Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

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Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

Ulla Weber

Kristin Thielemann: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von «Voll motiviert», eurem Musikpädagogik-Podcast. Heute geht es um das Thema Flow. Zu Gast ist Ulla Weber. Sie ist Atemtherapeutin, Gesangslehrerin und Sängerin mit Schwerpunkt Improvisation. Ulla Webers neues Buch «Singen und Musizieren im Flow» liegt seit einigen Wochen auf meinem Notenständer und begleitet mich in den Übe- und Unterrichtspausen.

Kristin Thielemann: Hallo liebe Ulla, herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen neuen Buch und danke, dass du dir die Zeit nimmst, um hier bei «Voll motiviert» zu Gast zu sein.

Ulla Weber: Ich danke dir, dass du mich eingeladen hast.

KT: Der berühmte Flow-Zustand. Jeder kennt dieses tolle Gefühl, was sich einstellt, wenn einen das eigene Üben und Musizieren komplett einnimmt. Wir lernen schneller, effektiver, intensiver und mit viel mehr Lust. Kannst du, liebe Ulla, den Hörerinnen und Hörern erklären, wie man am einfachsten in diesen Flow-Zustand geraten kann?

UW: Der Flow-Zustand ist das, was wir spüren, wenn wir ein bisschen das Zeitgefühl verlieren, wenn wir in etwas versinken, es ist das, was wir erleben, wenn wir in unsere Tätigkeit, in unser Tun versinken. Das Beobachten bei kleinen Kindern, wie sie in ihrem Spiel versinken, wie sie das glücklich macht. Ich beobachte das bei meinen Schülerinnen und Schülern, wenn sie im Tönen sind. Sie kommen vielleicht am Anfang der Stunde ein wenig müde und belastet. Alle haben viel zu tun. Aber dann kommen sie herein und dann beim Üben breitet sich ein Lächeln auf dem Gesicht aus und es wird leicht. Glücksmomente entstehen. Das ist für mich der Flow-Zustand. Man verliert dabei ein bisschen das Zeitgefühl. Wenn man im Flow übt oder im Flow musiziert, kann man hinterher oft nicht so genau sagen Waren das jetzt fünf Minuten oder 15 Minuten oder 20 oder 30 Minuten? Das ist für mich ganz typisch an dem Flow-Zustand.

KT: Das sind so die Stunden, wo die Schüler dann sagen: Was schon vorbei?

UW: Ja, das ist genau richtig. Das erlebe ich auch sehr häufig und ich erlebe das fast immer. Kann ich sagen. Und deshalb habe ich dieses Buch geschrieben. Dieses Buch ist ein Buch, was ich sehr, sehr, sehr, sehr gerne gelesen hätte vor 30 Jahren - am Beginn meiner Berufstätigkeit. Was ich auch vor 20 Jahren noch sehr gerne gelesen hätte, vieles dafür gegeben hätte, das in den Händen zu halten. Auch vor zehn Jahren, als ich anfing, diese Erkenntnisse zu sammeln, die mich zu diesem Buch geführt haben, zu dem, was ich da beschreibe. Es macht das Leben als Musiker, als Musikerin so viel leichter, wenn man einen zuverlässigen Weg gefunden hat, wie man in diesen Flow kommt. Und wenn man in diesem Flow ist, ist man auch gleichzeitig nah dran an der Quelle der Kreativität. Und auch das brauchen wir natürlich in unserem kreativen Tun, dass wir da verbunden sind.

KT: Hast du denn mal so ganz konkrete Tipps für uns, wie Hörerinnen und Hörer in diesen Flow-Zustand geraten können?

UW: Schon vor vielen, vielen Jahren hat C.G. Jung beobachtet bei seinen Patientinnen, dass es bestimmte, wie soll ich sagen, Zustände gibt oder Gehirnaktivitäten gibt, die andere begünstigen bzw. andere ausschließen. Er hat eine Linie gezogen zwischen Kognition und Emotion. Kognition hat er als logisches Urteilen benannt. Das Denken ist eine Form des logischen Urteilens. Und die Emotion, das Fühlen, ist ein wertendes Urteil. Beides passiert gleichzeitig oder fast gleichzeitig. Auf der anderen Ebene liegt das Empfinden, also die taktile Wahrnehmung, als Sinneseindrücke und die Intuition. Das Empfinden ist ein konkreter Sinneseindruck. Und die Intuition ist ein nicht konkreter Sinneseindruck. Und C.G. Jung hat herausgefunden, dass in dem Moment, wo ich sozusagen in diesem Empfinden bin, ob nun konkret oder nicht konkret, die Gedanken und die Gefühle stiller werden, als ob beides nicht zusammengehen könnte. Dieses wertende Urteilen, das nenne ich den «inneren Kritiker». Wenn wir arbeiten, wenn wir singen oder musizieren, üben und dann ist da immer so eine Stimme, die sagt: «Nee, das ist es noch nicht. Nein, das ist nicht gut!» Kennt wahrscheinlich jeder Musiker und jede Musikerin. Das ist etwas sehr, sehr Unangenehmes. Und diesen inneren Kritiker zu beruhigen, den sozusagen still werden zu lassen, das ist das große Geschenk, wenn man in die Empfindung eintaucht.

KT: Und wie machst du das konkret im Unterricht?

UW: Konkret mache ich das, indem ich Wahrnehmung anrege, indem ich Körperübungen anbiete, die uns in die in die taktile Wahrnehmung führen. Und indem ich mit den Menschen übe, in dieser Wahrnehmung zu bleiben, während sie musizieren.

KT: Kannst du das Stichwort «taktile Wahrnehmung» für uns bitte noch mal ganz kurz mit Inhalt füllen?

