#24 Ludger Vollmer: Jugendliche für die Oper begeistern
Intro: «Voll motiviert – der Musikpädagogik-Podcast» von Schott Music und Kristin Thielemann
Kristin Thielemann: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von «Voll motiviert», eurem Musikpädagogik-Podcast. Wie kann man es schaffen, dass Jugendliche Lust bekommen in die Oper zu gehen? Das ist heute die zentrale Frage. Zu Gast ist der Opernkomponist Ludger Volmer, der nach der preisgekrönten Jugendoper «Gegen die Wand» nach einem Film von Fatih Akin mit «Tschick», einer Road Opera – keinem Roadmovie – einen weiteren Stoff gefunden hat, der junge Menschen begeistert. «Tschick» nach dem Millionenfach verkauften gleichnamigen Jugendbuch von Wolfgang Herrndorf wird in der Fassung als Jugendoper von Ludger Volmer gerade an der Wiener Staatsoper einstudiert. Hey, Ludger! 1000 Dank, dass du heute bei «Voll motiviert» bist.
Ludger Vollmer: Hallo! Gern, freut mich.
Kristin Thielemann: Ja, erst mal herzlichen Glückwunsch zu deinem Erfolg mit «Tschick». Warum ist dir persönlich denn die Jugendoper so ein wichtiges Anliegen?
Ludger Vollmer: Ja, dazu will ich eine kurze Geschichte erzählen. Und zwar wird man ja eingeladen als Komponist in ein Haus, an dem eine Oper mal produziert werden soll, aus der Feder des Komponisten holt. Man wird dort eingeladen, das Haus kennenzulernen, das Ensemble, das Orchester kennenzulernen und auch mal zu sehen, wie es klingt. Und zu diesem Zweck wurde ich einmal an einem solcher Häuser eingeladen und hatte einen sehr schönen Platz mitten im Parkett, also ganz in der Mitte, und kam allerdings zwei Minuten vor der Aufführung dort an und wollte noch rein in die Mitte auf meinem Platz. Und das war sehr schwer. Warum? Weil die Reihen dort relativ eng besetzt waren. Es war ein altes Haus und das Publikum aber auch wirklich nicht mehr in der Lage war aufzustehen. Die konnten einfach nicht mehr aufstehen.
Kristin Thielemann: Wie bei Loriot.
Ludger Vollmer: Und das zeigt wahrscheinlich das Problem, was wir haben. Ich bin also absolut davon überzeugt, dass das Theater, was es ja schon seit tausenden von Jahren gemacht hat, es war ein Raum, der in der Mitte einer Polis war - einer Stadt also. Einen Raum von Menschen, die zusammen wohnen. Und in der Mitte haben sie sich einen Raum geschaffen. In der griechischen Antike und haben dort Theater gemacht und haben über ihr Leben gesprochen. Sie haben einfach ihr Leben dort verhandelt, haben dort ausprobiert, was wäre wenn und die haben auch Konflikte da besprochen usw. im Theater. Und ich bin davon überzeugt, dass das nicht nur heute immer noch so ist, sondern dass das auch in Zukunft so sein muss und bleiben muss. Das ist ein sehr lebendiger Ort, wo man sich persönlich erlebt und nicht nur über irgendwelche digitalen, im Zweifel zusammenbrechenden Verbindungen. Man kann sich sehr lebendig austauschen. Und das gehört zu unserer, nicht nur zu unserer Kultur, das gehört zu unserer Seinsweise. Es ist einfach ein unglaublich wichtiges Lebensmittel. Wenn wir jetzt aber die also so etwas erleben, wie ich das eben beschrieben habe im Theater, dass tatsächlich dort keine jüngeren Menschen zu finden waren als eben diese älteren Herrschaften dort, dann frage ich mich, woran kann denn das liegen, wenn ich die alten Theaterstücke schaue, die heute immer noch gespielt werden, also Schillers «Räuber» oder auch selbst die Wagneropern oder die «Zauberflöte»? Das sind alles Stoffe, in denen junge Menschen für junge Menschen spielen. Es gibt ganz selten in diesen Opern und in diesen Schauspielen eine Situation, wo alle, also alle Teilnehmenden, auf der Bühne über 60 sind.
Kristin Thielemann: Ja, würde mir jetzt so spontan auch nichts einfallen. «Gianni Schicchi» vielleicht?
Ludger Vollmer: Ja, es gibt vielleicht solche Ausnahmen. Das hätte ich jetzt nicht parat. Also tatsächlich sind in dieser Zeit Stoffe verhandelt worden, wo junge Menschen, liebten, mit ihnen kämpften, Dinge erlebten. Und natürlich kam dann so ein alter Seher dazu. Aber es ist in der Hauptsache, die Akteure waren jung und es wurde auch von jungen Menschen für junge Menschen geschrieben. Ja, die wurden dann älter natürlich die Autoren. Aber wir können wirklich alle Stoffe durchschauen: Es waren Jugendstoffe, also für die jüngere Generation, die sich finden musste, die eine Identität entwickeln musste, die einen die Lösungen suchte in Konflikten, die sie miteinander hatten usw., die glücklich waren miteinander und so. Also das waren immer Stoffe von Jungen für Junge durch junge Menschen auch gespielt auf der auf der Bühne dort und jetzt ist es anders und ich frage mich warum. Und ich glaube, der Grund ist da zu finden, dass wir als Autoren uns dessen nicht bewusst sind, dass wir verantwortlich sind auch für die jüngere Generation. Und zwar: Wie kann man diese Verantwortung wahrnehmen? Ich habe dann darüber nachgedacht und festgestellt, die die Generation zwischen 14 und 40 - die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind ja geprägt durch das Internet, durch Games, durch Filme, durch schnelle Schnitte. Sie sind sehr schnell in der Lage, von der Tiefsee auf den Mond zu kommen und zurück. Das geht ganz schnell. Das wäre in der Generation meiner Großeltern überhaupt niemals vorstellbar. Jules Verne hat so was gemacht, aber nicht in dieser Geschwindigkeit. Und heute prägt es einfach das Bewusstsein. Dieses schnelle Denken in Bildern, in schnellen Schnitten.
