Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

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Voll motiviert – Der Musikpädagogik-Podcast

Episode 25: Mario Müller

KT: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „voll motiviert – eurem Musikpädagogik Podcast“. In dieser Folge ist Mario Müller zu Gast. Er hat vor 31 Jahren Marios Musikschule in Bonn gegründet und hier eine ganz große Erfolgsgeschichte geschrieben. Was das Konzept seiner Musikschule so besonders innovativ macht und wie wir in unserem Unterricht davon profitieren können, darum soll es heute gehen. Neben seiner Tätigkeit als Schulleiter ist Mario Müller Vorsitzender des BDFM, (Bundesverband der Freien Musikschulen e.V.) und er ist im Bundesfachausschuss Bildung des Deutschen Musikrats.

KT: Hallo, Mario. Danke dass du dir die Zeit nimmst!

MM: Hallo, liebe Kristin. Vielen Dank, dass ich da sein darf.

KT: Sehr gerne, Mario. Es ist mir eine Freude, dich hier zu Gast zu haben. Denn ich bin überzeugt, Impulse aus dem Konzept deiner Musikschule können für viele von uns eine enorme Bereicherung sein. Marios Musikschule. Das klingt ja schon mal super. Super Mario. Was genau unterscheidet deine Schule von vielen anderen?

MM: Wir sind seit 31 Jahren am Markt, wie du ja gerade schon so schön angekündigt hast. Und wir haben in diesen Jahren immer darauf geachtet, dass wir „mainstream“ - so heißt das Wort ja heute - ist. So haben wir unser Konzept genau o weiterentwickelt, dass wir heute ein Treffpunkt für Musiker sind. Egal was. Man kann bei uns zum Proben kommen, man kann zum Unterricht kommen, sich aber auch für ein Instrument beraten lassen, wenn man eines braucht, wenn es kaputt ist, oder man eines mieten möchte. Wir haben jetzt eigentlich alles unter einem Dach.

KT: Und es gibt sogar direkt bei euch in der Musikschule einen Shop für Instrumente?

MM: Ja, wir haben es recht modern angelegt. Wir haben also die Unterrichtsräume, die Ausstellungsfläche: Im Gitarrenraum ist unser Gitarrensortiment, im Bläserraum unser Bläsersortiment. Und wenn der Schüler Beratung braucht, geht das direkt dort zusammen mit dem Dozenten. Über unsere musikschuleigene App kann man das dann ganz einfach bestellen und das Instrument ist dann in der nächsten Unterrichtsstunde vor Ort.

KT: Das klingt doch mal benutzerfreundlich - der kundenfreundlich. Aber wie löst man das denn logistisch? Da muss man dann doch mit einem Musikaliengeschäft zusammenarbeiten, oder wie ist das bei euch?

MM: Das ist eine Herausforderung. Wir selbst sind eine gemeinnützige Musikschule, aber wir haben noch ein Unternehmen daran gegründet, was unseren Verlag, die Instrumentenvermietung und den Verkauf verwaltet. Das heißt wir haben direkt mit den Herstellern Kontakt und beziehen die Ware auch direkt von dort. Und das verteilen wir logistisch dann über unsere fünf Filialen, die wir hier im Raum Bonn haben.

KT: Okay, ich muss mal ganz kurz Luft holen. Verlag!? Fünf Filialen!? Fangen wir doch mal mit dem Verlag an. Das ist ja etwas, was mich als Musikpädagogin natürlich extrem ansprechen würde, wenn ich bei euch arbeiten würde. Wozu gibt es denn diesen Verlag, der eurer Musikschule angegliedert ist?

MM: Wir haben bei uns seit 20 Jahren die Plattform „Score & Play“. Vor 20 Jahren war das noch keine Plattform - da wurden die Bücher bei uns noch „zu Fuß“ gedruckt und den Schülern gegeben. Mittlerweile ist es ein komplett digitales Konzept für alle Fächer, die wir bei uns in der Musikschule unterrichten. Da sind zum einen Übungen, Etüden oder auch selbst arrangierte Stücke drin, dann noch die Musiktheorie. Also alles, was der Schüler braucht.

KT: Selbst arrangierte Stücke? Dann bist du der beste Kunde der GEMA?

MM: Wir haben fünf Autoren. Das ist also auch eine recht große Geschichte geworden. Und alle Übungen sind selbst erstellt. Für die Sachen, die GEMA-pflichtig sind, wird auch GEMA-Gebühr bezahlt.

KT: Das bedeutet, ihr nutzt ausschließlich euer eigenes Material und nicht Notenausgaben, die ihr in Print- oder Digitalversion irgendwo dazu kauft!?

MM: Sehr wenig. Wir haben in der Musikschule „Trinity“ als Prüfungssystem und auch als Lehrplan. Diese acht Trinity-Grades sind unser Lehrplan, an dem man sich so lang hangelt. Da sind dann natürlich auch Spielstücke drin. In jedem Grade sind ja sechs Stücke, die man bei der Prüfung abrufen muss oder kann. Und wir haben im Endeffekt das Zusatzmaterial hinzu geschrieben über „Score & Play“.

KT: Und an dieses Zusatzmaterial kommt jede Schülerin, jeder Schüler einfach so dran, oder braucht man dafür die Lehrkraft?

MM: Nein, er kann sich bei uns einen Code nehmen, also registrieren und wird dann für sein Unterrichtsfach freigegeben. Dann hat er die Noten, die für seinen Fachbereich nötig sind Zuhause.

