Musikschule Lehrkraft ist das natürlich kein großes Hexenwerk. Aber wenn man dann auch noch oben hinschreibt: «Für und dann die Namen der Schüler», dann sie fühlen sich total wertgeschätzt und wirken extrem motiviert, dann die Dinge auch zu tun, zu lernen und zu üben.

Kristin Thielemann: Stimmt, das habe ich neulich auch festgestellt. Ich habe den «Wellerman» arrangiert. Für einen Schüler. Darf man nicht, ich weiß. Das war für eine Freundin, die Geige unterrichtet. Der Schüler sollte den Moll-Akkord lernen. Und da habe ich getextet: «Der Moll-Akkord im Wellerman, beim nächsten Mal, da denkst du dran…» Und da habe ich dann auch drübergeschrieben «Für Levin». Und sie meinte nur: «Wahnsinn, der hat wie Bombe drauf reagiert und der hat das geübt wie irre. Die Noten! Extra für mich!» Ich hatte noch so ein kleines Bild noch draufgeklebt und das optisch ein bisschen hübsch gemacht. Ich meine, das ist etwas, das machst du echt im Vorbeigehen, aber wusste nicht, dass das so eine Wirkung entfalten kann. Werde ich vielleicht häufiger nutzen, diesen Knopf. So, jetzt habe ich noch einen Satz für euch. «Mein Spezialrezept für gute Laune in einer Schulklasse lautet…»

Fridolin Zeisler: Um den Satz vielleicht zu vollenden, ist, glaube ich, immer die eigene Laune entscheidend. Denn das, was man selbst investiert, kriegt man meistens als Rendite doppelt und dreifach zurück. Und in der Regel sind die Klassenunterrichtsstunden die, die mich am meisten beflügeln, die, die am meisten Freude bereiten. Und wenn ich da mit einer guten Laune rein gehe, schaffen die Kinder es nur ganz, ganz, ganz, ganz selten, mich so herauszufordern, dass sie sich ändert.

Sabrina Walter: Na ja, manchmal kommt es ja schon dazu. Also ich glaube, was auch immer ein guter Tipp ist, kurz irritieren und was anderes machen. Vielleicht auch über sich selbst zu schmunzeln und sagen: Okay, jetzt haben wir uns verrannt und jetzt starten wir noch mal mit was ganz anderem. Ob da ein gutes Lied, einen Rhythmus oder vielleicht auch ein Tanz mal das Ganze auflockern… Ich glaube, da kann man schon noch mal so einen Neustart machen und auf Reset zurück gehen.

Markus Radigk: Auch jetzt fällt mir noch was ein. Ich weiß nicht, ob man das hier sagen darf, aber Kristin, du hast mir doch in unserem Gespräch letztes Mal auch das Trompeten- und Posaunentaxi nähergebracht und ich habe festgestellt, das ist ein funktioniert gut für gute Laune.

Kristin Thielemann: Gibt es auch als Gitarrentaxi, aber das weiß Fridolin sicher. Nein? Doch! Das musst du man kaufen! Also Trompetentaxi und Posaunentaxi. Entschuldigung, das darf man hier vielleicht mal so sagen… (Achtung, kleiner Werbeblock!) ist für Trompetenunterricht und für Posaunenunterricht… Markus, das ist bombe, oder?

Markus Radigk: Ja, und so in der Bläserklasse auch immer gut herzunehmen. Sie haben tolle Begleitungen und dann macht man halt mal fünf Minuten spielt man da dazu. Sie spielen irgendwie bei den ersten Übungen nur zwei, drei Töne und das macht ihnen total viel Spaß.

Kristin Thielemann: Das Geheimnis an diesem, an diesem Taxikonzept ist einfach, dass die wahnsinnig gute Begleitmusik haben. Und für uns Blechbläser ist einfach von Vorteil, dass sie relativ viel spielen, dass sich das Stück immer zweimal wiederholt und dass so selbst diejenigen, die jetzt noch keine großen Übekonzepte in petto haben, dass sie das at least zweimal durchgespielt haben.