Kristin Thielemann: Aber man könnte natürlich jetzt auch einfach traditionelle Stoffe so inszenieren, dass es von der Tiefsee auf den Mond geht.
Ludger Vollmer: Ja, jetzt kommen wir zum zweiten Thema. Wir leben heute tatsächlich in einer Zeit. Also wenn ich jetzt rausgehe und durch Hamburg fahren sollte. Wir leben in einer Zeit, in der es keine barocken Fürsten mehr gibt. Also es gibt schon noch Fürsten in Monaco oder so. Und jetzt haben wir ja die Hochzeit von Herrn Lindner erlebt. Das ist ja auch so großfürstlich inszeniert worden. Herr Merz schwebte mit dem Flugzeug ein usw.
Kristin Thielemann: Aber es ist absolut nicht die Realität von Kindern und Jugendlichen.
Ludger Vollmer: Das ist auch nicht unsere Lebensrealität, das ist das von irgendwelchen… ja, ich erlebe das als ziemlich abgefahren, also abgehoben im Sinne des Wortes abgehoben.
Kristin Thielemann: Das heißt, du hast jetzt einfach Stoffe gewählt…
Ludger Vollmer: Ja, genau, ich… Wir müssen tatsächlich zwei Dinge schon haben wir jetzt genannt. Also erst mal die Fähigkeit, die die Art und Weise, wie Menschen, junge Menschen Stoffe aufnehmen und verarbeiten in ihrem Bewusstsein, in ihrem Gehirn. Und die zweite, welche Stoffe das sind, welche Themen dort verhandelt werden. Und da kommen wir wieder zu den alten Opern, die haben natürlich alle Stoffe ihrer Zeit behandelt. Ja, der Figaro griff auf Beaumarchais zurück. Dieser Stoff hat die Französische Revolution mit entzündet, und das ist nicht der einzige. Die griechischen, die griechischen Tragödien usw. die sprachen wirklich zentral von dem Menschen zu seiner Zeit. Dass es so genuin ist, dass es heute uns noch trifft, ist natürlich eine andere Sache. Aber wir können natürlich eine Oper oder einen Stoff, der im 19. Jahrhundert verhandelt wurde, jetzt nur noch bedingt in die heutige Zeit transportieren. Das heißt, es wird ja gut gemacht, es gibt ja kluge Regisseurinnen und Regisseure. Aber warum sollen wir eigentlich da aufhören, in unseren Musiktheaterwerken oder in unseren Sprechtheaterwerken von unserem Leben zu sprechen, von dem Leben der jüngeren Generation heute, und sie dadurch reinziehen, auch von den von der Struktur unserer Gesellschaft! «Gegen die Wand» war ja ein Riesenerfolg, dass ja jährlich nachinszeniert worden. Innerhalb von zehn Jahren ist das zehn Jahre lang an wirklich großen Häusern und auch an kleinen Häusern nachinszeniert worden. Und die Uraufführung sollte ja nur sieben Vorstellungen haben, wie es ja heute ist mit zeitgenössischen Opern. Die sind auf 40 Vorstellungen gekommen, und dann brach die Intendanz ab damals. Und natürlich wird dann das gesamte Programm umgestellt. So, das heißt, dass wir da einen Riesenbedarf auch gesehen haben, also die, die Menschen brauchen das ja.
Kristin Thielemann: Darf ich mal ganz kurz zwischenfragen, wie kommst du dann eigentlich auf die Bücher und auf die Filme, die du für deine Jugendopern nutzt? Ich meine, suchst du dir selbst aus oder gibt es da Beratung zum Beispiel von Jugendlichen oder von deinen Kindern? Ich glaube, du hast ja auch einen ganzen Stall voll Kinder, oder!?
Ludger Vollmer: Die sind ja zum größten Teil natürlich jetzt alle schon erwachsen. Natürlich genauso kritisch und es ist super mit denen. Aber ich habe noch einen ganz kleinen, auch noch mal einen 4-jährigen Bengel daheim.
Kristin Thielemann: Aber dann ist ja Kokosnuss – «Der kleine Drache Kokosnuss» jetzt wahrscheinlich das Thema. Ist das… als Oper ist das noch nicht vertont worden.
Ludger Vollmer: Aber ich mache keine Kinderopern tatsächlich. Also Kinderopern gibt es genug und sehr gute. Aber tatsächlich, das Segment zwischen 14 und 40 ist also absolut unterversorgt.
Kristin Thielemann: Aber von vier auf 14 ist schnell.
Ludger Vollmer: Das stimmt, das geht ganz rasant. Aber ich weiß nicht, ob der 14-jährige sich dann noch mit dem Drachen Kokosnuss auseinandersetzt.