UW: Ja, natürlich. Wenn ich auf meine Hand patsche, ist das eine Wahrnehmung. Im nächsten Schritt passiert die Beurteilung: War das eine unangenehme Berührung? War das eine angenehme Berührung? Wenn ich aber in dieser Wahrnehmung bleibe, wenn ich mich nicht patsche, sondern die Hand reibe, dann kann ich für einige Momente in dieser Wahrnehmung bleiben. Das Urteil interessiert mich für den Moment gar nicht. Wenn ich in einer Bewegungsübung bin, kann ich diese Bewegung des Körpers wahrnehmen und muss sie gar nicht beurteilen. Da gibt es eine Fülle von Übungen. Natürlich, das sei gesagt, ich bin Atem Therapeutin. Die Atemarbeit arbeitet mit Bewegung, und die Atemarbeit arbeitet mit der Wahrnehmung dieser Bewegung am Körper, im Körper. Eine Dehnung, die eine genüssliche Dehnung, die ich ausführe, bringt mich unmittelbar in die Wahrnehmung. Und natürlich kann es ganz schnell passieren, dass ich dann diese Wahrnehmung wieder bewerte. Aber man kann daran arbeiten, über längere Zeit in der Wahrnehmung zu sein, und dann befähigt es mich zu unterscheiden in dem, was ich tue, ohne es zu beurteilen. Und der innere Kritiker schweigt, und das, was ich tue, wird fröhlicher, wird leichter. Und ich erlebe Momente des Glücks, weil ich es gar nicht bewerten muss, weil ich im Jetzt bin, im Moment bin.

KT: Ich kann mir nur vorstellen, dass genau das manchmal gar nicht so einfach ist, wie es sich anhört, weil die Schülerinnen und Schüler ja heute seitens der Schule oft genau in diesem Bewertungsmodus drin sind, wo sie permanent beurteilt werden für alles, was sie tun. Wo Lehrkräfte natürlich wohlmeinend Fehler suchen, um dann dort auch Hilfestellung zu bieten. Aber es ist für viele junge Menschen meiner Erfahrung nach ganz heilsam, wenn Fehler auch einfach mal sein dürfen. Wenn man nicht immer nur auf der Suche nach dem Perfekt ist, sondern wenn auch das, was jetzt im Augenblick an Musik, an Klang, an Ausdruck, an Kreativität aus ihnen herauskommt, einfach gut so ist und von uns wertgeschätzt wird. Und da ist für mich eine Unterrichtsatmosphäre unglaublich hilfreich, in der Fehler willkommen sind und nicht eben böse. Diese Dinge zu leben, das ist mir im Unterricht für den Flow Zustand einfach immer eine riesengroße Hilfe.

UW: Das klingt ganz toll, was du da erzählst. Ich will mal beschreiben, wie so ein Hinübergehen in den Flow praktisch stattfinden kann. Ich stelle mir vor, die Schülerin steht da vor mir und ich versuche als allererstes dieses Übergehen zur rechten Gehirnhälfte stattfinden zu lassen. Ich bin seit vielen, vielen Jahren wahnsinnig interessiert an Hirnforschung, muss ich dazu sagen. Und es scheint so zu sein, dass in der linken Gehirnhälfte die Kognition und die Emotion primär beheimatet sind und in der rechten Gehirnhälfte die Empfindung und die Intuition und damit auch das kreative Tun. Julia Cameron nennt es das Künstlergehirn des Rechten. Und wie kann man dieses Künstlergehirn aktivieren und die linke Gehirnhälfte ein bisschen schlafen legen? Ich tue das mit meinen Schülern, indem ich mit ihnen Wahrnehmungsübungen, also taktile Wahrnehmungsübungen mache. Und über diese Wahrnehmungsübungen, also im Gesang. Ich bin ja Sängerin, ich mache das natürlich mit der Stimme. Diese Wahrnehmungsübungen sind während zum Beispiel das Summen eines M. Ich summe das M und lege dabei meine Fingerkuppen an die Nase und spüre die Vibration in der Nase. Die, die immer entsteht, die jeder nachvollziehen kann und jeder spüren kann. Nun geht es darum, die Schülerin zu bitten, in dieser Wahrnehmung zu sein, und zwar nur in dieser Wahrnehmung mit Neugier zu erforschen. Wie groß ist denn mein Nasenraum? Wie weit geht das nach hinten in den Kopf hinein? Wie weit geht es Richtung Stirnhöhle, nach oben, in die Saiten? Das wäre so eine erste. Die, die immer entsteht, die jeder nachvollziehen kann und jeder spüren kann. Nun geht es darum, die Schülerin zu bitten, in dieser Wahrnehmung zu sein, und zwar nur in dieser Wahrnehmung mit Neugier zu erforschen. Wie groß ist denn mein Nasenraum? Wie weit geht das nach hinten in den Kopf hinein? Wie weit geht es Richtung Stirnhöhle, nach oben, in die Saiten? Das wäre so eine erste Übung, um in die Wahrnehmung zu kommen und eine Weile beobachtend und damit auch wertungsfrei in dieser Wahrnehmung zu bleiben.

KT: Das heißt, wenn ich jetzt zum Beispiel Cello spiele, könnte ich lange Töne spielen lassen und könnte schauen, wie sich diese Vibrationen, die dann da entstehen, von dem Instrument auf meinen Körper übertragen oder auch beispielsweise beim Blasinstrument. Da mache ich das mal ganz gern mit geschlossenen Augen die Schüler Töne spielen zu lassen und dann auch so diese Vibration zu spüren, zu spüren, wie der Ton in den Körper eindringt.