KT: Das finde ich ja ein gutes Konzept. Ich nutze nämlich ganz gerne Originalnoten, weil ich meinen Schülerinnen und Schülern diesen Mehrwert des Störens bieten will. Also so einzeln ausgedruckte Seiten, die ich mir von irgendeiner Plattform gekauft habe, oder die sich der Schüler gekauft hat, die finde ich zwar mal ganz nett, aber der in Printversion vorliegende Sammelband oder die Instrumentalschule, die haben für die Motivation der Lernenden einen ganz klaren Vorteil, sofern wir das Niveau der Ausgabe passend gewählt haben. Sie können darin auf Entdeckungsreise gehen, gleich oder ähnlich schwere Stücke spielen, vielleicht Aufnahmen anhören, die zu der Ausgabe dazu gehören. Da entstehen oft ganz viele Wünsche und Ziele für diejenigen, die mit der Fülle von digitalen Plattformen oder mit den Weiten des Internets ein bisschen überfordert sind. Und wir dürfen ja auch nicht vergessen: Wenn wir als Profis schon auf Suche gehen müssen, um in den Tiefen des Internets geeignete Stücke auszugraben, wie soll es da erst Menschen gehen, die jetzt noch gar nicht diese musikalische Bildung mitbringen. Also - meine Erfahrung - wenn ich möchte, dass meine Schüler zum Entdecker von tollen Musikstücken werden: Ich nutze Sammelbände und auf jeden Fall wo immer möglich für die Jüngeren auch Printausgabe.

MM: Also bei uns kann man blättern und man stellt sich dann sein digitales Notenheft zusammen, indem man Songs favorisiert und hat dann auch in der Reihenfolge sein passendes Notenheft individuell für den Unterricht. Weil es uns wichtig war, raus aus diesen starren Schulen zu kommen. Denn, wenn man sich solche Schulen mal anschaut, funktionieren die in Band 1 ganz gut, in Band 2 sind dann auf einmal irgendwelche Lücken drin, wo man dann nachkopieren muss als Lehrer, Lehrerin. Da haben wir uns gesagt, dass wir einen Weg finden müssen, der schöner funktioniert und individueller auf den Schüler trifft. Und das ist uns damit gelungen: Wir haben da zum Beispiel irgendein musiktheoretisches Problem und dazu so viele Übungen, bis auch der letzte Schüler es verstanden haben kann. So kann der Schüler, der sehr schnell ist, nach ein bis zwei Übungen weitermachen und der andere braucht eben fünf Übungen.

KT: „Digitale Plattform“ - läuft bei dir, Mario, würde ich mal sagen. Das heißt, Eltern kaufen bei dir auch gar nicht eine Instrumentalschule, die man dann - Gesetz dem Fall, sie passt nun doch nicht mehr so gut - nach dem zweiten Kapitel Zuhause in den Wohnzimmerschrank stellt oder auf Ebay Kleinanzeigen verhökern muss, sondern mit deiner digitalen Notensammlung, die man sich zum individuellen Lehrmittel zusammenstellen kann, ist man mit dem Lernweg viel flexibler. Und - noch ein Plus - als Lehrer spart man sich dann natürlich auch die Diskussion mit den Eltern über den Kauf von neuem Notenmaterial. Das ist bei dann gleich in der Flatrate als Gebühr drin enthalten.

MM: Ganz genau, das ist der Ursprungsgedanke gewesen.

KT: Das bedeutet, ich zahle einen Preis für Unterricht und Noten und bekomme nicht, wenn ich noch zwei Arrangements von Ed Sheeran, fünf Weihnachtslieder und natürlich noch zehn Beethoven Bagatellen oben drauf will, eine Extra-Rechnung von euch?

MM: Nein, das wäre alles zu kompliziert. Wir machen es immer so einfach wie möglich. Wir haben sogenannte Premium-Tarife, so heißen die bei uns in der Musikschule. Das ist der Einzelunterricht. Und in dem Tarif ist alles drin. Auch die Kopierlizenz der GEMA, also der VG Musikedition, dass man kopierte Werke noch mit einsetzen darf.

KT: So ein Vertrag mit der VG Musikedition ist ja auch praktisch für deine Lehrkräfte, dann müssen sie sich nicht überlegen: Ist es nun das eigene Material - darf ich das kopieren, oder begebe ich mich da in rechtlich auf sehr dünnes Eis, wenn ich davon Kopien ziehe.

MM: Ganz genau.

KT: Ich bin ja hin und wieder zu Gast an Hochschulen und habe da mit der nächsten Generation der Musikpädagog*innen zu tun. Da heißt es dann auch schnell mal - ja, dann mache ich der Schülerin, dem Schüler eben eine Kopie hiervon und eine davon, dann habe ich kein Theater, wenn die Eltern neue Notenausgaben kaufen sollen. Oh oh… ganz falsche Richtung, kann ich da immer nur sagen: Im Zweifel machst du dich nämlich selbst strafbar, während deine Kunden ein paar Euro gespart haben, die sie dann im nächsten Starbucks oder whereever ausgeben, während du - wenn es dumm läuft - schon mal schauen kannst, wie du einigermaßen preiswert an juristische Beratung kommst.

Also ganz klar: Das Copyrightzeichen ist keine Deko auf der Notenseite, ein Vertrag mit der VG Musikedition eine sehr sinnvolle Überlegung und von dir selbst erstelltes Notenmaterial / Unterrichtsmaterial - frei von den Copyrights anderer - ist ein super schöner Bonus, den man den Schülerinnen und Schülern zukommen lassen kann, wenn man denn möchte.

Also ganz klar: Mal noch ein ganz anderes Stichwort, Mario. Deine Lehrkräfte - das größte Kapital einer Musikschule. Wie ist denn das an Marios Musikschule mit den Verträgen der Lehrkräfte. Honorar oder angestellt?

MM: Nein, nur Festanstellung. Wir haben gar keine Honorarkräfte mehr, wir haben auch keine Minijobs. Es sind also alle in festen Anstellungsverhältnissen bei uns in der Musikschule.

KT: Respekt. Und das ist auch ein Gehalt, von dem man leben kann?

MM: Davon lässt sich leben. Wir haben uns dem TVöD angelehnt, weil ich glaube, dass das der Standard ist. Unsere Abrechnung geht ein bisschen anders als über TVöD, aber an sich kann man davon auch gut leben, wenn man eben jeden Tag in der Musikschule ist. Das Problem was wir ja in Deutschland eigentlich haben, ist ja eigentlich gar nicht der Stundensatz. Das Problem ist ja die Arbeitszeit: Dass man gar nicht so viel Arbeitszeit in einer Musikschule machen kann, wie man eigentlich gerne machen würde, weil die Schüler ja vormittags nicht da sind. Es sind ja einfach beschränkte Zeitfenster und da versuchen wir eben auch alles Mögliche: Wir haben auch Lehrerinnen und Lehrer, die sind von Montag bis Samstag da, so dass sie dann auch ihre Arbeitszeit hinbekommen und dann eben auch ein vernünftiges Einkommen haben.