Kristin Thielemann: Das ist es dann nicht so. Na, kennst du. Ich habe das neulich im Podcast, in der Sommerfolge haben wir auch über Bücher gesprochen, die für Jugendliche relevant sind. Und da ich hatte kürzlich dieses Buch «Dry» gelesen, kennst du das, wo es so einen Tapout gibt in Kalifornien, also so, wo praktisch kein Wasser mehr fließt und die Leute durstig sind, erst mal die Supermärkte leerkaufen. Sie haben nicht eine Hungersnot, sondern sie verdursten praktisch in Kalifornien mit allem, was dazugehört, mit weiß ich nicht Aufständen und Revolution und Räuberei und so, das kann ich mir auch mega gut vorstellen als Jugendoper, wenn du noch eine schreibst, dann schreibst du «Dry»!
Ludger Vollmer: Ich muss mir das mal durchlesen.
Kristin Thieleman: Ja, ich habe. Ich hab's jetzt ein paar Mal vorgelesen, wenn wir hier Gastkinder hatten, immer so eins, zwei Kapitel oder auch mal. Habe das mal im Unterricht zum Thema gemacht. Hier Trompetenunterricht. Dieses Tropfen des Wassers und so. Ist ja auch irgendwie so schön. Das ist ja ein schöner Klang, eigentlich so dazu zu improvisieren. Und das kam unglaublich gut an. Die haben das alle durchgelesen, dieses «Dry».
Ludger Vollmer: Ich habe tatsächlich jetzt, jetzt vor kurzem, um da noch kurz anzuknüpfen, den «Schwarm» gelesen von Schätzing. Schätzing ist ja ein unglaublicher Typ, wahnsinnig gut auch recherchiert usw. Extrem intelligent. Aber tatsächlich… Ich scanne kenne ja solche Bücher immer, ob ich die «verwursten» kann, aber ich kann das nicht. Also Schätzing kann ich nicht als Oper darstellen. Nicht deswegen, weil da nix los ist. Das ist... also mehr geht nicht als dort! Aber deswegen, weil es der Stoff… mein Bauch… Das ist so ein dystopischer Stoff, der letztlich nur noch auf schwarzweiß, a-b, Mensch-Schwarmintelligenz dort endet und das geht dann auf der Bühne wird das nicht funktionieren. Ich habe irgendwie. Es klingelt irgendwas in mir dann oder es klingelt nicht. Also tatsächlich ist es so, dass die Stoffe mich berühren müssen. Ja, und viele meiner wichtigsten Opern habe ich einfach so angefangen zu schreiben und die waren dann innerhalb von kürzester Zeit hat irgendwer irgendwas gehört oder übers Netz gelesen oder von einem Bekannten wurde das erzählt. Und dann habe ich eine Anfrage bekommen, ob ich das Material nicht vorstellen kann. So war das bei mir. Ich kenne tatsächlich es nicht, dass ich exzessiv mit meinen Opern hausieren gehe oder so. Ja, ich habe das auch schon gemacht und so, weil ich dachte, an dieses Haus oder jenes Haus passt diese Oper sehr gut. Also sprichst du mal mit dem Intendanten dort… Aber ich schreib jetzt die zehnte Oper und vielleicht ist es in einem Fall so gewesen oder so, dass ich das mal gemacht habe.
Kristin Thielemann: Warum ist es dir eigentlich wichtig, dass Jugendliche in die Oper gehen? Ich meine, man könnte ja auch ganz genauso gut ins Kino gehen, oder? Ja, was hat dann die Oper eigentlich für einen Vorteil?
Ludger Vollmer: Na ja, also das Kino ist natürlich auch sehr beeindruckend und so, aber jetzt war ich ja mal wieder… ich bin ja Filmfan, auch Cineast und jetzt meine jüngster Kinobesuch war dann so natürlich, man ist dann doch schon relativ einsam: Da versinkt man in seinem Plüschsessel mit seinem Popcorn, rechts und links sitzt keiner und auch sonst passiert nichts. Auch vorne ist halt eine flache, ein vorgefertigtes... Ja, ein Film, der kann nicht... da kann sich nichts mehr verändern. In einer Oper ist immer jede Vorstellung anders. Sie wird immer von lebendigen Menschen auf der Bühne gemacht. Ich hatte mal vor vielen, vielen Jahren, mal eine Tournee mit Ludwig Hirsch, damals den Chansonnier. Ein Wiener Chansonnier, der leider dann an Lungenkrebs erkrankt ist und sich das Leben genommen hat. Sehr hoch tragisch, aber in Österreich bis heute noch verehrt, muss man sagen. Mit dem hatte ich das Glück, mal eine Tournee zu machen. 14 Tage in Wien, das war toll. Ja, ja. Und das Stück, was wir machten, also gemacht haben, war ein Musical von Herman van Veen. Das war aber für Kinder, ein Kinderstück, und wir haben es im Ronacher gemacht und immer um 16:00. Und danach habe ich meinen Koffer geschnappt und bin in die Staatsoper gerast.
Kristin Thielemann: Warum das?
Ludger Vollmer: Und was ich dort sehen wollte, war eine Karte für ein Stehplatz oben. Das ist der eigentliche Schatz der Wiener Staatsoper. Ein Stehplatz. Warum? Weil die Leute aus ihren Büros kommen, von der Arbeit kommen usw. Jung und alt und steinalt und sehr jung. Die können sich das alles leisten. Die Karten waren preiswerter als die Garderobenkarten und man kann also jeden Abend nach Dienst sozusagen sich belohnen und eine schöne Wagnervorstellung sich angucken. Das ist ja ein Riesenprogramm, auch was dort an der Wiener Staatsoper ist. Und das habe ich auch gemacht. Und da habe ich ein sehr, ein, ein für mich sehr verblüffendes, etwas sehr Verblüffendes kennengelernt. Und das war so: Ich bin da jedes Mal hochgestiegen auf die Stehplätze da oben. Und dann waren da verschiedene Menschen, alte Damen, junge Herren, die sich darüber unterhalten, wie die vorgestrige Vorstellung von dem Sänger XY… wie der die gesungen hat, und dass er, wenn es jetzt zum Beispiel in der Pause war, allerdings im zweiten Akt vom Auftritt der XY nicht ganz so brillant heute drauf war. Ich habe da gar nichts gehört, aber die, ja, die kannten all diese Opern aus dem Effeff und konnten genau sagen Also der Sänger XY ist dort etwas brillanter, aber kann nicht, hat nicht so viel Spielfreude wie der Sänger AB. Es ist irre. Und das hat mich total beeindruckt. Das hat mich total beeindruckt.