UW: Ganz genau! Die Instrumente sind natürlich unterschiedlich. Was sie uns anbieten. Das Cello ist oder auch die Conga ist ein gutes Beispiel für ein Instrument, mit dem wir sehr viel Körperkontakt haben und wo wir sehr viel Schwingung aufnehmen oder wahrnehmen können. Ob die Schwingung dann unseren Körper durchdringt, ist noch mal eine andere Frage. Aber auf jeden Fall können wir über diese Schwingung switchen, in diesen wunderbaren Zustand. In diese rechte Gehirnhälfte, in die Wahrnehmung. Bei Blasinstrumenten habe ich natürlich die Lippen, die da ganz viel wahrnehmen können. Ich habe die Finger am Instrument, die was wahrnehmen können. Beim Klavier ist es erst im ersten Moment vielleicht ein bisschen schwieriger. Natürlich nehmen meine Fingerkuppen, die ja wahnsinnig sensitiv sind, die Schwingungen an der Taste wahr und ich kann mich darauf fokussieren. Aber das ist ganz wichtig. Es gibt natürlich nicht nur die Schwingung des Tons, sondern es gibt immer auch die Möglichkeit, den eigenen Körper, die Bewegung im eigenen Körper wahrzunehmen, zum Beispiel die Atembewegung. Unabhängig vom Musizieren habe ich immer einen bewegten Körper, immer eine Atembewegung, die mich durchdringt und mit der ich mich verbinden kann. Und darüber kann ich auch in diesen Flow Zustand kommen. Darüber kann ich auch auf die Wahrnehmungsebene kommen.

KT: Ich finde es ja immer ganz hilfreich, wenn Stunden mit so einer wunderschönen musikalischen Routine anfangen. Hierzu kennen alle meine Trompetenschülerinnen so eine Art Einspielprogramm auswendig und das musizieren wir immer zu Beginn der Stunde gemeinsam einspielen. Das klingt ja oft so ein bisschen nach stupiden technischen Übungen. Aber der Clou an diesem Einspielprogramm ist, dass diese kleinen Übungen alle so gestaltet sind, dass sie nach Musik klingen und dass sie sofort in den Körper reingehen, dass man sie gerne hört. Und außerdem gibt es dann zu jedem Element eine Klavierbegleitung. Alternativ spiele ich auch meine zweite Stimme auf der Trompete hinzu, um ein bisschen Abwechslung zu bieten. Und dann gibt es noch Atem- und Bewegungsübungen. Gesprochen wird bei diesem Einspielprogramm fast gar nicht. Aber als Lehrkraft kann ich die Dauer schon ein bisschen lenken, so zwischen 5 bis 10 Minuten. Je nachdem, wie ich auch so spüre, dass es im Schüler der Schülerin gerade guttut. Und wichtig finde ich hierbei aber noch, sich dann auch die Zeit und die Ruhe dafür zu gönnen. Denn unter Zeitdruck, da entspannt sich wirklich niemand. Und oft führt nämlich dann genau dieser Zeitdruck im Unterricht dazu, dass man für kleine Lernimpulse wirklich viel, viel mehr Zeit benötigt, bis man spürt: «Jawohl, jetzt, jetzt ist es beim Schüler, bei der Schülerin angekommen.» Gerade wenn jetzt, wie vorhin von dir angesprochen, Ulla, so ein junger Mensch leicht gestresst von der Schule und von seinen Nachmittagsterminen in meinen Unterrichtsraum rein «fliegt», dann gönne ich uns auch einfach diese Ruhe, erst einmal mit so einem wunderschönen Einspielprogramm eine tolle Atmosphäre herzustellen. Und genau das ist ja dann auch der Moment, in dem dann auch dieser Unterrichtsflow entsteht. Man ja, und der entsteht ja nicht nur für die Schüler, sondern es steht ja dann auch für mich. Ich weiß nicht, wie viel du so hast, Ulla, aber ich unterrichte immer so 10 bis 14 junge Menschen in Reihe und habe dann aber gar nicht gespürt, wie schnell die Zeit vorbeigegangen ist und bin am Ende so eines Unterrichtstages völlig euphorisiert. Aber was ich noch nicht ganz rausbekommen habe und vielleicht kannst du mir da einen Tipp helfen: Wie genau komme ich in diesen Unterrichtsflow bei mir selbst?

UW: Also ich finde, das klingt ganz toll, was du da beschreibst, was du mit deinen Schülerinnen machst. Du machst alles richtig und es klingt ganz wunderbar. Was für mich jetzt noch mal wesentlich ist, ist, dass du gesagt hast, du lässt sie auswendig musizieren. In dem Moment, wo wir nicht auswendig musizieren, wo wir auf den Notentext starren und versuchen, Rhythmus und Melodie abzubilden und in dieser Struktur sind, sind wir in der linken Gehirnhälfte. Da sind wir im Denken gar kein Zwang. In dem Moment, wo wir auswendig musizieren, müssen wir nicht so stark in die linke Gehirnhälfte gehen. Da kann es gelingen, die rechte Gehirnhälfte zu aktivieren, da kann es gelingen. Während ich auswendig eine kleine Phrase wiederhole, vielleicht nur vier Takte, und die immer und immer wiederhole mich einsinken zu lassen, mich hineinfallen zu lassen in die Musik, in die taktile Wahrnehmung dessen, was ich tue, zu gehen und damit in der rechten Gehirnhälfte zu sein, das ist für mich eines der Geheimnisse des Flows. Und nachdem ich meine Schüler eingestimmt habe über Summen, über das Singen langer Töne, sie aufgefordert habe, die Welt der Gedanken zu verlassen und in die Welt der Empfindung einzutauchen, gehen wir natürlich auch dazu über, Stücke zu arbeiten. Und das machen wir viel mit dieser kleinteiligen Wiederholung, dass wir uns eben eine kurze Phrase nehmen und diese immer und immer wiederholen und versuchen, im Wiederholen in der taktilen Wahrnehmung zu sein. Je häufiger man das übt, desto leichter ist es auch mit Stücken, mit längeren Stücken, mit längeren Passagen, mit ganzen Arien oder Konzerten. Je häufiger man das macht, desto besser gelingt es auch über längere Zeit während des Musizierens, in der taktilen Wahrnehmung zu bleiben. Ich habe noch nicht herausgefunden, ich weiß es nicht. Es ist, glaube ich, auch nie bei Gehirnscan erforscht worden, ob es ein sehr schneller Wechsel ist zwischen linke und rechte Gehirnhälfte, ob es oder ob man wirklich gleichzeitig in der Kognition, also im strukturierten Ton sein kann und gleichzeitig das taktile Empfinden wachhalten kann, das weiß ich nicht. Für mich fühlt es sich an wie ein sehr schneller Wechsel.