KT: Samstags? Kurze Frage: Welcher Schüler kommt samstags in die Musikschule?

MM: Ganz schön viele. Wir haben eigentlich auch wo wir das vor drei Jahren gestartet haben gedacht, da ist nicht viel. Aber viele Erwachsene kommen. Selbst Kinder kommen gerne, weil der Samstag nicht der Tag ist, wo der Schuldruck noch so ist. In der Woche sind die Hausaufgaben, samstags ist bei vielen Familien sowieso ein bisschen „Slow-Motion“ und dann finden die das auch ganz groß, wenn sie dann in die Musikschule kommen können. Ich bin selber überrascht, dass wir in allen fünf Filialen die Musikschule samstags offen haben. Sonntags ist bei uns dann der „Freiraum“, das ist dieses Konzept, wo man einfach zum Üben hingeht, sich mit Leuten trifft oder mit Bands spielt, aber der Samstag ist mittlerweile ein kompletter Unterrichtstag geworden.

KT: Klingt gut. Ich muss ja gestehen: Meine Kinder gehen auch samstags zum Musikunterricht und ich nutze dann immer den Tag, um so richtig schön in aller Ruhe zu arbeiten. Alles was liegen geblieben ist mache ich samstags.

MM: Siehst du!

KT: Aber dafür nehme ich mir dann während der Woche einen Tag frei, um dann auch eine gute Work-Life-Balance hinzubekommen. Das finde ich ohnehin einen wichtigen Punkt für uns Kulturschaffende, die wir viel an Abenden und Wochenenden beruflich unterwegs sind: Sich auch Zeitfenster zu nehmen, in denen man eben einmal komplett abschaltet. Und abschalten heißt dann für mich, eben auch nicht mal eben die eingegangenen Nachrichten auf dem Handy zu lesen und doch noch schnell nebenbei zu organisieren, dass ein Schüler X seinen Unterricht verlegt haben muss, Schülerin Y gerade den Link zu einem YouTube Clip sucht und Schüler Z in drei Wochen auf Klassenfahrt ist. Ich habe mittlerweile noch eine zweite Mobilnummer - und die ist ausschließlich privat.

Aber wie auch immer man sein persönliches Gleichgewicht zwischen Job und Freizeit findet: Wer unterrichtet wird wissen - Schülerinnen und Schüler kommen selten vormittags in die Musikschule.

MM: Genau. Die Vormittagsfenster die sind ja nun mal frei und dann hat man Arbeitstage mit fünf Stunden und wenn man jetzt noch den Samstag dranhängt, dann ist man mit einem ganz guten Wochenstundensatz beschäftigt. Dann ist es natürlich auch ein lohnendes Auskommen. Wir haben natürlich auch Dozentinnen und Dozenten, die machen montags bis freitags, sind aber dann noch im Vormittagsbereich unterwegs - in der Kooperation mit Schulen oder Kindergärten. Dann wird die Stundenzahl auch dementsprechend gut.

KT: Klingt wirklich durchdacht bei euch, Mario. Darf ich mal fragen: Wie sind denn die Tarife, die Elternbeiträge bei euch? Kann man sich das als Normalverdiener erlauben?

MM: Wir kommen aus Bonn. Und in Bonn ist eigentlich eine recht gute „Kundschaft“. Wir berechnen unsere Preise nicht danach, was die anderen verlangen, sondern wir kalkulieren, gucken, was wir verlangen müssen und das ist dann eben auch der Betrag den wir dann auch aufrufen. Der ist jetzt nicht günstig, aber für die, die sich das jetzt nicht erlauben könnten haben wir einen Sozialfonds in der Musikschule, wo wir dann die Beiträge bei den Kindern auch bezuschussen, wo es sich die Eltern sonst nicht leisten könnten. An dieser Stelle sind wir eben auch aktiv und bezuschussen da auch wirklich einige Eltern. Und dann sehe ich da auch immer die kommunale Seite in der Pflicht. Da gibt es ja auch noch eine Musikschule hier in Bonn. Und ich denke für sozial schwächere Familien ist an dieser Stelle auch ein Stückweit die kommunale Musikschule zuständig.

KT: Weil du ja eine private Musikschule bist und wahrscheinlich letztlich auch Gewinn erwirtschaften möchtest. Auch wenn man in der Kunst- und Kulturszene ja nur höchst selten von Gewinn spricht. Viele sind ja schon glücklich, wenn derzeit ihre Projekte zumindest kostendeckend laufen können. Aber ich finde, auch wir Künstler dürfen Gewinn einfahren, selbst wenn das nicht zu unserem Image passt.

MM: Genau, Gewinn brauchen wir nicht, weil wir ja gemeinnützig sind, aber wir müssen mindestens kostendeckend arbeiten. Und wir haben auch die Philosophie, dass wir das Unternehmen nicht tot sparen. Ich finde wir müssen darauf achten, dass die Räume entsprechend schön ausgestattet sind, dass der Service passt, wenn man bei uns anruft. Das heißt, man kann eigentlich eine Musikschule nicht so weit heruntersparen, dass sie nur noch günstig ist. Denn das würde man ja merken, wenn man reinkommt. Und ich denke auch dieses Erlebnis Musikschule muss man irgendwie pflegen. Und wenn man dahin kommt und alles ist gespart und seit 20 Jahren nicht mehr renoviert oder so - das ist nicht gut!

KT: Klaviere und Flügel seit 20 Jahren nicht mehr gestimmt…

MM, lacht: Ja. Genauso. Ich finde, die Sportbranche macht und das immer so schön vor. Man geht in so ein Fitnessstudio rein. Das ist sauber, das ist durchgestylt, dort arbeiten nette Leute - und ich finde, das sollten wir als Musikschule genauso leben, dieses Gefühl.