Kristin Thielemann: Aber ich kann mir vorstellen, dass so so ein Kommentar Jugendliche total verschreckt. Weil du gehst da rein und du bist so völlig überfahren von diesem großen Raum, der ja oft auch sehr, schön gestaltet ist optisch. Und dann dieses Orchester, auf der Bühne passiert so viel und dann kommen so rechts und links Kommentare, wo du eigentlich merkst: «Boah, ich habe überhaupt keine Ahnung! Von der Handlung nicht, von der Musik nicht. Und ich merke auch nicht, dass der Sänger vorgestern brillanter war, weil vorgestern war ich vielleicht tatsächlich im Kino als Jugendlicher.» Also ich könnte mir vorstellen, dass das eher verschreckend wirkt.
Ludger Vollmer: Meine Erfahrung mit meinen Jugendopern ist, dass das gar nicht so ist. Also bei den Jugendopern haben ja, also da müssen wir einfach wieder über das über das Thema sprechen. Wenn ich natürlich mit einem Bühnenweihe-Festspiel komme. Wagner! Also das sagt uns schon der Name Bühnenweihe-Festspiel. Ja, ja, also da sind natürlich junge Menschen mit 14 oder 16, die natürlich auch noch keinen gefestigten Zugang zu bevorzugten Kunstformen haben oder so, die noch suchen, die sich noch orientieren wollen und müssen usw.. Die gucken dann erst mal, also ich habe also viele sind davon, haben ja überhaupt keinen Zugang zu Spiritualität, noch dazu so zu so einer selbstgeschnitzten wie dieser Wagner ja dort anbietet usw. und dann dann kommen die da rein und dann sind die natürlich fremd dort. Aber wenn ich jetzt ich, wir reden wieder über «Tschick», wenn ich zum Beispiel so eine Oper nehme wie «Tschick» und dann ist so ein Typ da vorn und der hat was mit ihnen zu tun und der verwendet Worte und Seinsweisen, so wie sie die auch verwenden. Also es ist eine Frage des Themas. Und wenn, dann auf der Bühne auch noch dazu junge Leute sind, die sie kennen, persönlich sogar Freunde, Freundinnen oder die sie kennen könnten, haben den ganz anderen Zugang. Also es ist völlig klar. Und dann erobern die sich die Bühne richtig. Und das junge Publikum sieht das und wird mit reingezogen ins Geschehen. Ganz klar.
Kristin Thielemann: Ich glaube, es kommt bei diesen traditionellen Stücken von Verdi, Puccini, Mozart, Wagner oder so was in der Preisklasse, da kommt es gar nicht immer so sehr auf die Handlung an. Ich meine, es ist schön, wenn irgendwas so verständlich dargestellt wird, dass ich den Schülern nicht stundenlang eine Einführung hierzu geben muss, wenn ich jetzt mit den Schülern mal dahingehe, damit sie es verstehen. Aber für mich ist es einfach viel wichtiger, dass die ganze Sache rüberkommt, dass sie die Jugendlichen berührt. Das kann eine wahnsinnig tolle Sängerin sein, oder eine beeindruckende Inszenierung. Aber es muss irgendetwas sein, was diesen Opernabend zu was ganz Besonderem macht. Ja, und ich habe immer versucht, dass meine Schüler so ein bisschen Verbindung zur Oper bekommen in indem ich sie einfach mitgenommen habe. Als ich noch in einem Opernhaus gearbeitet habe, da war das einfacher. Da habe ich sie einfach manchmal mit in den Orchestergraben genommen, wenn Vorstellung war, allein dort so diesen, diesen Sound zu erleben, diese Kraft, diese Energie, das ist ja schon… das ist unvergesslich. Ja, so war übrigens auch mein erstes Erlebnis in einer Oper – Hamburger Staatsoper damals. Ich wurde von einem Musiker mitgenommen und ich habe im Orchestergraben in der letzten Reihe gesessen. Ich glaube, ich war damals so sechs Jahre alt, und ich habe von dem Stück nicht ein Wort verstanden. Aber ich kann mich bis heute an dieses tolle Erlebnis erinnern, an einzelne Momente, wo die Streicher so ein Tutti gespielt haben. Und es ist wie so wie so einen Sog gab in der Musik, oder wo die Trompete über dem Orchester gestanden ist mit ihrem Sound. Das war der Wahnsinn. Und ich wusste einfach in diesem Moment, ich, ich will mehr davon, ich will das auch, ich will das auch können! Aber ich versuche auch immer, wenn das irgendwie möglich ist, dass der Schüler irgendeine Verbindung noch weiter zu bekommen, indem er oder sie vielleicht zum Beispiel in einem Opern Kinderchor singt, oder zumindest mal Statist sein kann irgendwo auf der Bühne. Dann ist es nämlich so was ganz anderes, wenn du mal selbst dort oben gestanden hast, dann finde ich, hast du einfach eine ganz andere Verbindung dazu. Hast du das auch, dass du Jugendliche mit einbeziehst in deine Stücke?