KT: Das ist ja im Grunde auch nebensächlich, ob das mal erforscht wurde oder nicht, weil wir können ja nicht unsere Schüler in den Hirnscans legen und sagen: «Oh, jetzt müsste ich aber noch ein bisschen mehr für Wechsel sorgen.» Also das ist ja eigentlich müßig, in diese Richtung zu gehen. Gleichwohl spannend immer wieder, wie das so im Körper aussieht.

UW: Also müßig, mag es sein, ich find’s spannend. Aber jetzt so rein für die Unterrichtspraxis nicht unbedingt von Belang, weil wir ja keine Hirnscans haben.

KT: Ich finde das jetzt ganz spannend, was du gesagt hast mit dem Wiederholen. Ich habe ja die Erfahrung gemacht, dass beim Loopen von Musik, also beim stetigen Wiederholen von einzelnen Elementen von diesen Schlaufen sich ganz, ganz schnell solche Flow Effekte einstellen. Und das muss jetzt gar nicht unbedingt das Musizieren mit einer Maschine oder auch mit Loop Apps sein, so wie ich das in meinem Üben und Musizieren Spezial «Digital jetzt!» beschrieben habe. Ich nehme mir einfach so einzelne Elemente aus solchen Musiken heraus, von denen ich ja mittlerweile sehr, sehr viele habe. Und ich versuche das ganz analog und vor allem ohne aufzunehmen im Unterricht mit den Schülerinnen und Schülern einfach nur so eine nutzbare Phrase zu suchen, die sie dann immer wiederholen, vielleicht abwechselnd zu spielen, kleine Veränderung einzubauen, eine zweite oder dritte Stimme hinzufügen, ein wenig am Rhythmus, an der Melodie zu variieren, herumzuschrauben und gemeinsam wirklich ganz, ganz tolle musikalische Momente zu schaffen. Da ist ein bisschen schwer, so was mündlich in wenigen Sätzen zu erklären, stelle ich gerade fest. Aber wenn die Schülerinnen das so erst ein paarmal gemacht haben, dann kann ich auch bei jedem neuen Stück sagen: «Ich glaub, bei diesem, bei diesem Werk, da eignen sich viele Stellen perfekt dafür, um geloopt zu werden. Dann können die Schüler dann auch selbstständig daheim auf Entdeckungsreise gehen, weil sie dann auch mit dieser Technik etwas anzufangen wissen, weil sie die Erfahrung schon im Unterricht gemacht haben.

UW: Damit hast du noch mal wunderbar mit deinen Worten beschrieben, was ich vorher gesagt habe, nämlich aus dem Stück, einer kurze Phrase, vier Takte, acht Takte, zwei Takte, je nachdem, die dafür geeignet ist, herauszunehmen und die immer wieder zu wiederholen und damit eben zu loopen. Ob wir wiederholen, sagen oder loopen, ist ja beides das Gleiche. Hast du jetzt noch angesprochen hast, ist dieser Übergang in das kreative Tun. Natürlich ist alles musikalische Tun kreatives Tun, aber das noch mal bewusst zu machen, wie du es beschrieben hast, dass du dann die Schüler variieren lässt, ist genau das, was mich in meinem Buch auch sehr beschäftigt hat, weil ich ja eine improvisierende Musikerin bin in meinem hauptsächlichen musikalischen Tun. Und weil ich das für mich entdeckt habe, dass wenn ich im Flow bin, ich dann auch diesen Zugang zur Quelle der Kreativität habe und das Gefühl, wenn ich dann damit verbunden anfange zu improvisieren, ist ein Gefühl, als würde ich gar nicht mir etwas ausdenken oder Töne suchen, sondern dann fließt es durch mich durch. Es fühlt sich fast sogar ein bisschen an, als käme es von woanders, käme es gar nicht aus mir heraus. Vielleicht kommt es einfach nur nicht aus dieser linken Gehirnhälfte, aus dem Denken, sondern es kommt eben aus der rechten Gehirnhälfte. Vielleicht kommt es aber auch ganz woanders her, wo auch immer man diese Quelle der Kreativität verorten möchte. Ich würde gerne einen kurzen Text von Picasso lesen. Der bringt es nämlich ganz wunderbar auf den Punkt, was ich meine. Darf ich das mal tun?

KT: Ja, auf jeden Fall.

UW: Ich suche nicht – ich finde. Suchen – das ist das Ausgehen von alten Beständen und ein Finden-Wollen von bereits Bekanntem im Neuen. Finden – das ist das völlig Neue! Das Neue auch in der Bewegung. Alle Wege sind offen und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer! Die Ungewissheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen, die sich im Ungeborgenen geborgen wissen, die in die Ungewissheit in die Führerlosigkeit geführt werden, die sich im Dunkeln einem unsichtbaren Stern überlassen, die sich vom Ziele ziehen lassen und nicht – menschlich beschränkt und eingeengt – das Ziel bestimmen. Dieses Offensein für jede neue Erkenntnis im Außen und innen: Das ist das Wesenhafte des modernen Menschen, der in aller Angst des Loslassens doch die Gnade des Gehaltenseins im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt.

KT: Toll, aber muss ich mir sicher noch ein zweites Mal anhören.