KT: Absolut meine Meinung. Ist bei mir genauso. Heute ist Donnerstag. Heute ist mein Unterrichtstag. Was werde ich machen, nachdem wir hier gepodcastet haben, Mario? Ich werde mein Unterrichtszimmer hier, mein kleines Musikstudio, was ich in den letzten Ferien gerade frisch selbst renoviert habe, noch ein bisschen auf Vordermann bringen, auf Hochglanz. Für mich ist es einfach unglaublich wichtig, dass sich meine Schülerinnen und Schüler nicht nur bei mir als Mensch wohlfühlen, sondern dass sie auch die Räumlichkeiten mögen, in denen sie Unterricht haben, es vielleicht sogar inspirierend finden hier in meinem kleinen Musikstudio zu sein. Dazu gehört für mich im Minimum ein aufgeräumter Unterrichtsraum, der gut riecht, frisch gelüftet ist und wo nicht an den Wänden noch die Deko der letzten 300 Jahre klebt.

MM: Richtig. Das ist bei uns auch die Philosophie. Deswegen tun wir uns auch so schwer in Kooperationen mit Schulen. Wenn man dann in diese Klassenräume hineinkommt, wo dann irgendwo in einer Ecke noch ein Klavier steht, der ganze Klassenraum sieht aus - da möchte man gar nicht drüber nachdenken - und da soll ich dann einen Unterricht in einer schönen Atmosphäre machen!? Das fällt schon schwer!

KT: Stimmt genau. Das ist es nämlich. Wir Künstler sind schon empfänglich für eine schöne Atmosphäre, aber die gibt es leider eben nicht allerorts zum Nulltarif. Ich habe auch schon jahrelang in schimmeligen Kellerräumen in der hintersten Ecke des Schulgebäudes unterrichtet, aber habe auch dort immer versucht, das Beste draus zu machen. Da habe ich mir dann auch (Verzeihung, muss ich einfach mal öffentlich zugeben) ein billiges Keyboard auf eigene Kosten hingestellt, bevor es da überhaupt keine Möglichkeit gibt, die Schüler zu begleiten oder man dann eben die ganze Zeit nur Trompetenduette spielt. Und dann war eben, sobald das Wetter einigermaßen schön war, Outdoor-Unterricht, also Unterricht im Grünen. Weil - auch wenn diese Schule einen schrecklichen Keller hatte - der Garten war bezaubernd. Einsam, grün, schöne große Bäume, ein kleiner Weiher. Klar, das geht nicht immer und das geht auch nicht für alle, wahrscheinlich bekomme ich böse Mails, wenn ich das öffentlich sage, aber es nützt uns und unseren Schülerinnen und Schülern nichts, wenn wir den Blick immer nur auf die Defizite lenken. Wir müssen aus dem etwas machen, was da ist. Bei den Räumlichkeiten und bei den Schülern.

KT: Aber wenn es Musikschulen oder Räume für uns Künstler gibt, die eben so schön sind, dann sollten wir das auch wertschätzen und versuchen zu erhalten. Nicht alle Wände mit irgendetwas bekleben, was von uns und unserem Unterrichtsinhalt ablenkt. Schöne Räume, die uns und unseren Schülerinnen / Schülern die Möglichkeit zum Fokussieren auf die Musik bieten. Das ist viel wert!

MM: Ich finde gerade schön, dass du das so sagt. Weil, wir haben die Philosophie bei uns, dass bei uns in den Unterrichtsräumen keine Bilder an den Wänden hängen. Wir hängen keine selbstgemalten Bildern von Schülern auf - gar nichts. Weil wir wissen: Wir haben viele ADHS-betroffene Kinder und alles was da ist, lenkt so schnell ab. Und auch auf unseren Notenausgaben, die wir im „Score & Play“ haben - darin gibt es keine Bildchen. Es gibt ja manche Klavierschulen, die schlägt man auf und die sind voll mit Bildern. Kinder die ohnehin Probleme mit der Konzentration haben, die kommen bei so etwas gar nicht mit und werden komplett abgelenkt. Die sehen alles Bunte - nur die Noten sehen sie nicht.

KT: Stimmt. Genau das ist wirklich ein Problem: Wir Erwachsenen denken nämlich, es wäre so wahnsinnig kindgerecht, wenn alles möglichst bunt ist, oder überall kleine Figürchen durch die Noten hüpfen. Aber wir schaffen dadurch natürlich auch ganz kräftige Ablenkung. Ich füge meist bei meinen Notenausgaben Bilder ein, die zum Improvisieren anregen, oder auch, die einen Lerninhalt transportieren oder vertiefen, aber ich nehme das dann auf eine komplette Seite, so dass ich dann in der Unterrichtspraxis einfach nur ein Blatt zum Abdecken brauche. So ein einfaches A4-Blatt, was ich dann auch meist direkt in die Noten hineinklebe, so dass es sich aufblättern lässt, wenn man doch die Grafiken dahinter braucht. Da gibt es ja eine ganze Reihe wirklich einfacher Möglichkeiten, wie man sich mit leicht ablenkbaren Energiebündeln schnell behelfen kann. Habe mit „Ganz schön wild“ mal ein ganzes üben & musizieren Spezial über den Unterricht mit unruhigen Schülerinnen und Schülern geschrieben. Da gibt es wirklich viel Einfaches was man nutzen kann und was Gutes bewirkt. Und gerade auch solche überbordende Wanddeko braucht echt kein Mensch.

MM: Nein. Und das haben wir deshalb auch hier in der Schule auf ein Minimum reduziert. Klar, in unseren Aufenthaltsräumen, da hängen auch nette Bilder an der Wand, aber in den Unterrichtsräumen - die sind sehr neutral gehalten, weil wir der Meinung sind, dass das gerade bei den Kindern, die da Defizite haben, einfach ablenkt.