Ludger Vollmer: Ja, ja, es muss ja, um dir da recht zu geben, natürlich diese gläserne Wand durchstoßen werden.
Kristin Thielemann: Ja, absolut.
Ludger Vollmer: Das ist das. Und natürlich ist ein sehr großer Teil meiner Opern immer explizit mit Jugendchor zu versehen. Den fordere ich dort.
Kristin Thielemann: Ah, das ist eine super Idee.
Ludger Vollmer: Ja, natürlich gucke ich dann die Häuser an, haben die gute Jugendchöre oder sind die erst beim Aufbau eines Jugendkorps oder so? Und dann werde ich natürlich den Schwierigkeitsgrad meiner Komposition dort dem anpassen. Es nutzt nichts, wenn die da oben die ganze Zeit nur rumstolpern. Also die müssen auch mit Spaß dabei sein auf der Bühne.
Kristin Thielemann: Absolut. Ich meine, das haben ja auch schon große, große Namen vor dir getan. Ich meine, denk mal so an Puccinis «La Bohème», da gibt es ja auch kein Jugendchor, aber ein Kinderchor immerhin, der jetzt auch nicht so wahnsinnig schwer ist. Oder jetzt Carl Orff. Ich meine, da hat ja auch ein Kinderchor in seine «Carmina» geschrieben. Das ist ja auch eher einfach und von einem auch doch durchschnittlichen Kinderchor gut zu bewältigen.
Ludger Vollmer: Und wir brechen uns ja auch keinen Zacken aus der Krone, wir KomponistInnen und AutorInnen. Wir können tatsächlich auf diese Bedürfnisse auch eingehen. Also ich habe oftmals mir gedacht… Also eines der großen Probleme der zeitgenössischen Musik. Eines der sehr großen Probleme der zeitgenössischen Musik ist, dass die in der Praxis (von Ausnahmen ist abzusehen) aber in der Praxis in der Regel in einer Musikschule nicht mehr vermittelbar ist einfach auf den Instrumenten für Kinder. Und das ist bei den großen Meistern der Vergangenheit völlig anders. Denn der größte Teil der… Ich habe auch lange Zeit Geige und Bratsche unterrichtet… und der größte Teil dieser Stücken, die dort unterrichtet werden, sind alles Stücken der größten Meister des Barocks, der Klassik, der Romantik in Europa. Und die werden mit großer Freude gespielt, sind aber spielbar. Die sind spielbar. Die deutschen Tänze von Beethoven und Mozarts wunderschöne Melodien. Und es gibt dann noch Meister der klassischen Moderne. Also von Schostakowitsch kann man noch einiges spielen mit kleineren Schülern und so, das geht. Aber dann ist dann auch Schluss. Also aus dem, was in Deutschland nach den 50er Jahren kam, da kann man jedenfalls nach was… ich rede jetzt von Darmstadt… aus dieser Ecke kommen kann man mit Kindern einfach nicht mehr arbeiten, geht nicht mehr. Dann mit Jugendlichen mal experimentell. Aber dass man mit denen wirklich am Instrument arbeitet, an einer Melodie arbeitet oder an der Gestaltung einer Musik in dem Rahmen arbeitet, dass Kinder das auch mitnehmen können.
Kristin Thielemann: Ja, aber ich meine, Kinder suchen ja auch Aktualität in ihrem Musikunterricht und deswegen kommen sie ja auch ganz oft mit Vorschlägen: «Können wir mal hier dieses und jenes Popstück spielen!»
Ludger Vollmer: Richtig, das sind dann Popsongs. Aber wenn wir uns die Struktur eines Popsongs dann so anschauen, es sind Melodien und Harmonien.
Kristin Thielemann: Das ist es ja. Und Sie merken, natürlich ist es total einfach, es klingt gleich richtig schön. Ich meine, da müsste man jetzt halt mal kompositorisch was dagegensetzen.
Ludger Vollmer: Ja, es geht.
Kristin Thielemann: Ludger Ich sitze ja immer noch an der Trompetenschule dran. Du darfst gerne was beisteuern, was experimentell ist.
Ludger Vollmer: Ja, also es geht also als natürlich. Also wir müssen uns nur dazu bereitfinden. Wir müssen bereit. Wir müssen dann in diesem Fall auf das Publikum da, auf das Publikum der PädagogInnen, die mit Kindern arbeiten, zugehen und fragen: Was braucht ihr denn? Dann müssen wir als KomponistInnen kreativ umgehen. Das ist das. Aber ich glaube das, was die Altmeister hatten, ein auf ein Zugehen, auf das Publikum oder auf die Auftraggeber und zu fragen… Und zwar gar nicht aus populistischen Gründen, sondern einfach nur aus mitmenschlichen Gründen, zu fragen: Was braucht ihr denn eigentlich? Ihr fragt mich an, meine Kreativität. Ich kann natürlich auch andere Dinge tun, die Zeitung lesen, baden gehen usw. Ich muss mich nicht mühen, um Noten aufzuschreiben. Aber wenn ihr mich ruft, ja, und dann müsst ihr mir erst mal sagen was braucht ihr denn? Und dann biete ich euch was an. Und zwar nicht was, was wer anders gemacht hat, sondern was ich machen kann. Ich persönlich. Das biete ich euch an. Und dann schauen wir mal. Da kommt bestimmt was Gutes bei raus. So haben die Alten mit Sicherheit gearbeitet. Die haben gefragt: Was braucht ihr denn?