Fridolin Zeisler: Ich gestehe, ich kannte es nicht. Liegt aber auch daran, dass ich die Schule, die ich gemacht nutze, selber dann irgendwann geschrieben habe und dazu halt eben auch Videos habe, die dann eben für die Kinder als Begleitvideo dann da sind. Und das ist auch, glaube ich, eine wichtige Sache, dass man für die Kinder immer so einen Anreiz hat, wo es hingehen kann, dass sie erstens sehen, was ist möglich. Das zweite ist, dass man vielleicht dann halt, wie Markus das sagte, eben dann auch auf die eigenen Bedürfnisse reagiert und da Songs zum Beispiel, die sie selbst gut finden, auch arrangiert. Das hattest du ja auch, Kristin, gesagt. Und da bieten sich zum Beispiel Songs von Johannes Oerding an, wo man dann sagt: Das sind jetzt gefahrlose Worte in leicht verpackter Musik mit Harmonien, die noch halbwegs vernünftig sind. Und dann kriegen die von mir ein Video, wo sie meine linke, meine rechte Hand sehen, die Akkorde, die sie dazu anschlagen sollen und dann ganz laut mitsingen können. Und wenn sie nicht mitsingen können, dann lassen sie die Johannes Oerding oder wen auch immer halt singen. Und das ist dann natürlich die Sache, womit man richtig angeben kann. Gerade wenn es dann darum geht, Weihnachtsgeschenke zu bekommen.

Kristin Thielemann: So cool ich weiß, ist jetzt nicht so richtig Thema Klassenmusizieren, aber interessiert mich, Fridolin. Lernplattform – wie hast du das gelöst?

Fridolin Zeisler: Da sind wir gerade im Umbruch. Ich habe für die Kinder erst eine Internetseite gemacht, wo sie über QR-Codes in dem Lernbuch alle Videos, alle Informationen zu den jeweiligen Stücken abrufen können. Das heißt, sie sehen, welche Akkorde gebraucht werden, finden die Akkorde als Tutorial. Also es können dann wirklich in zweiminütigen Videos wirklich sehen, wie greift man den Akkord, worauf muss man achten, Was ist bei den Akkordwechseln zu beachten? Dann sehen Sie die Noten einerseits als Musescore-Datei, damit sie es auch abspielen können, andererseits als PDF-Datei zum Ausdrucken, falls Sie die Noten wieder mal verlegt haben. Das passiert ja ab und zu. Und dann finden Sie mindestens ein Video von mir, wie ich das ganze spiele. Dann ist es auch oft so, dass es noch Ergänzungsvideos gibt, wo ich das dann zum Beispiel einfach mit anderer Begleitung spiele und sie singen dann dazu, so dass dann im Prinzip das Ensemblespiel auch zu Hause funktionieren kann. Diese Videos können Sie in unterschiedlichen Geschwindigkeiten abspielen. YouTube hat da wirklich eine ganze Menge geleistet und gibt die Möglichkeit, dass in 5 % Schritten nach oben oder nach unten zu korrigieren. Und dann gibt es dann immer Wettbewerbe, wer am schnellsten spielen kann. Und dann sage ich dann aber irgendwann: «Du, ich es. So schnell kann ich gar nicht singen, wie du das Ganze abspielst! Das ist doch total fernab jeder Realität!» Aber das sind so Punkte, mit denen man wirklich ganz gut arbeiten kann. Aber man braucht die Eltern mit an Bord, denn ein Zweit- oder Drittklässler muss natürlich da unterstützt werden. Ich verlange nicht von denen, dass die mit ihren eigenen Telefonen, die sie ja zumeist noch gar nicht haben oder haben sollten oder wie auch immer das jetzt in der Familie gehandhabt wird, dass sie dann halt einfach familiär unterstützt werden beim Musizieren und beim Abrufen dieser Inhalte. Aber dieser ganzheitliche Ansatz ist, glaube ich, ganz, ganz wichtig. Das merken wir ja auch in der Allgemeinbildung, dass wir da immer versuchen, alle Lernkanäle mit anzusprechen. Und es gibt halt Menschen, die müssen das unbedingt bei jemanden gesehen und nachgemacht haben. Es gibt Menschen, die wollen es immer wieder hören. Es gibt Menschen, die wollen halt mit jemanden, also die können nicht alleine oder die wollen gerade alleine. Und eben für diese Eventualitäten vorzusorgen finde ich sehr, sehr wichtig.