KT: Ganz spannend fand ich ja auch die Untersuchungen zum Thema Priming mit Bildern, die ich für mein üben & musizieren Spezial „Voll motiviert“ gelesen habe. Da gibt es ja Untersuchungen, wie sich Bilder von Menschen in Erfolgssituationen auf die Motivation der Betrachter auswirken. Da ging es in dem einen Experiment um ein Bild - ich glaube das war eine Sprinterin beim Zieleinlauf - was die Probanden betrachtet hatten und beschreiben mussten. Im Anschluss daran sollten sie irgendwelche ich glaube es waren Matheaufgaben lösen und da hat man festgestellt, dass diese Menschen ein wesentlich höheres Durchhaltevermögen hatten und Erfolgswissen, Residenz gezeigt haben, als eine Vergleichsgruppe, die dieses Bild eben nicht gesehen hatte.

KT: Und gerade mich mal dem Thema Priming aus Musikpädagogischer Sicht zu nähern, fand ich doch extrem spannend.

MM: Ja, also das ist auch so eine Sache, da glaube ich auch ganz sicher dran, dass das einen Einfluss hat. Aber das wir schon wirklich viele, viele Jahre. Die Räume sind auch bei uns einfach aufgeräumt. Da steht auch nichts im Raum, was da nicht rein muss. Man kommt ja manchmal in Unterrichtsräume hinein, das sieht dort ja aus wie das ausrangierte Wohnzimmer! „Der Schrank ist ja noch schön. Den kann ich ja noch ein bisschen im Unterrichtszimmer stehen lassen!“ Das gibt es für uns einfach nicht. Das ist wirklich auf ein Minimum reduziert. Eine schöne Farbe drin - das ist wichtig auch für das Corporate Design, damit man sieht: Ich bin in der Musikschule, aber ansonsten ist es alles sehr reduziert.

KT: Ist das in deinen Unterrichtsräumen alles so grün, wie ich das jetzt bei dir im Hintergrund sehen kann?

MM: Nein, die Musikschulfarbe ist Rot. Rot und Grau. In der Musikschule gibt es immer in jedem Raum eine rote Wand und drei graue.

KT: Wow, edle Kombi. Bei mir ist alles dunkelblau, wie du siehst. Dunkelblau und selbst renoviert.

MM: Ja, du wirst jetzt lachen: Blau ist ja eigentlich meine Farbe! Vor sechs Jahren haben wir ein neues Logo gemacht - das alte war auch blau - und vor sechs Jahren kam die Diskussion, dass man uns mal ein neues Logo gibt. Und dann hatte ich auch einen Vorschlag in blau gemacht, aber es gab noch Gegenvorschläge und da bin ich komplett überstimmt worden. Also haben wir jetzt rot-grau.

KT: Och je! Aber es sieht bestimmt gut aus!

MM: Ja!

KT: Bei mir hat das mit dem Wechsel der Wandfarbe von Weiß zu Dunkelblau an allen Wänden enorm etwas gebracht. Das sieht hier alles aus wie unter Wasser in einem Aquarium. Das macht eine unglaublich ruhige Atmosphäre und das hilft natürlich dem einen oder anderen Schüler, aber vor allem natürlich auch mir selbst. Ich bin ja auch so ein Energiebündel und schnell einmal unruhiger Mensch und passe immer auf, dass ich mir keine großen Ablenkungen in den Arbeitsalltag einbaue. Und klar - ich brauche auch Abstellfläche und ich will auch Schaubilder an den Wänden haben und das habe ich dann so gelöst, dass ich an die Regale und Schaubilder einfach hinter Rollos verschwinden, die ich an die Decke gedübelt habe und dich dann hochziehen kann, wenn ich die Sachen dahinter brauche. So habe ich alle Quintenzirkel- und Musikgeschichts-Schaubilder, die Komponistentabelle, die Europakarte und was ich so alles an Schaubildern brauche griffbereit. Genauso meinen ganzen Fuhrpark an Dämpfern, Trompetenölen, Noten und Mundstücken. Klar, man hätte das auch mit Vorhängen lösen können, aber ich kann nicht nähen. Aber natürlich - in einem Klassenzimmer, wo man zwischen hochgestellten Stühlen unterrichtet, da kann man das einfach nicht bieten und muss sich dann eben anders behelfen. Das ging mir auch schon so.

MM: Das ist immer so das Ding. Und seit zwei oder drei Jahren haben wir das in der Musikschule, dass wir die Noten über Display zeigen können. Also entweder Display auf dem Notenständer oder Display an der Wand.

KT: Ach cool, das ist ja genau wie bei mir!

MM: Und sowas ist in Schulen ja natürlich auch noch nicht so gegeben. Die meisten Schulen sind noch gar nicht so ausgestattet. Unsere ganzen Dozenten haben alle iPads.

KT: Vorbildlich, Mario. Schulgeräte und nicht eigene digitale Device.

MM: Und die spiegeln die Noten dann auf die Displays. Wir haben das auch so aufgehängt, dass der Trompeter, der Geiger, die Geigerin anständig stehen kann und die Höhe des Displays schon fürs Instrument richtig angepasst ist. Da haben wir dann auch bemerkt, dass die Körperhaltung der Schüler viel besser wird, als wenn sie über dem Notenständer kauern. Die sitzen dann auch mal gerade, müssen dann an die Wand schauen. Das sind eben alles Dinge, die wir in einem Klassenraum nicht haben, weil die wenigsten Klassenräume technisch so weit sind.

KT: Ich finde das mit dem Display an der Wand auch echt eine super Sache für meine digitale Lernplattform, die ich für meine Schüler angelegt habe. Da hat jeder einen eigenen Bereich für sich ganz persönlich, sieht dort seine Noten, Aufgaben, Impulse, aber es gibt auch so einen generellen Bereich, in dem alle stöbern dürfen. Wenn ich das auf dem Display einblende und damit dann auch ganz aktiv im Unterricht arbeite, nutzen das auch die Schülerinnen und Schüler daheim viel intensiver.

MM: Genau!