Kristin Thielemann: So hat es gerade die alten Stücke genannt. Wie sieht es denn mit diesen traditionellen Stücken aus? Also dein Tipp, was du - spannende Inszenierungen vorausgesetzt - für Jugendliche empfehlen kannst. Ich meine «Gegen die Wand» und «Tschick» sind natürlich jetzt erst mal gesetzt für alle Musiklehrende, die das hier hören.
Ludger Vollmer: Da muss man sagen fast alles. Ja, also fast alles. Also was mich als Jugendlicher schon wirklich wahnsinnig mitgerissen hat, waren Verdis Opern, also der Rigoletto zum Beispiel. Weil, das sind ja Dinge, die mich auch als Jugendlicher in der Schulklasse schon bewegen, als wenn du zum Beispiel ein Außenseiter bist in einer Schulklasse oder so, und dann passiert sowas. Und wenn das gut in einer guten Regie ist, in einer spannenden Regie, und ich dann mit reingenommen werde, auch von vielleicht von einer Pädagogin oder einem Pädagogen oder so die Möglichkeit habe einfach da rein zu lassen, dann ist das toll! Oder was ich irre finde sind auch selbst so Barockopern oder «Fairy Queen». Ja, gerade du hast erzählt, du warst in Lübeck mal, da gab es eine sensationelle und hoch witzige Inszenierung von «Fairy Queen».
Kristin Thielemann: Oh, «Fairy Queen» ist ja so toll. Aber ich glaube, wenn ich mit Jugendlichen in die Oper gehen würde, dann würde ich vielleicht auch so was ganz, ganz Abgefahrenes mal aussuchen wie «Herzog Blaubarts Burg». Das finde ich ja so irre, dieses Stück, diese Burg und diese Gefahren, die da für die Judith lauern. Und dann immer noch eine Tür, hinter der es immer noch schlimmer wird. Und auch die Musik ist ja, ist ja so irre. Und wenn man das ein bisschen cool inszeniert hat, auch, auch mit ein paar Farben auf der Bühne, das ist Wow! Also «Herzog Blaubarts Burg» finde ich unglaublich beeindruckend und zudem hat es ja noch den Vorteil, dass es nicht so besonders lang ist. Also es sollte ja für Jugendliche gut durchhaltbar sein.
Ludger Vollmer: Ja, aber man sollte auch vor allen Dingen immer den bei solchen Stoffen wirklich vorher mit den Leuten darüber reden, wann es geht. Es sind ja da keine Kinkerlitzchen, die da verhandelt werden.
Kristin Thielemann: Es ist durchaus schockierender Stoff auch, aber das wollen ja Jugendliche, die wollen ja auch nicht irgendwie immer eitel Sonnenschein.
Ludger Vollmer: Eben deshalb.
Kristin Thielemann: Das ist ja bei «Gegen die Wand» ist es ja auch eher dramatisch. Das ist nicht die Geschichte von zwei, zwei Deutschtürken, Sibel und Cahid. Die gehen da so eine Scheinehe ein, um den engen Moralvorstellungen der Familie zu entfliehen. Und dann haben aber beide zahllose Affären mit anderen, bevor dieser Cahit doch dann spürt, dass er sich doch tatsächlich in seine Scheinehefrau verliebt hat. Also Liebe, Eifersucht, Leidenschaft.
Ludger Vollmer: Es geht eigentlich noch krasser zu. Also es ist so, dass da ein Mädchen in einer ultrakonservativen türkischen Familie lebt und aber das nicht mehr möchte. Sie möchte nicht mehr in diesen Fesseln sein. Sie will raus. Und sie will Partys machen und sie jeden Tag einen anderen Kerl im Bett haben. Sie will das alles haben, was ihre deutschen Mitbürgerinnen ja alles haben. Und das möchte sie auch.
Kristin Thielemann: Ja, das will ja die Judith in Blaubarts Burg auch. Die sucht sich ja auch das Abenteuer.
Ludger Vollmer: Genau. Packend ist immer für die jungen Leute, wenn es um Identität geht. Und das ist bei «Gegen die Wand» der Fall. Da ist selbst dieser Jay, der wie gesagt ein alternder Alkoholiker ist und der eigentlich schon mit dem Leben abgeschlossen hatte… Der fährt dann nach Mersin ein, zum Schluss am Ende der Oper. Und er hat seine Identität wiedergefunden. Er hat sie hier in Deutschland war er verspielt und dort hat er sie dann wiedergefunden. Und so ist es bei «Tschick» zum Beispiel auch. Also der, der die Hauptrolle spielt, der «Tschick» genannt wird… Tschick übrigens in Österreich, lernte ich jetzt, heißt Kippe. Also das, was man sich hinters Ohr schiebt… Genau… Und der da, der «Tschick» genannt wird, der redet von sich als einer… er sei ein Zigeunerjude. Sein Opa lebt in der Walachei und hat da irgendwie so eine eher orientalisch anmutende Großfamilie mit vielen Cousinen usw. Genau kann man gar nicht feststellen, wo der herkommt und er weiß es wahrscheinlich auch selber nicht. Und ihm wird gegenübergestellt so ein typisch deutscher Mittelstandsjunge, der eigentlich aus einer wohlhabenden Familie kommt, mit Swimmingpool und Villa usw. Dann ist aber die Mutter als Alkoholikerin in einer Entzugsklinik und der Vater ist mit seiner Geliebten weg und er ist völlig verwahrlost in dieser Villa an dem Swimmingpool allein. So. Hat ein Haufen Geld von seinem Vater gekriegt. Und da trifft dieser Tschick auf ihn. Das heißt, er sucht ihn. Tschick geht auf den Maik zu. Und die beiden… Maik stellt fest, dass er auch ein Problem mit seiner Identität hat. Er will ja mit seinen Eltern… also mit dem will er nichts zu tun haben. Der Vater ist gewalttätig, der schlägt ihn nachher sogar richtig ein paar rein und so verprügelt ihn. Und das ist ein krasses Ding. Aber die beiden gehen auf Tour, gehen auf Tour in diesem Land. Fahren. wahrscheinlich nur 100 Kilometer mit dem geklauten Lada durch Getreidefeld. Ja, wie es dann heißt: Wir haben versucht, unseren Namen mit einem Lada ins Getreidefeld zu schreiben. So, und wollen aber mit diesem Auto, mit diesem geklauten Auto in die Walachei zum Opa von Tschick. Also die suchen, die wollen zur Wurzel seiner Identität, da wollen die hin. Gleichzeitig sucht auch Maik nach seiner eigenen Identität und spiegelt die sozusagen an diesem völlig anderen Freund, den er da gefunden hat und erkennt da auch sich selbst. Und diese Suche nach Identität, die zieht sich übrigens durch alle meine Jugendopern und das ist genau das, was ich gesehen habe, was die jüngeren Menschen wirklich nagelt daran, was die wirklich anfixt. Die können diesen Weg mitgehen, weil die alle in dieser Situation sind: Wer bin ich? Und vor allen Dingen aber für jüngere Menschen.