Kristin Thielemann: Prima.

Sabrina Walter: Ja, also ich finde, es hört sich total spannend an und ich glaube, ich werde heute sehr viele Ideen mitnehmen, weil letztendlich geht es darum, dass wir bei den Interessen ansetzen, bei den Kindern. Also das ist ja in jedem Unterricht so und bei Musik auch. Ich glaube, wenn ich bei dir gewesen wäre, ich hätte Klavier vielleicht auch länger als vier Jahre gespielt. Vielleicht unterrichtet ja auch Erwachsene noch. Vielleicht kann man da mal gucken.

Fridolin Zeisler: Natürlich. Auch digital. Der Weg ist ja weit.

Kristin Thielemann: Mecklenburger Seenplatte.

Sabrina Walter: Aber da hat es ganz zu Anfang gesagt, dass du mit allen Eltern und Familien telefonierst. Und ich hatte zu Markus vorhin gesagt: Die Kommunikation Musikschullehrer, Lehrer oder Schule, das ist so wichtig. Aber man sieht einfach, wie wichtig ist, dass es drei dazugehören. Also die Eltern brauchen wir dazu. Und ich finde es sehr beeindruckend, dass du dir da die Zeit nimmst. Aber letztendlich hat es wahrscheinlich auch nachher diesen Vorteil, dass man einfach so viel mehr erreichen kann und die Kinder so viel, viel mehr lernen oder auch viel mehr Spaß an der ganzen Sache haben. Wenn sie die Unterstützung erfahren und diese unterschiedlichen Zugänge haben. Also da meine To-Do-Liste wird lang werden, wie wir da auch in der Schule zusammenwachsen können, weil wir natürlich die Lehrkräfte haben und die pädagogischen Fachkräfte und dass jetzt auch gut vernetzt werden muss: Wie können wir die Kinder auf ihrem musikalischen Weg optimal begleiten und dass sie ja sicherlich bei jedem Kind auch oder anders aus.

Markus Radigk: Vielleicht auch noch zu dem Thema Kommunikation. Ich habe das auch schon festgestellt. Es ist sehr, sehr wichtig und ich finde, der Musikschullehrer ist immer ein bisschen ein Einzelkämpfer und die Kommunikation untereinander im Kollegium ist oft nicht so intensiv. Ich in der Bläserklasse im Speziellen habe natürlich die den Umstand, es gehen mehrere Lehrkräfte von der Musikschule in die Schule unterrichten dann parallel und alleine, dass die kommunizieren, ist schon nicht ganz selbstverständlich, aber essenziell wichtig, dass überhaupt so eine Kooperation funktioniert.

Kristin Thielemann: Jetzt habe ich noch Kleinigkeiten auf der Fragenliste. «Mein schlimmster Moment vor einer Schulklasse…»

Fridolin Zeisler: Ich unterrichte ja auch Erzieherinnen und Sozialassistentinnen und die sind auf dem zweiten Bildungsweg. Die haben alle schon mal einen Job gehabt und da ist es das genau gleiche Konzept. Mir geht es darum, dass die halt, wenn die Kita-Erzieherin oder Krippenerzieher werden, den Alltag strukturell durch Musik ergänzen können. Deswegen sind viele Sachen wirklich identisch. Und es geht nicht darum, leicht Gitarre spielen zu können. Die spielen wirklich nur drei Seiten und dann halt eben den Akkord, sondern es geht darum, dass sie musizieren und mit Menschen interagieren können. Da ist es so, dass Musik ja sehr emotional sein kann. Und mir ist es passiert, dass ich ein Weihnachtslied mit der Gruppe gemacht habe und eine Teilnehmerin ist halt wirklich in Tränen ausgebrochen, weil sie das total emotional berührt hat. Mit solchen Situationen umzugehen, ich meine, inzwischen geht es etwas leichter, aber das fällt mir doch wirklich schwer, Wenn es dann emotional wird und ich jetzt nicht weiß: Was ist jetzt genau passiert? Sie erzählte dann: Das hängt mit ihrer Mutter zusammen, die irgendwann gestorben ist und genau dieses Lied so sehr liebte. Da läuft mir schon wieder der Schauer über den Rücken. Und das sind so Sachen, die man halt nicht planen kann, die man halt nicht weiß. Aber auf der anderen Seite macht es dann halt auch einen unglaublich tiefen Moment, wo man dann sagt, das hat sich vielleicht dann doch noch mal ganz anders gelohnt. Dann sieht man auch, welche Macht die Musik eigentlich hat und was sie mit Gefühlen, was sie mit Menschen dann anstellt und welches Instrument im wahrsten Sinne des Wortes wir da in der Hand haben, was wir bewirken können, an welcher Stelle wir halt einfach dann auch Marker setzen, die vielleicht ein ganzes Leben helfen. Das ist unglaublich schön und macht dann halt einfach auch so glücklich an dieser Stelle.