UW: Ja, ja, aber genau das ist es doch. Wenn wir in die Absichtslosigkeit gehen, wenn wir nicht festgelegt sind auf das, was da gleich geschehen wird, dann ist es möglich ins Neue zu kommen. Dann ist es möglich, Kreativität fließen zu lassen und dann entstehen – und das ist total typisch dafür – diese im Flow, dieses Glücksempfinden. Und das ist es, was ich meinen Schülerinnen ermöglichen möchte. Das ist es, was ich meinen Leserinnen ermöglichen möchte. Es gibt wahrscheinlich viele Wege in diesen Flow- Zustand und ich weiß nicht, welchen Picasso ganz praktisch gewählt hat. Für mich ist es die Sache mit der Empfindung, mich fallen zu lassen in die Welt der Empfindung, in der Empfindung zu bleiben. Und darüber entsteht sie leicht. Das ist meine Erfahrung jetzt, nach vielen Jahren. Dieser Weg in den Flow und damit auch der Zugang zur Quelle der Kreativität.

KT: Nicht ganz wichtig, was du sagst. Auf die Empfindungen achten! Es ist für mich auch immer so ein Wohlgefühl. Ich glaube, die Schülerinnen und Schüler müssen sich bei uns wohlfühlen. Und dazu bin ich natürlich eine Weile lang der Frage nachgegangen: Was braucht es eigentlich, damit sich ein Schüler, eine Schülerin wirklich wohlfühlt? Also worauf habe ich vielleicht auch Einfluss im Raum. Sprich: Helligkeit, Temperatur. Wo habe ich vielleicht noch einen gewissen Einfluss? Lage des Raums, Ausblick aus dem Raum. Ich hatte an einer Musikschule mal so einen Raum – halb im Souterrain. Wenn ich da aus dem Fenster geguckt habe, dann ging das auf einen Parkplatz raus. Das heißt, wir haben permanent ankommende und abfahrende der Autos gesehen und davon halt dann auch nur die Reifen, dazu noch die aussteigenden Personen bis zu den Unterschenkeln. Das hat den ganzen Unterricht so unruhig gemacht. Wenn wir uns umgedreht haben, dann ging der Blick Richtung Unterrichtszimmertür. Dort waren Fenster drin. Also wirklich von oben bis unten, so dass man auch von außen reinschauen konnte. Das hat auch nicht zur ablenkungsfreien Unterrichtsatmosphäre beigetragen. Dabei war Raum war eigentlich schön – auch akustisch. Aber die Ablenkung wirklich worst case! Du hast wirklich keine Ecke gefunden, wo es einigermaßen ruhig war und wo du nicht permanent abgelenkt wurdest von dem, was du machen wolltest: In dich hinein spüren, wirklich zur Ruhe kommen und dann musizieren.

UW: Ich verstehe, was du sagst. Aber ich bin da zwiegespalten. Ich selber habe einen ganz wunderbaren Arbeits- und Übungs- und Unterrichtsraum. Und so kann ich gut verstehen, dass dir das wichtig ist, ein schönes Ambiente zu haben. Ich würde auch was die Akustik angeht, auf gar keinen Fall Abstriche machen wollen. Also ein schalltoter oder ein überakustischer Rau – das ist meiner Meinung nach überhaupt nicht geeignet. Gleichwohl sagen Lerntheoretiker, dass Lernen am besten entsteht, wenn der Mensch ein bisschen außerhalb seiner Komfortzone sich befindet. Das heißt, wenn es vielleicht ein bisschen kühl ist im Raum.

KT, lacht: Das können sie haben diesen Winter.

UW: Das fällt mir gleich ein, natürlich mit unserer momentanen Energiekrise, wenn es immer ein bisschen kühl ist. Also unbehaglich würde ich es nicht nennen. Aber jeder muss natürlich für sich selber gucken: Wo bin ich denn in meiner Komfortzone und wo gehe ich ein bisschen außerhalb meiner Komfortzone spazieren? Das können auch Anforderungen sein, die an mich gestellt sind. Die für meine Gesangsschüler, also gerade für die Neuen, die sind natürlich in dem Moment, wo sie da bei mir im Raum sind und vorsingen, ja sowieso außerhalb ihrer Komfortzone. Und auch Schüler, die das, was sie geübt haben, dem Lehrer präsentieren, sind es wahrscheinlich auch. Also es ist immer so eine Sache, wenn man sich wahnsinnig wohlfühlt und im Lehnstuhl sich zurücklehnt. Angeblich ist Lernen dann schwieriger.

KT: Ja, das. Das kann ich mir gut vorstellen, dass wenn du ja, dann fühlst du dich einfach zu komfortabel. Ja – aber ja, ich weiß nicht. Ich versuche immer, alles zu vermeiden, was meine Schüler im Unterricht vom Musizieren ablenken könnte. Sprich ich habe auch den Raum insgesamt sehr neutral gestaltet. Nichts, wo man ständig hinguckt, abgelenkt ist und wo man dann mit den Gedanken woanders ist. Zwar Dinge, die die Kreativität anregen können, aber die nicht vom eigentlichen Unterrichtsinhalte ablenken.

UW: Ja, wobei ich die Erfahrung gemacht habe: Das ist für manche Menschen am Anfang sehr schwierig, über längere Zeit in die Empfindung des eigenen Körpers einzutauchen und auf diesem Weg in diese Welt der Empfindungen zu kommen. Manchmal ist es so, dass sie leichter dahinkommen, also es geht immer darum: Wie lege ich meine Gedanken schlafen? Wie erreiche ich das, dass die Gedanken still werden und dieses ewig sich beurteilen und kritisieren aufhört? Manchmal ist der erste Schritt dahin, sich abzulenken. Ich habe ein Bücherregal in meinem Arbeitszimmer stehen, dann lasse ich sie die Buchrücken lesen, während sie singen. Das Singen muss dann natürlich auswendig sein, oder nur ein Ton, lange Töne. Und währenddessen lesen Sie Buchrücken und beschreiben sir mir hinterher. Was haben Sie erlebt? Und das ist manchmal der Anknüpfungspunkt, es ist der erste Moment, wo Sie sagen: «Das ging ganz leicht, es war ganz mühelos das Singen. Ich war ja vollständig abgelenkt, nichts hat mich gestört.» Und das ist auch so eine Erkenntnis, dass der Körper natürlich seine eigene Intelligenz hat. Und sowohl beim, beim auch beim Blasinstrument, als auch bei anderen Instrumenten kennen wir dieses Phänomen beim Klavier, dass die Finger einfach laufen. Und in dem Moment, wenn ich eine schnelle Passage zu spielen habe die Finger müssen einfach laufen gelassen werden, wenn ich anfange, darüber nachzudenken. Zack gestolpert.