Kristin Thielemann: Ja, wohin geht der Weg? Hoffentlich mal in die Oper. Denn die Opernränge sind leer. Hast du kürzlich diese…. Also über die Social Media sind jüngst einige Fotos aus der Wiener Staatsoper durch die Social Media gegeistert. Gähnende Leere im Parkett, praktisch null Auslastung in den Rängen. Was glaubst du denn? Ist das nur der Coronakrise geschuldet, dass jetzt ältere Menschen einfach nicht mehr gehen in die Oper und sich nicht trauen? Und oder trefft ihr Komponisten nicht den Geschmack oder sind die Stücke einfach nicht so relevant, die aktuell gespielt werden. Warum ist die Oper leer?
Ludger Vollmer: Also ich wusste tatsächlich… es gibt ein ganzes Bündel von Gründen. Und tatsächlich muss ich auch sagen, als ich jetzt in Wien war und die Wiener Staatsoper hatte noch nie ein Problem mit. Mit Publikum noch nie.
Kristin Thielemann: Deswegen. Ich war auch erstaunt. Es waren ja auch nicht ein oder zwei Fotos, sondern es war wirklich häufig jetzt.
Ludger Vollmer: Die sind total verblüfft und ich glaube, dass der «Tschick» nach Wien geholt wurde, ist einer der Gründe, die an anderen Opernhäusern schon lange da sind. Ich habe also tatsächlich sehr viel zu tun, weil ich die Jugendoper bediene und die Theater in ihrer Analyse der Situation, in der sie stehen, schon weit der Wiener Staatsoper vorangeschritten sind, mit diesem Wegbrechen des Publikums usw.. Und die fragen sich dann: Woran liegt's denn? Und die haben dann diese Antwort: Wir müssen Stoffe für junge Leute finden, in denen die sich dann auch wirklich wiederfinden können. Und jetzt einer der zweiten Gründe, die ich sage. Tatsächlich heißt das dann rein logisch, dass wir als KomponistInnen und als LibrettistInnen gefragt sein müssten. Die Leute müssten uns Kusshändchen hinterherwerfen und den roten Teppich ausrollen. Stattdessen ist es aber so, dass wir, davon bin ich überzeugt, zwar gefragt sind, aber viele meiner jüngeren Kollegen gar nicht mehr den Ehrgeiz haben, das sein zu wollen. Ich glaube, das ist eine Art von Resignation, die da breit sich gemacht hat in meinem Berufsstand. Es geht bei ganz vielen jüngeren Menschen gar nicht mehr darum, für ein Theater zu arbeiten, für lebende Sänger, für lebende Instrumentalisten zu arbeiten, sondern es geht bei ganz, ganz vielen Menschen darum, dass sie nur noch mithilfe des Computers Sounds erstellen, Multimediasachen machen und die Orte, wo das aufgeführt werden, sind ganz klein, sind abseits oder an den Hochschulen. Wie ernähren sich diese KollegInnen dann? Sie ernähren sich von Förderungen. Ja, und das ist das Problem. Also das ist natürlich kein Problem. Also natürlich soll sich von Förderungen ernähren und wir haben hier in Hamburg sogar… Mein lieber Kollege Carsten Gundermann hat ein dickes Buch geschrieben über die Antragspoetik.
Kristin Thielemann: Das stellen wir in die Shownotes.
Ludger Vollmer: Ja, aber er selber sagt: Ich will das nicht benutzen, weil auch er sich lieber um Aufträge bemüht bzw. diese Aufträge zu erfüllen, die er auch kriegt. Es gibt ganz wenige, die haben Aufträge, aber die wissen, dass sie das auch wollen. Sie wollen Aufträge erfüllen, sie wollen Aufträge erfüllen und dafür ein Einkommen generieren. Und das ist aber leider, dach meiner Beobachtung, es kann sein, dass ich falsch liege, aber nach meiner Beobachtung ist das schon längst nicht mehr Thema an den Hochschulen und in der jüngeren Generation meiner Mit-Komponistinnen und Komponisten. Ja.
Kristin Thielemann: Wie ist denn das jetzt eigentlich mit der mit der Definition: Wo setze ich denn jetzt eigentlich den Schnitt zwischen Jugendmusical oder einem Musical und der Oper? Also ich meine, worin unterscheidet sich denn deine Jugendoper von beispielsweise einem Jugendmusical?