Kristin Thielemann: Letzter Satz: «Eine Schule ohne Musik…»

Markus Radigk: …eine leise Schule!

Sabrina Walter: Es ist eine leise Schule und es fehlt etwas für die Gemeinschaft.

Fridolin Zeisler: Das ist ja eine Anlehnung an Nietzsche «Ein Leben ohne Musik wäre ein Irrtum». Und deswegen ergänze ich gerne so.

Kristin Thielemann: Wenn ich jetzt Lust bekommen habe, mich nachqualifizieren zu lassen, eine Weiterbildung in Sachen Klassenmusizieren zu besuchen, wo gibt es da gute Angebote? Habt ihr Tipps für die Hörerinnen und Hörer? Markus, Bläserklasse! Ein schneller Tipp zum Schluss?

Markus Radigk: Also ich weiß, dass die Musikhochschule in Trossingen einen Masterstudiengang Klassikmusizieren anbietet. Der kann, soweit ich weiß, in einem oder in eineinhalb Jahren gemacht werden. Natürlich aufbauend auf ein Bachelorstudium, das schon auf einem Instrument oder im Gesang gemacht wurde.

Kristin Thielemann: Frido, wie sieht es bei der Gitarre aus?

Fridolin Zeisler: Ich glaube, dass es da nicht so sehr viele Konzepte gibt. Irina Kircher und Alfonso Montes haben dieses Guitar Intro geschrieben, bieten auch Fortbildungen dazu an. Aber was ich halt grundsätzlich empfehle, das habe ich ja auch schon mal gesagt: Setzt euch in Klassen, schaut wie das Ganze funktioniert und dann einfach machen. Also das ist ja so letztlich, dass man dann halt ein Konzept auch entwickelt und vielleicht erst mal eine Basis hat, mit der man anfängt. Und letztlich muss man auch immer gucken: Wo kriegt man seine eigenen Schülerinnen und Schüler her? Und das war eigentlich so eine so ein Hauptbeweggrund für mich, um dann festzustellen, dass ich dann irgendwann Schüler im Überfluss hatte und gar nicht mehr wusste, wohin damit. Und das war dann auch eine Luxussituation. Und eigentlich ist die Frage ja nicht, wo man sich fortbildet, sondern warum. Und ich glaube, es ist eine Investition auch in die eigene Zukunft. Und damit meine ich jetzt nicht nur die berufliche, sondern vor allem auch die persönliche Zukunft, weil so ein Klassenunterricht - so aufregend und aufreibend er sein kann - er gibt einfach unglaublich viel zurück. Und die Möglichkeit, das weiterzumachen und das vielleicht auch bis zum bis zur Rente sozusagen zu machen, die macht mich jetzt schon glücklich, weil es einfach total erfüllend ist. Und deswegen denke ich, der situative Ansatz, der einfach ist, es zu tun, der ist günstig. Und sich dann eine Schule, eine allgemeinbildende Schule oder einen Lehrer oder eine Lehrerin in der Nähe zu suchen, wo man halt einfach mal hospitieren kann und gucken kann, wie tickt eine Klasse, was muss man tun in welchen Situationen und das dann aufs eigene Metier zu anzuwenden mit einer Schule, die vielleicht schon am Markt ist - dann hat man den Grundstock getan und alles weitere regelt in der Regel die Erfahrung.