KT: Ich habe als Kind immer vorgestellt, dass meine Finger das lernen müssen, auf dem Klavier zu spielen und nicht, dass ich das selbst lerne. Ich habe das irgendwie so eigenständig wahrgenommen.

UW: Ganz genau. Das ist dieses Memory, das Körpergedächtnis, was wir haben, was natürlich auch Spitzensportler aktivieren müssen: Die dürfen nicht mehr nachdenken. Wie die Bewegung im Einzelnen vonstattengeht, das muss abgespeichert sein als Bewegungsablauf. Und dabei hilft genau dieses in der Empfindung sein, um es laufen zu lassen. Oder es hilft, sich abzulenken. Ich habe, als Ich habe mit fünf mit Klavierspielen angefangen und irgendwann kamen wir dann auch dazu, dass ich so einen längeren Triller spielen musste und das stockte immer und hat meine Klavierlehrerin mir vorgeschlagen, ich solle doch laut Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber sprechen, die ganze Zeit und währenddessen trillern. Und tatsächlich: Das hat funktioniert, ich war so gut abgelenkt durch dieses Wort. Meine Finger haben das dann mühelos hingekriegt. Und insofern ist das, was du beschreibst, mit dem abgelenkt und nicht abgelenkt sein natürlich auch ein ganz wesentlicher und vielleicht sehr hilfreicher Zugang. Ich wollte aber noch mal auf was anderes zu sprechen kommen. Du hast von Fehlern gesprochen. Eine Atmosphäre zu schaffen, in denen man nicht auf die Fehler schaut oder sich von den Fehlern nicht ins Straucheln bringen lässt. Das ist mir auch total wichtig. Ich finde ja sowieso, dass Fehler immer wertvoll sind. In der Improvisation gibt es diesen Satz Unfälle zu Unfällen machen. Und das scheint mir auch sonst ein Zaubermittel zu sein. Daran denke ich, wenn mir irgendwas passiert, was ich eigentlich so nicht geplant habe, damit weiter zu gehen. Es als Anregung zu nehmen, mich davon weiterführen zu lassen.

KT: Und zudem ist es ja Musik, was wir machen. Es ist Kunst. Es ist ja nicht die Herz-OP. Da würde das mit den Unfällen zu Einfällen machen vielleicht weniger gut funktionieren.

UW: Das stimmt. Es ist wahr. Es ist natürlich auch schwierig, wenn man eine Arie auf der Bühne zu singen hat oder einen Popsong oder ein Musical oder ein Chanson, was auch immer. Wenn da ein Unfall passiert, frage ich mich immer: Was mache ich mit diesem Unfall? Komplizierte Situation. Es ist es natürlich wahnsinnig hilfreich, wenn man im Unterricht eine Atmosphäre hatte, wo Unfälle passieren durften und wo die Schüler eine gewisse Erfahrung sammeln durften mit diesen Unfällen. Wenn man das im Unterricht oder zu Hause beim Üben vielfach erlebt hat, ist es natürlich leichter, in der Konzertsituation damit umzugehen.

KT: Ich muss meinen Schülern ja immer abgewöhnen, aufzuhören zu spielen, sobald sie einen Fehler machen. Wenn sie mit diesem Schul-Mindset kommen und es passiert ihnen ein Fehler, dann hören sie erst mal auf und sagen mir: «Da war ein Fehler.» «Ja, das habe ich auch gehört. Aber das Wichtige ist jetzt ein gutes Fehlermanagement! Es ist nicht wichtig, dass du fehlerfrei bist, sondern dass du, die Kurve kriegst. Dass du zurück ins Stück findest. Und dafür ist das jetzt ganz hilfreich, was dir gerade passiert ist! Deswegen hör bloß nicht auf zu spielen. Merkt dir einfach wenn möglich, wo die Stelle war, dann kannst du sie später anschauen. Aber wenn dir jetzt so ein kleiner Unfall passiert, dass du wieder reinfindest das Stück, ist das eine super wertvolle Fähigkeit. Und diese Fähigkeit können wir eben nur trainieren, wenn Unfälle und Fehler willkommen sind. Du hast doch sicher schon mal ein Sinfonieorchester auf der Bühne sitzen sehen - da passieren auch alle naselang irgendwelche Fehler. Die können ja auch nicht ständig anhalten. Da würden sie ja nur noch stehen. Sag ja zum Fehler und mach etwas Gutes draus!»

UW: Absolut. Fehlermanagement ist ein total wichtiges Wort. Ich muss meinen Schülerinnen immer abgewöhnen, das Gesicht zu verziehen. Wennes kleine Fehler sind, kriegt das der Zuhörer oft in der Gesamtheit der Eindrücke überhaupt nicht mit. Aber wenn ich das signalisiere, indem ich schmerzlich berührt gucke, weil ich. Weil ich selber ja gemerkt habe: ich habe einen Fehler gemacht. Oder noch viel schlimmer, wie du sagst: Wenn ich stehenbleibe, wenn ich rausgehe aus dem Stück, dann ist klar, dass wir das nicht wollen.

KT: Das ist natürlich auch noch in anderer Hinsicht problematisch, Du stehst auf der Bühne und guckst schräg. Dein Publikum guckt dich dann so schräg zurück an und dann: «Hallo, Spiegelneuronen!» Das Publikum spielgelt deine Gefühle, deinen schrägen Blick, den du dann wieder wahrnimmst. Dadurch fühlst du dich ganz schlecht und dann bist du wie in so einer Abwärtsspirale drin. Deswegen ich glaube, es kommt einem sehr entgegen, wenn man auf der Bühne in der Lage ist, diese Contenance dann auch zu wahren und also ein professionelles Gesicht zu machen, selbst wenn einem etwas passiert, was einem lieber nicht passiert wäre.