KT: Und vor allem: Das mit so einer digitalen Lernplattform, das ist ja kein Hexenwerk. Ganz im Gegenteil. Mittlerweile bin ich sogar deutlich schneller mit dieser digitalen Variante, als ich es früher mit mehr oder weniger ohne war, wo ich immer noch Videos oder Aufgaben per Mail oder Messenger herumgeschickt habe. Hallo DSGVO, habe ein wenig getüftelt seitdem ich euch kennengelernt habe, aber jetzt ist alles perfekt und korrekt.

KT: Nur bei den ganz Kleinen, da arbeite ich fast ausschließlich non-digital.

MM: Jetzt wirst du lachen. Der Bereich bei uns in der Musikschule, der als allererstes komplett digital war, also wo nichts mehr gedruckt wird, sind die Kinder von 5 - 8 Jahren!

KT: Oh wirklich? Das überrascht mich jetzt. Warum gerade dieses Alter?

MM: Da haben wir nämlich seit zwei Jahren, wo wir diese große Umstellung gemacht haben, den sogenannten „Freiraum Kids“. Das ist eine Flatrate, bei der die Kinder so oft wie sie möchten in die Musikschule kommen möchten. Und das sind dann für Taste, Saite (Ukulele, Gitarre), Flöte. Und in diesen Kursen arbeiten wir komplett nur noch digital. Also die haben den Zugriff Zuhause über die Eltern auf die digitale Plattform, wo auch die Hausaufgaben draufstehen, damit die Eltern wissen, was geübt werden muss. Und im Unterricht, aber auch Zuhause arbeiten die nur noch digital.

KT: Überrascht mich jetzt und finde ich nicht unbedingt ein muss in diesem Alter - aber wenn es für euch funktioniert. Was macht ihr denn bei Stromausfall?

MM: Das ist dumm. Aber dann hast du ja bei einer Keyboardklasse sowieso ein Problem.

KT: Allerdings! Naja, dann ist halt Gesangsunterricht.

MM: Ja, genau. Dann macht man eben andere Dinge, die man machen kann im Musikunterricht. Und ich glaube da gibt es noch ziemlich viel, was man außerhalb der Digitalität machen kann.

KT: Stichwort Hausaufgaben auf der digitalen Lernplattform. Wie löst ihr das, Mario?

MM: Wie gesagt, bei den Gruppenkursen stehen die Hausaufgaben fest auf der digitalen Lernplattform. Bei den anderen ist es tatsächlich so, dass die sich das entweder noch notieren, oder sie haben ihr Smartphone oder Tablet im Unterrichtsraum dabei, dann klicken wir im Endeffekt die Hausaufgabe an, die wird dann favorisiert und wenn die dann nach Hause kommen, haben die diese Stücke oder Übungen ganz oben.

KT: Und so ganz generell - ist diese Lernplattform bei euch auch so über eine Webseite geschrieben, so wie ich da beispielsweise bei mir jetzt gelöst habe?


MM: Ja, das ist eine Webseite. Da ist ein System dahinter, was ursprünglich eine Shopsoftware für digitale Inhalte ist. Das ist der Ursprung und wir haben die dann ein bisschen an unseren Bedarf angepasst. Weil das Wichtige ja auf dieser Plattform auch die Zugriffsrechte sind. Nicht jeder hat ja bei uns Zugriff auf alles. Das wäre auch viel zu verwirrend. Wir haben ja mittlerweile wirklich alle Schulen dort drin. Wir haben auch, wenn zum Beispiel ein Dozent einer Schülerin oder einem Schüler etwas Kopiertes zur Verfügung stellen will, dann kann der das auf dieser Plattform hochladen. Also bei uns wird deshalb auch nur noch gescannt. Bei uns wird nichts mehr auf den Kopierer gelegt. Und im Hintergrund ist das natürlich alles mit der Rechtevergabe so programmiert und läuft über eine Shopsoftware.

KT: Klingt logisch. Ich arbeite jetzt gerade als Dozentin bei einem Studiengang mit und bin für das Modul „Futuretrends Musikpädagogik“ verantwortlich. Da hatten wir es auch von digitalen Lernplattformen und ich habe mein Konzept, aber auch ein paar andere Möglichkeiten vorgestellt. Und da fragte doch eine Studentin, warum sie das denn nicht einfach per Dropbox machen könnte. Da war ich doch einen kurzen Moment echt raus, komplett aus dem Konzept gebracht, weil ich doch in den letzten 5 Jahre gar nicht mehr auf die Idee gekommen wäre, so ein Tool wie beispielsweise Dropbox zu nutzen, um meinen Schülerinnen und Schülern ihr Unterrichtsmaterial zur Verfügung zu stellen. Wenn ich da ein Video verlinken will, muss ich dann erst ein Word und dann eine PDF kreieren, das dann dort hochladen, oder auch so ein Hausaufgabenblatt dort reinstellen. Und optisch ist das doch auch ein bisschen antiquiert. Was soll denn da der Schüler denken. „Von neuster Methodik in Sachen Digitalität noch nie was gehört, Frau Thielemann? Na, dann hoffe ich doch, dass du wenigstens in Sachen Trompetenunterricht ein wenig mehr up to date bist!“, oder wie?

KT: Nein, ich war jedenfalls ein wenig ratlos bei dieser Frage und wusste in dem Moment keine Antwort. Was hättest du an meiner Stelle geantwortet? Das musst du überhaupt erst einmal schaffen, dass ich sprachlos bin! Was hättest du an meiner Stelle gesagt?

MM: Du wirst lachen. Das hatten wir! Dropbox war der Vorgänger. Wir hatten erst alles auf Dropbox, nur was wir dann eben wollten, war ein System, in dem man schöner suchen kann und wo man eben, wenn man draufklickt, die Noten sofort erscheinen. Und es erscheinen ja nicht nur die Noten, da erscheinen ja dann auch die Play Alongs, die man in verschiedenen Tempi abspielen kann.

KT: Da bist du natürlich mit Dropbox auch raus aus der Nummer.