Ludger Vollmer: Das ist ganz klar ein Musical per se, ist ja gesetzt, so wie auch eine Operette oder so. Es ist jetzt einfach ein Stil, der aus dem angloamerikanischen Raum hierherkam, importiert wurde und der bestimmte eigene Gesetzmäßigkeiten halt hat, die ich nicht bedienen möchte und auch nicht bedienen brauch. Also die Art zu singen. Musicalsänger und Musicalsängerin singt anders. Ja, mit Mikrophon meistens. Anders als so als ein Sänger, eine Sängerin, die in der Oper dort agieren. Wir haben eine andere Instrumentierung, obwohl ich sehr häufig auch Drumset, E-Gitarre alles dabei habe. Aber ich muss es nicht zwingend, ich muss es nicht zwingend. Ja, jetzt in meiner jetzigen Oper «Buddenbrooks», die ich gerade schreibe, das ist wieder ein Auftrag von einem größeren Haus.
Kristin Thielemann: Wie schön, da schlägt das Lübecker Herz natürlich gleich höher.
Ludger Vollmer: Ja, genau. Aber das ist natürlich. Also das scheint erstmal keine Jugendoper zu sein. Das ist eine meiner großen Opern. Aber das war eben auch ein Auftrag. Die haben gesagt, möchten Sie es für uns machen? Es würde uns sehr freuen. Und dann habe ich gesagt: Ich kann es aber nur machen, wenn das Libretto Feridun Zaimoglu schreibt. Ja, weil er einen anderen Blick. Er hat ja türkische Wurzeln auch. Er lebt natürlich schon seit seiner Geburt, glaube ich, in Kiel und so, aber er hat doch türkische Wurzeln. Er hat einen anderen Blick auf unsere deutsche Gesellschaft und dann können wir so ein urdeutsches bürgerliches Drama, ja Familiendrama, auch so komplex gebaut, und das können wir nicht ohne Weiteres jetzt im Theater anbieten. Dann bleibt es bei der Uraufführung. Mit dem ist das super. Also das Libretto ist jetzt fast fertig also, und das wird toll, das wird einfach großartig. Ganz, ganz großes Kino und so, dass es auch jüngere Menschen packen können, weil es wieder mal auch in ihr Leben reingreift. Tatsächlich?
Kristin Thielemann: Was könnte die größte Motivation für Jugendliche sein, in die Oper zu gehen?
Ludger Vollmer: Na ja, die müssen einfach wissen, die Oper ist ist im Theater das Event oder das Kunstwerk, was wirklich, also was wirklich die meisten künstlerischen Ausdrucksmittel überhaupt generiert. Ja, also Geruch kommt jetzt da nicht so vor. Es gibt einfach so eine umfassende Form von Kunst. Ja, vom Bühnenbild, über die Beleuchtungstechnik bis hin zum Orchester, den Sängern und Sängerinnen und dem Schauspiel und allem. Es gibt einfach nichts Umfassendes. Und wenn das gut gemacht wird, und das kann man den Jugendlichen sehr deutlich machen, dann kann das einen Sog erzeugen, den die einfach dann nicht mehr vergessen. Das ist einfach das, was man sich einfach aus dem aus einem Blockbuster immer wünscht oder so. Also dass man wirklich reingeschleudert wird, dass man eine emotionale Achterbahnfahrt hat usw. Das kann man in der Oper tatsächlich erleben. Und zwar deswegen, weil alle Gewerke des großen Hauses da mit dran sind und das, wie am Schnürchen spielt. Da sind ja 400 Leute, die bei so einer Oper mitarbeiten. Ist ja irre, das weiß man ja gar nicht von außen. Und also… wie gesagt… emotionale Achterbahn und eine vollkommene, ein umfassendes gepackt werden. Das ist schon cool und ich glaube, dass das auch für Jugendliche wirklich sehr, sehr spannend ist. Ich bin ja oftmals dann auch bei theaterpädagogischen Projekten dabei usw. Wenn ich da hinkomme und rede mit den Mädels und Jungs dort und ihren Lehrern und so. Und dann werde ich immer vorgestellt als ein Komponist und die gucken mich an, als wenn ich ein wiederauferstandenes Fossil bin aus der Zeit der Dinosaurier und so was Absurdes.
Kristin Thielemann: Super!
Ludger Vollmer: Ja, ja, es ist so absurd. Aber weil natürlich auch nie mehr Musik komponiert wurde als heute, geht natürlich immer gleich wieder viel in die Tonne und so, aber es ist tatsächlich so. Ich möchte gerne, dass mein Berufsstand wieder als ein Stand erlebt wird, der den Menschen das Leben schöner macht, einfach schöner. Der den Menschen eine Möglichkeit gibt, ihr Leben menschlicher zu erleben und ihr Leben als etwas Schönes zu erleben. Und das geht eben nicht nur mit einer Kugel Eis oder so, sondern das geht auch mit raffinierten künstlerischen Mitteln. Und das können wir. Wir als Komponisten können das gut. Und ich möchte gern, dass meine lieben, vor allen Dingen jüngeren Kolleginnen und Kollegen, diesen Ehrgeiz entwickeln, eine Musik zu entwickeln, die charmant ist, die spannend ist, die berührt in der Tiefe, wo man weinen muss, wo man lachen muss, im Theater, im Publikum. Das möchte ich gern. Das wäre mein Wunsch, dass mein Berufsstand, mein künstlerischer Berufsstand aber auch diesen Ehrgeiz entwickelt, etwas Eigenes zu entwickeln, etwas Eigenes, mit dem man seine Mitmenschen in der Tiefe packen kann. Das wäre es!