UW: Und auch dafür ist wieder diese Unterscheidung zwischen Kognition und Empfindung so wichtig. Wenn ich im Denken bin, dann kann es mir passieren. Mir ist es auf der Bühne leider auch schon passiert, dass ich, nachdem ich einen Fehler gemacht habe, den ich eigentlich ganz gut überspielt habe, dann anfange darüber nachzudenken: «Was ist denn da gerade passiert, wie ist das passiert?» Dabei habe ich mich da schon ertappt. Es war ganz furchtbar, dann die nächste Minute in dem Stück parallel zum weiter musizieren drüber nachzudenken, was ist da eigentlich gerade passiert? Und auch da: Um das nicht erleben zu müssen, hilft es natürlich dann wieder in die Empfindung zu schlüpfen.

KT: Also ist der Flow-Zustand im Grunde auch ein Rezept gegen Lampenfieber.

UW: Ich meine jetzt in die Empfindung zu schlüpfen, um auch wieder in den Moment zu kommen. Um nicht festzuhängen in der Vergangenheit. Da ist gerade was passiert und da. Ich bin ich die ganze Zeit irgendwie noch am Umdenken, wieder in den Moment zu kommen, ins Jetzt zu kommen. Was tue ich jetzt?

KT: Kann man den Flow-Zustand eigentlich messen, so wie man beispielsweise Glücksgefühle oder Motivation auch durch das Vorhandensein bestimmter Hormone erkennen kann?

UW: Ja, ich denke ja. Csikszentmihalyi – das ist ja so der Flow-Papst in unserer Kultur – der hat mit Hirnforschern zusammengearbeitet, um das eben herauszufinden, was da genau passiert. Und das ist dann eben auch das Wertvolle an Gehirnscans und an Hirnforschung überhaupt, dass man mal den Finger drauflegen kann, dass man mal diese sehr schwer zu beschreibenden Zustände auch abbilden kann.

KT: Absolut. Es ist ja für Menschen immer sehr spannend, auch mal was in greifbare Fakten und Zahlen zu fassen. Und ich meine mich daran zu erinnern, dass eben auch der angesprochene Mihaly Csikszentmihalyi und dass es auch andere Wissenschaftler gab, die sich eben mit dieser Messbarkeit des Flow-Zustands beschäftigt haben. War da nicht irgendwas mit leicht erhöhten Cortisolwerten, was ich mir merken wollte? Ich glaube Cortisol, das ist ja eigentlich ein Stresshormon. Stress kann zwar als negativ empfunden werden (Distress), aber Stress kann natürlich auch positiv wirken (Eustress). Eu griechisch für gut. Also guten Stress, der dich anspornt.

UW: Absolut, absolut. Und das bringt mich noch mal auf das Thema Entspannung. Das Wort fiel ja schon in unserer Unterhaltung. Musizieren ist eben nicht Entspannung. Musizieren ist immer eine Aktivität, und zwar auch eine Aktivität auf einem sehr hohen Level, würde ich sagen. Also bei vielen Instrumenten und auch beim Singen, wenn wir an Opernsänger denken, Musiker, Sänger, Rockstars, das ist ein hoher Aktivitätslevel und da ist es überhaupt nicht angesagt, sich zu entspannen. Und deshalb ist es so wichtig zu unterscheiden zwischen Distress und Eustress. Wie komme ich in diesen positiven Aktivitätszustand, bei dem ich dann vielleicht auch einen erhöhten Cortisol-Spiegel habe?

KT: Jetzt war ja Mihaly nicht der erste und der einzige Forscher, der sich mit dem Thema Flow beschäftigt hat. Da gab es ja auch zum Beispiel Abraham Maslow, der vielen von uns, die sich mit dem Thema Motivation beschäftigt haben, durch seine Arbeiten vor allem rund um diese Maslow’sche Bedürfnispyramide bekannt sein dürfte. Aber, was ich ganz spannend finde ist, dass Maria Montessori, Ärztin und Reformpädagogen, zum Thema Flow geforscht hat. Bei ihr hieß das dann alles, allerdings «Polarisation der Aufmerksamkeit» und damit hat sie den vertieften Zustand im Spiel gemeint, den sie bei den ihr anvertrauten Kindern so oft beobachten konnte. Das hattest du ja ganz am Anfang schon gesagt. Daher muss für mich die Frage lauten: «Wie können wir als Lehrende denn dazu beitragen, dass unsere Schülerinnen und Schüler daheim beim Üben in diesen Flow Zustand geraten?»

UW: Kurz noch zu Montessori? Das passt nicht ganz wunderbar zu dem, was wir schon gesprochen haben. Montessori hat ihren Schülerinnen oder den Kindern des Waisenhauses, mit denen sie gearbeitet hat, anfänglich Materialien mit verschiedenen Strukturen angeboten. Materialien, mit denen die Kinder ins Fühlen gelangen konnten. Fühlen eben nicht im Sinne von Emotion, sondern Fühlen im Sinne von taktilen Erfahrungen. Rauhe Materialien, glatte Materialien usw. und so fort. Und das ist eine exakte Parallele zu dem, was ich vorhin mit dem Eintauchen in die Welt der Empfindung versucht habe zu beschreiben. Das, was Montessori da gemacht hat, finden wir auch im kreativen Schreiben, wo Autorinnen, die sich damit befasst haben, empfehlen, händisch zu schreiben, also mit der Hand. Und wenn man drei Seiten schreibt und denkt: «Mir fällt nichts ein, mir fällt nichts ein, mir fällt nichts ein…» Dann bin trotzdem in Tun, ich bin in der Bewegung und ich bin komme darüber in eine Empfindung und darüber wieder in die rechte Gehirnhälfte, in die Gehirnhälfte, in der Empfindung und Intuition beheimatet sind. Im in der Malerei - dazu gibt es auch Bücher – Michelle Cassou hat das in ihrem Buch «Point Zero» beschrieben. In dieses taktile Empfinden zu kommen, um damit in diese Welt der Kreativität, zur Quelle der Kreativität zu kommen und das, was ich mache, diese körperliche Empfindung immer wieder wahrnehmbar zu machen. Darin einzutauchen ist natürlich etwas, was die Schüler zu 100 % mit nach Hause nehmen können, denn ihren Körper haben sie auch zu Hause dabei.