MM: Und das war dann nachher auch der Grund zu sagen: Die Dropbox ist sehr kompliziert, gerade wenn es groß wird. Aber ich finde, gerade für kleine Musikschulen ist Dropbox eine schöne Lösung: Man für jeden Schüler individuell Dateien zur Verfügung stellen. Dieses auch recht kostengünstig für die Musikschule. Ich glaube dafür ist Dropbox gut, aber wenn es zu viel Inhalt wird, wird es unübersichtlich.

KT: Ist es denn bei den Noten auf deiner Lernplattform auch möglich, Dinge darin zu notieren?

MM: Du kannst die Noten einfach mit einem Klick herunterladen und ganz normal auf dem Tablet notieren. Der Lehrer, die Lehrerin kann das auch in der Schule machen und dann wieder auf die Plattform hochladen.

KT: Und das ist dann nur für diesen einen Schüler sichtbar?

MM: Für alle Schüler eines Dozenten oder einer Dozentin.

KT: Ja, so eine Lernplattform hat schon Vorteile und ist auch optisch einfach viel schöner als Dropbox. Nichts gegen Firma Dropbox, die bieten schon gute Sachen, aber für unsere Zwecke hat eine Lernplattform einfach die Nase vorn. Jeder Schüler, jede Schülerin hat einen Link und der bleibt auch immer gleich - die ganze Musikschulzeit hindurch. Da muss ich auch als Lehrkraft nicht groß erklären, dass man in einem Ordner dieses und im nächsten Ordner jenes findet. „Und, ach ja, lieber Schüler, den Link zum coolen Video habe ich dir dann noch per WhatsApp geschickt.“ Nein. Darf man eigentlich nicht. Nicht nur eigentlich nicht. Kommunizieren per WhatsApp mit Schülern darf man nicht. Punkt.

MM: Ja, richtig!

KT: Und dann ist da ja noch ein weiter Punkt. Was ich auch noch ganz toll nutzen kann auf so einer Lernplattform sind Videos, die andere Menschen ins Netz gestellt haben. Der eine hat einen YouTube-Kanal und spricht ganz toll über Musikgeschichte, der nächste macht total coole Atem-Mitmachvideos und wieder ein anderer hat irgendwelche Videos mit Eigenkompositionen, zu denen man Hinzuspielen kann. Ich als kleine Lehrerin muss ja nicht in allen Bereichen glänzen und alles nochmal selbst machen. Sondern ich kann ja durchaus tolle Sachen von anderen nutzen, sofern das rechtlich sauber ist.

MM: Das ist es ja! Man muss das Rad nicht ständig neu erfinden! Das sage ich auch immer. Was da ist und was gut ist, das nimmt man einfach und ergänzt es zum eigenen Konzept. Und ich finde es ja auch immer so wahnsinnig, das merkt man auch bei Kolleginnen und Kollegen, die sich unglaublich viel Arbeit machen - und dann frage ich einfach: Warum machst du das denn eigentlich? Das gibt es doch schon? Ja, aber dann habe ich es gemacht. Stimmt. Klar, kann man machen, aber ich finde, das muss man nicht unbedingt.

Also wenn man sich im Netz mal umschaut: Da gibt es wirklich viele schöne Dinge, tolle Tutorials, aber man muss auch aufpassen, weil es eben auch viel Schund gibt, aber gute Sachen kann man doch einsetzen.

KT: Stichwort „Viel Schund“ ist ja für mich das Argument, dass wir Musikpädagog*innen auch die Aufgabe haben, das Internet für unsere Schülerinnen und Schüler vorzufiltern. Das ist für mich Unterrichtsvorbereitung, das ist für mich Service und das ist für mich das Argument pro Lernplattform.

MM: Richtig!

KT: Sonst hat man nämlich am Ende voll motivierte Schüler im Unterricht, die eine wunderliche Dynamik spielen, dazu noch irgendetwas, was entfernt an merkwürdige Agogik erinnert, aber eher so in Richtung Temposchwankungen wie auf einer Achterbahn erinnert und wenn ich dann mal ganz zart nachfrage, woher die Schülerin, der Schüler diese Ideen genommen hat, bekomme ich zur Antwort: „Ja, ich habe da so ein Video gefunden.“ Aha, Ausgrabung gemacht. Lass uns das doch mal zusammen schauen, was dort so gespielt wurde, oder auch, was das für Noten sind.

MM: Aber das ist ja nicht nur bei den Noten so, das ist ja auch bei den Instrumenten so. Es kommen ja Schüler mit Instrumenten in die Musikschule - das ist ja ganz gruselig!

KT: Probeschüler mit Bausatz für Pappkartonharfe, hat mir neulich eine Freundin erzählt.

MM: Darum haben wir da auch gesagt: Auch da, finde ich, muss der Pädagoge, die Pädagogin für sorgen, dass die Schüler auch ein vernünftiges Instrument Zuhause haben.

KT: Absolut. Das war ja im Online-Unterricht für viele Lehrkräfte doch eine schöne Überraschung, als sie gesehen haben, wie zum Beispiel das Schlagzeug eingestellt war, auf dem der Schüler seit Jahren versucht herumzutrommeln. „Äh, lieber Schüler, warum schaust du eigentlich die ganze Zeit auf den Fußboden, gibt es bei dir keinen Notenständer?“ „Ach, sowas was ihr in der Musikschule habt?“ „Ja, genau.“

MM: Genau. Wie du sagst: Da ist es ganz massiv aufgefallen. Oder der Klavierschüler, der nur ein Keyboard für 80 Euro Zuhause hat.

KT: Ja, wunderbar… für Keyboard Anfänger…

MM: Das sind diese Dinge, die sind beim Online-Unterricht erst richtig sichtbar geworden. Und das hat uns noch mehr darin bestärkt zu sagen: Wir brauchen eigentlich auch in der Musikschule eine Instrumentenauswahl, wo unsere Pädagoginnen und Pädagogen sagen „Das ist vernünftig und das empfehle ich.“

KT: Das ist doch super, wenn du das so bieten kannst. Dann müssen deine Lehrkräfte auch nicht mitgehen in das „Musikhaus Sonstwo“, Stichwort „Ich nehme mit dann mal einen Samstagvormittag frei, weil der Schüler ein Instrument braucht und ich darauf vorher mal gespielt haben will, um mich nicht die nächsten 10 Jahre über ein Montagsmodell ärgere.“ Stattdessen gibt es bei euch dann die Kooperation mit einem Musikgeschäft. Super Idee.