UW: Und diese Übungen, die wir gemacht haben, und sei es das, das Dehnen. Ich fange oft an mit dem Dehnen des Körpers an. Nicht im Sinne von Stretching, wie man das aus dem Sport kennt, wenn man wirklich hart dehnt. Beim Stretching stockt die Atembewegung. Man muss weich und genüsslich dabei sein. Bei Katzen kann man das so unheimlich gut sehen, dass das wahnsinnig angenehm ist, sich zu dehnen, die machen das ja auch dauernd. Wenn man sich das als Vorbild nimmt und darüber in das Dehen reinfindet, ist man natürlich sofort in der Körperempfindung. Und zwar in der Körperempfindung, wo man will. Man kann alle möglichen Teile des Körpers in die Dehnung geben, natürlich die Extremitäten, aber man kann auch den Rücken dehnen und die Rippenkorb dehnen usw. und so fort. Und das ist etwas, das Schüler eins zu eins zu Hause machen können, um ihr Üben mit einer Empfindungsübung zu beginnen und darüber schon anders, sozusagen geprimet werden - oder sollte ich vielleicht lieber sagen geframet zu werden mit ihren Übungen.

KT: Sollte ich dann meinen Schülerinnen und Schülern eher schwere oder eher leichte Dinge zum Üben geben, wenn ich möchte, dass sie in den Flow geraten?

UW: Ja, das ist eine sehr einfach zu beantwortende Frage. Wir tun immer das, was leicht ist. Und das tun wir so lange, bis es sehr leicht und dann tun wir es den nächsten Schritt. Das ist ganz einfach. Es kann sein, dass man das als Pianist oder Violinist anders sieht, dass man sich da auch abarbeitet an den schwierigen Figurinen. Aber beim Singen ist es unmittelbar so, wenn ich mich überfordere - stimmlich -macht das ganze System zu. Die Stimme, sagt dann: Ich kann nicht! Ähm, und dann? Dann braucht man gar nicht weiter zu üben.

KT: Ich finde es ja immer ein bisschen schwierig, wenn man Stücke gibt, die so leicht sind, dass die Schüler keine Herausforderung darin sehen und auch keinen Benefit für sich selbst. Also das zu üben, dass sie sie wollen - gerne. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass meine Schüler gerne auch eine Herausforderung haben. Und na klar, wie hoch diese Herausforderung ist. Da kann man natürlich drüber reden. Neudeutsch sagt man ja auch «Sweet Spot» oder auch «Sweet Area» dazu. «Sweet Area» finde ich da fast noch ein bisschen besser - also den Bereich, in dem man sich leistungsmäßig bei einem Lernenden gut bewegen kann: Nicht so einfach, dass es anspruchslos wird, aber auch nicht eine so große Herausforderung, dass die Hürden zu schwierig zu nehmen sind. Es fällt mit den Jahren der Unterrichtserfahrung immer leichter einzuschätzen. Das habe ich auch mittlerweile so einen ganz guten Überblick über diese «Sweet Areas» und auch darüber, wie ich jetzt von einem Gebiet zum nächsten komme.

UW: Oh ja!. Ich habe, als ich anfing, diese Wahrnehmungsarbeit immer stärker in meinem Unterricht einzubringen, sie zu beginnen mit langen Tönen und die Geweberesonanz der langen Töne zu spüren zu lassen schon gedacht: «Wie mache ich das mit meinen Jugendlichen?» Die wollen eigentlich immer Stücke singen. Sie wollen, dass es ein bisschen cool ist. Und ich habe gesagt: «Naja, den werde ich das vielleicht so nicht nahebringen können.» Und das Gegenteil war der Fall! Gerade bei denen, bei den Jugendlichen, bei den Kindern und Jugendlichen, also nicht bei ganz kleinen Kindern, aber bei den Jugendlichen. Die haben damit begonnen mit so einem langen Ton und fingen an zu lächeln. Und die waren sofort sehr schnell dabei: «Es fühlt sich so gut an. Können wir das noch ein bisschen weiter machen? Es ist so schön.» Und Schwierigkeiten habe ich eher bei mir. Menschen in meinem Alter oder älter, die auch sehr kognitiv unterwegs sind, die brauchen immer eine ganze Menge Begründungen. Warum ist es. Soll es sinnvoll sein, so was Sinnvolles zu tun? Warum soll ich immer wieder dieselbe Phrase wiederholen? Warum soll ich mich in dieses Spüren begeben? Für die ist es nicht so leicht, weil unsere ganze Gesellschaft natürlich sehr geübt darin ist, in dieses Ich geh noch mal zurück in dieses Denken und Fühlen. Da sind wir alle total geübt und trainiert zu beurteilen. Alles wird ständig und immer beurteilt, entweder logisch oder eben fühlend beurteilt. In dieser anderen Sparte, in dieser anderen Ebene des Empfindens und der Intuition sind wir nicht geübt und fragen uns vielleicht auch wozu? Und das ist die Schwierigkeit, die ich dann mit diesen Schülern bequatschen muss, behandeln muss und sie vielleicht auch auf der logischen Ebene überzeugen muss, dass das sinnvoll sein kann. Und dann braucht es ein bisschen an persönlicher Erfahrung, an persönlichem Sich-Wohlfühlen, bis sie da hinkommen.