MM: Und die Musikhäuser - da haben wir gerade auch echt ein Problem in Deutschland. Jedes Jahr sterben ich weiß gar nicht wie viele Musikhäuser! Wie ist da Musik noch sichtbar in der Stadt!? Früher… ich bin zum Instrument gekommen, weil ich mit meinen Eltern damals durch die Stadt gelaufen bin und sagt habe: „Das will ich spielen!“ Weil es im Schaufenster stand! Zu meiner Zeit standen die E-Orgeln überall. Da waren Vorführungen. Es war ein richtiger Hype. Genau mein Ding! Dadurch bin ich zur Musik gekommen. Ich komme ja nicht aus einer Familie, wo Musik groß geschrieben wird. Also mein Uropa war tatsächlich Organist in der Gemeinde Siegburg - hier in der Nähe. Und danach war die Musik aber weg aus unserer Familie. Mein Vater hatte eine Handwerkerfirma, meine Mutter war bei der Sparkasse - also wir hatten gar nichts in Sachen Musik! Und da kam es, dass ich dieses Instrument gesehen habe und gesagt habe: Das ist genau das, was ich gerne möchte! Und da mache ich mir eben gerade auch Sorgen, dass das eben so ein bisschen verschwindet, wenn es keine Musikhäuser mehr in den Innenstädten gibt. Es gibt natürlich eine Sache: Man bekommt sie über die Schule. Wobei wenn ich sehe, wie viele Musiklehrer in Deutschland fehlen, wird mir auch Angst und Bange… ich finde da muss auch die Politik sehen, dass wir auch erstmal wieder einen vernünftigen Musikunterricht wieder in die Schulen bekommen!

KT: Ich fürchte dieser Zug ist längst abgefahren. Die Hochschulen müssten ja so enorm viele Schulmusiker*innen innerhalb kürzester Zeit ausbilden. Das ist doch schlicht nicht möglich. Ich sehe ja eher noch die die Chance, für diejenigen, die seit Jahren fachfremd unterrichten und sich da wirklich echt schön freigeschwommen haben, irgendeine Form der Nachqualifizierung zu bieten respektive den Unterricht gleich an die Musikschulen abzugeben. Aber kein Musikunterricht ist keine Lösung. Da könnte man ja auch gleich den Matheunterricht abschaffen wollen.

MM: Also da mache ich mir auch die größte Angst. Für die Musikschulbranche ist nicht das Problem, dass wir irgendwann zu wenig Schüler haben. Für die Musikschulebranche ist das Problem, dass wir viel zu wenig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben. Da mache ich mir gerade die große Angst und wir müssen eben auch Wege finden, wie wir gute Musiker, die mit Sicherheit herumlaufen in Deutschland und die richtig Lust hätten, pädagogisch zu arbeiten, wie bekommen wir die in die Musikschule?!

KT: Das ist genau der Punkt. Uns fehlt das Personal! Das Musikstudium sollte im Fach Musikpädagogik so attraktiv sein, dass das eine wirklich ernsthafte Alternative zur Orchestermusik ist und dass man wirklich auch finanziell sehr anständig von diesem Beruf leben kann! Denn von leuchtenden Kinderaugen, dem Wissen, ein Kulturgut an die nächste Generation weiterzugeben und der Aussicht auf einen super kreativen Job allein lässt sich auch keine Familie ernähren und eine stabile Altersvorsorge aufbauen.

MM: Ich bin ja den Weg des Quereinsteigers selbst gegangen. Ich hatte ja damals mein Hauptinstrument E-Orgel - war in Deutschland ja ganz lange kein anerkanntes Instrument. Das konnte man an keiner Hochschule in Deutschland studieren. Meine Eltern haben dann erstmal die städtische Musikschule in Bonn angerufen und gesagt: „Mein Sohn möchte gerne E-Orgel lernen.“ Da haben die gesagt: „Da muss er erstmal Klavier lernen, dann muss er Kirchenorgel lernen und dann können wir mal gucken.“ Da hatte ich schon keine Lust mehr. Ich habe nur das Wort Klavier gehört und gedacht: Nein! Möchte ich nicht! Und dann wollte ich einen Beruf haben, wo ich anderen etwas beibringe. Und Musik ist einfach mein Ding. Da habe ich mir gedacht: „Du machst irgendwann eine Musikschule auf!“ Und dann stand ich vor der Herausforderung: Studieren kann man das nicht. Dann müsste ich ein Instrument studieren, was ich eigentlich nicht will. Und dann gab es aber damals in Bonn eine Yamaha Musikschule, jetzt machen wir mal ein bisschen Werbung für dieses Ypsilon. Da habe ich dann auch viele Wettbewerbe gespielt. Und dann habe ich über die Yamaha in Hamburg meine Ausbildung zum Orgel- und Keyboardlehrer gemacht und dann darüber die Musikschule gegründet. Ich kann also sagen, dass ich der Einzige im Deutschen Musikrat bin, der noch nie eine Hochschule von innen gesehen hat. Mittlerweile schon, weil ich da schon mal etwas vorgetragen habe, aber nie als Student. Die Schiene der Quereinsteiger wird bei der Gewinnung von Nachwuchsdozentinnen ziemlich vernachlässigt. Wir selbst haben auch einige Quereinsteiger, wir haben im BDFM die Möglichkeit der Lehrbefähigung - die müssen dann eine Lehrprobe ablegen, können da auch Seminare für Pädagogik besuchen und so weiter und können darüber in die Musikschulen kommen. Ich glaube das ist ein Weg, der uns in den nächsten sechs-sieben Jahren helfen kann, um das Schlimmste abzufedern. Und dann müssen wir daran arbeiten, dass an den Hochschulen einiges passiert, damit Musikpädagogik wieder wichtiger interessanter wird und junge Leute sagen: „Ich möchte Musikpädagoge, Musikpädagogin werden!“